TE OGH 2010/6/1 10ObS2/10g

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Veröffentlicht am 01.06.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Claudio M*****, Croupier, *****, vertreten durch Dr. Herwig Fuchs, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 2009, GZ 25 Rs 105/09s-39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Mai 2009, GZ 45 Cgs 160/07d-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 29. 8. 1966 geborene Kläger schloss seine Schulausbildung im Jahr 1985 mit der Matura ab. Nach drei Semestern Jus-Studium trat er in ein Dienstverhältnis zur C***** AG ein. Er wurde von diesem Dienstgeber zum Croupier ausgebildet und war während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag (1. 12. 2006) als Croupier erwerbstätig.

Die Ausbildung zum Croupier ist nicht gesetzlich geregelt. In Österreich muss ein Croupier-Anwärter über die Matura verfügen und zwei Fremdsprachen beherrschen, um zu einem Eignungstest und nach dessen Bestehen zur Ausbildung zum Croupier zugelassen zu werden. Vor 2001 wurde bei der C***** AG ein Croupier-Schüler nach einem ersten dreimonatigen Theoriekurs drei Monate am (vom Chef-Croupier und zwei weitere Croupiers betreuten) französischen Roulettetisch eingeschult; danach erfolgte ein Einsatz an anderen Tischen, bei anderen Spielen, und im Fall der dem Croupier-Schüler weiterhin bescheinigten Eignung für den Croupier-Beruf folgte sodann nochmals ein dreimonatiger Theoriekurs. Somit wurde vor 2001 ein Croupier-Schüler nach insgesamt sechsmonatiger theoretischer und mindestens dreimonatiger praktischer Ausbildung als Croupier eingesetzt. Seit 2001 erhält der Croupier-Schüler bei der C***** AG zwei Monate Theoriekurs für den amerikanischen Tisch und Black-Jack; daran schließen eine dreimonatige Praxis an diesen Tischen (in den ersten 14 Tagen unter Beistellung einer Aufsicht) und in weiterer Folge ein vier- bis sechswöchiger Theoriekurs für den französischen Tisch, welcher noch durch Spezialkurse entsprechend der im Beschäftiger-Casino angebotenen Spiele ergänzt wird, an. Nach neun bis zwölf Monaten theoretischer Ausbildung und Arbeit in der Praxis muss ein Croupier-Schüler die Grundfertigkeiten beherrschen, die in den folgenden Jahren vertieft und weiter vervollkommnet werden. Auch nach Abschluss der Ausbildung hat der Croupier immer wieder Weiterbildungsmaßnahmen in Form von Kursen hinsichtlich neuer Spiele, Konfliktbewältigungs- und Kommunikationsstrategien etc zu absolvieren.

Die Tätigkeit eines Croupiers ist vom Anforderungsprofil her jedenfalls als verantwortungsvolle geistige Arbeit zu beurteilen, die unter laufendem besonderen Zeitdruck (häufig forciertem Arbeitstempo) zu verrichten ist, da die Gäste das Spieltempo bestimmen. Nachtarbeit ist berufstypisch. Der Croupier-Beruf erfordert insbesondere hohe Fingerfertigkeit, die Fähigkeit zum beidhändigen Arbeiten, hohe Aufmerksamkeit, gutes Sehvermögen, ruhiges und sicheres Auftreten, Stressbewältigungskompetenz, Höflichkeit, die Fähigkeit, raschen Bewegungsabläufen folgen und umgehend von einer Fremdsprache in eine andere wechseln zu können, und das Vermögen, verschiedene Arbeitsabläufe gleichzeitig auszuführen (zB Ausgabe der Spielkarten, Ansage unter gleichzeitiger Beobachtung der Spieler). Die Tätigkeit eines Croupiers ist aus berufskundlicher Sicht in Bezug auf die Angestelltenkollektivverträge anderer Branchen mit einer der Beschäftigungsgruppe 4 unterfallenden Tätigkeit, welche Fremdsprachenkenntnisse erfordert und verantwortungsvolle geistige Arbeiten umfasst, vergleichbar.

Seit 1. 12. 2006 bestehen beim Kläger diverse Gesundheitsbeeinträchtigungen. Aus medizinischer Sicht hat er folgende Tätigkeiten zu vermeiden: Arbeiten auf hohen Leitern und Gerüsten, Arbeiten an Maschinen mit erhöhter Verletzungsgefahr, Arbeiten am Fließband, Arbeiten im Akkord, Nachtarbeit, Arbeiten, bei welchen ein relativ rascher Bewegungsablauf von links nach rechts erfolgt, Arbeiten unter starkem Stress, Arbeiten am Bildschirm in einer Dauer von über 45 Minuten (danach ist eine 15-minütige Pause notwendig), Arbeiten, welche im Sitzen erfolgen und ein gutes Sehvermögen und eine rasche Blickbewegung erfordern, Arbeiten in Kälte und Zugluft und das Heben und Tragen von Lasten über 20 kg. Eine regelmäßige psychiatrische Behandlung ließe erwarten, dass dem Kläger nach einem Behandlungszeitraum von vier Monaten wiederum mittelschwere geistige Arbeiten mit zumindest zeitweise besonderem oder überdurchschnittlichem Zeitdruck möglich sind.

Der Kläger kann die Erwerbstätigkeit als Croupier schon aufgrund der Einschränkungen seines Sehvermögens nicht mehr ausüben. Da es sich dabei um eine verantwortungsvolle geistige Arbeit unter besonderem Zeitdruck handelt, die berufstypisch mit Nachtarbeit verbunden ist, ist die Tätigkeit eines Croupiers aber auch mit dem derzeitigen sowie mit dem nach psychiatrischer Behandlung zu erwartenden Leistungskalkül nicht vereinbar.

Da dem Kläger aufgrund des seit 1. 12. 2006 bestehenden medizinischen Leistungskalküls nur mittelschwere geistige Arbeiten unter durchschnittlichem Zeitdruck möglich sind, kommen für ihn aus berufskundlicher Sicht als Verweisungstätigkeiten in der Gruppe der Angestellten seither nur qualifizierte einfache Bürotätigkeiten wie beispielsweise als Fakturist oder Mitarbeiter in der Statistik oder die unqualifizierte Tätigkeit einer Bürohilfskraft in Betracht, welche in den Angestelltenkollektivverträgen der Beschäftigungsgruppe 2 zugeordnet werden. Das nach psychiatrischer Therapie zu erwartende Leistungskalkül würde dem Kläger die qualifizierte Tätigkeit eines Sachbearbeiters oder Übersetzers der Beschäftigungsgruppe 2 oder 3 ermöglichen, weil es sich dabei um leichte körperliche und mittelschwere geistige Arbeiten mit zeitweise besonderem oder überdurchschnittlichem Zeitdruck handelt. Mit den Tätigkeiten einer Bürohilfskraft, eines Fakturisten, eines Mitarbeiters der Statistik, eines Sachbearbeiters oder Übersetzers gehen keine Arbeiten und Körperhaltungen einher, die der Kläger zu vermeiden hat, weil diese Arbeiten in geschlossenen temperierten Räumen unter Vermeidung von Kälte und Zugluft ausgeführt werden und die notwendigen Pausen bei der Bildschirmarbeit, „in welchen gröbere Arbeiten mit den Augen durchgeführt werden können“, im Arbeitsablauf eingehalten werden können. Durchschnittliches oder korrigiertes Sehvermögen ist dafür ausreichend; rasche Bewegungsabläufe oder Blickbewegungen sind nicht notwendig. Auch Nachtarbeit ist bei derartigen Tätigkeiten nicht berufstypisch.

Mit Bescheid vom 10. 4. 2007 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 27. 11. 2006 auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger ab 1. 12. 2006 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und die Prozesskosten zu ersetzen. Eine vorläufige Zahlung wurde nicht aufgetragen.

Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübt habe. Im Fall, dass er diese Erwerbsarbeit nicht mehr verrichten könne, sei ein Verweisungsfeld maßgeblich, das die Summe aller eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse verlangenden Berufe derselben Berufsgruppe einschließe. Bei den Tätigkeiten eines Croupiers handle es sich um höhere nicht-kaufmännische Dienste nach § 1 Abs 1 AngG. Allerdings sei der Croupier-Beruf von so spezieller Art, dass die in der Beschäftigungsgruppe 3 der Angestelltenkollektivverträge genannten Tätigkeiten von vornherein nicht als Verweisungsberufe in Frage kämen, weil sie nicht derselben Berufsgruppe zuzurechnen seien. Damit sei im Verfahren kein Beruf hervorgekommen, auf den der Kläger derzeit bzw im Hinblick auf das künftig erreichbare medizinische Leistungskalkül nach § 273 Abs 1 ASVG verweisbar wäre, womit die Voraussetzungen für die (unbefristete) Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension vorlägen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge.

Das für den Kläger in Betracht kommende Verweisungsfeld umfasse alle Berufe (Berufsgruppe), die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen. Das Abstellen auf eine „ähnliche Ausbildung“ und „gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten“ impliziere, dass als Verweisungsberufe keineswegs nur solche Berufe in Frage kommen, die mit einer „gleichen Ausbildung" und „gleichen Kenntnissen und Fähigkeiten“ einhergehen.

Die Croupier-Tätigkeit sei den höheren nicht-kaufmännischen Diensten nach § 1 Abs 1 AngG zuzurechnen. Der Croupierberuf erfordere aufgrund des spezifischen Anforderungsprofils sehr spezielle Fähigkeiten, wie eine besondere Merkfähigkeit, schnelle Auffassungsgabe, präzises Hören und rasches Handeln unter hoher Konzentration und das Vermögen, mit Gästen grundsätzlich bzw vielfach auch in schwierigen Situationen und bei Meinungsverschiedenheiten angemessen umzugehen. Aufgrund dieser ein spezifisches Können verlangenden Arbeitstätigkeit eigener Art könne dieser Beruf letztlich nicht jenen Berufsgruppen zugerechnet werden wie die in diversen Angestelltenkollektivverträgen in den Beschäftigungsgruppen 3 und 4 eingestuften Tätigkeiten. Der Croupier habe beispielsweise zwar Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden, um die Kommunikation mit fremdsprachigen Casinogästen sicherzustellen, dabei aber keine Übersetzertätigkeiten zu leisten, wobei sich die bloße Kommunikationsfähigkeit in einer Fremdsprache von der Tätigkeit eines Übersetzers erheblich unterscheide. Tätigkeiten wie das Auszahlen von Gewinnen an die Gäste und die Tischabrechnung mit dem Chef-Croupier am Ende eines Spieltages seien angesichts der Besonderheiten des Spielbetriebs ebenfalls nicht unmittelbar mit den höheren nicht-kaufmännischen Diensten anderer Berufsgruppen vergleichbar. Auch das Anforderungsprofil bezüglich der Dienste eines Lektors oder qualifizierten Sachbearbeiters unterscheide sich grundlegend vom Anforderungsprofil, das ein Croupier zu erfüllen habe, wenngleich den genannten Tätigkeiten die Grundqualität, dass es sich dabei um verantwortungsvolle geistige Arbeiten handle, gemeint sein möge.

Somit scheide eine Verweisbarkeit des Klägers auf die - nicht derselben Berufsgruppe zuordenbaren - Tätigkeiten, wie sie in diversen Angestelltenkollektivverträgen in den Beschäftigungsgruppen 3 und 4 aufscheinen (Übersetzer, Sachbearbeiter etc), von vornherein aus. Da das vorliegende Verfahren letztlich keine für den Pensionswerber in Betracht kommenden, eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie der Croupierberuf erfordernden Verweisungsberufe hervorgebracht habe, sei der Kläger als berufsunfähig nach § 273 Abs 1 ASVG anzusehen.

Der Kläger könne seine bisherige Erwerbstätigkeit als Croupier aus gesundheitlichen Gründen dauernd nicht mehr ausüben. Auch die zumutbare medizinische Therapie und das damit künftig erzielbare verbesserte Leistungskalkül ermögliche keine derselben Berufsgruppe wie die Croupier-Tätigkeit zuzuzählende Verweisungstätigkeit. Damit lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer unbefristeten Berufsunfähigkeitspension vor.

Von einer Verpflichtung der beklagten Partei zur Erbringung einer vorläufigen Leistung iSd § 89 Abs 2 ASGG sei aufgrund der besonderen Lage des Falles abzusehen, weil der Pensionsversicherungsträger nach dem Ergebnis einer Zwischenerhebung dem Kläger ohnehin rückwirkend seit 1. 12. 2006 und nach wie vor vorläufige monatliche Zahlungen in einer Höhe von aktuell 1.936,50 EUR brutto erbringe.

Die Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage. wie weit das für den Beruf des Croupiers maßgebliche Verweisungsfeld zu ziehen sei, bislang nicht auseinanderzusetzen gehabt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

Das Revisionsvorbringen der beklagten Partei geht dahin, dass zwar die Tätigkeit eines Croupiers aufgrund der Besonderheit des Spielbetriebs möglicherweise nicht unmittelbar mit höheren nicht-kaufmännischen Diensten anderer Berufsgruppen verglichen werden könne. An den Begriff der höheren nicht-kaufmännischen Dienste dürfe aber kein unverhältnismäßig strengerer Maßstab angelegt werden als an den der kaufmännischen Dienste. Im Übrigen handle es sich bei der Tätigkeit eines Croupiers um eine kaufmännische Tätigkeit (Mitwirkung an der Anbahnung, dem Abschluss und der Abwicklung des Glücksgeschäfts, wobei die Tätigkeit im Vergleich zu einem Versicherungsangestellten im Außendienst durch ein geringeres Maß an Selbständigkeit gekennzeichnet sei). Infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung hätten es die Vorinstanzen unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, welche Verweisungsberufe es im Bereich der kaufmännischen Tätigkeiten gebe, die dem Kläger - allenfalls nach Absolvierung einer Nachschulung - abstrakt offen stünden.

Diese Ausführungen sind berechtigt:

1. Nach der Rechtsprechung liegt der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bei Angestellten (Berufsunfähigkeit nach § 273 ASVG) dann vor, wenn der Versicherte weder die zuletzt (nicht nur vorübergehend) ausgeübte Angestelltentätigkeit noch dieser Tätigkeit gleichwertige Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufsgruppe zu verrichten imstande ist (vgl RIS-Justiz RS0084931 und RS0084954). Dieser zuletzt ausgeübte Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige (nicht gleiche oder gleichartige) Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (RIS-Justiz RS0084867 [T12]). Hintergrund ist, dass der Versicherte die erworbenen qualifizierten beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten in den Verweisungsberufen verwerten kann (vgl Sonntag in Sonntag, ASVG1 [2010] § 273 Rz 17), weshalb eine Verweisung auf eine Berufssparte mit völlig anders gearteten Anforderungen ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0108694 [T4]). In diesem Sinn wird von der Rechtsprechung eine Verweisbarkeit von einem technischen Beruf auf einen kaufmännischen Beruf und umgekehrt ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0108694). Soweit sich der Versicherte allerdings nur durch Zusatzausbildungen in einem Beruf spezialisiert hat, wird dadurch die Berufsgruppe nicht eingeengt (vgl RIS-Justiz RS0084970).

Nicht zulässig ist nach der Rechtsprechung die Verweisung auf Tätigkeiten, die mit einem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden wären. Dabei kommt es auf den sozialen Wert an, den die Ausbildung und die Kenntnisse und Fähigkeiten haben, die in der zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit des Versicherten von Bedeutung waren (RIS-Justiz RS0084890). Die Einstufung einer Tätigkeit in eine kollektivvertragliche Beschäftigungsgruppe, für die jene Ausbildung und jene Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die für den Versicherten in seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit erforderlich waren und auch angewendet wurden, kann zur Beurteilung des sozialen Werts einer Tätigkeit herangezogen werden (RIS-Justiz RS0084890 [T3]).

2. Nach den Feststellungen übt ein Croupier eine verantwortungsvolle geistige Arbeit aus; eine gesetzliche Regelung der Ausbildung gibt es nicht. Vorausgesetzt werden Matura und das Beherrschen von zwei Fremdsprachen. Vor 2001 bestand die Ausbildung aus einer insgesamt sechsmonatigen theoretischen und einer mindestens dreimonatigen praktischen Ausbildung, bevor der Berufsanwärter als Croupier eingesetzt wurde. Seit 2001 ist die Ausbildung stärker zwischen Theorie und Praxis gegliedert und dauert neun bis zwölf Monate. Insgesamt dauert die Spezialausbildung (nach der Matura) nicht mehr als ein Jahr; die weitere Vertiefung erfolgt dann berufsbegleitend.

In Beziehung zu den Angestelltenkollektivverträgen anderer Branchen ist die Tätigkeit eines Croupiers aus berufskundlicher Sicht mit einer der Beschäftigungsgruppe 4 unterfallenden Tätigkeit vergleichbar, die Fremdsprachenkenntnisse erfordert und verantwortungsvolle geistige Arbeiten umfasst.

3. Wie § 2 Abs 1 (insbesondere auch die Z 6) AngG zeigt, können auch Arbeitnehmer, die nicht in auf die Ausführung von (Waren-)Handelsgeschäften ausgerichteten Unternehmen tätig sind, in den Anwendungsbereich des AngG fallen, wenn sie vorwiegend zur Leistung kaufmännischer oder höherer nicht-kaufmännischer Arbeiten (oder zu Arbeiten in der Verwaltung des Unternehmens) herangezogen werden. Aus dem Gebot der Gleichbehandlung wird abgeleitet, dass an den Begriff der höheren nicht-kaufmännischen Dienste kein unverhältnismäßig strengerer Maßstab angelegt werden darf als an den der kaufmännischen Dienste, wenngleich in diesen Fällen eine bestimmte Qualifikation erforderlich ist (Drs in ZellKomm § 1 AngG Rz 23).

Es unterliegt jedenfalls keinem Zweifel, dass ein Croupier als Angestellter zu qualifizieren ist. Wie bereits unter 1. erwähnt, kommt für die Bildung der Berufsgruppen nach § 273 ASVG nicht der Unterscheidung zwischen kaufmännischen und höheren nicht-kaufmännischen Tätigkeiten die entscheidende Bedeutung zu, sondern - im Hinblick auf die Maßgeblichkeit der gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten - der Unterscheidung zwischen kaufmännischen und technischen Angestelltenberufen. Dem Standpunkt der beklagten Partei, dass ein Croupier - ähnlich wie ein im Kundenbereich tätiger Versicherungs- oder Bankangestellter - einen kaufmännisch (und nicht technisch) geprägten Beruf ausübt, ist zu folgen.

4. Hinter der Rechtsansicht der Vorinstanzen steht die Annahme, dass die ca einjährige berufliche Spezialausbildung, die der Kläger genossen hat, eine Einengung der Berufsgruppe auf Berufe bewirkt, die ebenfalls durch vergleichbare Spezialkenntnisse geprägt sind. Abgesehen davon, dass spezialisierende Zusatzausbildungen die Berufsgruppe nicht einengen (siehe oben 1.), steht die Ansicht der Vorinstanzen in Widerspruch zur höchstgerichtlichen Judikatur, dass einem Angestellten kein Branchenschutz zukommt (10 ObS 21/98f = SSV-NF 12/15; 10 ObS 19/04y); entscheidend sind die „ähnliche“ Ausbildung und die „gleichwertigen“ Kenntnisse und Fähigkeiten (RIS-Justiz RS0087654).

Ausgehend davon kommen für den Kläger nicht nur die von den Vorinstanzen in Betracht gezogenen Verweisungsberufe in Betracht, sondern weitere kaufmännisch geprägte Berufe, und zwar angelehnt an die beispielhaften Aufzählungen im Beschäftigungsgruppenschema des Kollektivvertrags der Handelsangestellten (vgl 10 ObS 21/98f = SSV-NF 12/15 mwN; RIS-Justiz RS0084861).

5. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist die Tätigkeit eines Croupiers aus berufskundlicher Sicht mit einer der Beschäftigungsgruppe 4 unterfallenden Tätigkeit „vergleichbar“, die Fremdsprachenkenntnisse erfordert und verantwortungsvolle geistige Arbeiten umfasst.

Damit wird aber keine Aussage darüber getroffen, ob ein Croupier über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, wie sie in Berufen der Beschäftigungsgruppe 4 von Kollektivverträgen aus dem kaufmännischen Bereich gefordert werden (beispielhaft kann der Kollektivvertrag der Handelsangestellten herangezogen werden). Selbst wenn ein Versicherter über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die ihm ermöglichten, an seinem konkreten Arbeitsplatz eine Tätigkeit in dem in der Beschäftigungsgruppe 4 eines Kollektivvertrags umschriebenen Umfang zu entfalten, würde sogar eine Verweisung auf Tätigkeiten der Berufsgruppe 2 keinen unzumutbaren sozialen Abstieg bewirken, wenn er sonst über keinerlei Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschäftigungsgruppe 4 verfügt bzw solche nicht anzuwenden hat (10 ObS 58/99y mwN). Die Ausführungen des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung gehen in die Richtung, dass bei einem Croupier nur einzelne und spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten, die allgemein bei Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 4 gefordert werden, notwendig sind. Nach diesen Ausführungen ist das kaufmännische Qualifikationsniveau eines Croupiers gering und von dem der Beschäftigungsgruppe 4 eigenen Charakteristikum der „selbständigen Tätigkeit“ weit entfernt.

6. Davon ausgehend erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

In erster Linie ist zu klären, ob der Kläger über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (und diese auch anzuwenden hatte), wie sie in Berufen der Beschäftigungsgruppe 4 eines Kollektivvertrags aus dem kaufmännischen Bereich gefordert werden. Davon hängt die weiters zu beurteilende Frage ab, auf welche kollektivvertragliche Beschäftigungsgruppe der Kläger verweisbar ist (nach ständiger Rechtsprechung kommen Berufe selben oder der nächstniedrigen kollektivvertraglichen Stufe in Betracht).

Ausgehend von den im Croupierberuf erforderlichen kaufmännischen Kenntnissen und Fähigkeiten kommen als Verweisungsberufe alle Berufe in Betracht, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige (kaufmännische) Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen, also möglicherweise auch kaufmännische Tätigkeiten im Ein- und Verkauf. Nähere Vorgaben sind nicht möglich, weil den bisher getroffenen Feststellungen der Vorinstanzen, die von einem von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht geteilten eingeengten Berufsgruppenbegriff ausgehen, keine Anhaltspunkte zu den im Croupierberuf erforderlichen (kaufmännischen) Kenntnissen und Fähigkeiten sowie zu den Anforderungen in möglichen kaufmännisch geprägten Verweisungsberufen zu entnehmen sind.

7. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E94222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00002.10G.0601.000

Im RIS seit

16.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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