TE OGH 2010/6/30 7Ob47/10b

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Veröffentlicht am 30.06.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Dr. Günter Medweschek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei B***** R*****, vertreten durch Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 8.834,16 EUR sA und Räumung, aus Anlass des Antrags der Klägerin auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsurteils, verbunden mit der ordentlichen Revision, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, das angefochtene Urteil durch einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO zu ergänzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen das die Klage vollständig abweisende Ersturteil in der Hauptsache nicht Folge, der Berufung im Kostenpunkt jedoch schon, und sprach - ohne Bewertungsausspruch - aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig. Dagegen erhebt die Klägerin an das Berufungsgericht den Antrag auf Abänderung des Zulassungsausspruchs, verbunden mit einer „Revision“ an den Obersten Gerichtshof. Das Erstgericht legte den Akt dem Berufungsgericht vor, das ihn mit Beschluss vom 19. Februar 2010 mit dem (nur in der Begründung enthaltenen) Auftrag an das Erstgericht zurückstellte, das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof direkt als (umgedeutete) außerordentliche Revision vorzulegen; die Rechtssache falle unter Streitigkeiten aus Bestandverträgen im Sinn des § 49 Abs 2 Z 5 JN, weshalb das Berufungsurteil bei Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision immer (nur) mit außerordentlicher Revision bekämpft werden könne.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gilt diese Gesetzesstelle unter anderem nicht „für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Vertrags entschieden wird“. § 49 Abs 2 Z 5 JN erfasst „alle Streitigkeiten aus Bestandverträgen über die im § 560 ZPO bezeichneten Sachen und mit ihnen in Bestand genommene bewegliche Sachen sowie aus genossenschaftlichen Nutzungsverträgen (§ 1 Abs 1 MRG) und aus dem im § 1103 ABGB bezeichneten Vertrag über solche Sachen einschließlich der Streitigkeiten über die Eingehung, das Bestehen und die Auflösung solcher Verträge, die Nachwirkungen hieraus und wegen Zurückhaltung der vom Mieter oder Pächter eingebrachten oder der sonstigen dem Verpächter zur Sicherstellung des Pachtzinses haftenden Fahrnisse, schließlich Streitigkeiten zwischen wem immer über verbotene Ablösen (§ 27 MRG)“.

Zweck der Sonderregelung über die Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 5 Z 2 (des Revisionsrekurses nach § 528 Abs 2 Z 1 ZPO) ist, die in den in Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 5 JN gefällten Entscheidungen in Fällen, in denen der Verlust des Bestandobjekts droht, unabhängig von Bewertungsfragen revisibel zu machen. Zur Lösung von Abgrenzungsfragen ist darauf abzustellen, ob ein Anspruch mit der Frage der Auflösung des Bestandvertrags so eng zusammenhängt, dass ein getrenntes Schicksal in der Anfechtbarkeit unbefriedigend wäre (RIS-Justiz RS0120190 [T1]). Die Ausnahme von der Beschränkung der Revisionszulässigkeit durch die Wertgrenze ist im Räumungsstreit nur dann anwendbar, wenn über das Bestandsverhältnis selbst und seine wirksame Beendigung (und sei es auch bloß als Vorfrage, wie zum Beispiel in den Fällen des § 1118 ABGB) zu entscheiden ist; aber nicht etwa, wenn Vertragsbeendigung und Räumungspflicht als solche unstrittig sind und bloß über die Vollständigkeit der Erfüllung der Räumungspflicht Streit herrscht (RIS-Justiz RS0043261). Für die Frage, ob der in § 502 Abs 5 Z 2 ZPO angeführte Ausnahmefall einer streitwertunabhängigen Revisionszulässigkeit vorliegt, ist grundsätzlich von den Behauptungen des Klägers auszugehen (RIS-Justiz RS0043003; RS0046236; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 191).

2. Die Klägerin behauptet die (von der Beklagten ohnehin zugestandene) Beendigung des Bestandverhältnisses durch Kündigung seitens des Rechtsvorgängers der Beklagten als Bestandnehmer zum 31. 7. 2005; dieser sei jedoch seiner Verpflichtung zur Räumung des Bestandobjekts, und zwar hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Entfernung eines Superädifikats (Lagerhalle in Holzbauweise), nicht nachgekommen (eine solche Verpflichtung wird von der Beklagten bestritten). Daher habe die Klägerin Anspruch auf vollständige Räumung und - mangels Räumung - auf Zahlung von Pachtzins und (nach Auflösung des Bestandvertrags) Benützungsentgelt von insgesamt 8.834,16 EUR.

Der vorliegende Rechtsstreit dient somit nicht der Durchsetzung eines Räumungsbegehrens unter Berufung auf die (strittige) Beendigung eines Schuldverhältnisses nach § 49 Abs 2 Z 5 JN, sondern vielmehr allein der Klärung der Frage, ob der Rechtsvorgänger der Beklagten seiner Räumungsverpflichtung rechtzeitig vollständig nachgekommen ist. Daher steht hier keine nach § 502 Abs 5 ZPO privilegierte Bestandstreitigkeit zur Entscheidung an.

3. Somit ist aber das Räumungsbegehren gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vom Berufungsgericht zu bewerten, weil das Leistungsbegehren zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Die Bewertung wird daher nachzuholen sein (RIS-Justiz RS0041371; RS0042489; RS0042437).

Der Umstand, dass das Berufungsgericht das ihm zunächst vom Erstgericht vorgelegte Rechtsmittel gegen sein Urteil an das Erstgericht mit dem Auftrag zurückstellte, das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof direkt als außerordentliche Revision vorzulegen, steht dem nicht entgegen. Es besteht nämlich für den Obersten Gerichtshof keine Bindung, wenn das Berufungsgericht durch die gesetzwidrige Verweigerung eines Bewertungsausspruchs in die zwingende Regelung der Revisionszulässigkeit eingreift. Insoweit ist dem Berufungsgericht jegliche Einflussnahme auf die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung funktionell versagt, sodass ihm die Nachholung eines zunächst abgelehnten, für die Prüfung der Revisionszulässigkeit jedoch unumgänglichen Bewertungsausspruchs aufgetragen werden kann (RIS-Justiz RS0042310).

4. Erst nach einer solchen Bewertung wird sich beurteilen lassen, ob die Zulassungsbeschwerde samt Revision der Beklagten als außerordentliche Revision gegen das in zweiter Instanz bestätigte erstgerichtliche Räumungsurteil in die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs fällt. Daher ist dem Berufungsgericht die Nachholung des unterbliebenen Bewertungsausspruchs aufzutragen.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Streitiges Wohnrecht

Textnummer

E94547

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0070OB00047.10B.0630.000

Im RIS seit

20.08.2010

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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