TE AsylGH Erkenntnis 2013/04/30 S3 433672-1/2013

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Veröffentlicht am 30.04.2013
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Spruch

S3 433.672-1/2013/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Pipal als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.02.2013, GZ 13 01.436-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 5 und § 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

 

Der Beschwerdeführer brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 03.02.2013 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am XXXX in XXXX in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde und am XXXX in XXXX in Griechenland sowie am XXXX am XXXX in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

Bei seiner Erstbefragung am 03.02.2013 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er innerhalb der Europäischen Union keine Verwandten habe. Zu seiner Reiseroute führte er aus, den Irak am 22.12.2011 selbstständig mit einem Pkw in Richtung Türkei verlassen zu haben. In der Türkei habe er einen Schlepper kennengelernt, welcher ihn im Februar 2012 mit einem Schlauchboot nach Griechenland gebracht habe. Dort sei der Beschwerdeführer von der Polizei aufgegriffen worden und er habe seine Fingerabdrücke abgeben müssen. Bis Mai 2012 habe er sich in Griechenland aufgehalten und sei dann selbstständig über Mazedonien und Serbien nach Rumänien gereist. In Rumänien habe er einen Asylantrag gestellt, über welchen negativ entschieden worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich in Rumänien in einem Asyllager aufgehalten und sei vor circa zwei Tagen über Ungarn nach Österreich gereist. Der Beschwerdeführer habe in Griechenland sowie in Rumänien um Asyl angesucht und in beiden Ländern einen negativen Asylbescheid erhalten. Griechenland und Rumänien seien ärmer als arabische Länder. Er könne nicht dorthin zurückkehren, weil er einen negativen Asylbescheid erhalten habe.

 

Das Bundesasylamt richtete am 04.02.2013 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Rumänien. Mit Schreiben vom 11.02.2013, eingelangt am selben Tag, stimmte Rumänien dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ausdrücklich zu, wobei angegeben wurde, dass der Beschwerdeführer in Rumänien am XXXX einen Asylantrag stellte, welcher am XXXX abgelehnt wurde.

 

Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 27.02.2013 gab der Beschwerdeführer nach erfolgter Rechtsberatung im Wesentlichen an, dass eine Rückkehr nach Rumänien der Todesstrafe gleichkomme, weil der Beschwerdeführer dort inhaftiert und in seine Heimat abgeschoben werden würde. Er habe Schutz beantragt, welcher ihm aber nicht gewährt worden sei. Das Leben in Rumänien sei sehr hart. Die einzige Unterstützung, die Asylwerber erhalten würden, sei eine Unterkunft. Um alles andere einschließlich Nahrung müssten sie sich selbst kümmern. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er in Rumänien einen Asylantrag gestellt habe mit dem Ziel, Schutz zu erhalten, und zwar unabhängig von der dortigen Lage und der schlechten Behandlung. Er habe, obwohl er alles in Kauf genommen habe, keinen Schutz erhalten. Sein Geld habe er für einen Anwalt, Nahrung sowie Verpflegung aufgebraucht. In Rumänien sei er nicht anerkannt worden. Dort würden schlechte Bedingungen herrschen und sei das Leben schwer.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Rumänien gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Rumänien ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Rumänien gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig ist.

 

Dieser Bescheid legt in seiner Begründung insbesondere auch ausführlich dar, dass in Rumänien die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich sind und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer die schlechten Zustände in Rumänien geschildert habe. Er sei dort nicht einmal mit Nahrung versorgt worden. Trotz der ernsthaften Gefahr einer Verletzung der durch Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Fall einer Ausweisung in den Irak sehe Rumänien eine solche als zulässig an. Der Verfassungsgerichtshof und der Unabhängige Bundesasylsenat hätten in ihren Entscheidungen bereist festgestellt, dass ein Selbsteintritt zwingend auszuüben sei, wenn die Grundrechte des Asylwerbers beispielsweise durch eine Kettenabschiebung bedroht seien. Genau dies sei beim Beschwerdeführer der Fall. Besonders problematisch sei die Lage für Dublin-Rückkehrer. Es würden sich vielfältige systematische Probleme im rumänischen Asylwesen betreffend Dublin-Rückkehrer ergeben. Die Behörde hätte sich mit den Haftbedingungen während der Schubhaft in Rumänien auseinandersetzen müssen, weil dem Beschwerdeführer im Fall einer Ausweisung eine solche drohe. Diese seien laut dem U. S. Department of State schlecht und es werde davon berichtet, dass Gefangene exzessiver Gewalt von Seiten der Polizei ausgesetzt seien und auch Gewaltakte unter Häftlingen selbst ein ernstes Problem darstellen würden.

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens wird folgender Sachverhalt festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Iraks. Er wurde am XXXX in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt und stellte dort am XXXX einen Asylantrag, bevor er sich nach Rumänien begab und dort am XXXX einen weiteren Asylantrag stellte. In der Folge reiste der Beschwerdeführer illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter und brachte am 03.02.2013 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein. Es wird weiters festgestellt, dass das Bundesasylamt am 04.02.2013 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Rumänien richtete und Rumänien mit Schreiben vom 11.02.2013, eingelangt am selben Tag, der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ausdrücklich zustimmte.

 

Besondere, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Rumänien sprechen, sind nicht glaubhaft.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

Nach § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

 

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

d) der Grad der Integration;

 

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

 

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

 

i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist dann, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

Nach § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 2005 ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 10 Abs. 6 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen nach Abs. 1 binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

 

§ 10 Abs. 7 AsylG 2005 ordnet Folgendes an: Wird eine Ausweisung durchsetzbar, gilt sie als durchsetzbare Rückkehrentscheidung nach dem FPG und hat der Fremde binnen einer Frist von 14 Tagen freiwillig auszureisen. Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht, wenn gegen den Fremden ein Rückkehrverbot erlassen wurde und für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 oder § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 38 durchführbar wird; in diesen Fällen hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 10 Abs. 8 AsylG 2005 ist der Fremde mit Erlassung der Ausweisung über seine Pflicht zur unverzüglichen oder fristgerechten Ausreise und gegebenenfalls über die Möglichkeit eines Antrages auf Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bei der örtlich zuständigen Fremdenpolizeibehörde (§ 55a FPG) zu informieren, insbesondere auf Rückkehrhilfe, sowie auf mögliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung (§ 46 FPG) hinzuweisen.

 

Laut Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung kann abweichend von Abs. 1 jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

 

In den Art. 5ff Dublin-Verordnung werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.

 

Die Beurteilung der Rechtsfrage ergab, dass die Beschwerde zu beiden Spruchpunkten abzuweisen ist:

 

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs ist dem Bundesasylamt beizupflichten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Rumäniens ergibt, und zwar gemäß Art. 3 Abs. 2 bzw. Art. 10 Abs. 1 sowie Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung.

 

In einem Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 16 Dublin-Verordnung findet eine neuerliche Überprüfung der Richtigkeit der seinerzeit erfolgten Zuständigkeitsbestimmung nicht mehr statt, es ist vielmehr lediglich zu prüfen, ob die Zuständigkeit inzwischen wieder erloschen ist (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II - Verordnung³, K 5 zu Art. 16). Es ist allerdings eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung diese Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.06.2012, U 462/12). Im vorliegenden Fall gibt es für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Rumänien keine Anhaltspunkte.

 

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Umstand, dass der Beschwerdeführer ursprünglich erstmals in Griechenland illegal in den Bereich der Mitgliedstaaten einreiste und dort einen Asylantrag stellte, an diesem Ergebnis nichts ändert, weil Rumänien nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen bereits gemäß Art. 3 Abs. 2 bzw. Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung in ein meritorisches Asylverfahren eintrat, was angesichts der systemischen Mängel im griechischen Asylverfahren und den dortigen qualifiziert mangelhaften Aufnahmebedingungen im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Gerichtshofes der Europäischen Union steht. Eine mögliche Zuständigkeit Griechenlands kommt daher schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise darauf ersichtlich, dass die Durchführung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des genannten Mitgliedstaates aus diesem Grund wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte. Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei (zur Willkürschranke vgl. Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migralex, 1/2007, 22ff).

 

Zu einer Verpflichtung Österreichs, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen, wird bemerkt:

 

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Fremdenrechtspaket 2005 führen zu § 5 Abs. 3 AsylG 2005 Folgendes aus (952 BlgNR, XXII. GP):

 

"Es ist davon auszugehen, dass diese Staaten Asylwerbern ein faires, den rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Vorschriften entsprechendes Asylverfahren einräumen. Im zweiten Erwägungsgrund der Präambel zur Dublin-Verordnung ist ausdrücklich festgehalten, dass sich die Mitgliedstaaten als "sichere Staaten" - insbesondere die Grundsätze des Non-Refoulements beachtend - für Drittstaatsangehörige ansehen. Daher normiert Abs. 3 eine Beweisregel, nach der der Asylwerber besondere Gründe vorbringen muss, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes sprechen. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.2.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Im Erkenntnis des VwGH vom 31.3.2005, 2002/20/0582, führt dieser - noch zum AsylG 1997 - aus, dass es für die Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat aufgrund des Dublin-Übereinkommens nicht darauf ankommt, dass dieser Mitgliedstaat dem Asylwerber alle Verfahrensrechte nach Art. 13 EMRK einräumt. Verlangt sei statt einer detaillierten Bewertung der diesbezüglichen Rechtslage des anderen Mitgliedstaats lediglich eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch Österreich durch die Überstellung. Dabei ist auf die "real risk" - Judikatur des EGMR abzustellen. Die Gefahrenprognose hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen zu beziehen. Dies wird durch die neue Beweisregel des Abs. 3 für Verfahren nach § 5 hervorgehoben, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Behörde entweder notorisch von solchen Umständen - die nur nach einer entscheidenden Änderung zum jetzigen Zustand im jeweiligen Staat vorliegen können - weiß oder diese vom Asylwerber glaubhaft gemacht werden müssen."

 

Nach der - zur Vorläuferbestimmung im Asylgesetz 1997 ergangenen - Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 15.10.2004, G 237/03; 17.6.2005, B 336/05) sehe die Dublin-Verordnung vor, dass jeder Mitgliedstaat - auch wenn ein anderer Mitgliedstaat nach den Kriterien der Verordnung zuständig wäre - einen von einem Drittstaatsangehörigen eingebrachten Asylantrag selbst prüfen könne (Art. 3 Abs. 2). Er werde damit zum zuständigen Mitgliedstaat (sog. Selbsteintrittsrecht). Ein solches Selbsteintrittsrecht sei schon im - noch heute für das Verhältnis zu Dänemark geltenden - Dubliner Übereinkommen vorgesehen gewesen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe zum Dubliner Übereinkommen ausgesprochen, dass derartige Vereinbarungen die Mitgliedstaaten nicht von ihren Verpflichtungen aus der Konvention entbinden (7.3.2000, 3844/98, T. I./Vereinigtes Königreich; 12.1.1998, 32829/96, Iruretagoyena/Frankreich; 5.2.2002, 51564/99, Conka/Belgien). Im Erkenntnis VfSlg. 16.122/2001 hatte der Verfassungsgerichtshof aus Anlass der Anfechtung des § 5 AsylG in der Stammfassung im Hinblick auf das Dubliner Übereinkommen ausgeführt, dass das dort "in Art. 3 Abs. 4 festgelegte Eintrittsrecht Österreichs als Mitgliedstaat des Dubliner Übereinkommens zwingend zu berücksichtigen" sei. Dieses Eintrittsrecht schaffe "nicht etwa ein durch innerstaatliche Rechtsvorschriften ausschaltbares Recht österreichischer Staatsorgane, die betreffende Asylsache an sich zu ziehen, sondern verpflichtet die zuständige Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung i. S. d. § 5 vorzunehmen und von der Annahme einer negativen Prozessvoraussetzung in der Asylsache abzusehen." Eine "strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 [sei] durch die Heranziehung des Art. 3 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens von der Asylbehörde zu vermeiden". Der Verfassungsgerichtshof ging im Hinblick auf die inhaltlich gleiche Regelung in der Dublin-Verordnung davon aus, dass diese zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung zutreffen.

 

Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 26.7.2005, 2005/20/0224) zeigten die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, dass sich die zur verfassungskonformen Auslegung des § 5 AsylG ergangene Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes auch auf die neue Rechtslage übertragen lasse. So habe der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05, bereits festgehalten, dass eine Nachprüfung durch die österreichischen Behörden, ob ein der Dublin-Verordnung unterliegender Mitgliedstaat für Asylwerber aus Drittstaaten generell sicher sei, nicht zu erfolgen habe, weil die entsprechende Vergewisserung durch den Rat der Europäischen Gemeinschaften ohnedies erfolgt sei. Insofern sei auch der Verfassungsgerichtshof an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden. Indem die Dublin-Verordnung den Asylbehörden der Mitgliedstaaten aber ein Eintrittsrecht einräume, sei eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall auch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, so sei aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben. Die grundrechtskonforme Interpretation des Asylgesetzes mache eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssten bei Entscheidungen nach § 5 AsylG auch Art. 3 EMRK berücksichtigen, aus dieser Bestimmung ergebe sich - unbeschadet internationaler Vereinbarungen oder gemeinschaftsrechtlicher Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen - das Erfordernis, auf ein allfälliges Risiko einer Kettenabschiebung bei Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat Rücksicht zu nehmen. Maßgeblich für die Wahrnehmung des Eintrittsrechtes sei, ob eine Gefahrenprognose zu treffen ist, der zufolge ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substanziiertes "real risk" besteht, der auf Grund der Dublin-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesene Asylwerber werde trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes im Zielstaat, der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt sein. Diese Grundsätze hätten auch für die Auslegung des § 5 AsylG 2005 weiterhin Beachtung zu finden (VwGH 25.04.2006, 2006/19/0673; 31.03.2005, 2002/20/0582). Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, mit § 5 Abs. 3 AsylG 2005 eine "Beweisregel" zu schaffen, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig mache, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat (insbesondere gemeint im Sinne der Achtung der Grundsätze des Non-Refoulements durch diesen Staat) von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung sei jedoch widerlegt, wenn besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen seien, glaubhaft gemacht würden oder bei der Behörde offenkundig seien, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in diesem Mitgliedstaat sprächen. Die Wendung "in der Person des Asylwerbers gelegene besondere Gründe" gleiche schon ihrem Wortlaut nach dem § 4 Abs. 2 AsylG. Zu dieser Bestimmung habe der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 15.10.2004, G 237/03, ausgeführt, die Regelung dürfe nicht eng ausgelegt werden und erfasse alle Umstände, die sich auf die besondere Situation des einzelnen Asylwerbers auswirken, daher auch solche, die durch die Änderung der Rechtslage oder der Behördenpraxis bewirkt werden. Der Verwaltungsgerichtshof gehe - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Materialien zum AsylG 2005 - davon aus, dass diese Auslegung auch für § 5 Abs. 3 AsylG 2005 maßgeblich sei. Was die Frage der "Beweislast" anbelange, so sei vorweg klarzustellen, dass bei Vorliegen "offenkundiger" Gründe (vgl. § 45 Abs. 1 AVG; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², 1998, E 27 zu § 45 AVG) eine Mitwirkung des Asylwerbers zur Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG 2005 implizit aufgestellten Vermutung nicht erforderlich sei. Davon abgesehen liege es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu werde es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstatte, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeuge, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist. Es verstehe sich von selbst, dass bei der Beurteilung, ob die geforderte "Glaubhaftmachung" gelungen ist, der besonderen Situation von Asylwerbern, die häufig keine Möglichkeit der Beischaffung von entsprechenden Beweisen hätten, Rechnung getragen werden müsse. Habe der Asylwerber die oben angesprochenen besonderen Gründe glaubhaft gemacht, sei die dem § 5 Abs. 3 AsylG 2005 immanente Vermutung der im zuständigen Mitgliedstaat gegebenen Sicherheit vor Verfolgung widerlegt. In diesem Fall seien die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen (auch) von Amts wegen durchzuführen, um die (nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes erforderliche) Prognose, der Asylwerber werde bei Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können. Diese Ermittlungspflicht ergebe sich aus § 18 AsylG 2005, die insoweit von § 5 Abs. 3 AsylG 2005 unberührt bleibe.

 

Mit der Frage, ab welchem Ausmaß von festgestellten Mängeln im Asylsystem des zuständigen Mitgliedstaates der Union ein Asylwerber von einem anderen Aufenthaltsstaat nicht mehr auf die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch die innerstaatlichen Gerichte im zuständigen Mitgliedstaat und letztlich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Wahrnehmung seiner Rechte verwiesen werden darf, sondern vielmehr vom Aufenthaltsstaat zwingend das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung auszuüben ist, hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union kürzlich in seinem Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 und C-493/10, N.S./Vereinigtes Königreich, befasst und, ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Entscheidung vom 02.12.2008, 32733/08, K.R.S./Vereinigtes Königreich, sowie deren Präzisierung mit der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011, 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, ausdrücklich ausgesprochen, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechtes durch den zuständigen Mitgliedstaat (Rn. 82 bis 85), sondern erst systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch den Aufenthaltsstaat gebieten (Rn. 86):

 

"75. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

 

76. Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

 

77. Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

 

78. Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

 

79. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

 

80. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

 

81. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

 

82. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

 

83. Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

 

84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

 

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

 

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.

 

87. Hinsichtlich der Lage in Griechenland ist zwischen den Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, unstreitig, dass im Jahr 2010 fast 90 % der illegalen Einwanderer über diesen Mitgliedstaat in die Union gelangten, so dass die wegen dieses Zustroms auf ihm liegende Last außer Verhältnis zu der Belastung der anderen Mitgliedstaaten steht und es den griechischen Behörden tatsächlich unmöglich ist, diesen Zustrom zu bewältigen. Die Hellenische Republik hat darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten nicht den Vorschlag der Kommission angenommen hätten, die Anwendung der Verordnung Nr. 343/2003 auszusetzen und diese unter Abschwächung des Kriteriums der ersten Einreise zu ändern.

 

88. Bei einem Sachverhalt, der denen der Ausgangsverfahren gleicht, nämlich einer Überstellung eines Asylbewerbers an Griechenland, den im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat, im Juni 2009, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte u. a. entschieden, dass das Königreich Belgien gegen Art. 3 EMRK verstoßen habe, indem es den Beschwerdeführer zum einen den sich aus den Mängeln des Asylverfahrens in Griechenland ergebenden Risiken ausgesetzt habe, da die belgischen Behörden gewusst hätten oder hätten wissen müssen, dass eine gewissenhafte Prüfung seines Asylantrags durch die griechischen Behörden in keiner Weise gewährleistet gewesen sei, und indem es ihn zum anderen wissentlich Haft- und Existenzbedingungen ausgesetzt habe, die eine erniedrigende Behandlung darstellten (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, §§ 358, 360 und 367).

 

89. Das in jenem Urteil beschriebene Ausmaß der Beeinträchtigung der Grundrechte zeugt von einer systemischen Unzulänglichkeit des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland zur Zeit der Überstellung des Beschwerdeführers M.S.S.

 

...

 

105. In Anbetracht dessen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass das Unionsrecht der Geltung einer unwiderlegbaren Vermutung entgegensteht, dass der im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet.

 

106. Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.

 

107. Ist die Überstellung eines Antragstellers an einen anderen Mitgliedstaat der Union, wenn dieser Staat nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt worden ist, nicht möglich, so hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne des Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.

 

108. Der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, hat jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen."

 

Zu einer möglichen Verletzung von Art. 3 EMRK wurde im vorliegenden Fall Folgendes erwogen:

 

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Die allgemeinen Ausführungen in der Beschwerde können die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nicht entkräften. Der Asylgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die allgemeine Lage für nach Rumänien überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung glaubhaft erscheinen lässt. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts (z. B. AsylGH 22.02.2013, S2 432.752-1/2013; 13.02.2013, S4 432.583-1/2013; 06.11.2012, S1 429.747-1/2012).

 

Weder aus den Stellungnahmen des UNHCR noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergeben sich irgendwelche Hinweise darauf, dass etwa Rumänien bei der Vollziehung der Dublin-Verordnung seine Verpflichtungen nach der GFK, der EMRK oder nach dem Unionsrecht missachten oder unvertretbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde. Nicht zuletzt ist es vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben in Gestalt der Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 gänzlich unwahrscheinlich, dass in Rumänien Asylwerber infolge der Verweigerung staatlicher Unterstützung in eine Notlage geraten könnten. In den Art. 13ff der Aufnahmerichtlinie ist die Pflicht der Mitgliedstaaten statuiert, für ausreichende materielle Aufnahmebedingungen und eine medizinische Versorgung von kranken Asylwerbern zu sorgen. Es bestehen gegenwärtig keine Anzeichen dafür, dass etwa Rumänien seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nicht nachkäme. Rumänien stimmte jedenfalls dem Wiederaufnahmeersuchen betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ausdrücklich zu.

 

Soweit in der Beschwerde unter Hinweis auf einschlägige Länderberichte die ausreichende Versorgung von Asylwerbern in Rumänien in Frage gestellt und auf weitere einzelne Kritikpunkte am rumänischen Asylsystem hingewiesen wird, ist zu bemerken, dass mit diesen Behauptungen keinerlei konkrete Anhaltspunkte dargelegt wurden, die den Schluss zuließen, die Versorgung und das Asylsystem insgesamt wären derart mangelhaft, dass damit eine Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte als wahrscheinlich erscheinen könnte.

 

Wie im angefochtenen Bescheid detailliert dargelegt wurde, ist in Rumänien insbesondere auch der Refoulementschutz gewährleistet. Die Regierung gewährt Schutz gegen Abschiebung von Asylwerbern in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund der Konventionsgründe bedroht wäre (U. S. Department of State, Human Rights Report 2011: Romania, 24.05.2012). Es dürfen keine Maßnahmen der Ausweisung, Auslieferung oder von Zwangsrückweisungen von der Grenze gegen Asylwerber durchgeführt werden, mit Ausnahme von Fällen nach den Bestimmungen des Art. 44 des Gesetzes Nr. 535/2004 über die Prävention und Bekämpfung von Terrorismus. Anerkannte Flüchtlinge oder Personen mit subsidiärem Schutz sind gegen Abschiebung, Auslieferung oder Rückführung in ein Herkunftsland oder in einen Staat, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht oder sie Folter, inhumaner oder entwürdigender Behandlung ausgesetzt wären, geschützt. Solche Personen dürfen allerdings dann des Landes verwiesen werden, wenn sie eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit Rumäniens darstellen oder wenn sie zu einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden (Law No. 122/2006 on asylum in Romania, Art. 6).

 

Zu der Behauptung, dass Asylwerber in der Schubhaft exzessiver Gewalt durch die Polizei und durch andere Häftlinge ausgesetzt seien, wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer allfälligen rechtswidrigen Angriffen in Rumänien nicht wehrlos ausgesetzt wäre, sondern ihm jedenfalls die Möglichkeit offenstünde, etwaige gegen ihn gerichtete kriminelle Handlungen, auch wenn es um Polizeibeamte gehen sollte, bei den zuständigen Behörden zur Anzeige zu bringen und den staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, sodass auch in dieser Hinsicht kein reales Risiko einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK im Fall einer Überstellung nach Rumänien zu befürchten ist. Auf eine Praxis von sanktionslosen Menschenrechtsverletzungen durch Polizeibeamte in Rumänien gibt nämlich es keinen Hinweis.

 

Nach den Länderberichten zu Rumänien kann somit letztlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein Asylwerber im Fall einer Überstellung nach Rumänien konkret Gefahr liefe, dort einer gegen das Folterverbot des Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden. Insgesamt gesehen herrschen somit im Mitgliedstaat Rumänien nach dem gegenwärtigen Informationsstand keineswegs derartige systemische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen, die mit der Situation in Griechenland vergleichbar wären.

 

Auch sonst konnte die Beschwerde keine auf den Beschwerdeführer bezogenen besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprächen, glaubhaft machen, weshalb die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zur Anwendung kommt, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.

 

Jedenfalls hat der Beschwerdeführer in Rumänien auch die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen in seinen Rechten, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in Rumänien und letztlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, insbesondere auch durch Beantragung einer vorläufigen Maßnahme gemäß Art. 39 EGMR-VerfO, geltend zu machen.

 

Zu einer möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK wurde erwogen:

 

Im vorliegenden Fall wurde ein schützenswertes Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich nicht dargelegt.

 

Der Asylgerichtshof gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall keine Verletzung von Bestimmungen der EMRK oder der GRC zu befürchten ist. Daher bestand auch keine Veranlassung, von dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vorzunehmen.

 

Es sind auch keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinn des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich, zumal weder ein - nicht auf das Asylgesetz 2005 gestütztes - Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt. Darüber hinaus liegen auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 vor.

 

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 37 AsylG 2005 lagen nicht vor.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Die öffentliche Verkündung des Erkenntnisses hatte gemäß § 41 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 zu entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, Kettenabschiebung, Mitgliedstaat, real risk, unverzügliche Ausreiseverpflichtung, Versorgungslage
Zuletzt aktualisiert am
10.05.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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