TE OGH 2008/11/25 1Ob66/08z

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Veröffentlicht am 25.11.2008
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosa Z*****, vertreten durch Dr. Markus Skarics, Rechtsanwalt in Imst, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, sowie die Nebenintervenientin auf Beklagtenseite Gemeinde N*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 2.483 EUR sA und wiederkehrender Leistung (Streitwert 8.938,80 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2007, GZ 4 R 467/07s-25, womit das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Imst vom 30. August 2007, GZ 7 C 198/07h-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Das Klagebegehren besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten."

Text

Entscheidungsgründe:

Im Gemeindegebiet von N***** kam es am 11. 7. 1995 zu einem tödlichen Unfall der rund 10-jährigen Enkelin der Klägerin, wobei im Zuge von Rettungsversuchen auch deren Tante und deren Großvater, der Ehemann der Klägerin, in einem Rückhaltebecken der Beklagten ertranken.

Im Jahr 1998 brachte die Beklagte unter anderem gegen die nunmehrige Klägerin eine (negative) Feststellungsklage, für die Folgen dieses Unfalls nicht zu haften, ein. Diese Sache wurde letztlich im Jänner 2003 rechtskräftig in klagsabweislichem Sinne entschieden.

Aufgrund dieser negativen Feststellungsklage der Beklagten wurde die nachfolgende Feststellungsklage der nunmehrigen Klägerin betreffend die Haftung der Beklagten für zukünftige Folgen des Unfalls wegen Streitanhängigkeit rechtskräftig zurückgewiesen. Dem gleichzeitig erhobenen und auf § 1327 ABGB gestützten Leistungsbegehren der Klägerin wurde letztlich im Jahre 2006 mit einem monatlichen (Unterhalts-)Betrag von 327,25 EUR rechtskräftig stattgegeben. Daraufhin zahlte die Beklagte sowohl den Rückstand als auch die laufenden Unterhaltsleistungen. Die Klägerin informierte darüber die Pensionsversicherungsanstalt, die ein Verfahren zur Überprüfung der Berechtigung der Auszahlung der Ausgleichszulage an die Klägerin einleitete und mit Bescheid feststellte, dass die gewährte Ausgleichszulage per 1. 5. 2006 ende.

Mit der nunmehrigen, im Februar 2007 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin im Hinblick auf den Wegfall der Ausgleichszulage ab Mai 2006 einen zusätzlichen monatlichen Betrag von 248,30 EUR, wobei sie ab März 2007 diesen Betrag in Form einer Rente geltend machte. In diesem Betrag sind 90 EUR (monatlich) enthalten, weil die Klägerin durch den Wegfall der Ausgleichszulage auch die zuvor gewährte Begünstigung der Rezeptgebührenbefreiung verloren habe, was eine zusätzliche Kostenbelastung von 90 EUR monatlich bedeute.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und fällte eine als „Grundurteil" bezeichnete Entscheidung, in der das Klagebegehren sowohl hinsichtlich des Rückstands als auch hinsichtlich des laufenden Unterhaltsbetrags jeweils mit zumindest 1 EUR als zu Recht bestehend und die Beklagte schuldig erkannt wurde, der Klägerin „einen Betrag von zumindest 1 EUR zu bezahlen" und die Prozesskosten zu ersetzen. Die Aberkennung der Ausgleichszahlung habe keinen (nur) mittelbaren Schaden bewirkt. Dass der Klagevertreter daran hätte denken können, dass die Ausgleichszulage wegfallen werde, könne die Verjährungsfrist nicht in Gang setzen. Eine Verpflichtung, wegen der Aberkennung der Ausgleichszulage zu klagen, habe angesichts der klaren Berechnungsmethoden nicht bestanden.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten und der Nebenintervenientin Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab; es sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Auch beim Begehren wegen Unterhaltsentgangs nach § 1327 ABGB hätten alle vorhersehbaren Teilfolgeschäden keinen vom Primärschaden unabhängigen Verjährungsbeginn. Der von der Klägerin im Vorverfahren zufolge eines Rechtsirrtums nicht geltend gemachte Teilschaden in Höhe der (weggefallenen) Ausgleichszulage sei verjährt. Der Klägerin komme nicht zugute, dass das von der Beklagten erhobene negative Feststellungsbegehren abgewiesen wurde, weil dieses bereits vorhersehbare künftige Teilschäden nicht habe sichern können, sondern nur ungewisse Schäden. Die Klägerin habe im Vorprozess übersehen, dass die Ausgleichszulage bei der Unterhaltsberechnung außer Ansatz bleiben müsse, weil sie dem Pensionsbezieher ein Mindesteinkommen sichern solle, sofern sein Gesamteinkommen (Pension und sonstiges Nebeneinkommen und eventuelle Unterhaltsansprüche) unter einem gesetzlichen Mindestbetrag (Richtsatz) bleibe. Dieser rechtlich verfehlte Ansatz sei nicht auffällig geworden, weil eine Bezugnahme auf die Ausgleichszulage im Vorbringen der Klägerin im Vorverfahren gefehlt habe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der Umstand, dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt eine Ausgleichszulage bezog, bei der Ausmessung des Rentenanspruchs nach § 1327 ABGB außer Ansatz bleiben müssen. Hinsichtlich des Wegfalls der Rezeptgebührenbefreiung liege ein mittelbarer und damit nicht ersatzfähiger Schaden vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

1.) Zur Verjährung:

Der der Prozessökonomie dienende Zweck des Verjährungsrechts verbietet es, die Verjährung jedes folgenden Teilschadens erst mit dessen Entstehen beginnen zu lassen. Die schon eingetretenen und aus demselben Schadensereignis voraussehbaren künftigen Schäden (Teilfolgeschäden) bilden verjährungsrechtlich eine Einheit (RIS-Justiz RS0097976; RS0087613). Der drohenden Verjährung des Anspruchs auf Ersatz der künftigen, schon vorhersehbaren Schäden hat der Geschädigte daher dann, wenn ihm schon ein Primärschaden entstanden ist, mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen (RIS-Justiz RS0097976; RS0034559). Bei nicht vorhersehbarer schädigender Wirkung beginnt dagegen die Verjährung ab Kenntnis des Schadens bzw ab dem Zeitpunkt, in dem mit künftigen Schäden mit Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist (1 Ob 246/01k; M. Bydlinski in Rummel³, § 1489 ABGB Rz 3; Dehn in KBB² § 1489 ABGB Rz 4). Unvorhersehbare Änderungen, zB der für die Bemessung einer Hinterbliebenenrente nach § 1327 ABGB maßgeblichen Tatumstände, können daher in einem späteren Rechtsstreit mit Klage geltend gemacht werden, auch wenn kein Feststellungsurteil des Hinterbliebenen gegenüber dem Schädiger vorliegt (1 Ob 155/97v = SZ 71/5).

Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin keine Feststellungsklage einbringen bzw wurde diese wegen Streitanhängigkeit zurückgewiesen, weil die Beklagte ihrerseits zuvor eine negative Feststellungsklage - unter anderem auch gegen die Klägerin - eingebracht hatte. Nach der Judikatur unterbricht die Abweisung einer negativen Feststellungsklage des Schuldners aber nicht den Lauf der Verjährungsfrist (RIS-Justiz RS0034525; 1 Ob 55/99s [= Vorverfahren]). Deshalb hat der Oberste Gerichtshof in der zuletzt genannten Vorentscheidung und darauf aufbauend in weiteren Entscheidungen (RIS-Justiz RS0111791) ausgesprochen, dass in Fällen, in denen die Verjährung einer Forderung deshalb einträte, weil infolge Anhängigkeit einer negativen Feststellungsklage die Einbringung einer positiven Feststellungsklage nicht zulässig ist, das Rechtsschutzbedürfnis des Anspruchswerbers dadurch gewahrt werden müsse, dass er einem allfälligen Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegen halten könne.

Die Klägerin hat allerdings im vorliegenden Verfahren dem Verjährungseinwand der Beklagten den Einwand der Arglist oder der Sittenwidrigkeit nicht entgegengehalten. Im Vorverfahren waren aber sowohl die Haftung der Beklagten dem Grunde nach als auch der Umfang des Schadens der Klägerin und das Mitverschulden des getöteten Ehegatten der Klägerin strittig (1 Ob 238/05i). Daher war für die Klägerin jedenfalls nicht vorhersehbar, in welcher Höhe sich ein allfälliger Zuspruch bewegen werde, und damit auch nicht abschätzbar, ob die Ausgleichszulage nach einem allfälligen Zuspruch ganz oder zum Teil wegfallen werde.

Die bloße Möglichkeit eines späteren Schadenseintritts löst aber noch nicht den Lauf der Verjährungsfrist aus, auch wenn eine Feststellungsklage zulässig sein kann (8 Ob 594/89; Dehn aaO mwN). Bedarf es zum Eintritt eines (weiteren) Schadens neben dem schädigenden Ereignis noch weiterer Voraussetzungen und ist nicht abzusehen, ob diese und damit ein Schaden in Zukunft eintreten werden, beginnt der Lauf der Verjährung erst mit dem tatsächlichen Eintritt des Schadens (8 Ob 594/89 mwN). Beim durch den letztendlich erfolgten Wegfall der Ausgleichszulage entstandenen Schaden handelt es sich daher um einen ursprünglich nicht vorhersehbaren Teilschaden. Erst mit der Rechtskraft des Zuspruchs einer Unterhaltsleistung an die Klägerin war vorhersehbar, dass damit der Richtsatz für die Ausgleichszulage überschritten und diese daher von der zuständigen Behörde aberkannt werden werde.

Der Klägerin ist auch keine sonstige Säumigkeit vorzuwerfen, weil sie solange keinen Unterhaltsentgang im Sinne des § 1327 ABGB erlitt, als ihr die Ausgleichszulage vom Versicherungsträger ausbezahlt wurde (vgl 2 Ob 23/86), sodass sie den folgenden Unterhaltsentgang auch erst ab dem Zeitpunkt des bescheidmäßigen Wegfalls der Leistung geltend machen konnte. Ihr Anspruch ist daher nicht verjährt.

Haben sich die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausgleichszulage nachträglich geändert, steht die Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils dem Begehren nicht entgegen (2 Ob 41/71 = ZVR 1971/230). Ein der Entscheidung 2 Ob 8/86 („mittelbarer Schaden") vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor, weil im dortigen Fall offensichtlich die Ausgleichszulage trotz der Unterhaltsleistungen des Getöteten bezogen wurde und wohl bei ordnungsgemäßer Meldung dieser Leistungen gar nicht zugestanden wäre.

2.) Zum Wegfall der Rezeptgebührenbefreiung:

Nach § 1327 ABGB ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, das, was ihnen durch den aus einer körperlichen Verletzung erfolgten Tod entgangen ist, zu ersetzen. Nach ständiger Judikatur beschränkt sich der nach dieser Gesetzesstelle gewährte Ersatzanspruch auf das, was die Hinterbliebenen aus dem Titel des gesetzlichen Anspruchs auf Unterhalt vom Unterhaltsverpflichteten verlangen konnten. Maßgebend für die Berechnung des Entgangs sind dabei letztlich die tatsächlich erbrachten, Unterhaltscharakter aufweisenden Leistungen, soferne sie nicht auffallend über das gesetzliche Maß des Unterhalts hinausgehen, also noch einigermaßen im Verhältnis zu diesem stehen (2 Ob 8/86 mwN; Harrer in Schwimann, ABGB³ § 1327 Rz 16). Nach den Feststellungen des Erstgerichts entging der Klägerin durch den Tod ihres Ehegatten eine monatliche Unterhaltsleistung von 977,13 EUR. Wenn die Klägerin diesem Betrag nunmehr nach Klagsausdehnung 90 EUR wegen des Wegfalls der Rezeptgebührenbefreiung hinzuschlägt, ist dies von der Anspruchsgrundlage des § 1327 ABGB nicht mehr gedeckt und steht ihr daher nicht zu.

Zu diesem Ergebnis gelangt man auch aufgrund der Überlegung, dass die Klägerin ihrem unterhaltspflichtigen verstorbenen Ehegatten gegenüber keinen Anspruch auf Ausgleich der Rezeptgebührenbefreiung hatte, sondern diese deshalb erlangte, weil ihr Einkommen nach dem Tod des Ehegatten den für die Ausgleichszulage vorgesehenen Richtsatz nicht erreichte und die Befreiung von der Rezeptgebühr an die Gewährung der Ausgleichszulage gekoppelt ist. Bei dem Schaden, den die Klägerin durch den Wegfall der Rezeptgebührenbefreiung erlitten hat, handelt es sich daher um keinen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem verstorbenen Gatten und daher im Verhältnis zur Beklagten um einen mittelbaren Schaden.

Eine unmittelbare Abweisung dieses (Teil-)Begehrens konnte nicht erfolgen, weil im ausgedehnten Klagebegehren gegenüber dem ursprünglichen eine Diskrepanz, insbesondere im Zinsenbegehren, besteht, die vom Erstgericht aufzuklären sein wird. Der Anteil der begehrten „Rezeptgebühr" am Klagebegehren und die davon begehrten Zinsen werden zu ermitteln sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 4 ZPO iVm § 52 Abs 2 ZPO.

Textnummer

E89802

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0010OB00066.08Z.1125.000

Im RIS seit

25.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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