TE OGH 2011/8/25 5Ob36/11x

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Veröffentlicht am 25.08.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Markus T*****, vertreten durch Mag. Roland Schratter, Rechtsanwalt in Wolfsberg, gegen die beklagten Parteien 1. S***** GmbH, *****, 2. S***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.890 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Dezember 2010, GZ 13 R 107/10s-35, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 25. März 2010, GZ 3 Cg 259/07t-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.462,61 EUR (darin 243,77 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist am 2. 5. 2007 gegen 18:00 Uhr auf einer Baustelle in eine Künette gestürzt und hat sich dabei schwer verletzt.

Das Erstgericht wies sein gegen die Beklagten gerichtetes Schmerzengeldbegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der wesentlichen Begründung, dass eine Absicherung der Künette im Hinblick auf § 7 Abs 2 Z 1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV, BGBl 1994/340 idgF) nicht erforderlich gewesen sei, weil sich diese Bestimmung nach ihrem Regelungszweck und entsprechend der ähnlichen deutschen Rechtslage auf kleinere Öffnungen und Vertiefungen beziehe, nicht aber auf eine - wie hier - großflächige Dampfleitungskünette im Ausmaß von 4 m Breite, 50 m Länge und etwa 2 m Tiefe. Im Übrigen sei aber das Klagebegehren - selbst bei Annahme eines Fehlverhaltens der Beklagten - wegen des krass sorgfaltswidrigen Verhaltens des Klägers abzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht hat gemäß § 508 Abs 3 ZPO nachträglich ausgesprochen, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Der Kläger habe zur Abänderung des Zulassungsausspruchs vorgebracht, dass das Berufungsgericht die Bestimmung des § 7 Abs 2 BauV unrichtig rechtlich gewürdigt habe. Es treffe zu, dass zur Auslegung dieser Bestimmung, insbesondere § 7 Abs 2 Z 1 BauV, - soweit überblickbar - keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Es erscheine im Interesse der Rechtsentwicklung und der Rechtssicherheit geboten, dem Höchstgericht ein Aufgreifen der aufgezeigten Rechtsfrage zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger erhobene Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO kurz zu begründen ist:

1.1. Der Kläger macht in seiner Revision geltend, das Berufungsgericht habe § 7 Abs 2 Z 1 BauV, nach welcher Bestimmung Absturzgefahr (ua) bei Öffnungen und Vertiefungen im Fuß- oder Erdboden, wie Schächten, Kanälen, Gruben, Gräben und Künetten vorliege, unrichtig dahin einschränkend ausgelegt, dass damit nur kleinere Öffnungen und Vertiefungen, nicht aber die hier am Unfallsort bestandende großflächige Dampfleitungskünette im Ausmaß 4 m Breite und 50 m Länge gemeint sei. Aufgrund dieser unzutreffenden Auslegung habe das Berufungsgericht rechtsirrig die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen verneint.

1.2. Die vom Kläger und auch vom Berufungsgericht für die Zulassung der Revision relevierte Frage, ob § 7 Abs 2 Z 1 BauV dahin einschränkend auszulegen sei, dass damit - wie das Berufungsgericht unter Berufung auf Petri/Steinmaurer (Bauunfälle [2003] 29) und die vermeintlich ähnliche deutsche Rechtslage meint - nur kleinere Öffnungen und Vertiefungen bis zu einem Flächenausmaß von 9 m² oder einer Breite von nicht mehr als 3 m, gemeint seien, muss hier nicht geklärt werden. Das Berufungsgericht hat nämlich aus einem anderen, noch darzustellenden Grund eine Schadenersatzpflicht der Beklagten vertretbar verneint.

2. Die Ausführungen des Klägers zu den Lichtverhältnissen zum Unfallszeitpunkt sind durch die erstgerichtlichen Feststellungen nicht gedeckte Mutmaßungen zur vermeintlich schwierigen Erkennbarkeit der Künette. Nach dem festgestellten Sachverhalt ereignete sich der Unfall des Klägers am 2. 5. 2007 - einem sonnigen Tag - gegen 18:00 Uhr, sodass schwierige Sichtverhältnisse, für die sich in den Feststellungen des Erstgerichts auch keinerlei Anhaltspunkt ergeben, nicht zu unterstellen sind.

3. Der Kläger sieht eine Verletzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflicht durch die Beklagten in der unterlassenen Absicherung der Künette durch (lediglich) beispielhaft aufgezählte „Licht-, Signal- oder Warnzeichen“. Dem steht die vom Berufungsgericht (S 14 seiner Entscheidung) als Tatsachenfeststellung gewertete Ausführung in der Beweiswürdigung des Erstgerichts (S 10 seines Urteils) entgegen, wonach Warnschilder und Lichtsignale nicht geeignet gewesen wären, den Sturz des Klägers zu verhindern, weil dieser vor dem Sturz nicht in seine Gehrichtung geblickt und dadurch sogar die nach ihrem Ausmaß wesentlich auffälligere Künette übersehen habe.

4. Der Kläger hat in erster Instanz geltend gemacht, dass die Beklagten einen Baustellenkoordinator hätten einsetzen müssen, der auf die Einhaltung der Schutzvorschriften hätte achten müssen. Dem ist das Berufungsgericht mit dem Argument entgegengetreten, dass die Verpflichtung nach dem Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BGBl I 1999/37 idgF; BauKG) grundsätzlich dem Bauherrn auferlegt sei, der die erforderlichen Sicherheits- bzw Koordinationsmaßnahmen durchzuführen bzw zu veranlassen habe (3 Ob 44/07b RdA 2008/50 [Albert]). Der Kläger führt dazu in seiner Revision nur (in einem einzigen kurzen Satz) aus, er rüge weiterhin, „dass ein entsprechender Baustellenkoordinator einzusetzen gewesen wäre“. Der Kläger begründet aber nicht, warum er die - eine damit zusammenhängende Pflichtverletzung der Beklagten verneinende - Rechtsansicht des Berufungsgerichts für unzutreffend hält. Die Revision ist daher in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043605).

5. Der Kläger wirft den Beklagten auch eine „Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten“ vor, wobei er „eine Absicherung bzw eine Bewarnung einer derartigen Künette“ für erforderlich hält. Der Kläger bezeichnet aber nicht, welche konkrete Sicherheitsmaßnahme er bei den gegebenen Verhältnissen für notwendig und tauglich erachtet. Die Verweisung auf Ausführungen in der Berufung ist unbeachtlich (RIS-Justiz RS0043616 uam).

6.1. Das Berufungsgericht hat das Schadenersatzbegehren des Klägers auch - und zwar selbst bei Annahme eines Fehlverhaltens der Beklagten - wegen des weit überwiegenden Mitverschuldens des Klägers für nicht berechtigt erachtet. Der Kläger stützt sich demgegenüber auf die Entscheidung 7 Ob 729/88 (VersR 1990, 187 = ZVR 1990/85), aus welcher er ableiten will, dass ihm höchstens ein Mitverschulden angelastet werden könne.

6.2. Das Vorliegen beidseitigen Verschuldens führt in der Regel zur Schadensteilung (1 Ob 38/90 SZ 64/126 = EvBl 1992/14 = JBl 1992, 327). Es entspricht aber auch ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass weit überwiegendes Verschulden des einen Teils die (Mit-)Haftung des anderen Teils aufhebt (RIS-Justiz RS0027202), sodass ein geringfügiges Mitverschulden vernachlässigt werden kann. Das gilt umsomehr, je schwerwiegender das Verschulden eines Beteiligten ist. Steht etwa krass grober Fahrlässigkeit eines Beteiligten nur leichte Fahrlässigkeit des anderen gegenüber, so trifft letzteren regelmäßig keine Haftung (1 Ob 340/99b mzN; 1 Ob 38/90 SZ 64/126 = EvBl 1992/14 = JBl 1992, 327).

6.3. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Gewichtung eines - gegebenenfalls - beiderseitigen Verschuldens stellt im Hinblick auf ihre Einzelfallbezogenheit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung, die dessen ungeachtet die Zulässigkeit der Revision rechtfertigen könnte, liegt nicht vor:

6.3.1. In dem der Entscheidung 7 Ob 729/88 (VersR 1990, 187 = ZVR 1990/85) zugrunde gelegenen Fall hatten die eine Künette aushebenden Beschäftigten des Beklagten unter grober Missachtung einer behördlichen Sicherheitsvorschrift eine an sich gefährliche Baustelle in einem frequentierten Bereich gänzlich ungesichert gelassen, obwohl schon die Beschaffenheit der ausgehobenen Künette als große Gefahrenquelle klar ersichtlich sein musste und die Sicht auf diese Stelle durch von den Beschäftigten abgestellte Fahrzeuge wesentlich erschwert, die Gefahr damit also noch wesentlich erhöht worden war. Dieser Sachverhalt ist mit dem vorliegenden in ganz wesentlichen Punkten nicht vergleichbar.

6.3.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger eine Sicherheitsunterweisung erhalten hatte und über die Gefahren auf der Baustelle Bescheid wusste. Die Künette war bereits mehrere Tage vor dem Unfall fertiggestellt worden und hatte insbesondere aufgrund ihrer Länge (50 m) einen beachtlichen Auffälligkeitswert. Der Kläger verwendete keinen der gekennzeichneten und befestigten Fahr- und Gehwege, ging auf dem Baustellengelände eilig „querfeldein“ in direkter Linie zum Baustellenausgang und blickte vor seinem Sturz auch nicht in Gehrichtung, sondern drehte sich aufgrund eines Zurufs um. Wenn das Berufungsgericht bei diesem auffallend sorgfaltswidrigen Verhalten des Klägers eine Haftung der Beklagten - selbst für den Fall eines Fehlverhaltens infolge unterlassener Absicherung der [ohnehin sehr auffälligen] Künette - verneinte, dann ist dies jedenfalls keine als unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung. Damit erübrigt sich aber auch eine Überprüfung der vom Berufungsgericht vertretenen - oben zu 1.2. wiedergegebenen - Rechtsansicht in Richtung einer einschränkenden Auslegung des § 7 Abs 2 Z 1 BauV.

7. Die Revision ist somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und deshalb zurückzuweisen.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).

Textnummer

E98297

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00036.11X.0825.000

Im RIS seit

23.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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