TE OGH 2010/5/27 5Ob229/09a

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Veröffentlicht am 27.05.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hurch, Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** B*****-S*****, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Ing. F***** O*****, vertreten durch Dr. Johannes Roilo, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei J***** H*****, vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 289,95 EUR sA, Wiederherstellung (Streitwert 6.000 EUR) und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. April 2009, GZ 3 R 188/08f-92, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 27. Februar 2008, GZ 12 C 671/04g-75 (in der Fassung der Ergänzungsurteile vom 1. April 2008, GZ 12 C 671/04g-76, und vom 15. April 2008, GZ 12 C 671/04g-79), teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die von der beklagten Partei in Ergänzung ihrer Revision eingebrachte „gutachterliche Stellungnahme der Mo***** GmbH“ wird zurückgewiesen.

Die Anträge auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei und des Nebenintervenienten werden gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig Änderungen, einschließlich Widmungsänderungen iSd § 16 Abs 2 WEG, vornimmt, auch jeder einzelne Wohnungseigentümer mit Unterlassungs- und Beseitigungsklage nach § 523 ABGB im streitigen Rechtsweg vorgehen kann (RIS-Justiz RS0083156, 5 Ob 241/09s mwN). Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen auch mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang, wonach schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Miteigentümer den änderungswilligen Wohnungseigentümer verpflichtet, die Zustimmung der anderen Miteigentümer (oder die Genehmigung des Außerstreitrichters) einzuholen (RIS-Justiz RS0083156).

Liegt eine genehmigungspflichtige Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 vor, dann sind die Voraussetzungen der Genehmigungsfähigkeit einer solchen Änderung vom Streitrichter nicht zu prüfen. Dieser hat nur die Genehmigungsbedürftigkeit zu prüfen (RIS-Justiz RS0083156 [T14] = 5 Ob 25/08z). Schon aus diesem Grund haben die Vorinstanzen zu Recht kein Beweisverfahren zu der Frage durchgeführt, ob die von der Beklagten - nach den vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbaren und damit maßgeblichen Feststellungen ohne Zustimmung der Klägerin - eigenmächtig geänderte Dachbodenkonstruktion standfest ist.

Soweit die Revision argumentiert, durch die Entscheidungen der Vorinstanzen werde die Beklagte letztlich zur Durchführung von rechtlich und tatsächlich unmöglichen, zumindest untunlichen Baumaßnahmen verpflichtet, ist festzuhalten, dass der Nachweis der Unmöglichkeit einer Leistung nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden kann und regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (vgl RIS-Justiz RS0115570 [T1]). Die Revisionswerberin zeigt hier auch keinen Hinweis für eine erhebliche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht auf.

Unmöglichkeit einer Naturalrestitution darf erst dann angenommen werden, wenn der Leistung ein dauerndes und nicht nur vorübergehendes Hindernis entgegensteht (RIS-Justiz RS0112887 [T7]). Zweifel über die Unmöglichkeit der Leistung gehen jedenfalls zu Lasten des Schuldners, dieser trägt die Beweislast für die Unmöglichkeit (RIS-Justiz RS0109497).

Die der Beklagten mit dem angefochtenen Urteil auferlegte Verpflichtung, die konstruktive Änderung des „liegenden“ Dachstuhls in einen „stehenden“ - mit Ausnahme zweier rechtskräftig abgewiesener Mehrbegehren in Teilbereichen -  rückgängig zu machen, überlässt die Auswahl der technisch für die Erreichung dieses Ziels geeigneten Maßnahmen im Wesentlichen der Beklagten selbst.

Sie wird durch die Verpflichtung, „die Standsicherheit des Dachstuhls wiederherzustellen, soweit sie vor Abänderung der Dachstuhlkonstruktion durch die beklagte Partei gegeben war“, auch keineswegs verhalten, den identen Zustand wie vor ihrer Konstruktionsänderung herzustellen, sondern nur jedenfalls keinen schlechteren. Es versteht sich von selbst, dass die Beklagte auch nur zu einer der TBO 2001 entsprechenden und bewilligten Bauausführung verpflichtet ist.

Wenn die Revision ins Treffen führt, die Rückbaumaßnahmen bedürften wegen der Inanspruchnahme allgemeiner Teile des Hauses auch einer Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, zeigt sie damit kein unüberwindliches Hindernis auf, behauptet sie doch gar nicht, dass sie sich um eine solche Zustimmung bemüht hat oder dass sie ihr verweigert würde.

Weshalb das aktuelle behördliche Bauverbot nach Ansicht der Revisionswerberin ein unabänderliches rechtliches Hindernis für die Erfüllung des Wiederherstellungsanspruchs darstellen sollte, ist - die Einhaltung der im Verwaltungsverfahren vorgesehenen Schritte für die Bewilligung des Rückbaus vorausgesetzt - ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Nach § 37 Abs 1 TBO hat die Behörde, wenn eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Baubewilligung errichtet oder geändert wurde, dem Eigentümer eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb der nachträglich um die Erteilung der Baubewilligung anzusuchen ist. Verstreicht diese Frist ungenützt oder wird die Baubewilligung versagt, so hat die Behörde dem Eigentümer die Beseitigung der Anlage aufzutragen. Darüber hinaus ist der Eigentümer einer baulichen Anlage nach § 38 Abs 1 TBO zu einer der Baubewilligung entsprechenden Erhaltung und zur Beseitigung auftretender Baugebrechen verpflichtet. Die Herstellung eines konsensgemäßen Bauzustandes ist demnach Sache der Beklagten als gegenwärtiger Wohnungseigentümerin, unabhängig davon, dass die Abweichungen (auch) auf Baumaßnahmen ihrer Rechtsvorgängerin zurückgehen und ihr allenfalls Rückgriffs- bzw Schadenersatzansprüche gegen diese zustehen mögen. Die mit dem angefochtenen Urteil der Beklagten aufgetragenen Maßnahmen stehen daher mit ihren verwaltungsrechtlichen Verpflichtungen nicht im Widerspruch.

Von Rechtsmissbrauch (Schikane) ist die Rede, wenn das Interesse des Rechtsausübenden an der Wiederherstellung des ehemaligen Zustandes der gemeinschaftlichen Sache gegenüber den Interessen des anderen auf Belassung des gegenwärtigen Zustandes der Sache völlig in den Hintergrund tritt (RIS-Justiz RS0013207). Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls. Eine erhebliche Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen, die ausnahmsweise eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen könnte, ist nicht zu erkennen, zumal für den gegenwärtigen Zustand weder eine Baubewilligung vorliegt noch eine ausreichende statische Belastbarkeit der obersten Geschoßdecke besteht. Die Revision irrt zudem auch hier, wenn sie argumentiert, dass die Beklagte zum Rückbau auf eine technisch unzulängliche Ausführung verpflichtet werde.

Entgegen den Revisionsausführungen ist den Vorinstanzen auch bei der Bejahung der ausreichenden Bestimmtheit des Klagebegehrens keine Verkennung der Rechtslage unterlaufen. Bei Klagen, die nicht auf Geldleistung gerichtet sind, wird dem Erfordernis des § 226 ZPO bereits dann Genüge getan, wenn unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs und Ortsgebrauchs und nach den Regeln des Verkehrs daraus entnommen werden kann, was begehrt ist. Die technische Durchführung der Wiederherstellung eines „liegenden“ Dachstuhls muss nicht näher umschrieben sein, weil davon ausgegangen werden darf, dass sie den bestehenden rechtlichen und technischen Vorschriften zu entsprechen hat, zumal wenn die möglichen Varianten aus technischen Gründen ohnedies begrenzt und überdies nur von Fachleuten beurteilbar sind (RIS-Justiz RS0037874 [T25]; 5 Ob 42/09a).

Die Ausführungen der Revision über eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens stellen sich als im Revisionsverfahren nicht mehr zulässiger Versuch dar, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen. Es wird darin kein für das rechtliche Ergebnis relevanter Verfahrensmangel behauptet. Dies gilt auch für die relevierte Aktenwidrigkeit (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Der Wiederherstellungsanspruch eines Wohnungseigentümers gegen eigenmächtige Änderungen durch einen Miteigentümer setzt nicht einen bereits eingetretenen Schaden voraus. Ob die Risse in der Wohnung der Klägerin durch die Bauarbeiten der Beklagten oder bereits von ihrer Rechtsvorgängerin verursacht wurden, ist für das vorliegende Verfahren daher nicht relevant. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Schäden ist nach der jüngeren Rechtsprechung aus prozessökonomischen Gründen auch dann zu bejahen, wenn noch kein feststellbarer Schaden eingetreten ist und nur die Möglichkeit besteht, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt zur Folge hat (RIS-Justiz RS0040838 [T3 = SZ 56/38; T6]), woran angesichts der getroffenen Feststellungen über die fehlenden Traglastdimensionierungen zufolge der konsenslos durchgeführten Bauschritte der Beklagten im Übrigen auch nicht ernsthaft gezweifelt werden könnte.

Die Beweisrüge der Beklagten zum behaupteten Einverständnis der Klägerin mit den Baumaßnahmen - sowohl der Änderung der Dachstuhlkonstruktion als auch dem Einbau zusätzlicher Fenster - hat das Berufungsgericht - entgegen den weitwendigen Revisionsausführungen - ohnehin inhaltlich (ausreichend) behandelt (S 23 ff des Berufungsurteils), sodass dem Revisionsgericht eine neuerliche Überprüfung jedenfalls verwehrt ist.

Was die Feststellungen zur technischen Möglichkeit des Rückbaus anlangt, übersieht die Beklagte, dass sie - nach dem Vorgesagten - selbst für eine Unmöglichkeit der Erfüllung beweispflichtig ist, weshalb mit der von ihr angestrebten bloßen Negativfeststellung für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen wäre. Die von der Revision ins Treffen geführte Standfestigkeit des derzeitigen Dachstuhls würde, selbst wenn sie festgestellt wäre, nichts daran ändern, dass er auf einer dafür nicht ausreichend dimensionierten Decke ablastet.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen. Für die ohne Freistellung erstatteten Revisionsbeantwortungen steht gemäß § 508a Abs 2 ZPO kein Kostenersatz zu.

Die nachträglich von der Revisionswerberin beim Obersten Gerichtshof eingebrachte „gutachterliche Stellungnahme“ war als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041666; insb 9 ObA 135/02x uva).

Schlagworte

Streitiges Wohnrecht

Textnummer

E94266

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0050OB00229.09A.0527.000

Im RIS seit

19.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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