TE OGH 2010/8/17 11Os44/10w

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Veröffentlicht am 17.08.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Manuela Z***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Jänner 2010, GZ 071 Hv 112/09y-18, sowie die Beschwerde der Angeklagten gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, der Angeklagten und ihres Verteidigers Dr. Kier,

1) zu Recht erkannt:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, dass die Freiheitsstrafe auf zwölf Monate herabgesetzt wird.

Der Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

2) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manuela Z***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB (A./) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat sie in Wien

A./ am 5. Mai 2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Michael S***** (§ 12 StGB) Verfügungsberechtigten einer Z***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Waren im Gesamtwert von 30 Euro mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem S***** die Waren in zwei Einkaufstaschen steckte und die Filiale mit diesen ohne Bezahlung durch die Eingangstüre, welche ihm Z***** geöffnet hatte, verließ, wobei Z***** bei ihrer Betretung auf frischer Tat dadurch, dass sie der Z*****-Mitarbeiterin Madalina A***** Faustschläge gegen den Kopf und das Gesicht sowie Fußtritte gegen das Brustbein versetzte, Gewalt gegen eine Person anwandte, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten;

B./ am 6. Juli 2009 eine fremde Sache beschädigt, indem sie gegen den Glaseinsatz der Türe in ***** trat, wodurch das Glas der Scheibe zersprang (Schaden: 123,22 Euro).

Rechtliche Beurteilung

Die Angeklagte Z***** bekämpft beide Schuldsprüche mit Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 5, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO.

Die Ableitung der subjektiven Tatseite zu B./ aus dem objektiven Verhalten und dem Geständnis der Beschwerdeführerin (US 9 letzter Absatz) entspricht - der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider - Logik und Empirie und stellt damit eine formal mängelfreie Begründung dar. Das Vorbringen, die Nichtigkeitswerberin habe den Beschädigungsvorsatz gar nicht eingestanden, vernachlässigt, dass die Angeklagte, die die Tat vor der Polizei zugegeben hatte (S 25 in ON 2 in ON 13), in der Hauptverhandlung nach Vorhalt des explizit den Vorwurf vorsätzlichen Beschädigens enthaltenden Strafantrags (ON 3 in ON 13) deponierte: „Ja, das stimmt so, dazu bekenne ich mich auch schuldig“ (S 5 in ON 17).

Die Feststellungen zu sämtlichen Vorsatzerfordernissen des § 127 StGB vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu A./ verfehlt mangels Festhaltens am Feststellungssubstrat eine prozessordnungsgemäße Ausführung. Denn sie ignoriert die Konstatierung des Tatentschlusses, Lebensmittel bzw Waren stehlen zu wollen, und des unrechtmäßigen Bereicherungsvorsatzes (US 6). Ferner ist dem zur Verdeutlichung heranzuziehenden (RIS-Justiz RS0117247; vgl Fabrizy StPO10 § 281 Rz 55a; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 580) Urteilsspruch zu entnehmen, dass die Angeklagte fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern (US 3).

Entgegen dem Vorbringen (Z 9 lit a) zu B./ hat das Erstgericht mit der - prozessordnungswidrig übergangenen - Konstatierung, dass die Beschwerdeführerin eine Beschädigung der Türe ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, den Schädigungsvorsatz festgestellt (US 8 zweiter Absatz).

Dass zusätzliche Konstatierungen zur subjektiven Tatseite erforderlich gewesen wären, nämlich ein Wille „den Berechtigten“ zu schädigen, wird im Rechtsmittel behauptet, aber nicht aus dem Gesetz abgeleitet.

Mit Bezugnahme auf die Feststellungen zu A./, wonach die Gewalt in einer nahe der Z***** gelegenen U-Bahn-Station ausgeübt wurde (US 7), meint die Subsumtionsrüge (Z 10), „wegen des örtlich sehr großen Abstands vom Ort des Diebstahls“ wäre die Tathandlung den Tatbeständen der §§ 105 (gemeint: Abs 1) und 127 StGB zu unterstellen gewesen.

Mit dem in § 131 StGB geforderten Tatbildmerkmal der Betretung des Täters bei einem Diebstahl „auf frischer Tat“ wird der Zeitraum zwischen Besitzergreifung und dem In-Sicherheit-Bringen der Beute bezeichnet (RIS-Justiz RS0093652, RS0093776; Fabrizy StGB10 § 131 Rz 2). In Sicherheit gebracht hat der Täter die Beute etwa, wenn er sie versteckt oder in Räumen untergebracht hat, an denen er oder Dritte Hausrecht haben (vgl Bertel in WK² § 131 Rz 8a; Kienapfel/Schmoller, StudienB BT II § 131 Rz 12).

Durch das vorliegende Aufsuchen einer nahegelegenen U-Bahn-Station hat die Beschwerdeführerin die Beute noch nicht in Sicherheit gebracht. Die Betretung in Tatortnähe und nicht am Tatort selbst steht der Verwirklichung des Tatbestands des § 131 StGB im Falle des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen Sachwegnahme und Betretung nicht entgegen (RIS-Justiz RS0093631). Vergleichbar mit dem Supermarktparkplatz (RIS-Justiz RS0093652 T2) kommt auch die nahegelegene U-Bahn-Station bei lebensnaher Betrachtung sehr wohl als solcher Ort in Betracht, an dem - wie hier - ein Täter bei einem unmittelbar zuvor verübten Diebstahl noch auf frischer Tat betreten werden kann.

Die den Milderungsgrund des Versuchs (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) einfordernde Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) entfernt sich mit der Behauptung, die Angeklagte sei ständig von der Z*****-Mitarbeiterin Valentina B***** beobachtet worden, von den Feststellungen, wonach B***** erst beim Verlassen des Geschäfts den (bereits verübten) Diebstahl beobachtete, hierauf ihrer Vorgesetzten Madalina A***** Meldung erstattete und diese nach Durchsicht des Überwachungsvideos sowie über telefonische Verständigung seitens B***** zur U2-Haltestelle eilte (US 6 f). Von einer - die Annahme eines Versuchs indizierenden - dauernden Beobachtung und Verfolgung durch eine Supermarktangestellte kann demnach keine Rede sein; vielmehr war die Sachwegnahme bereits vollendet (vgl Fabrizy StGB10 § 127 Rz 13 mwN).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte die Angeklagte unter Anwendung des § 28 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 131 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten. Dabei wertete es als mildernd das Geständnis, die Sicherstellung der Beute zu Faktum A./ und die Schadensgutmachung zu Faktum B./ (siehe S 37 der ON 2 in ON 13); erschwerend jedoch die einschlägigen Vorstrafen und das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen.

Gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO wurde die bedingte Strafnachsicht zur Verurteilung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 2. Dezember 2008, AZ 11 U 225/07v, widerrufen, die eine wegen § 27 Abs 1 SMG, §§ 298 Abs 1, 146 StGB verhängte dreimonatige Freiheitsstrafe betraf.

Die Berufung der Angeklagten begehrt Reduktion der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht.

Das am 22. Jänner 2010 gefällte Urteil wurde am 5. Februar 2010 zugestellt und langte mit den am 5. März 2010 eingebrachten Rechtsmitteln am 26. März 2010 beim Obersten Gerichtshof ein.

Dessen Auftrag zur Urteilsangleichung vom 29. März 2010 wurde am 1. April 2010 entsprochen (ON 24), die neuerliche Zustellung des Urteils erfolgte am 15. April 2010, am 10. Mai 2010 führte die Angeklagte ihre Rechtsmittel (erneut) aus.

Einen für die Strafbemessung bereits bedeutsamen (§ 34 Abs 2 StGB) Verstoß gegen das „allgemeine Beschleunigungsverbot“ (gemeint: -gebot) in Strafsachen vermag der Oberste Gerichtshof entgegen dem Berufungsvorbringen bei dieser Konstellation nicht zu erkennen, zumal es sich um keine Haftsache handelt.

Im Hinblick auf das massiv getrübte Vorleben der seit langen Jahren Drogenmissbrauch betreibenden (ON 17 S 11) Rechtsmittelwerberin - sie erfüllt bei Vermögensdelikten die Voraussetzungen des § 39 StGB (wobei bereits zwei Mal Verurteilungen wegen räuberischen Diebstahls und fünf Mal solche wegen Sachbeschädigung erfolgten) - und den raschen Rückfall nach letzter teilweise einschlägiger Verurteilung am 2. Dezember 2008 (Punkt 14 der Strafregisterauskunft, nunmehr Gegenstand des Widerrufsbeschlusses) kommt der Einwirkung des Michael S***** (der Z***** nach deren - derzeit mangels Erreichbarkeit des Genannten [ON 2 S 11] nicht überprüfbaren - Behauptung zu Suchtgiftkonsum und Diebstahl überredet haben soll - ON 2 S 79) und der Intention, mit der Diebsbeute Drogen finanzieren zu wollen (ON 17 S 5), keine mildernde Bedeutung zu. Dem Tatschuldgehalt entsprechend war jedoch mit einer maßvollen Reduktion des Freiheitsentzugs vorzugehen.

Die häufige Wirkungslosigkeit bedingter Strafnachsichten steht der neuerlichen Gewährung dieser Rechtswohltat spezialpräventiv allerdings unübersteiglich entgegen.

Diese äußerst ungünstige Individualprognose widerstreitet auch der Beschwerde gegen den Widerruf der im Dezember 2008 gewährten bedingten Strafnachsicht. Vielmehr ist dem Erstgericht in der Bejahung der Voraussetzungen des § 53 Abs 1 StGB zuzustimmen, zumal nicht einmal eine angeblich positive Änderung der Lebenssituation (neuer Lebensgefährte, von diesem schwanger) sowie das besondere Entgegenkommen durch Gewährung lediglich einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe trotz zahlreicher Strafvollzüge wegen einschlägiger Straftaten durch das zuletzt einschreitende Bezirksgericht die ersichtlich haltlose Probandin von Delinquenz mit ihrem früheren Lebensgefährten - noch dazu in Gegenwart ihres achtjährigen Sohnes - abhalten konnte.

Der Berufung und der Beschwerde war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E94930

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00044.10W.0817.000

Im RIS seit

29.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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