TE OGH 2009/9/8 10Ob40/09v

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2009
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Angelina Christine H*****, geboren am 26. März 2001, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Leoben, Jugendwohlfahrt, 8700 Leoben, Peter-Tunner-Straße 6), dieses vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 20. April 2009, GZ 2 R 134/09v-U-24, womit über Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, der Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom 5. März 2009, GZ 1 P 92/05s-U-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Unterhaltsvorschusssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist die uneheliche Tochter von Irene F***** und Eduard H*****. Sie lebt im Haushalt des Vaters.

Im Oktober 2005 beantragte sie, die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 200 EUR zu verpflichten. Der vertretende Vater erklärte im Antrag, die Mutter sei in der Lage, zumindest 1.200 EUR im Monat zu verdienen. Die im Sinn des § 17 AußStrG zur Äußerung aufgeforderte Mutter gab keine Stellungnahme ab. Daraufhin verpflichtete sie das Erstgericht mit Beschluss vom 9. 2. 2006 unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 170 EUR. Auf der Grundlage dieses Titels wurden der Minderjährigen vom Erstgericht Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. 4. 2006 bis zum 31. 3. 2009 gewährt. Am 19. 2. 2009 beantragte die Minderjährige die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse. Die Mutter beziehe Kinderbetreuungsgeld, sodass der laufende Unterhalt nicht hereingebracht werden könne. Das Erstgericht gab dem Antrag statt.

Über Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, änderte das Rekursgericht die angefochtene Entscheidung im antragsabweisenden Sinn ab. Die Mutter „beziehe bis Anfang Juli 2007" Kinderbetreuungsgeld samt Zuschuss von zusammen 20,59 EUR pro Tag. Diese Leistungen gälten gemäß § 42 KBGG nicht als eigenes Einkommen der Mutter. Das Gericht habe Unterhaltsvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit im Fall der §§ 3, 4 Z 1 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) bestehe, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entspreche oder zu hoch festgesetzt sei. Dem Wortlaut des § 42 KBGG könne nicht entnommen werden, dass Kinderbetreuungsgeld wohl in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, nicht aber als unterhaltsminderndes Eigeneinkommen bei der Bemessung eigener Unterhaltsansprüche des Empfängers anzurechnen sei. Die Anspannung der Mutter auf eine Erwerbstätigkeit neben der Versorgung eines noch nicht drei Jahre alten Kleinkindes sei grundsätzlich nicht möglich. Damit lägen begründete Bedenken vor, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht noch bestehe, weil die einkommenslose Mutter nicht in der Lage sei, Geldunterhalt für die Minderjährige zu leisten. Der Antrag auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen sei daher abzuweisen. Da der Oberste Gerichtshof Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 42 KBGG geäußert habe, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig. Gegen diese Entscheidung richtet sich der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs des Kindes mit dem Abänderungsantrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Beschluss des Rekursgerichts von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. 2. 2009, 10 Ob 112/08f, abweicht; er ist im Sinn des vom Abänderungsantrag umfassten Aufhebungsantrags auch berechtigt. In seinem Rechtsmittel macht das Kind die bereits vom Obersten Gerichtshof geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 42 KBGG geltend.

Dazu wurde erwogen:

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der erwähnten Entscheidung vom 24. 2. 2009, 10 Ob 112/08f (ebenso in der Entscheidung vom 17. 3. 2009, 10 Ob 8/09p; vgl auch 10 Ob 7/09s), mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 keine Aussage zur Frage der Einbeziehung des Kinderbetreuungsgeldes in die Unterhaltsbemessungsgrundlage für die Beurteilung einer Unterhaltspflicht des Kinderbetreuungsgeldbeziehers trifft und daher die allgemeinen unterhaltsrechtlichen Grundsätze über die entsprechende Behandlung des Kinderbetreuungsgeldes entscheiden. Sozialleistungen, die für den Allgemeinbedarf des Empfängers zur Verfügung stehen, fallen nach ständiger Rechtsprechung unabhängig von einer Zweckbestimmung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage (RIS-Justiz RS0047456, RS0080395). Dies gilt auch für das Kinderbetreuungsgeld, zumindest, wenn ihm Einkommensersatzfunktion zukommt.

Eine der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 17. 12. 2008, 7 Ob 223/08g, entsprechende Anrufung des Verfassungsgerichtshofs ist im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 42 KBGG, der verfassungskonform eine unterschiedliche Behandlung des Kinderbetreuungsgeldbezugs einerseits bei Unterhaltsansprüchen und andererseits bei Unterhaltspflichten vorsieht, entbehrlich. Ein Gesetzesprüfungsantrag stünde im Übrigen dem gerade in Unterhaltsvorschusssachen bedeutsamen Ziel, im Interesse des Kindeswohls den Vorschussanspruch möglichst rasch zu effektuieren, entgegen.

2. Die Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif:

Das Gericht hat die Unterhaltsvorschüsse für längstens drei weitere Jahre zu gewähren, wenn keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse, ausgenommen die des § 3 Z 2 UVG (Exekutionsführung), weiter gegeben sind (§ 18 Abs 1 Z 2 UVG). Der Vorschussgrund muss bei der Weitergewährung zwingend ident bleiben, wobei sich zwar der Sachverhalt ändern kann, ohne dass jedoch die Gewährungsvoraussetzungen weggefallen sein dürfen. Das Gericht hat zu prüfen, ob die früheren Gewährungsgrundlagen noch gegeben sind. Die weiter zu gewährenden Vorschüsse können im Hinblick auf die anzuwendende Bestimmung des § 7 Abs 1 UVG in niedrigerer Höhe als in der vorherigen Periode zugesprochen werden (vgl RIS-Justiz RS0122248; Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 18 UVG Rz 2 mwN). Neue Versagungsgründe sind uneingeschränkt von Amts wegen zu beachten. Maßgebend ist die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung in erster Instanz.

Der Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG knüpft die Rechtsfolge der Versagung (Herabsetzung oder Einstellung) an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel reichen zur Versagung nicht hin, vielmehr müsste schon eine zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels bestandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung nach den bei der Entscheidung über einen Vorschussantrag zu berücksichtigenden Tatumständen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (RIS-Justiz RS0076391). Die Behauptungen im Antrag auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse geben einen Anhaltspunkt für das Bestehen derartiger begründeter Bedenken.

Ob die Mutter nach Ablauf des Beschäftigungsverbots nach der Geburt des Kindes im Jänner 2007, für das sie nach der Auskunft der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (ON U-16) bis 3. 7. 2009 Kinderbetreuungsgeld bezog, einer Beschäftigung nachging und damit nicht nur Einkommen aus dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld hatte, lässt sich nach dem Akteninhalt nicht beurteilen. Der gegen sie erwirkte Unterhaltstitel beruht auf der Anspannung ihrer Leistungsfähigkeit, wobei der Bemessung ein erzielbares Nettoeinkommen von monatlich 1.200 EUR zugrunde gelegt wurde. Mit Rücksicht auf die Geburt eines weiteren Kindes bestünde eine Unterhaltspflicht der Mutter in der bisherigen Höhe (als Voraussetzung für die Weitergewährung des Unterhaltsvorschusses in der bisherigen Höhe) derzeit nur unter der Voraussetzung weiter, dass ihr eine (Teilzeit-)Beschäftigung zu einem entsprechend hohen Entgelt ab 1. 4. 2009 möglich und zumutbar wäre, wobei die Betreuungspflichten für ihr zuletzt geborenes Kind zu berücksichtigen sind (vgl 1 Ob 43/00f mwN), oder sie einer solchen Beschäftigung tatsächlich nachging. Eine berufliche Tätigkeit nach der Beendigung der Schutzfrist nach dem MSchG wäre der Mutter als Voraussetzung für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes dann zumutbar, wenn die Versorgung des zuletzt geborenen Kindes (etwa durch dessen Vater) sichergestellt sein sollte (1 Ob 43/00f mwN). Diese Umstände wären von Amts wegen zu erheben gewesen.

Da derzeit nicht verlässlich beurteilt werden kann, ob eine die Weitergewährung des Unterhaltsvorschusses in der bisherigen Höhe bestehende Unterhaltspflicht der Mutter gegeben ist oder sie gegenüber dem bestehenden Unterhaltstitel herabzusetzen ist, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen in Stattgebung des Revisionsrekurses aufzuheben.

Anmerkung

E9192410Ob40.09v

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0100OB00040.09V.0908.000

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten