TE OGH 2010/7/22 8Ob43/10x

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Veröffentlicht am 22.07.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Divitschek Sieder Sauer Rechtsanwälte GmbH in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei Dr. M***** F*****, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 30.261,04 EUR und Feststellung (Streitwert 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2010, GZ 5 R 153/09y-112, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Juli 2009, GZ 15 Cg 150/06s-106, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.961,64 EUR (darin 326,94 EUR an 20 % USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin unterzog sich am 9. Jänner 2003 einer vom Beklagten durchgeführten arthroskopischen Kniegelenksoperation. Der Beklagte hatte ihr mitgeteilt, dass eine Linderung ihrer Beschwerden nur dann eintreten werde, wenn der diagnostizierte Meniskusschaden tatsächlich dafür ursächlich sei. Er gab für die Operation keine „Erfolgsgarantie“ ab.

Die Klägerin lehnte die ihr genannten medizinischen Alternativen zur durchgeführten Operation, nämlich konservative Behandlung oder sofortige Implantation eines künstlichen Kniegelenks, ausdrücklich ab. Der Beklagte informierte sie im Vorhinein nicht darüber, dass er bei der Operation einen Laser verwenden werde und nicht nur eine Sanierung des Meniskus, sondern auch eine Knorpelglättung vornehmen müsse. Die Ursächlichkeit des Knorpelschadens für die Beschwerden der Klägerin war für den Beklagten erst während der Operation erkennbar. Hätte der Beklagte der Klägerin aber diese Informationen erteilt, hätte sie auch der Laserverwendung und der Knorpelglättung zugestimmt.

Die Operation wurde lege artis durchgeführt, es blieb ihr jedoch ein Erfolg versagt. Für diese Entwicklung waren die Verwendung des Lasers und die damit durchgeführte Knorpelglättung nicht ursächlich. Wegen verstärkter Beschwerden im operierten Kniegelenk musste der Klägerin am 19. Mai 2003 ein Kunstgelenk implantiert werden.

Die Klägerin begehrte, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung der Aufklärungspflicht und einer nicht lege artis erfolgten Operation, Schmerzengeld sowie den Ersatz von Behandlungs- und Unterbringungskosten und die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden.

Der Beklagte wandte ein, er habe die Klägerin ausreichend über den geplanten Eingriff, dessen Erfolgsaussichten, Risken und mögliche Alternativen aufgeklärt und lege artis operiert. Die Verschlimmerung der Erkrankung der Klägerin stelle einen schicksalhaften Verlauf dar.

Das Erstgericht wies die Klage (zuletzt im dritten Rechtsgang) ab. Das bei der Klägerin verwirklichte Risiko einer mangelnden Rückbildung der postoperativen Flüssigkeitsansammlung im Knie sei eine sehr seltene Komplikation und kein typisches Operationsrisiko gewesen, über das die Klägerin gesondert aufgeklärt werden hätte müssen. Darüber hinaus stehe fest, dass die Klägerin auch bei vollständiger Aufklärung sowohl der durchgeführten Operation und ihrer Erweiterung als auch dem Einsatz von Lasertechnik zugestimmt hätte.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil in der Begründung seiner Entscheidung „ein Abweichen von den in 10 Ob 50/07m dargelegten Grundsätzen über die Kriterien zum notwendigen Abbruch einer Operation erblickt werden“ könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem für den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht kann jeweils nur für den Einzelfall ermittelt werden (RIS-Justiz RS0026529 [T3, T18, T20, T21]; RS0026763 [T1, T2], RS0026328 [T3]; 8 Ob 113/09i). Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung ohnehin von der ständigen Rechtsprechung ausgegangen, wonach über typische mit einer Operation verbundene Gefahren aufzuklären ist, auch wenn diese zwar nicht häufig, aber speziell mit dem geplanten Eingriff verbunden sind und soweit diese Risken erheblich und geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0026340; RS0026581; RS0026313; RS0026375). Ob die mangelnde Rückbildung eines Kniegelenksödems eine typische Gefahr der bei der Klägerin durchgeführten Operation ist, gehört zur Ebene der im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Tatsachenfeststellungen.

Die Revisionsausführungen zum Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes im Fall einer Erweiterung des ursprünglichen Operationsplans übergehen vor allem die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbare Feststellung, dass die Klägerin der hier durchgeführten Erweiterung (Knorpelglättung) jedenfalls zugestimmt hätte.

In diesem Fall stellt sich aber (anders als in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 50/07m) gar nicht mehr die Frage, ob der Beklagte die Operation nicht auch auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung der Klägerin fortsetzen durfte (Ehlers in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht3 Rz 898). Selbst wenn im vorliegenden Verfahren eine Verpflichtung des Beklagten zum Abbruch der Operation und Einholung einer neuerlichen Einwilligung der Klägerin zu bejahen wäre, hätte sich - weil die Klägerin auch im Falle entsprechender Aufklärung der Operation zugestimmt hätte - letztlich am Umfang des Eingriffs nichts geändert (vgl Karner in KBB³ § 1299 Rz 6 mwN).

Die von der Revisionswerberin als „überschießend“ bezeichneten Feststellungen zur hypothetischen Einwilligung der Klägerin halten sich im Rahmen der vom Beklagten erhobenen Einwendungen (vgl RIS-Justiz RS0040318), der sich schon in seinem vorbereitenden Schriftsatz auf eine unter Abwägung aller Vor- und Nachteile zulässige Operationserweiterung, damit aber letztlich auch auf eine hypothetische Zustimmung der Klägerin, berufen hatte (AS 34).

Die Revisionsausführungen setzen sich zudem in unzulässiger Weise über die für den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung hinweg, dass die Verwendung des Lasers und die damit durchgeführte Knorpelglättung für die bei der Klägerin eingetretene Verschlimmerung nicht ursächlich waren. Für gesundheitliche Folgen, die auch ohne die gegenständliche Operation eingetreten wären, haftet der Beklagte aber nicht.

Insgesamt zeigt die Revision daher weder eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO noch irgend eine unvertretbare Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht auf.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO; der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E94620

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0080OB00043.10X.0722.000

Im RIS seit

03.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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