TE OGH 2011/6/21 4Ob51/11w

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Veröffentlicht am 21.06.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** A*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. W***** J*****, vertreten durch Dr. Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 8 C 92/05p des Bezirksgerichts Hernals (Streitwert 30.816 EUR sA), infolge ordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Jänner 2011, GZ 45 R 583/10h-20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 13. Juli 2010, GZ 8 C 33/09t-12, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.751,04 EUR (darin 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Im wiederaufzunehmenden Verfahren 8 C 92/05p des Erstgerichts begehrte die nunmehrige Wiederaufnahmsklägerin als Klägerin vom Beklagten ua rückständigen Unterhalt für den Zeitraum 1. 1. bis 31. 12. 2004 in Höhe von 3.485,88 EUR sA. Die Höhe dieses Anspruchs berechnete die Klägerin aufgrund eines vom Beklagten vorgelegten Jahreslohnzettels für 2004. Mit Teilurteil vom 25. 9. 2007, 8 C 92/05p-45, sprach das Erstgericht ua den für 2004 als rückständig begehrten Unterhalt in voller Höhe zu; das Berufungsgericht bestätigte dieses Teilurteil.

Mit Wiederaufnahmsklage vom 1. 12. 2009 begehrte die Klägerin des Vorprozesses, das Teilurteil vom 25. 9. 2007, 8 C 92/05p-45, hinsichtlich des Zeitraums 1. 1. bis 31. 12. 2004 aufzuheben und den Beklagten im wiederaufzunehmenden Verfahren mit Urteil zu verpflichten. für 2004 an rückständigem Unterhalt 30.816 EUR sA zu zahlen. Soweit in dritter Instanz noch von Bedeutung brachte die Wiederaufnahmsklägerin vor, im Verfahren 8 C 53/07f des Erstgerichts habe der Beklagte die Herabsetzung der monatlich zu leistenden Unterhaltszahlungen ab 1. 6. 2007 begehrt. Im Zuge dieses Verfahrens sei der Finanzvorstand des Arbeitgebers des Beklagten als Zeuge vernommen worden; aus seiner Aussage habe sich ergeben, dass der Beklagte im Jahr 2004 neben einem Grundgehalt von 165.484 EUR noch eine Bonuszahlung für 2003 in Höhe von 150.069 EUR erhalten habe. Hätte die Wiederaufnahmsklägerin diese Zeugenaussage schon vor Abschluss des Vorprozesses gekannt, hätte sie den dort verfolgten Anspruch entsprechend diesen Angaben berechnet, was dort zu einer Ausdehnung des Klagebegehrens und zu einem höheren Zuspruch geführt hätte. Es lägen deshalb die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des erledigten Verfahrens vor.

Das Erstgericht wies das Begehren als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der wesentlichen Begründung, gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO könne ein Verfahren nur dann wieder aufgenommen werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel aufgefunden oder benützbar gemacht werden könnten, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine günstigere Entscheidung herbeiführen hätten können. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben, weil die Wiederaufnahmsklägerin im wiederaufzunehmenden Verfahren - soweit für die Wiederaufnahme relevant - vollständig obsiegt habe. Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sei der Streitgegenstand des Vorprozesses, über den das dortige Urteil ergangen sei, nicht hingegen der materiellrechtliche Anspruch.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig; entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ab.

1. Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde (RIS-Justiz RS0044676). „Hauptsache“ ist der Streitgegenstand des Vorprozesses innerhalb seiner Grenzen (RIS-Justiz RS0044676 [T5]).

2.1. Der im Prozess geltend gemachte Anspruch, also der Streitgegenstand, ist nicht ident mit dem materiellrechtlichen Anspruch. Das Gericht entscheidet im Prozess nicht über das Privatrechtsverhältnis als solches, sondern über ein aus dem Privatrechtsverhältnis abgeleitetes Begehren. Der prozessuale Begriff des Streitgegenstands wird durch das Klagebegehren und den rechtserzeugenden Sachverhalt bestimmt (RIS-Justiz RS0037419).

2.2. Der gleiche Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagsgrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses. Daran fehlt es, wenn der neue Anspruch auf neuen rechtserzeugenden Tatsachen beruht (vgl RIS-Justiz RS0039347 [T7]).

3.1. Die Wiederaufnahmsklage ist nach ihrer Funktion auf das mit der vorangegangenen Sachentscheidung abgeschlossene Verfahren bezogen. Sie ist nicht Selbstzweck. Ihr Schutzanspruch ist verfahrensrechtlicher Art. Sie hat die Eröffnung einer neuerlichen Möglichkeit zur Beurteilung (nur) des Streitgegenstands des Vorprozesses zum Inhalt und ist nicht dazu bestimmt, von den Parteien begangene Fehler ihrer Prozessführung zu beheben (7 Ob 654/85 = SZ 59/14 mwN).

3.2. Der Kläger des Vorprozesses kann eine Wiederaufnahmsklage nicht auf neue Tatsachen oder Beweismittel zu einem anderen als dem im Vorprozess vorgetragenen rechtserzeugenden (oder bei einer negativen Feststellungsklage rechtsvernichtenden) Sachverhalt (Klagsanspruch) stützen. Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens ist demnach der Streitgegenstand des Vorprozesses, über den das dortige Urteil ergangen ist (RIS-Justiz RS0044741 [T1]).

3.3. Neue Tatsachen, die gegenüber dem Vorbringen im Hauptverfahren nur unter dem Gesichtspunkt einer Klagsänderung erheblich sein können, eignen sich nicht als Wiederaufnahmsgrund (RIS-Justiz RS0044825). In solchen Fällen fehlt es an der Notwendigkeit und damit an der Voraussetzung einer Wiederaufnahmsklage, weil die Rechtskraft des im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Urteils einer neuen Klage nicht entgegensteht und daher auch nicht beseitigt werden muss (4 Ob 399/82 mwN; 6 Ob 729/79).

3.4. Da das Gericht über nichts entscheiden darf, was die Partei nicht begehrt hat (§ 405 ZPO) kann der Ausspruch über einen Anspruch, den die Klägerin gar nicht geltend gemacht hat, gemäß § 411 Abs 1 ZPO auch nicht in Rechtskraft erwachsen (RIS-Justiz RS0041098).

3.5. Die Rechtskraft einer Entscheidung, dem die Behauptung der Unterhalt beanspruchenden Klägerin zugrunde lag, dass der Beklagte ein bestimmtes Einkommen beziehe, steht einer auf die Behauptung eines tatsächlich höheren Einkommens des Beklagten gestützten Klage auf erhöhten Unterhalt auch dann nicht entgegen, wenn sich die Einkommensverhältnisse des Beklagten nicht geändert haben (1 Ob 217/75 = SZ 48/113).

4.1. Das Rekursgericht ist mit seiner Entscheidung von diesen Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abgewichen.

4.2. Die Wiederaufnahmsklägerin hat mit der Entscheidung im Vorprozess den für das Jahr 2004 eingeklagten Unterhaltsrückstand zur Gänze zugesprochen erhalten; sie ist deshalb durch diese Entscheidung nicht beschwert. Damit fehlt ihr die Legitimation zur Wiederaufnahmsklage (vgl Jelinek in Fasching/Konecny² IV/1 § 530 ZPO Rz 22 f unter Hinweis auf 7 Ob 364/97y).

4.3. Darüber hinaus liegt der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nicht vor. Hätte die Wiederaufnahmsklägerin den nunmehr zur Begründung der Wiederaufnahmsklage vorgetragenen neuen Sachverhalt (erhöhtes Einkommen des Beklagten und damit erhöhte Unterhaltsbemessungsgrundlage für das Jahr 2004) bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgebracht und ihr dortiges Zahlungsbegehren entsprechend ausgedehnt, wäre dies als Klagsänderung zu beurteilen gewesen. Daraus folgt aber, dass der Streitgegenstand der Wiederaufnahmsklage jenen des Vorprozesses überschreitet. Dies macht die allein auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage unzulässig.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E97746

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00051.11W.0621.000

Im RIS seit

19.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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