TE AsylGH Erkenntnis 2011/10/24 S23 421870-1/2011

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Veröffentlicht am 24.10.2011
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Spruch

S23 421.870-1/2011-3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Nowak als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.09.2011, Zahl: 11 09.916-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 01.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Aus einem EURODAC Treffer und der Vorlage ihrer polnischen Lagerkarte geht hervor, dass die Beschwerdeführerin am 22.08.2011 in Polen einen Asylantrag eingebracht hat.

 

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.09.2011 gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass sie am 19.08.2011 gemeinsam mit ihrer Schwester ihr Heimatland mit dem Taxi verlassen habe. In C. hätten sie einen Kleinbus genommen, der sie nach Brest gebracht habe. Von dort seien sie mit einem Taxi nach Terespol gefahren und der Taxifahrer habe ihnen gezeigt, wohin sie zu gehen hätten, um einen Asylantrag zu stellen. Sie seien zu Fuß dorthin gegangen und seien von den Behörden angehalten worden und man habe ihnen ihre Reisepässe abgenommen. Die Beschwerdeführerin habe eine polnische Lagerkarte bekommen. Zum Flüchtlingslager seien sie jedoch nicht gegangen. Sie hätten zwei Frauen kennengelernt, mit denen sie sich am Abend des 22.08.2011 ein Taxi genommen hätten und weiter in Richtung Österreich gefahren seien. Da die Beschwerdeführerin im Fahrzeug geschlafen habe, wisse sie nicht wo sie gefahren seien bzw. über welchen Grenzübergang sie nach Österreich eingereist seien. Der Taxifahrer habe sie nach Wien zu einer Moschee gebracht, wo sie sich mit ihrer Schwester bis zum heutigen Tage aufgehalten habe.

 

Über den Aufenthalt in Polen befragt, gab sie an, sich nur einen Tag dort aufgehalten zu haben. Zu Familienangehörigen im EU-Raum befragt, führte sie aus, dass eine Cousine (K.T.) in Österreich lebe.

 

Als Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihr Bruder vor drei Monaten verschwunden sei. Sie hätten sich um ihn nicht so viele Sorgen gemacht, ehe maskierte Leute in ihr Haus eingedrungen seien. Dabei seien sie und ihre Schwester stark geschlagen worden, wobei versucht worden sei, die Beschwerdeführerin zu erwürgen und sie mit der Faust auf den Unterkiefer geschlagen worden sei. Sie sei zu Boden gestürzt und mit den Füßen getreten worden. Als die Beschwerdeführerin fast zu Tode geprügelt worden sei, seien die Leute aus dem Haus gelaufen. Nach einer Woche seien sie wieder gekommen. Diesmal seien sie ruhiger gewesen, jedoch sei die Beschwerdeführerin trotzdem an der Brust gepackt worden. Ein drittes Mal seien sie in der Nacht gekommen und hätten wieder gefragt, ob ihr Bruder erschienen sei. Damals sei sie erneut geschlagen worden. Beim vierten Mal hätten sie ihren Hund erschossen und gedroht, dass es ihnen auch so gehen würde. Sie hätten ihr Haus verlassen und sich beim Nachbarn versteckt. Da sie sich dort nicht mehr länger hätten verstecken können, hätten sie das Land verlassen.

 

Zu einer Rückkehr nach Polen befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie in Österreich Verwandte habe und sie daher in Österreich bleiben wolle. Außerdem würde Polen als Flüchtlingsland einen unsicheren Status haben.

 

Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe die Beschwerdeführerin Angst getötet zu werden. Sie sei noch von niemandem so stark geschlagen worden.

 

Abschließend gab sie an, dass die mitgereiste Schwester eigentlich ihre Cousine sei. Ihre Eltern seien zeitig gestorben und sie sei bei der Familie ihrer Cousine aufgewachsen, weshalb die Cousine für sie wie eine Schwester sei.

 

1.2. Aufgrund des EURODAC Treffers richtete das Bundesasylamt am 05.09.2011 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II VO"), gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen.

 

1.3. Am 07.09.2011 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 05.09.2011 Konsultationen mit Polen geführt würden.

 

1.4. Mit Schreiben vom 07.09.2011 stimmte Polen der Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ausdrücklich zu.

 

1.5. Laut gutachtlicher Stellungnahme vom 12.09.2011 liegt bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor. Auch sonstige psychische Krankheitssymptome würden nicht vorliegen. Als subjektive Beschwerden habe die Beschwerdeführerin unter anderem angegeben, dass sie nicht gut schlafen könne und ihre linke Gesichtshälfte taub sei. Zuerst seien Schmerzen aufgetreten, danach sei die Gefühlsstörung gekommen.

 

1.6. Im Verlauf ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19.09.2011 brachte die Beschwerdeführerin vor, gesund und einvernahmefähig zu sein sowie die Rechtsberatung in Anspruch genommen zu haben. Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihr bisheriges Vorbringen wahrheitsgetreu gewesen sei und sie dieses nicht berichtigen müsse. Anschließend legte sie als Beweismittel einen Arztzettel vor, dem die Diagnose Diabetes Mellitus zu entnehmen ist, vor und gab ferner an, einen Termin für den Neurologen vermerkt zu haben und dass sie an Diabetes, Herzproblemen, Bluthochdruck und Schmerzen in der linken Kopfseite mit zeitweisem Gefühl von Lähmung leiden würde. Sie sei im Lager beim Arzt und beim Neurologen gewesen, dann seien sie verlegt worden. Sie seien in der jetzigen Unterkunft zweimal beim Arzt gewesen, aber auf einen Termin am 19.10. verwiesen worden. In Österreich sei eine Cousine aufhältig, welche sie aber noch nicht gefunden habe. Eine Abhängigkeit zu dieser Cousine würde nicht bestehen.

 

Gefragt, was einer Ausweisung ihrer Person nach Polen entgegenstehen würde, führte die Beschwerdeführerin aus, dazu nichts sagen zu können. Sie habe Angst in Polen. Befragt wovor sie Angst habe, führte sie aus, dass die Verfolger sie in Polen erwischen würden. Sie sei in Polen nicht bedroht worden, aber ihre Verfolgen hätten gewusst, dass sie nach Polen gefahren seien. Auf der Grenze zu Polen hätten sie Landsleute getroffen, die gesagt hätten, sie sollten weiterfahren, weil sie hier erwischt werden würden. Gefragt warum die Verfolger hätten wissen sollen, dass sie nach Polen fahren würde, antwortete die Beschwerdeführerin, es nicht zu wissen, vielleicht hätten diese es geahnt. Sie hätten Angst gehabt in Polen zu bleiben und sich nicht an die polnische Polizei gewandt. Gegen Polen habe die Beschwerdeführerin nichts, jedoch könnten sie dort ihre Leute erwischen und umbringen. Auf die Übergabe der Länderfeststellungen des Bundesasylamtes zur allgemeinen Lage und Situation in Polen und der ihr eingeräumten Möglichkeit, bis zum 26.09.2011 eine Stellungnahme abzugeben, gab die Beschwerdeführerin an, was sie mit den Feststellungen solle, sie wolle diese doch nicht. Auf den Vorhalt der gutachtlichen Stellungnahme vom 12.09.2011 führte die Beschwerdeführerin an, dass sie keine psychische Störung, sondern Probleme mit der Wirbelsäule habe. Sie bekomme in ihrem derzeitigen Wohnort keine Luft.

 

1.7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.09.2011 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß

 

§ 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu.

 

Es könne mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass im Falle einer Überstellung ein "real risk" nicht vorliegen würde, weshalb der Geltungsbereich des Art. 3 EMRK hier nicht berührt werden würde. Die Beschwerdeführerin habe geltend gemacht, dass sie in Polen von maskierten Männern erwischt werden könnte. Bei genauer Nachfrage habe sie jedoch nur allgemeine und unsubstantiierte Floskeln vorgebracht, die keinesfalls geeignet seien, um eine reale Bedrohung in Polen erkennen zu lassen. Zudem habe die Beschwerdeführerin selbst angegeben, in Polen weder bedroht worden zu sein noch dass sie sich an die Polizei gewandt hätte, wie man es von einer Person, welche Leib und Leben in Gefahr sehe, erwarten würde.

 

Bezüglich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass diese weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit noch an einer schweren psychischen Störung leiden würde, die bei einer Überstellung/Abschiebung nach Polen eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde. Jedoch habe die Beschwerdeführerin ein Schriftstück eingebracht, aus welchem ersichtlich sei, dass sie an Diabetes leide. Den Länderfeststellungen zu Polen sei zu entnehmen, dass Asylwerber das Recht auf medizinische Betreuung nach denselben Regeln wie polnische Staatsbürger hätten und die entstehenden Kosten für die Behandlung vom polnischen Staat übernommen werden würden. Die Beschwerdeführerin leide an keinen existenzbedrohenden Beschwerden, welche bei einer Überstellung eine Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gesicherten Rechte bedeuten würde.

 

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin eine in Österreich lebende Cousine geltend gemacht habe, sie jedoch eine Abhängigkeit zu dieser verneint habe. Konkrete Hinweise auf ein bestehendes Abhängigkeits- oder Pflegeverhältnis würden in casu nicht vorliegen und seien diese auch nicht geltend gemacht worden, weshalb bei einer Überstellung von keiner Verletzung ihrer in Art. 8 EMRK gesicherten Rechte gesprochen werden könne.

 

Weiters verweist der Bescheid auf im Akt einliegende Feststellungen zur Lage in Polen, welche gestützt auf eine Zusammenstellung der Staatendokumentation iSd § 60 AsylG 2005 eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der Versorgungsleistungen und der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten von Asylwerbern enthält.

 

1.8. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mittels Standardformular Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit in Folge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Beantragt wurden die Aufhebung und Abänderung der bekämpften Spruchpunkte im Sinne des ursprünglichen Antrages auf internationalen Schutz, in eventu die Aufhebung des bekämpften Bescheids und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesasylamt zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuerlichen Bescheids sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. von einstweiligem Rechtsschutz in europarechtlichen Sinn und die Beigabe eines Rechtsberaters.

 

Auf der Beschwerde wurde darüber hinaus vermerkt, dass eine persönliche Zustellung bisher nicht erfolgt sei.

 

1.9. Mit Schreiben vom 04.10.2011 bestellte das Bundesasylamt einen Rechtsberater, leitete die Beschwerde mangels erfolgter Bescheiderlassung nicht an den Asylgerichtshof weiter. Die Übernahmebestätigung ist noch am selben Tag eingetroffen.

 

1.10. Mit Beschwerde vom 05.10.2011 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie nicht nach Polen reisen könne und wolle. Sie wolle nach Hause.

 

1.11. Am 06.10.2011 langte beim Bundesasylamt ein Schreiben mit der Anmeldung zur freiwilligen Rückkehr der Beschwerdeführerin ein.

 

1.12. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 14.10.2011 beim Asylgerichtshof ein.

 

1.13. Mit Aktenvermerk vom 14.10.2011 wurde festgehalten, dass die Rechtsberaterbestellung durch den zuständigen Referenten beim Bundesasylamt habe storniert werden müssen und es bereits zu einer Neubestellung gekommen sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr. 147/2008 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2009 (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der

 

§ 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Unionsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall unionsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Einzel-Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, K15. zu Art. 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die unionsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, Kommentar zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Unionsrecht kann nur von den zuständigen unionsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. So hat auch der EGMR festgestellt, dass der Rechtsschutz des Unionsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

In Bezug auf Griechenland wurde seitens des erkennenden Gerichtshofes bereits seit längerem in zahlreichen Entscheidungen faktisch nicht mehr von einer generellen Annahme der Sicherheit ausgegangen und eine umso genauere Einzelfallprüfung durchgeführt. Der EGMR hat in diesem Kontext mit Urteil vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S. vs Belgien/Griechenland (30696/09) klargelegt, dass fehlende Unterkunft in Verbindung mit einem langwierigen Asylverfahren (welches selbst schwerwiegende Mängel aufweist) unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK relevant sein kann (vgl insb. Rz 263 des zitierten Urteils). Ein entsprechend weiter Prüfungsumfang in Bezug auf relevante Bestimmungen der EMRK (Art. 3, 8 und 13) ist daher unter dem Hintergrund einer Berichtslage wie zu Griechenland angebracht (wodurch auch die "effet utile"-Argumentation einzelfallbezogen relativiert wird) - was der herrschenden Praxis des AsylGH entspricht (anders wie die in Rz 351 und 352 des zitierten Urteils beschriebene Situation im belgischen Verfahren). Eine solche Berichtslage liegt zu Polen nun jedenfalls nicht vor, ebenso wenig eine vergleichbare Empfehlung von UNHCR (wie jene zu Griechenland), von Überstellungen abzusehen. Nichtsdestotrotz hat der AsylGH - unter Berücksichtigung dieser Unterschiede - auch im gegenständlichen Fall nachfolgend untersucht, ob die Anwendung des Selbsteintrittsrechts aus Gründen der EMRK angezeigt ist. Im Lichte der eben getroffenen Ausführungen zur Auslegung des Art. 3 EMRK ist schließlich nicht erkennbar und wurde auch nicht behauptet, dass die Grundrechtscharta der EU für den konkreten Fall relevante subjektive Rechte verliehe, welche über jene durch die EMRK gewährleisteten, hinausgingen. Auch spezifische Verletzungen der unionsrechtlichen Asylrichtlinien, die in ihrer Gesamtheit Verletzungen der Grundrechtscharta gleichkämen, sind nicht behauptet worden. Weitergehende Erwägungen dazu konnten also mangels Entscheidungsrelevanz in concreto entfallen.

 

2.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK:

 

In Österreich lebt nach Angaben der Beschwerdeführerin eine Cousine. Zu dieser gab es in Österreich noch keinen Kontakt. Ein Abhängigkeitsverhältnis hat die Beschwerdeführerin ausdrücklich verneint.

 

Am Maßstab der Judikatur der Höchstgerichte zum Familienleben, unter Erwachsenen gemessen, zeigt die Beschwerde keine Fehlbeurteilung der Asylbehörde unter diesem Gesichtspunkt auf: So ist in VfGH 9.6.2006, B 1277/04, ausgeführt, eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen falle "- auch nach der Rechtsprechung des EGMR - nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen" (VwGH 26. 1. 2006, 2002/20/0423; 26. 1. 2006, 2002/20/0235; 8. 6. 2006, 2003/01/0600; 29. 3. 2007, 2005/20/0040 bis 0042; 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723). Besondere, über die normalen Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten hinausgehende Umstände sind jedoch gegenständlich nicht erkennbar und wurden solche auch seitens der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht bzw. ein Abhängigkeitsverhältnis zur Cousine ausdrücklich verneint. Es konnte daher weder festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin dermaßen auf die Unterstützung ihrer in Österreich lebende Cousine angewiesen ist noch dass ein derartiges qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- oder Unterstützungsverhältnis vorliegt, dass ihr ein weiterer Verbleib im Gebiet der EU außerhalb des Österreichischen Bundesgebietes schlicht unzumutbar wäre.

 

Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, B 1802, 1803/06). Zudem reiste die Beschwerdeführerin erst Ende August 2011 in das Bundesgebiet ein und ihr Aufenthalt in Österreich stützte sich von Anfang an nur auf den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

 

Eine Verletzung in ihren durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten durch eine Überstellung nach Polen ist gegenständlich daher nicht ersichtlich.

 

2.2.2. Zur Kritik am polnischen Asylwesen:

 

Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673).

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der Feststellungen des Bundesasylamtes nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden. Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf AsylwerberInnen aus der Russischen Föderation unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden.

 

Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden und in der Verfahrenserzählung dieses Erkenntnisses referierten Feststellungen des Bundesasylamtes zu Polen werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Auch die Gewährung subsidiären Schutzes entspricht nach einer Gesetzesänderung gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (siehe ÖB Warschau vom 23.08.2007 und 28.02.2008). Es besteht kein Grund zur Annahme, dass Polen allgemein oder im Besonderen gegenüber aus der Russischen Föderation stammenden Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Ebenso liegen keine Indizien dahingehend vor, dass die polnischen Asylverfahren unzumutbar lange dauern würden oder diese den unionsrechtlichen Anforderungen grundsätzlich nicht genügten, dies auch in Bezug auf die Aufnahmerichtlinie.

 

Aus der Rechtsprechung des EGMR (oder anderer Gerichte der Mitgliedstaaten) lässt sich eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Polen keinesfalls erkennen. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer von der Beschwerdeführerin bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie befürchte in Polen "erwischt werden zu können" bzw. dass ihre Verfolger sie finden würden, ist auszuführen, dass die Beschwerdeführerin einerseits eine Bedrohungshandlung im Zuge ihres Aufenthalts in Polen verneinte, andererseits diese Angaben zu wenig konkret erscheinen, um daraus eine mögliche Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 3 EMRK im Falle ihrer Überstellung nach Polen darzutun. Die pauschalen Angaben sind nicht geeignet, eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, sohin ein "real risk" einer Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung nach Polen aufzuzeigen. Darüber hinaus steht es der Beschwerdeführerin frei, den Schutz der polnischen Behörden in Anspruch zu nehmen, da Polen als Mitgliedstaat der EU in gleicher Weise wie Österreich in der Lage und willens wäre, der Beschwerdeführerin entsprechenden Schutz zu bieten. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass strafrechtlich relevante Übergriffe in jedem Land passieren können und kann ein vollkommener und lückenloser Schutz vor Gewalthandlungen von keinem Rechtsstaat der Welt, so auch nicht von Österreich, garantiert werden. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass es außerhalb der Möglichkeit eines Staates liegt, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu verhindern, weshalb von keinem Staat verlangt werden kann und dies auch unmöglich erscheint, dass er jeden immer umfassend schützt bzw. schützen kann.

 

Im Übrigen wurden mit der Beschwerde keinerlei aktuelle Berichte in Vorlage gebracht, welche die hinreichend aktuellen Feststellungen des Bundesasylamtes - gestützt auf Informationen der Staatendokumentation - zu Polen substantiiert in Zweifel ziehen könnten.

 

2.2.3. Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK, medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen:

 

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Weitere Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage, insbesondere der gutachtlichen Stellungnahme vom 12.09.2011 und der vorgelegten Befunde betreffend die Beschwerdeführerin nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin leidet an keiner psychischen oder sonstigen existenzbedrohenden Erkrankung. Aus einem vorgelegten Schreiben geht eine Diabeteserkrankung hervor. Sohin liegen bei der Beschwerdeführerin weder lebensbedrohende noch die Transportfähigkeit einschränkende Krankheiten vor. Es sind auch zwischenzeitig keine in der Person der Beschwerdeführerin liegenden sonstigen neuen Sachverhaltselemente hervorgekommen, die auf eine akut lebensbedrohende Erkrankung schließen lassen, insbesondere wurde in der Beschwerde derartiges nicht vorgebracht.

 

Vor dem Hintergrund der strengen Judikatur des EGMR kann jedenfalls nicht erkannt werden, dass eine Zurückschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen eine Verletzung der Rechte gemäß Art. 3 EMRK darstellen würde, da in casu jedenfalls nicht das Endstadium einer tödlichen Krankheit gegeben ist und in Polen, einem Mitgliedstaat der EU, selbstverständlich (auch) verschiedene Behandlungsmöglichkeiten verfügbar sind. In diesem Zusammenhang ist auf die der Beschwerdeführerin vorgehaltenen Feststellungen des Bundesasylamtes zur medizinischen Versorgung in Polen zu verweisen (keine schwerwiegenden Unterschiede zu Österreich - alle Krankheiten grundsätzlich behandelbar). Darüber hinaus haben Asylwerber - auch bei der Nachbehandlung von Krankheiten - das Recht auf medizinische Betreuung nach denselben Regeln wie polnische Staatsbürger.

 

Medizinisch gesehen liegen im Entscheidungszeitpunkt somit bei derzeitigem Erkenntnisstand keine Bedenken hinsichtlich der Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen vor.

 

2.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise des Bundesasylamtes keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

3. Ausweisungsentscheidung:

 

Das Bundesasylamt hat zutreffend die Ausweisung der Beschwerdeführerin ausgesprochen. Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich ist sehr kurz, Hinweise auf besondere Integrationsaspekte iSd § 10 Abs. 2 AsylG 2005 idgF sind im diesbezüglich mängelfreien Verwaltungsverfahren nicht hervorgekommen. Auch im Beschwerdeverfahren ist nichts ersichtlich geworden, was eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließe. Auf die auch hier relevanten Ausführungen oben zu 2.2.1. ist hinzuweisen. Die Ausweisung aus Österreich nach Polen erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko, unverzügliche Ausreiseverpflichtung
Zuletzt aktualisiert am
07.11.2011
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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