TE OGH 2010/8/4 3Ob87/10f

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Hans Günther Medwed, Mag. Michael Medwed und Mag. Johann Sparowitz, Rechtsanwälte in Graz, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. September 2009, GZ 3 R 66/09m-34, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 5. Februar 2009, GZ 409 C 8/08g-27, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 737,48 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren (darin enthalten 92,08 EUR USt, 185 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei richtete 1954 ein Ansuchen an die Generaldirektion der ÖBB, ihr einen geeigneten Raum im Gebäude des neuen Hauptbahnhofs in G***** zur Errichtung eines Kinos miet- oder pachtweise zu überlassen. Sie hatte dabei die Absicht, die Bahngrundfläche für ausschließliche Zwecke der Kinogesellschaft zu mieten oder zu pachten und ein Kinogebäude zu errichten. Der damalige Generaldirektor der ÖBB begrüßte diese Bestrebungen. Er ging von der Erwägung aus, dass dem reisenden Publikum ein Dienst erwiesen würde. Den auf einen Anschluss wartenden Reisenden sollte, wie es auf vielen Bahnhöfen des Auslands der Fall ist, eine angenehme Wartemöglichkeit geschaffen werden.

Die Baubewilligung wurde antragsgemäß am 22. Juni 1956 erteilt. Die eisenbahnbehördliche Genehmigung zur Errichtung der Kinoanlage erging am 21. Februar 1956.

Die Rechtsvorgänger der Streitteile schlossen am 16. Juni/21. Juli 1956 ein Grundbenützungsübereinkommen. In Punkt II dieses Grundbenützungsübereinkommens wurde der Kinogesellschaft das Recht eingeräumt, die für die Durchführung des in Punkt I genannten Bauvorhabens erforderlichen Teilflächen des Eisenbahngrundstücks in Anspruch zu nehmen. Als Bauvorhaben ist die Errichtung eines „Non-Stop-Kinos“ am Hauptbahnhof genannt. Das Recht zur Inanspruchnahme der entsprechenden Bahngrundflächen wurde gemäß Punkt III dieses Übereinkommens der Kinogesellschaft oder deren Rechtsnachfolger auf unbestimmte Zeit eingeräumt.

Mit Schreiben vom 28. Juni 1956 bestätigte die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei einen Kündigungsverzicht und den Umstand, dass das Jahresentgelt gemäß Punkt VII des Grundbenützungsübereinkommens auch das Entgelt für die Ausübung einer Buffetkonzession innerhalb der Räumlichkeiten des Kinobetriebs enthalte. Im Grundbenützungsübereinkommen stimmte die Bestandgeberin der Errichtung eines Superädifikats zu.

Nach Ablauf von 50 Jahren ging das Superädifikat aufgrund des Übergabsvertrags vom 2. Oktober/8. November 2006 in Verbindung mit einer Ergänzungsvereinbarung vom 18. April/31. Mai 2007 ohne Zubehör entschädigungslos in das Eigentum der klagenden Partei über. Ein (neuer) schriftlicher Bestandvertrag wurde nicht errichtet.

Im Bestandobjekt wurde von Beginn an das stadtbekannte „Non-Stop-Kino“ geführt.

Im Foyer waren zeitweise Spielautomaten aufgestellt. Es wurde ein Cafe betrieben. Seit dem Jahr 2000 befindet sich im Kinosaal selbst eine Theke für Getränke.

Der Kinobetrieb liegt im Erdgeschoss des Bahnhofsgebäudes. Er umfasst 300 Stehplätze und 184 Sitzplätze. Das Foyer ist ca 200 m² groß. Dort können sich etwa 150 Personen teils stehend, teils sitzend aufhalten.

Jedenfalls ab dem Jahr 1966 war die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei bestrebt, die überlassenen Baulichkeiten auch für andere gewerbliche Tätigkeiten zu nutzen. Die gewünschten Nutzungsänderungen wurden von der Vermieterin jedoch abgelehnt. Es handelte sich dabei um das Aufstellen von Glücksspielautomaten, die Nutzung für einen Supermarkt sowie einen weiteren gewünschten Branchenwechsel im Jahr 1999. Die klagende Partei wies darauf hin, dass der Vertragszweck klar und eindeutig definiert sei und eine Änderung des Verwendungszwecks nur mit Zustimmung der Vermieterin bei gleichzeitiger Änderung des Vertrags möglich wäre. Die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei hielt hingegen im Jahr 1966 in einem Schreiben fest, dass sie eine Vertragsauslegung, wonach der Nutzer eines Betriebs bzw der Mieter auf 50 Jahre hinaus an eine bestimmte Nutzung gebunden wäre, für sittenwidrig und wirtschaftsfeindlich halte. Sie trat der Rechtsauffassung der klagenden Partei, auf den Kinobetrieb beschränkt zu sein, mehrfach entgegen, hielt sich jedoch an die Vorgaben des Vertragspartners.

Neben dem Kinobetrieb fanden im Bestandobjekt etwa seit 2000 fallweise auch „Musikveranstaltungen“ statt. Bis zum Jahr 2003 wurden insgesamt etwa 10 derartige Veranstaltungen abgehalten. Dabei handelte es sich zunächst um teils experimentelle Filme mit Musikbegleitung durch einen DJ; Live-Musik wurde im Kino zum damaligen Zeitpunkt nicht gespielt. Bis 2003 traten keine Beschwerden auf. Die beklagte Partei war aufgrund anhängiger Rechtsstreitigkeiten auch bemüht, Probleme mit dem Vertragspartner zu vermeiden.

Jedenfalls seit 2003 oder 2004 werden im Kino auch Live-Musik Darbietungen unter gleichzeitiger Vorführung eines Films veranstaltet. Bei einer dieser Veranstaltungen waren bis zu 150 Personen anwesend. Ab diesem Zeitpunkt kam es auch zu vereinzelten Anzeigen: So wurde im Jahr 2003 eine Anzeige erstattet, weil im Kino ein discoartiger Betrieb herrsche. Eine Anzeige aus 2004 bezog sich darauf, dass ein Musik-Event und keine Filmvorführung abgehalten wurde. Im Jänner 2007 wurde bei einer Nachschau der Veranstaltungspolizei festgestellt, dass im Kino ein Film lief, vor dem Ausgang des Kinos jedoch Musik gespielt wurde. Diese Veranstaltung war von sehr vielen Personen frequentiert.

Seit dem Jahr 2005 hat die Zahl der Veranstaltungen weiter zugenommen. Spätestens seit dem Frühjahr 2007 finden in wöchentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus Veranstaltungen außerhalb des Kinobetriebs statt. Diese Veranstaltungen werden zum Teil von nur 30, je nach Veranstaltung aber auch von rund 200 oder mehr Personen besucht. Die Veranstaltungen werden auf der eigenen Homepage des Kinos, dessen Schaukästen oder in Zeitungen angekündigt. Es handelt sich bei den Veranstaltungen jedenfalls um Musik- oder Tanzveranstaltungen, bei welchen zumindest zum überwiegenden Teil die Kinoleinwand des Kinos zur gleichzeitigen Vorführung eines Films genützt wird.

Für den Betrieb des Kinos holte die beklagte Partei eine Genehmigung nach dem maßgeblichen Lichtspielgesetz ein. Ob die Musikveranstaltungen noch in den Anwendungsbereich des Lichtspielgesetzes fallen oder genehmigungspflichtige Veranstaltungen darstellen, wird von den zuständigen Referenten des Landes unterschiedlich beurteilt. Vom Referat für Veranstaltungswesen der zuständigen Bundespolizeidirektion wurden ua die Veranstaltung vom 13. Dezember 2003, vom 30. Mai 2005 und weitere, angekündigte Veranstaltungen mangels Vorliegens einer Betriebsanlagengenehmigung untersagt.

Aufgrund der Veranstaltungen kommt es etwa seit 2006 zu Lärmbelästigungen dadurch, dass sich während der Dauer der Veranstaltungen - nicht aber bei bloßem Kinobetrieb - im Zeitraum zwischen 22:00 Uhr bis etwa 4:00 Uhr früh, allenfalls bis 6:00 Uhr morgens, betrunkene Personen vor dem Kino und auch vor dem in der Nähe situierten Hotel aufhalten. Leute stehen in Gruppen vor dem Eingang. Die Gäste der Veranstaltungen schreien ab und zu. Die Musik ist jedenfalls außerhalb des Kinos auf dem Bahnhofsgelände zu hören. Im Hotel hört man die Bässe der Musikveranstaltungen auch bei geschlossenen Türen. Das Hotelunternehmen beschwerte sich seit Mai 2007 etwa fünf Mal. Bereits früher wurde der damalige Standortleiter der klagenden Partei zumindest ein Mal auf die Lärmbelästigung angesprochen. Am 14. Juni 2008 wurde eine Anzeige erstattet, weil störender Lärm etwa 100 m weg vom Kino vernommen wurde. Beschwerden wegen des Lärms stellen nun ein massives Problem dar.

Häufig kommen betrunkene Besucher der Musikveranstaltungen morgens in das Bahnhofsgebäude und schlafen dort ihren Rausch aus, wodurch Reisende belästigt werden. Im Juni 2007 stellten Sicherheitsmitarbeiter der klagenden Partei fest, dass die bahnsteigseitigen Türen des Kinos geöffnet waren. Von einer Veranstaltung der beklagten Partei kommende, betrunkene Personen hielten sich im Gleisbereich auf. Auch nach Klageeinbringung kam es mindestens drei Mal dazu, dass jugendliche Gäste der beklagten Partei auf den Bahnsteigen und in Zügen feierten. Mindestens ein Mal mussten sie von den Gleisen entfernt werden. Betrunkene Besucher einer Musikveranstaltung verschmutzten am 12. April 2008 den Gehsteig und die Einfahrt zur Autoverladestelle. An diesem Abend wurden auch Obdachlose und betrunkene „Punks“ vom Vorplatz des Bahnhofs verwiesen. Diese hatten einen Aschenbecherbrand am Bahnsteig verursacht.

Finden Musikveranstaltungen statt, so kommt es auch zu erheblichen Verschmutzungen: Auf dem Bahnhofsvorplatz in unmittelbarer Nähe des Hotels werden Flaschen und Unrat verstreut. Die Besucher stellen Flaschen auf die Autos der Gäste. Auch das Bahnhofsgelände wird mehr verschmutzt als sonst. Besucher der Veranstaltungen der beklagten Partei ließen Getränkedosen, Bierflaschen, Scherben und Plastikbecher zurück. Auch verursachten sie in den Bahnhofsgebäuden und Stiegenhäusern Verunreinigungen, etwa durch Konfetti und rosafarbene Haarteile. Stiegen wurden durch Spirituosen verklebt. Auch während des laufenden Verfahrens kam es im Zuge von Veranstaltungen zu Verunreinigungen im Bahnhofsbereich.

Im zeitlichen Zusammenhang mit den im Kino durchgeführten Veranstaltungen kommt es fallweise zur Ablagerung von Müllsäcken im Stiegenhaus, das zum Kino und zu den anderen Bestandobjekten führt. Ob das betreffende Stiegenhaus zum Bestandobjekt gehört, ist nicht feststellbar. Von den Müllablagerungen geht eine Geruchsbelästigung aus, die Gegenstand mündlicher und schriftlicher Beschwerden eines oberhalb des Bestandobjekts der beklagten Partei situierten Zahnambulatoriums war, das sich auch über die Verunreinigungen im Stiegenhaus beschwerte.

Im Jahr 2006 beabsichtigte die beklagte Partei einen Umbau im Bestandobjekt durchzuführen, der auch den Einbau einer Lüftung umfassen sollte. Die klagende Partei erteilte jedoch keine Zustimmung.

Ursprünglich erfolgte die Müllentsorgung der beklagten Partei über Müllkübel. Bis 2004 wurde kein Müll im Stiegenhaus gelagert. Vor dem Bahnhofsumbau im Jahr 2004 gab es keinen Müllraum im Bahnhofsgebäude. 2006 führte die Geschäftsführerin der beklagten Partei mit einem Mitarbeiter der klagenden Partei ein Gespräch über einen Zugang zum Müllraum im Bahnhofsgelände. Der Mitarbeiter der klagenden Partei versprach, die Möglichkeiten zu überprüfen. Eine positive Rückmeldung wurde nicht erstattet. Auch von einer weiteren Mitarbeiterin der klagenden Partei erhielt die Geschäftsführerin der beklagten Partei letztlich keinen Schlüssel zum Müllraum. Im Rahmen des Bestandvertrags ist keine Verrechnung von Müllentsorgungskosten an die beklagte Partei vorgesehen.

Im Bahnhofsgelände halten sich tagsüber Betrunkene und Obdachlose auf, die grundsätzlich von dort verwiesen werden. Vereinzelt bleiben jedoch Obdachlose im Bahnhofsgelände und übernachten dann in Zügen. „Sandler“ halten sich auch im vor dem Bahnhofsgelände und vor dem Hotel gelegenen Park auf. Sie kommen in der Regel nicht in die Nähe des Hotels. Betrunkene Besucher der Musikveranstaltungen halten sich jedoch auch vor dem Hotel auf. Finden Veranstaltungen der beklagten Partei statt, halten sich wesentlich mehr Personen um das Bahnhofsgelände auf als sonst im Zeitraum zwischen 21:00/22:00 Uhr bis etwa 4:00 Uhr früh. Zwischen 24:00 Uhr und 4:00 Uhr ist das Bahnhofsgelände gesperrt. Der einzige Zugang zu den Bahnsteigen erfolgt über eine Tür aus dem Kino. Sportliche Personen könnten das Sperrgitter überwinden. Es wurde jedoch nie jemand beobachtet, der das Gitter übersteigen wollte.

Die Gebäudeverwaltung am Standort obliegt einer Betriebsgesellschaft, die örtlich in V***** angesiedelt ist. Vor Ort wurde die praktische und technische Hausverwaltung, nicht aber die rechtliche Vertragsabwicklung, nacheinander seit 2000 von drei verschiedenen „Bahnhofsmanagern“ ausgeübt. Dem zu diesem Zeitpunkt als Bahnhofsmanager tätigen Mitarbeiter wurde etwa 2003 bis 2004 bekannt, dass über den Kinobetrieb hinausgehende Veranstaltungen bei der beklagten Partei stattfanden. Dieser Mitarbeiter besuchte auch im Jahr 2004 oder 2005 mindestens eine dieser Veranstaltungen. Er sah keine Veranlassung, andere Stellen der klagenden Partei von diesen Veranstaltungen zu informieren. Die beklagte Partei übermittelte Einladungen zu ihren Veranstaltungen auch an Bedienstete der klagenden Partei, die diesen Einladungen fallweise Folge leisteten. Im Jahr 2006 wurde auch der neue Bahnhofsmanager von der beklagten Partei eingeladen. Er besuchte die Veranstaltung jedoch nicht. Dieser Bahnhofsmanager informierte per E-Mail im Jahr 2006 seine Vorgesetzten von einer Veranstaltung im Non-Stop-Kino. Er informierte seine Vorgesetzten ferner im April 2007 über eine Beschwerde wegen Geruchsbelästigungen. Der Umstand, dass im Non-Stop-Kino auch Veranstaltungen außerhalb des Kinobetriebs stattfinden, ist bei der klagenden Partei seit dem Jahr 2006 erfasst. Über persönliche Kontakte der beklagten Partei zu den Bahnhofsmanagern hatten Mitarbeiter der klagenden Partei jedoch Kenntnis von Musikveranstaltungen. Die klagende Partei erteilte der beklagten Partei zu keinem Zeitpunkt eine explizite Erlaubnis für diese Veranstaltungen.

Erstmals mit Mahnschreiben vom 21. Mai 2007 forderte die klagende Partei die beklagte Partei auf, die Veranstaltungen zu unterlassen.

Die klagende Partei begehrt mit der am 18. Juli 2007 eingebrachten Klage die Räumung des von der beklagten Partei gemieteten Objekts. Der Aufhebungstatbestand des § 1118 erster Fall ABGB liege vor. Die Verwendung des Objekts zur Abhaltung von Rock-Konzerten widerspreche dem vertraglichen Verwendungszweck. Dadurch seien Interessen der klagenden Partei beeinträchtigt. Die Veranstaltung von Rock-Konzerten sei mit einer starken Lärmentwicklung verbunden, die das übliche und unvermeidliche Ausmaß überstiegen. Diese Lärmbelästigungen seien mit üblichen Beeinträchtigungen, mit welchen die Vermieterin auf einem Bahnhofsgelände zu rechnen habe, nicht vergleichbar. Es komme auch zu einer unangenehmen Geruchsbelästigung durch Anhäufung von Müll im Keller. Dadurch sei Brand- und Ungeziefergefahr gegeben. Die klagende Partei habe eine Verwendung des Objekts nur zum Betrieb eines Kinos gestattet. Sie habe in der Vergangenheit mehrfach klargestellt, dass sie keine Zustimmung zu einer Widmungsänderung erteilen werde. Der klagenden Partei sei zwar seit dem Jahr 2000 bekannt, dass die beklagte Partei das Bestandobjekt an manchen Tagen auch für Clubbings verwendet habe. Dabei habe es sich jedoch nur um gelegentliche Veranstaltungen neben dem Kinobetrieb gehandelt. Die Lärmbelästigungen und Beschwerden hätten im Laufe der letzten vier  Jahre sukzessive zugenommen und nunmehr ein unerträgliches und im Hinblick auf die Sicherheit von Personen auch gefährliches Ausmaß angenommen. So habe es Beschwerden durch das schräg gegenüber dem Kino situierte Hotel gegeben. Die über Jahre vorgenommene und in letzter Zeit massiv intensivierte Veranstaltung von Clubbings stelle einen Dauertatbestand dar, bei welchem die Annahme eines Verzichts auf ein Auflösungsrecht selbst dann nicht gerechtfertigt sei, wenn der Bestandgeber den Auflösungsgrund nicht ohne Verzug geltend mache.

Die beklagte Partei wendet ein, dass zwar das Bestandobjekt praktisch überwiegend als Kino genutzt worden sei, dass aber von einem ausschließlich vereinbarten Verwendungszweck „Kinobetrieb“ keine Rede sein könne. Die beklagte Partei habe vielmehr viele Jahr hindurch mit Wissen und Willen der klagenden Partei einen Spielclub, einen Videoverleih und einen Zeitschriftenvertrieb im Bestandobjekt betrieben. Sie veranstalte auch keine Rock-Konzerte, sondern Filmvorführungen mit begleitender Musik. Solche Veranstaltungen seien bereits seit dem Jahr 2000 abgehalten worden. Die klagende Partei habe die Nutzungsart zumindest stillschweigend geduldet. Die beklagte Partei halte ihre Veranstaltungen unter strikten Sicherheitsbedingungen ab. Unzumutbare Lärm- oder sonstige Belästigungen für die klagende Partei seien mit den Veranstaltungen nicht verbunden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Bahnhofsgelände zu den Problemzonen der Stadt gehöre. Die beklagte Partei habe sich in der Vergangenheit gegen jede Veränderung der Nutzungsart geradezu reflexartig ausgesprochen. Die Veranstaltungen liefen legal im Sinne des Lichtspielgesetzes ab. Selbst wenn das nicht der Fall sei, sei dieser Umstand der klagenden Partei seit vielen Jahren bekannt. Auch Mitarbeiter der klagenden Partei hätten als geladene Gäste an Veranstaltungen teilgenommen. Jedenfalls sei der klagenden Partei die tatsächliche Nutzungsart seit Jahrzehnten bekannt, weshalb sie aus dieser Nutzung keinen Auflösungstatbestand ableiten könne.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erachtete den Auflösungstatbestand des § 1118 erster Fall ABGB als erfüllt. Zwischen den Streitteilen bestehe unstrittig seit dem Übergabs- bzw Ergänzungsvertrag ein Mietverhältnis. Es sei eine Nutzung des Objekts zum Zwecke eines Kinobetriebs vereinbart worden. Dabei sei es der Rechtsvorgängerin der klagenden Partei um die Schaffung einer infrastrukturellen Maßnahme für den Personenreiseverkehr gegangen. Eine Änderung des Vertragszwecks sei nicht vereinbart worden. Die Rechtsvorgängerin der klagenden Partei habe niemals ihre Zustimmung zu einer solchen Änderung erteilt. Mit der Durchführung von Musikveranstaltungen habe sich die beklagte Partei von der vereinbarten Nutzung entfernt. Solche Veranstaltungen könnten, selbst wenn dabei Filme vorgeführt würden, vom typischen Sprachgebrauch her nicht als „Kinobetrieb“ bezeichnet werden. Sie unterschieden sich von letzterem insbesondere durch die Lärmintensität in den Nachtstunden, das Verabreichen von alkoholischen Getränken in erheblichem Ausmaß und durch die damit verbundenen Folgen, nämlich Ruhestörungen und Verunreinigungen im Nahebereich des Lokals. Durch diese Nutzung seien auch wesentliche Interessen der klagenden Partei beeinträchtigt. Es komme zu Lärmbelästigungen der Gäste des Hotels und offenbar weiterer Anrainer. Auch wenn es sich bei dem Bahnhofsviertel um eine lebhafte Gegend handle, müsse nicht mit störendem Lärm im festgestellten Ausmaß in den Nachtstunden zwischen 24:00 Uhr und 4:00 Uhr früh gerechnet werden. In dieser Zeit finde kein Bahnbetrieb statt. Auch eine Beeinträchtigung durch betrunkene Besucher liege vor. Es bestehe ein legitimes wirtschaftliches Interesse der klagenden Partei, im Interesse des reibungslosen Bahnbetriebs, zufriedener Kunden und friktionsfreier Bestandverhältnisse ein weiteres Absinken des Standorts zur Problemzone zu verhindern. Angesichts der vorgenommenen Gesamtbewertung könne es dahinstehen, ob die beklagte Partei auch Rechtsvorschriften übertreten habe. Zwar sei ein wichtiger Auflösungsgrund grundsätzlich unverzüglich geltend zu machen. Bei Erfüllen eines Dauertatbestands könne jedoch die Auflösung solange geltend gemacht werden, als die Auflösungsgründe bestünden, es sei denn, aus dem Verhalten des Betroffenen könne ein Verzicht auf die Geltendmachung des Auflösungsgrundes abgeleitet werden. Zwar sei den unmittelbar Beteiligten schon seit längerer Zeit bekannt gewesen, dass Kinovorführungen mit Musikbegleitung stattfänden. Jedoch hätten die damit einhergehenden Beeinträchtigungen erst in letzter Zeit ein Ausmaß mit der Folge angenommen, dass sich die Beschwerden der Anrainer und Mieter gehäuft hätten. Ein Verzicht der klagenden Partei auf den Auflösungsgrund des nachteiligen Gebrauchs sei daher nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Räumungsbegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und ging rechtlich davon aus, dass sich die klagende Partei die Kenntnis ihres Verwalters von der Verwendungsart zurechnen lassen müsse. Der damals zuständige „Bahnhofsmanager“ habe von den Veranstaltungen ab dem Jahr 2003 Kenntnis gehabt. In der Nichtgeltendmachung des Auflösungsgrundes des vertragswidrigen Verhaltens bis zur Einbringung der Räumungsklage sei ein Verzicht zu erblicken. Die beklagte Partei habe gewusst, dass die klagende Partei die „etwas geänderte Nutzung“ kenne. Sie habe daher das Zuwarten der klagenden Partei als Verzicht werten können. Selbst wenn man von einem vertragswidrigen Handeln ausginge, sei der Aufhebungstatbestand nicht verwirklicht. Dafür müssten wesentliche Interessen der Bestandgeberin beeinträchtigt sein. Eine solche Beeinträchtigung könne weder im verursachten Lärm noch im größeren Müllanfall erblickt werden. Bei der Bahnhofsumgebung handle es sich um ein eher lebhaftes Stadtviertel. Betrunkene hielten sich dort vermehrt auf. Eine wesentliche Verschlechterung des Bahnhofsmilieus sei aufgrund der Veranstaltungen nicht eingetreten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

In ihrer Revision macht die klagende Partei ua geltend, dass ihre Kenntnis von gelegentlichen Musikveranstaltungen nicht die Beurteilung rechtfertige, sie habe auch den in der Folge intensivierten und mit Belästigungen verbundenen Veranstaltungen zugestimmt bzw auf eine Auflösung des Bestandverhältnisses verzichtet.

Die beklagte Partei vertritt dazu in der Revisionsbeantwortung den Standpunkt, die klagende Partei habe durch ihre mehr als sieben Jahre währende Untätigkeit zum Ausdruck gebracht, gegen ein allfällig vertragswidriges Verhalten der beklagten Partei nicht (mehr) vorgehen zu wollen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig: Zwar kommt der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht vorliegt, grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0107199). Allerdings ist das Berufungsgericht hier von den vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätzen zur Beurteilung eines Kündigungs(-auflösungs-)verzichts bei Dauertatbeständen abgewichen. Die Revision ist auch berechtigt.

1. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Auf die in der Revision erhobene Tatsachenrüge der klagenden Partei ist nicht einzugehen: Gemäß § 468 Abs 2 ZPO ist die in erster Instanz obsiegende Partei gehalten, primäre Verfahrensmängel und ihr nachteiligen Feststellungen - sei es wegen unrichtiger Beweiswürdigung, sei es wegen Aktenwidrigkeit (E. Kodek in Rechberger, ZPO3 § 468 Rz 5 und § 473a RZ 2; Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 503 ZPO Rz 177) - in der Berufungsbeantwortung zu rügen, sofern sich der Berufungswerber ausdrücklich auf Feststellungen des Erstgerichts bezieht. Der Oberste Gerichtshof vertritt seit der Entscheidung 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass sich der Berufungswerber im Fall einer Rechtsrüge nach deren prozessualem Wesen auf alle Feststellungen bezieht, die ausdrücklich als solche im so bezeichneten Abschnitt des Ersturteils zusammengefasst wurden. Ausschließlich dann, wenn der Berufungswerber seine Rechtsrüge auf in anderen Urteilsabschnitten „verborgene“ Feststellungen stützen will, müsste er sich darauf ausdrücklich beziehen, um damit eine Rügepflicht des Berufungsgegners in der Berufungsbeantwortung nach § 468 Abs 2 Satz 2 iVm § 473a Abs 1 ZPO auszulösen (RIS-Justiz RS0112020; RS0119339).

3. Die Rechtsrüge der klagenden Partei ist berechtigt. Dabei ist von den erstgerichtlichen Feststellungen auszugehen: Die beklagte Partei wiederholt zwar in ihrer Revisionsbeantwortung die bereits in der Berufung erhobenen, dort äußerst polemisch formulierten Vorwürfe gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und beklagt, dass Berufungsgerichte „quasi in 79 von 80 Fällen“ keine Beweiswiederholung durchführen; sie erstattet diese Ausführungen allerdings in Erwiderung auf die in der Revision enthaltene Mängelrüge und rügt ihrerseits die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht nicht als mangelhaft. Der Oberste Gerichtshof ist daher an diese vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts gebunden.

3.1 Bei Errichtung eines Bauwerks aufgrund eines zeitlich beschränkten Grundbenützungsrechts liegt ein Superädifikat vor. Die Vereinbarung des Heimfalls des Gebäudes an den Grundeigentümer nach Ablauf des zeitlich beschränkten Grundnutzungsrechts (hier: nach 50 Jahren) ändert nichts daran, dass für den Erbauer nicht die Absicht besteht, das Gebäude für dessen wirtschaftlich zu erwartende Lebensdauer zu gebrauchen (RIS-Justiz RS0009934). Das dem konkreten Anlassfall zugrundeliegende Grundnutzungsverhältnis (entgeltliche Überlassung der für die Errichtung des Kinogebäudes erforderlichen Bahngrundfläche) ist - worauf die beklagte Partei in ihrer Berufung zutreffend verwies - als Mietvertrag zu qualifizieren. Der entschädigungslose Eigentumsübergang an die klagende Partei und die daran anschließende entgeltliche Weiterbenützung des Kinogebäudes durch die beklagte Partei ist daher als Fortsetzung des bereits seit 1956 bestehenden Mietverhältnisses, allerdings nun mit dem Gebäude als Bestandsache, zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass sich der ursprünglich vereinbarte Verwendungszweck durch die Eigentumsübertragung 2006 nach dem Parteiwillen ändern sollte, bestehen nicht.

3.2 Die beklagte Partei steht auf dem Standpunkt, mangels Nennung eines ausschließlichen Verwendungszwecks im Grundbenützungsübereinkommen liege eine „branchenfreie“ Vermietung vor. Allerdings ergibt - wie bereits das Erstgericht zutreffend erkannte - eine Auslegung der Vereinbarung, dass die in II des Grundbenützungsübereinkommens übernommene Verpflichtung, die erforderlichen Teilflächen für die Errichtung eines „Non-Stop-Kinos“ zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig auch den bedungenen Verwendungszweck definiert. Nur über die Errichtung eines Gebäudes für den Kinobetrieb wurde zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien verhandelt. Nur auf dieses Vorhaben bezog die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei ihre eisenbahnbehördlichen und baubehördlichen Ansuchen. Vor Abschluss des Grundbenützungsübereinkommens hatte die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei ihre Absicht mitgeteilt, Flächen zur Errichtung eines Kinogebäudes in Bestand zu nehmen. Diese Absicht wurde vom damaligen Generaldirektor der ÖBB aus infrastrukturellen Gründen gebilligt. Der bedungene Verwendungszweck war daher die Nutzung als Kinobetrieb.

3.3 Erheblich nachteiliger Gebrauch gemäß § 1118 erster Fall ABGB umfasst sowohl den Tatbestand des nachteiligen Gebrauchs iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG als auch jenen des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (RIS-Justiz RS0020956). Nachteiliger Gebrauch setzt neben einem erheblichen Nachteil für den Vermieter eine wiederholte längerwährende (RIS-Justiz RS0102020) vertragswidrige Benützung der Bestandsache durch den Bestandnehmer voraus. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung erheblich nachteiliger Gebrauch nicht nur dann gegeben, wenn die körperliche Substanz des Bestandgegenstands beschädigt wird, sondern auch dann, wenn sich der Bestandnehmer eines solchen Verhaltens oder Vorgehens schuldig macht, das geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers zu schädigen (RIS-Justiz RS0020940; 7 Ob 321/99b = SZ 73/29 mwN). Während bei widmungsgemäßer Benutzung des Bestandobjekts der Auflösungsgrund nach § 1118 erster Fall ABGB (entsprechend dem Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG) nur dann verwirklicht ist, wenn die mit dem Betrieb verbundenen Belästigungen das bei Unternehmen dieser Art übliche oder unvermeidbare Ausmaß übersteigen (7 Ob 613/80 = MietSlg 32.334 [Tanzschule]; 7 Ob 512/84 = MietSlg 36.394 [Konditorei]; 10 Ob 521/94 = MietSlg 47.344 [Gastwirtschaft]; weitere Beispiele bei Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht22, § 30 MRG Rz 19), berechtigt eine widmungswidrige Verwendung den Vermieter zur Auflösung wegen nachteiligen Gebrauchs (entsprechend dem Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG) bereits dann, wenn die mit der widmungswidrigen Verwendung zusammenhängenden Störungen zwar das übliche Ausmaß nicht übersteigen, die Nutzung aber eine erhebliche Interessenbeeinträchtigung des Vermieters bewirkt (5 Ob 501/92 = wobl 1992/113 [bordellähnlicher Betrieb statt Kaffeehaus]; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 30 MRG Rz 17 mwN). Falls hingegen der widumungswidrige Gebrauch nicht zugleich erheblich nachteilig ist, kann der Vermieter zwar die Unterlassung begehren, nicht aber den Bestandvertrag nach § 1118 erster Fall ABGB auflösen (3 Ob 248/75 = SZ 48/132; 5 Ob 501/92).

3.4 Eine nach objektiven Kriterien (5 Ob 501/92 mwN) anzustellende Gesamtbetrachtung führt zu einer Bejahung der Verletzung wichtiger Interessen der Vermieterin: Jedenfalls die spätestens seit dem Frühjahr 2007 in wöchentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus stattfindenden (Live-)Musik- und Tanzveranstaltungen sind auch unter Zugrundelegung der Tatsache, dass dabei im Regelfall überdies Filme vorgeführt werden, nicht mehr mit dem vereinbarten Verwendungszweck „Kinobetrieb“ in Einklang zu bringen. Durch die Musikdarbietungen entstehen - anders als bei einem üblichen Kinobetrieb - weitaus mehr Lärmbelästigungen. Diese resultieren nach den Feststellungen einerseits aus der Lautstärke der Musik selbst, die auch außerhalb des Kinos auf dem Bahnhofsgelände zu hören ist, andererseits daraus, dass Besucher der Veranstaltungen Lärm erzeugen. Wesentlich ist nicht nur die gesteigerte Intensität der Lärmerregung, sondern auch deren zeitliches Ausmaß und die Tatsache, dass sich das Verhalten der Gäste, die im Unterschied zu Kinobesuchern auch aktiv eingebunden sind („Tanzveranstaltungen“) grundlegend vom Verhalten des typischen Kinobesuchers unterscheidet. So halten sich nach den Feststellungen während der Dauer der Veranstaltungen im Zeitraum zwischen 22:00 - 4:00 Uhr morgens, allenfalls bis 6:00 Uhr morgens, betrunkene Personen vor dem Kino und auch vor dem Hotel auf. Die klagende Partei war mit mehrfachen Beschwerden wegen des Lärms konfrontiert. Die beklagte Partei kann ihr Verhalten auch nicht mit dem „üblichen Bahnhofsmilieu“ rechtfertigen. Dabei ist hervorzuheben, dass das Bahnhofsgelände zwischen 24:00 Uhr und 4:00 Uhr früh gesperrt ist und in diesem Zeitraum der Zugang zu den Bahnsteigen nur über eine Tür aus dem Kino möglich ist. Das Erstgericht stellte in diesem Zusammenhang ausdrücklich fest, dass die Belästigungen durch die Besucher der Veranstaltungen der beklagten Partei erheblich größer sind als die sonst üblichen Belästigungen durch Betrunkene und Obdachlose, die sich auf dem Bahnhofsgelände aufhalten. Während nach den Feststellungen nur vereinzelt Obdachlose in der Nacht im Bahnhofsgelände bleiben und in Zügen übernachten, halten sich betrunkene Besucher der Musikveranstaltungen vor dem Hotel auf; häufig kommen betrunkene Besucher ins Bahnhofsgebäude und schlafen dort ihren Rausch aus. Auch die festgestellten Verschmutzungen, insbesondere aber das auftretende Risiko durch betrunkene Gäste, die sich im Gleisbereich aufhalten, beeinträchtigen die Interessen der klagenden Partei maßgeblich. Dem Erstgericht ist darin beizupflichten, dass ein legitimes wirtschaftliches Interesse der klagenden Partei daran zu bejahen ist, im Interesse des reibungslosen Bahnbetriebs, zufriedener Kunden und friktionsfreier Bestandverhältnisse ein weiteres Absinken des Standorts zur Problemzone zu verhindern.

Aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhalt ergibt sich somit nicht nur, dass die Durchführung von Musikveranstaltungen durch die beklagte Partei erheblich vom maßgeblichen schon im Jahr 1956 vereinbarten Verwendungszweck der Betreibung eines „Non-Stop-Kinos“ abweicht, sondern auch, dass es ungeachtet der abweichenden Nutzungsart zu gravierenden Beeinträchtigungen der Anrainer (Lärm, Schmutz) und überdies zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko kam. Die in erster Instanz aufgestellte Behauptung, die beklagte Partei halte ihre Veranstaltungen unter strikten Sicherheitsbedingungen ab, hat sich nicht erwiesen. Der Auflösungstatbestand des § 1118 erster Fall ABGB ist daher, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, verwirklicht.

3.5 Aber auch der Einwand, die klagende Partei habe jahrelang von der geänderten Nutzungsart Kenntnis gehabt; sie habe daher auf die Geltendmachung des Auflösungsgrundes des § 1118 erster Fall ABGB verzichtet bzw stillschweigend ihre Zustimmung zu einer geänderten Nutzungsart erteilt, ist nicht stichhältig:

3.5.1 Klarzustellen ist zunächst, dass die beklagte Partei in ihrem erstinstanzlichen Vorbringen selbst zutreffend darauf verwies, dass die klagende Partei in der Vergangenheit ausdrücklich alle an sie herangetragenen Wünsche nach einer Nutzungsänderung ablehnte. Auch wenn man davon ausgeht, dass das Wissen der jeweiligen „Bahnhofmanager“ über die Nutzung des Objekts der klagenden Partei zuzurechnen ist, - welchen Umstand die klagende Partei in erster Instanz gar nicht in Abrede stellte, hat sie doch ausdrücklich zugestanden, dass ihr seit dem Jahr 2000 die Abhaltung gelegentlicher Musikveranstaltungen bekannt war - darf nicht übersehen werden, dass die beklagte Partei zwar nach den Feststellungen bereits seit 2000 auch „Musikveranstaltungen“ abhielt, dass jedoch bis zum Jahr 2003 lediglich etwa vier Mal jährlich Veranstaltungen ohne Live-Musik stattfanden und bis zu diesem Zeitpunkt auch keinerlei Beschwerden erhoben wurden. Erst danach kam es zu vereinzelten Anzeigen, wobei die gravierenderen Lärmbelästigungen erst seit etwa 2006 auftreten und die beklagte Partei Veranstaltungen (erst) seit dem Jahr 2005 weiter intensiviert hat und nunmehr in wöchentlichem bzw 14-tägigem Rhythmus Musikveranstaltungen abhält. Selbst wenn man daher aus der Kenntnis der „Bahnhofsmanager“ über diese Musikveranstaltungen eine (stillschweigende) Zustimmung der klagenden Partei zur Abhaltung von etwa vier Musikveranstaltungen jährlich ableiten wollte, kann eine solche stillschweigende Zustimmung jedenfalls nicht für die nun in wöchentlichem bzw in 14-tägigem Rhythmus stattfindenden Musikveranstaltungen, mit denen nach den Feststellungen eine weitaus stärkere Lärmbelästigung als in der Vergangenheit verbunden ist, angenommen werden. Dabei ist auf den allgemeinen Grundsatz hinzuweisen, dass bei Beurteilung der Frage, ob eine schlüssige Zustimmung iSd § 863 ABGB zu einer Änderung der ursprünglich bedungenen Verwendungsart vorliegt, ein strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0014312). Von der in der Revision behaupteten, über siebenjährigen widerspruchslosen Duldung der geänderten Nutzungsart kann jedenfalls in Ansehung der erst seit 2005 intensivierten und mit erheblichen Belästigungen einhergehenden Veranstaltungen, die mit Mahnschreiben aus März 2007 beanstandet wurden, keine Rede sein. Eine Änderung des Verwendungszwecks wurde daher auch nicht schlüssig vereinbart.

3.5.2 Es ist aber auch nicht davon auszugehen, dass die klagende Partei auf ihr Auflösungsrecht nach § 1118 erster Fall ABGB verzichtet hätte: Der Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen (RIS-Justiz RS0014427), kann uneingeschränkt nur auf zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossene Tatbestände, nicht aber auf Dauertatbestände angewendet werden, weil bei letzteren grundsätzlich nicht auf einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes geschlossen werden kann (stRsp; RIS-Justiz RS0067134). Das gilt insbesonders für den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG (6 Ob 129/04w; 4 Ob 1566/95 uva; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 30 MRG Rz 24), der dem Aufhebungsgrund des § 1118 erster Fall ABGB entspricht. Die Anwendung dieses Grundsatzes auch auf Vertragsaufhebungsgründe wurde vom Obersten Gerichtshof bereits bejaht (9 Ob 16/08f mwN).

Auch bei erheblich nachteiligem Gebrauch und unleidlichem Verhalten ist - wenngleich unter Anlegung des allgemein streng anzusetzenden Maßstabs - ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung eines bereits verwirklichten Kündigungs(-auflösungs-)grundes möglich. Davon zu unterscheiden ist jedoch, dass dieser Verzicht nicht für zukünftiges weiteres vertragswidriges Verhalten gilt. Das in der Revisionsbeantwortung selbst als „plastisch drastisch“ bezeichnete Beispiel des Mieters, der den Vermieter zunächst viermal jährlich und in der Folge acht Mal jährlich ohrfeigt, ohne dass der Vermieter Konsequenzen zieht, belegt die Richtigkeit dieses Grundsatzes eindrucksvoll: Selbstverständlich kann der Vermieter in diesem von der beklagten Partei gewählten Beispielsfall das Mietverhältnis auflösen, wenn der Mieter ihn nun im achten Jahr 25-30 Mal jährlich ohrfeigt. Die in der Revisionsbeantwortung offenbar vertretene Auffassung, die Duldung der Ohrfeigen in der Vergangenheit bewirke, dass der Vermieter sich auch in Zukunft und überdies weitaus häufiger ohrfeigen lassen müsse, ohne das Bestandverhältnis auflösen zu können, ist schlicht unhaltbar und mit den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht in Einklang zu bringen.

Daraus folgt, dass in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts das Ersturteil wiederherzustellen ist.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E94779

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0030OB00087.10F.0804.000

Im RIS seit

19.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

18.04.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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