TE OGH 2010/5/27 5Nc9/10h

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Veröffentlicht am 27.05.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Marianne H*****, gegen den Antragsgegner Alfred H*****, wegen Unterhalts, AZ 1 Fam 7/10m des Bezirksgerichts Gmunden, über die Anzeige eines Zuständigkeitsstreits zwischen diesem Bezirksgericht und dem Bezirksgericht Graz-Ost in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Fortführung der Familienrechtssache ist das Bezirksgericht Gmunden zuständig.

Der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 8. Februar 2010, GZ 1 Fam 7/10m-4, mit dem es die Zuständigkeit zur Besorgung dieser „Pflegschaftssache gemäß § 111 JN“ an das Bezirksgericht Graz-Ost übertrug, wird aufgehoben.

Text

Begründung:

Die volljährige (1991 geborene) Antragstellerin, die als Wohnort *****, angab und dazu eine Meldebestätigung vorlegte, stellte mit Schreiben vom 17. 1. 2010 beim Bezirksgericht Graz-Ost einen gegen den Antragsgegner als ihren Vater gerichteten Antrag auf Unterhaltsfestsetzung. Sie ersuchte darin um Weiterleitung „nach Gmunden [...], da es wohl am besten [sei], wenn [sie] das in ihrem Heimatort klären [könne]“. In einem Aktenvermerk vom 22. 1. 2010 über ein Telefonat mit der Antragstellerin hielt das Bezirksgericht Graz-Ost fest, dass sich die Antragstellerin „hauptsächlich in Gmunden bei ihrer Mutter, [...], [aufhalte] und daher das Verfahren sinnvollerweise beim BG Gmunden geführt werden möge“.

Am 26. 1. 2010 verfügte das Bezirksgericht Graz-Ost formlos, den Akt „dem Bezirksgericht Gmunden zuständigkeitshalber weiterzuleiten“ (ON 3). Eine Zustellung dieser Entscheidung an die Parteien ist dem Akt nicht zu entnehmen.

Mit Beschluss vom 8. 2. 2010 (ON 4), übertrug hierauf das Bezirksgericht Gmunden die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Graz-Ost. Dieser Beschluss erwuchs nach Zustellung an beide Parteien unbekämpft in Rechtskraft.

Nachdem der Akt erneut dem Bezirksgericht Graz-Ost zuständigkeitshalber übermittelt wurde, lehnte dieses mit Beschluss vom 13. 4.  2010 (ON 7), die Übernahme des Aktes ab. Aus dem Akt ist eine Zustellung dieses Beschlusses an die Parteien ebenfalls nicht ersichtlich.

Schließlich legte das Bezirksgericht Gmunden den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN hinsichtlich ON 4 und ON 7 vor.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Entscheidung nach § 47 JN (anders in Delegierungs- und Ordinationssachen gemäß § 7 Abs 1 Z 1, 2, 4 und 5 OGHG) durch den Obersten Gerichtshof hat im Fünfersenat nach § 6 leg cit zu erfolgen.

2. Den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet ein Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes, über den nach § 101 AußStrG im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist; örtlich zuständig ist nach § 114 Abs 2 JN das Gericht, in dessen Sprengel das volljährige Kind seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. § 111 JN ist auf Unterhaltsverfahren volljähriger Kinder weder unmittelbar noch im Wege der Analogie anwendbar. Der volljährige Antragsteller steht nicht mehr unter dem besonderen pflegschaftsbehördlichen Schutz, den das Gesetz Minderjährigen zukommen lässt (RIS-Justiz RS0123194).

3. Die nicht näher begründete Verfügung des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 26. 1. 2010 (ON 3), den Akt dem Bezirksgericht Gmunden zuständigkeitshalber weiterzuleiten, war offenbar als Überweisung der außerstreitigen Rechtssache im Sinn des § 44 JN gemeint; und zwar (offensichtlich) aus den Erwägungen, die erst in der Begründung des Beschlusses des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 13. 4. 2010 (ON 7), mit dem es die Übernahme des Aktes ablehnte, dargelegt wurden, der deshalb als bloße Erläuterung des ursprünglichen Entscheidungswillens zu verstehen ist (vgl 5 Nc 35/04y).

4. Die Überweisung nach § 44 JN ohne ausdrücklichen Ausspruch der Unzuständigkeit stellt keineswegs bloß eine kanzleitechnische Verfügung des Gerichts ohne rechtliche Bedeutung dar, sondern es liegt hierin eine Entscheidung über die Zuständigkeit (RIS-Justiz RS0046346). Der hier zu beurteilende Zuständigkeitsstreit ist daher schon mit der Übertragung der Zuständigkeit durch das Bezirksgericht Gmunden entstanden, mit dem dieses seine örtliche Zuständigkeit verneinte (ON 4). Diese Entscheidung missachtete aber, dass der Überweisungsbeschluss unabhängig von seiner Zustellung an die Parteien (vgl RIS-Justiz RS0046363) für das Adressatgericht solange maßgebend bleibt, als dieser nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird (RIS-Justiz RS0081664), sodass es seine Unzuständigkeit nicht mit der Begründung aussprechen kann, das überweisende Gericht sei zuständig (RIS-Justiz RS0046315; RS0002439). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann das Gericht, an das überwiesen wurde, dieser Bindungswirkung auch nicht dadurch entgehen, dass es seinen Unzuständigkeitsbeschluss noch vor Eintritt der Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses fasst (RIS-Justiz RS0081664 [T1]; RS0046391 [T6]). Auf die Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses ist bei der Entscheidung nach § 47 JN daher auch dann Bedacht zu nehmen, wenn der Unzuständigkeitsbeschluss des Gerichts, an das die Sache überwiesen wurde, noch vor Eintritt der Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses erfolgte (RIS-Justiz RS0046391 [T8]). Die gegenteilige Ansicht im Schrifttum (Fucik in RZ 1985, 240; Mayr in Rechberger³ § 44 JN Rz 4, und Ballon in Fasching/Konecny² § 47 JN Rz 12) wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach mit eingehender Begründung abgelehnt (zuletzt 6 Nc 19/08h mwN).

5. Der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 8. 2. 2010 (ON 4), mit dem es die Zuständigkeit zur Besorgung dieser „Pflegschaftssache“ (ohnehin zu Unrecht) gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Graz-Ost übertrug, verletzte demgemäß die Bindungswirkung des vorausgehenden Überweisungsbeschlusses des Bezirksgerichts Graz-Ost und war daher - ohne auf die Frage dessen Richtigkeit einzugehen (RIS-Justiz RS0046391[T10]) - aufzuheben.

6. Auf die Bestimmung des § 44 Abs 2 JN wird hingewiesen.

Textnummer

E94268

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0050NC00009.10H.0527.000

Im RIS seit

19.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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