TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/23 D11 266437-3/2011

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Veröffentlicht am 23.05.2011
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Spruch

D11 266437-3/2011/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK !

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter DDr. Gerhold als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.05.2011, FZ. 11 02.062 - EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs 1 AVG iVm § 10 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I.) Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 19.10.2005 unter Umgehung der Grenzkontrolle illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am folgenden Tag einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 20.10.2005 vor der Grenzpolizeiinspektion Grosskrut gab er zu den Fluchtgründen an, seine Familie und er seien aufgrund der (Zugehörigkeit zur) tschetschenischen Minderheit politisch verfolgt.

 

1.2. In weiterer Folge gab der Beschwerdeführer am 25.10.2005 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich an, er heiße XXXX und sei am XXXX in XXXX (heutige Russische Föderation) geboren. Er habe keine identitätsbezeugende Dokumente, welche er vorlegen könne. Er habe einen internationalen Reisepasses gehabt, dieser sei ihm von polnischen Behörden abgenommen worden. Andere identitätsbezeugende Dokumente habe er nicht und habe er auch nicht besessen.

 

Befragt nach den Fluchtgründen gab er an, er sei von den russischen Behörden mehrmals zum Verhör gebracht worden. Er hätte den Aufenthaltsort seines Onkels bekannt geben sollen. Am 15.09.2004 sei er bei einem Verhör gefesselt, mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und mit den Füßen gegen den Körper getreten worden. Seitdem sei er vor den Behörden auf der Flucht. Er habe zu Hause nicht mehr übernachtet aus Angst vor weiteren gewalttätigen Verhören. Obwohl er massiv verletzt worden sei, sei er in keinem Spital zur Behandlung gewesen. Er habe starke Kopfschmerzen gehabt. Seine Nachbarin sei Krankenschwester, diese habe gesagt, dass er eine starke Gehirnerschütterung von den massiven Schlägen ins Gesicht davongetragen hätte. Bei den anderen vorherigen Verhören sei er nicht misshandelt worden. Die Frage, ob er alle Fluchtgründe angegeben habe, bejahte der Beschwerdeführer ausdrücklich.

 

1.3. Am 27.10.2005 fand eine ärztliche Untersuchung im Beisein eines Dolmetschers statt (Bericht: AS 89ff.). Der Beschwerdeführer gab bei der Anamnese an, er sei zwischen 2003 und September 2004 mehrmals von russischen Behörden festgenommen und verhört worden. Man habe Informationen über seinen Onkel haben wollen, welcher im ersten Krieg gekämpft hätte, er hätte aber schon lange keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel gehabt. Im September 2004 sei er wieder einmal verhaftet und verhört worden, dieses Mal hätte man ihn auch gefesselt und geschlagen bzw. getreten. Er habe sich danach versteckt gehalten und wäre schließlich geflohen. Der ärztliche Bericht gab weiters an, es gebe keine Narben von Operationen, er hätte eine Narbe über dem rechten Auge nach einer Verletzung in der Kindheit. Zur medizinischen Vorgeschichte gab der Bericht an, dem Beschwerdeführer gehe es eigentlich ganz gut, er hätte aber seit dem Verhör des Jahres 2004 öfters Kopfschmerzen. Unter der Rubrik "Zum Vorliegen von möglichen Folterspuren und Angaben zu ihrer Entstehung" wurde festgehalten, dass keine Angaben getätigt wurden.

 

1.4. Am 28.10.2005 kam es zu einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt. Der Beschwerdeführer gab in Anwesenheit einer Rechtsberaterin zunächst zu seinem Gesundheitszustand an, sich hier (in Österreich) wohl zu fühlen, er habe (jedoch) Kopfschmerzen und sein Herz sei nicht in Ordnung. Er habe am 15.09.2004 geschlagen worden und habe am Kopf eine Verletzung erlitten und leide seitdem an Kopfschmerzen. Seit 2003 leider er auch an Herzschmerzen. Er sei im Jahr 2003 festgenommen und in XXXX einige Tage festgehalten worden. Die russischen Militärs hätten ihn festgenommen und geschlagen, er sei sehr nervös gewesen und leide seitdem an Herzschmerzen. Er sei im Jahr 2003 nicht so stark geschlagen worden wie im Jahr 2004, doch sei er im Jahr 2003 mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten worden. Er sei dadurch nicht verletzt worden, leide jedoch seitdem an Herzschmerzen. Er sei deswegen konkret mit Fäusten geschlagen bzw. mit Füßen getreten worden, weil sein Onkel während des ersten Tschetschenenkrieges gekämpft habe. Er werde seinetwegen verfolgt. Man habe wissen wollen, wo sich sein Onkel aufhalte. Er sei während der Anhaltung des Jahres 2003 zwei oder drei Mal mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten worden. Er könne das nicht mehr so genau sagen, weil er sich dann versteckt hätte. Die Frage, ob er im Jahr 2003 einmal oder öfters festgenommen worden und dabei geschlagen worden sei, beantwortete der Beschwerdeführer dahingehend, dass er im Jahr 2003 zwei bis drei Mal festgenommen und dabei geschlagen worden sei. Er sei jedes Mal zwei oder drei Tage festgehalten worden. Dabei sei er jeden Tag geschlagen worden. Dann hätte man gewartet, bis "man" freigekauft werde. Sein Onkel heiße XXXX, er wisse nicht, wo sich sein Onkel derzeit aufhalte.

 

Auf Vorhalt, er habe bei der niederschriftlichen Einvernahme am 25.10.2005 angegeben, beim Verhör am 15.9.2004 mit Füßen getreten und mit Fäusten ins Gesicht geschlagen worden zu sein, jedoch bei früheren Verhören nicht misshandelt worden zu sein, während er nunmehr Gegenteiliges aussage, erwiderte der Beschwerdeführer, er wisse nicht, was im Protokoll geschrieben worden sei, er hätte sich anscheinend nicht eindeutig ausgedrückt. Er hätte gesagt, dass er schon früher einige Male festgenommen und geschlagen worden sei und hätte damals das Gleiche gesagt wie heute. Auf Vorhalt, es sei ihm die Niederschrift vom 25.10.2005 durch einen Dolmetscher rückübersetzt worden, gab der Beschwerdeführer an, es sei ihm wichtig gewesen, was mit ihm im Jahr 2004 geschehen wäre. Er habe das Gleiche gesagt wie heute, bei der Übersetzung habe er nicht aufgepasst.

 

Er könne kein ärztliches Attest vorlegen, in seinem Dorf gebe es keinen Arzt, nur die Krankenschwester. Diese habe ihm gesagt, dass er anscheinend eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Im September 2004 habe er im Gesicht auch einen Knochenbruch im Gesicht erlitten (der Beschwerdeführer zeigte bei dieser Aussage auf eine Stelle etwa 4cm unterhalb des rechten Auges). Dieser Bruch sei am 15.09.2004 während der Festnahme entstanden. Man habe ihm das Hemd über den Kopf gezogen und ihn dabei geschlagen, er wisse nicht mehr womit.

 

Auf Vorhalt, er habe weder bei der Ersteinvernahme am 25.10.2005 noch bei der ärztlichen Untersuchung am 27.10.2005 einen Knochenbruch im Gesicht angegeben und habe lediglich von einer starken Gehirnerschütterung gesprochen, gab der Beschwerdeführer an, er habe während der Ersteinvernahme und auch beim Arzt beides erwähnt. Befragt zu seiner Narbe über dem rechten Auge gab der Beschwerdeführer an, er habe als Kind gespielt und sich dabei verletzt. Er wisse nicht mehr, wie die Narbe entstanden sei.

 

Auf nochmalige Frage, ob er ärztlich untersucht worden sei bzw. ein ärztliches Attest habe, gab der Beschwerdeführer erneut an, es gebe "keinen Arzt dort". Der Krankenschwester habe er nur über die Kopfschmerzen berichtet.

 

1.5. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 22.11.2005, Zahl 05 17.626-EAST Ost, gemäß § 5 Abs 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück, stellte die Zuständigkeit Polens fest und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

 

1.6. Der Unabhängige Bundesasylsenat gab mit Bescheid vom 15.02.2006, GZ 266.437/0-X/47/05, der Beschwerde statt, ließ den Asylantrag zu, behob den bekämpften Bescheid und verwies den Antrag zur Durchführung des materiellen Verfahrens an das Bundesasylamt zurück.

 

1.7. Am 08.06.2006 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt statt. Der Beschwerdeführer gab an, sich den Umständen entsprechend wohl zu fühlen, keine physischen und psychischen Probleme hinsichtlich der Befragung zu haben, sich konzentrieren zu können und die an ihn gerichteten Fragen vollständig beantworten zu können. Er wolle seinen Binnenpass und seinen Führerschein vorlegen.

 

Er sei während des ersten Tschetschenienkrieges zu Hause gewesen, da er noch klein gewesen sei. Während des zweiten Krieges war er zu Hause und habe auf Baustellen gearbeitet. Er habe wohl in Tschetschenien gelebt, aber nicht ständig zu Hause. Er habe dort genächtigt, wo er gearbeitet habe, denn er habe zu Hause wegen des Problems nicht erscheinen können.

 

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zunächst an, Jahre und Monate wahrscheinlich nicht zu wissen. Er sei mit einem Wort verfolgt worden, besser gesagt sein Onkel, wegen des Bruders. Sie seien gesucht worden mit einem Wort und sie (die Täter) hätten ihn deswegen verhört. Deshalb habe er hierher kommen müssen. Sein Onkel habe am Krieg teilgenommen, sein (des Beschwerdeführers) Bruder XXXX habe geholfen. Er wisse nicht, wo sich die beiden aufhalten. Der Bruder habe den Kämpfern gegeben, was sie benötigten. Er wisse nicht, was mit seinem Bruder weiter geschehen sei.

 

Er selbst sei zwei, drei Tage festgehalten und verprügelt worden. Er sei zwei, drei Mal mitgenommen worden. Er könne die genaue Anzahl nicht angeben, er erinnere sich nicht. Beim ersten Mal sei er "in die Abteilung" gebracht worden, er wisse nicht welche, man habe ihn "irgendwohin" gebracht. Das zweite Mal habe man ihn zu einer Militäreinheit gebracht, nicht unweit. Dort habe man ihn verprügelt.

 

Beim ersten Mal sei er von Militärs festgenommen worden, das Datum wisse er nicht mehr. Er sei beim ersten Mal zwei Tage festgehalten worden. Man habe dann Geld gegeben und er sei freigekommen. Das Dorf habe gesammelt, genau wisse er es nicht, aber es seien 20.000 oder 30.000 Rubel gewesen. Er sei freigekommen, er wisse nicht, welche Vereinbarung es gegeben habe. Er sei einfach freigelassen worden. Später sei man wieder eingedrungen und habe ihn zur Militäreinheit gebracht, dort sei er verprügelt worden. Die Personen seien maskiert gewesen, er glaube, es sei im Herbst gewesen, das (genaue) Datum wisse er nicht. Er sei in Handschellen dorthin, zu einer Befehlsstelle, gebracht worden. Die Befehlsstelle sei in seinem Dorf, er wisse nicht, wie sie heiße. Er wisse nur, dass die Personen maskiert waren. Sie seien am frühen Morgen, als er zur Arbeit ging, eingedrungen. Er habe eigentlich nicht zu Hause gelebt, als er zur Arbeit gibt. Sie hätten ihn sofort festgenommen, hätten seine Hände mit Handschellen an den Rücken gebunden und hätten ihm sein Hemd über den Kopf gezogen. Man habe von ihm wissen wollen, wo der Onkel und wo der Bruder sich befinde. Er sei bei der ersten Anhaltung verprügelt worden, aber nicht so stark. Er sei bei der zweiten Anhaltung stark verprügelt worden, man hätte sogar an den Beinen Zigaretten ausgedrückt. Sein Knochen unter der rechten Wange sei gebrochen worden.

 

Bei der zweiten Mitnahme seien die Männer in der Früh gekommen, sie seien maskiert gewesen, ohne Maskierung würden sie nicht zu den Leuten gehen. Er sei unterwegs zur Arbeit gewesen, er sei nicht zu Hause gewesen. Als er zur Arbeit ging, sei er unterwegs gefangen worden. Er habe am Feld gearbeitet, es sei zur Erntezeit gewesen, er habe das Getreide vor dem Vieh bewachen müssen.

 

Die zweite Anhaltung habe einen Tag gedauert. Er sei verprügelt worden. Das Dorf habe gesammelt, es seien alle hingegangen und hätten gesagt, dass dieser Mensch unschuldig sei, sodass er freigekommen sei. Danach habe er nicht mehr zu Hause gelebt. Er und seine Mutter hätten in einem Container gelebt, wo die Arbeiter leben. Dieser Container sei in XXXX gestanden. In weiterer Folge hätte seine Mutter erzählt, dass sie mehrere Male gekommen seien und deswegen hätte sie ihn aufgefordert, dass Land zu verlassen, damit sie keine Probleme mehr hätten. Er habe seine Verletzungen nirgends behandeln lassen. Er sei wegen seines Onkels und seines Bruders verfolgt worden, weil diese teilgenommen hätten, sonst nicht. Als er unlängst die Mutter angerufen habe, habe sie ihm gesagt, dass sie immer noch kämen und sich nach ihm erkundigten. Sie wisse nicht, was diese immer noch von ihm wollten.

 

Das Bundesasylamt ließ in weiterer Folge mehrere Dokumente übersetzen, darunter auch den Asylantrag, den der Beschwerdeführer in Polen stellte. Der Beschwerdeführer gab zu den Fluchtgründen schriftlich lediglich an: "Um normal leben und arbeiten zu können" (AS 357).

 

1.8. Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 14.11.2007, Zahl 05 17.626-BAW gemäß §7 AsylG 1997, BGBl I Nr. I 1997/76 (AsylG) idF BGBl Nr. 101/2003, ab (Spruchpunkt I), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus.

 

Im Wesentlichen begründete das Bundesasylamt die negative Entscheidung zu Spruchpunkt I. dahingehend, dass die Darstellung als unglaubhaft zu werten war. Die Verfolgungshandlungen seien gesteigert geschildert worden, zudem habe er als (einzigen) Verfolgungsgrund bei der Asylantragsstellung in Polen angegeben "Um normal leben und arbeiten zu können". Daraus sei keine Verfolgung ableitbar.

 

Mit fristgerecht eingebrachter Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, sein psychischer Zustand sei stark beeinträchtigt. Er sei eine mittlere posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden, er sei auch selbstmordgefährdet. Die widersprüchlichen Angaben seien darauf zurückzuführen. Es gebe massive Menschenrechtsverletzungen, jedoch keine sichere oder zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative. Der Beschwerdeführer sei mehrmals festgenommen und misshandelt worden, sein Onkel habe im ersten Tschetschenenkrieg gekämpft und werde von den russischen Behörden gesucht. Bei den Festnahmen sei der Beschwerdeführer mit Fäusten geschlagen und mit Füßen gegen den Kopf getreten worden, es seien brennende Zigaretten am Körper ausgedrückt worden. Er habe einen Knochenbruch an der rechten Wange erlitten und leide heute noch unter Herzschmerzen, wenn er aufgeregt sei oder Angst habe.

 

1.9. Am 15.07.2009 fand vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein anwaltlicher Vertreter sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen.

 

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes führte der Beschwerdeführer aus, es habe in Österreich keine Behandlungen gegeben, er fühle sich aber nicht gesund. Er denke immer nach, was zu Hause passiere. Er stehe nicht in Behandlung, habe aber keine Gelegenheit dazu gehabt.

 

Er wolle sein Vorbringen insofern ergänzen, als er festhalten wolle, dass es im erstinstanzlichen Verfahren Probleme mit dem Dolmetscher gegeben habe, seine Aussagen seien nicht ganz genauso übersetzt worden, wie er es gesagt habe. Er habe alles ausgesagt, doch sei es danach zu Problemen zu Hause gekommen, es sei danach sein Bruder inhaftiert worden, auch ein Cousin von ihm, "sie" kämen so oft zu ihnen, "sie" wüssten, dass er sich in Österreich befinde. "Sie" kämen trotzdem und wollten wissen, wann er zurück käme. Man habe gesprochen, dass man ihn auch ins Gefängnis bringen werde wie seinen Bruder, man habe von 10 Jahren Haftstrafe gesprochen. Sein Bruder sei vor über einem Jahr inhaftiert worden, er habe 5,5 Jahre erhalten, weil er von zu Hause weggegangen sei und nach XXXX (Kasachstan) gezogen sei. Der Bruder sei zwei Mal im Gefängnis gewesen, das erste Mal 2002, er wisse es aber nicht mehr genau, vielleicht auch 2001. Auch sein Cousin sei mitgenommen worden. Das erste Mal sei er inhaftiert worden, wegen seines Onkels und seines Bruders, diese hätten sich beim zweiten Krieg beteiligt.

 

Er sei ledig und lebe auch nicht in Lebensgemeinschaft, er habe keine Kinder. Die Frage, ob er im Herkunftsstaat noch nahe Verwandte wie Eltern, Schwiegereltern oder Geschwister habe, verneinte der Beschwerdeführer ausdrücklich. Auf die Frage, ob seine Eltern nicht mehr leben, gab der Beschwerdeführer an, seine Mutter lebe in einer Sowchose namens XXXX in der Nähe von XXXX. Auf Nachfrage, warum er zuvor die Frage nach Verwandten verneint habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe die Frage falsch verstanden. Seine Schwester XXXX lebe in XXXX, sein Vater sei 1989 verstorben, der Aufenthaltsort eines Bruders namens XXXX sei unbekannt, ein weiterer Bruder namens XXXX lebe in Tschetschenien, der dritte Bruder namens XXXX sei im Gefängnis. Seine zweite Schwester XXXX lebe im Rajon XXXX in XXXX, die dritte Schwester in XXXX.

 

Er sei Angehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe. Er habe nach 8 Jahren Grundschule Hilfstätigkeiten auf Baustellen verrichtet und einmal auch auf dem Feld als Hirte gearbeitet. Als Kind hätte er Tschetschenien verlassen, sei aber 1988 oder 1989 zurückgekehrt und habe bis zu seiner Ausreise in der XXXX, in der Nähe von XXXX gelebt. Er habe weder Wohnung, noch Haus, noch Unterkunft oder ein nennenswertes Vermögen in der Russischen Föderation, nur seine Mutter lebe noch dort. Er habe in Polen um Asyl angesucht, sich jedoch nicht sicher gefühlt und sei daher nach Österreich gekommen.

 

Die Frage nach Inhaftierungen oder Anhaltungen in der Russischen Föderation beantwortete der Beschwerdeführer wie folgt: Er sei das erste Mal mitgenommen und in eine Abteilung gebracht worden. Dort sei er 2 oder 3 Tage festgehalten worden. Auf die Frage nach dem Datum dieser Anhaltung antwortete der Beschwerdeführer nach einer Nachdenkpause, er könne sich nicht mehr erinnern, er glaube, es sei 2004 gewesen, da sei er das erste Mal mitgenommen worden. Er wisse nicht, wo er festgehalten wurde, es sei eine Abteilung des Militärs gewesen. Nach einer weiteren Nachdenkpause gab der Beschwerdeführer zur Frage nach dem Datum der zweiten Anhaltung an: "Das war im Herbst 2005, nein, im Jahr 2004". Es habe einen ganzen Tag gedauert, er sei zusammengeschlagen worden. Weitere Anhaltungen habe es nicht gegeben, "sie" seien dann nach Hause gekommen, doch sei er selbst nicht zu Hause gewesen.

 

Sein Onkel und sein Bruder XXXX hätten sich an Kampfhandlungen während des zweiten Krieges beteiligt. Er habe ihnen so geholfen, wie er konnte. Er habe für sie das gemacht, was sie gerade gebraucht hätten. Man habe dann in Erfahrung gebracht - er wisse nicht wie - dass er sie unterstützt habe. Man habe ihn mitgenommen und von ihm Geld gefordert. Er sei dann wieder zusammengeschlagen worden. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass man einen Krüppel aus ihm machen werde, wenn er sich weiterhin zu Hause aufhalten würde. Sie seien zu ihm nach Hause gekommen, doch habe er dort nicht mehr übernachtet. Er habe dort geschlafen, wo er gearbeitet habe, aber es sei ihm klar gewesen, dass er nicht ewig flüchten könne. Sein Cousin sei mitgenommen worden. Er selbst habe gewusst, dass er der nächste sei, und habe einer Haftstrafe entgehen wollen und sei daher hierher gekommen. Die Leute kämen nach wie zu ihnen nach Hause, seine Mutter sage ihm das. Sie habe ihm erzählt, dass sei auf der Straße festgehalten worden sei und dass die Leute inzwischen das ganze Haus überprüft hätten. Er glaube, dass er alle Fluchtgründe geschildert habe.

 

Auf die Frage, warum man auch heute noch nach ihm suche, es lebe einer seiner Brüder unbehelligt in Tschetschenien und sei für die Behörden sofort greifbar, gab der Beschwerdeführer an, er habe keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder, außerdem suchten die Behörden ihn (den Beschwerdeführer), weil er seinem Onkel und seinem Bruder geholfen habe.

 

Auf die Aufforderung, von der ersten Anhaltung im Detail zu erzählen, gab der Beschwerdeführer an, man habe ihn von zu Hause mitgenommen, es sei in der Früh gewesen, die genaue Uhrzeit wisse er nicht. Auf die Frage, ob er bereits aufgestanden sei, dachte der Beschwerdeführer zunächst längere Zeit nach und gab etwas unsicher zur Antwort, er sei schon aufgestanden. Auf die Aufforderung, mit der Schilderung fortzufahren und zu erzählen, was ihm passiert sei, gab der Beschwerdeführer an, er sei dann freigelassen worden. Auf die Ermahnung des vorsitzenden Richters, er habe den Beschwerdeführer ausdrücklich ersucht, alles im Detail zu erzählen, und auf die Frage, was ihm passiert sei, erwiderte der Beschwerdeführer, man habe Geld gesammelt. Auf neuerliche Ermahnung, er habe noch immer nicht erzählt, was ihm passiert sei, und auf die Feststellung, dies sei nicht glaubhaft, bzw. auf neuerliche Ermahnung, genau auf die Fragestellung zu achten und präzise auf die Frage zu antworten, gab der Beschwerdeführer an, man habe ihn mitgenommen. Man habe ihn zu einer militärischen Abteilung mitgenommen, in eine Zelle geworfen, und nach zwei oder drei Tagen aufgefordert, zu gehen. Er habe erfahren, dass inzwischen Geld gesammelt worden sei. Es habe sich um 20.000 oder 30.000 Rubel gehandelt, dies sei viel Geld gewesen.

 

Auf die Frage, ob es etwas Besonderes während der zwei- oder dreitägigen Anhaltung gegeben habe, erwiderte der Beschwerdeführer, er sei verhört und nach dem Aufenthaltsort des Onkels und des Bruders befragt worden. Als er es nicht sagen habe können, habe man immer wieder auf ihn eingeschlagen. Er sei jedoch nicht verletzt worden.

 

Auf Vorhalt, er habe im erstinstanzlichen Verfahren zunächst ausgesagt, nicht misshandelt worden zu sein, gab der Beschwerdeführer an, er habe damals gesagt, dass man ihn geschlagen habe, aber nicht so stark. Auf Vorhalt, es sei ihm das Protokoll (mit der betreffenden Passage) übersetzt worden, erwiderte der Beschwerdeführer, es sei dort geschrieben worden, dass er zu Hause als Tschetschene verfolgt worden sei. Es habe viele Probleme mit dem Dolmetscher gegeben.

 

Auf Aufforderung, mehr über die zweite Anhaltung zu erzählen, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, er sei das zweite Mal in der Früh in die Arbeit gegangen, er habe im Feld gearbeitet und sich um die Tiere gekümmert. Man habe ihm Handschellen angelegt, ihm das Hemd über seinen Kopf gestülpt und am Hals zusammengebunden. Dann habe man begonnen, auf ihn einzuschlagen und auf seinen beiden Unterschenkeln Zigaretten ausdrücken. Alle im Dorf hätten sich versammelt und gesagt, er sei unschuldig, sodass er am gleichen Tag freigelassen worden sei. Danach habe er nicht mehr zu Hause übernachtet. Er habe dort übernachtet, wo er gearbeitet habe, in verschiedenen Häusern.

 

Nach der Festnahme habe man ihn auf ein Militärgebiet gebracht, dort geschah "das alles", dort war auch "das mit den Zigaretten", so sei er misshandelt worden. Auf die Frage nach weiteren Misshandlungen dachte der Beschwerdeführer zunächst nach und gab an, man habe ihn auf den Kopf geschlagen und unterhalb des rechten Auges den Knochen gebrochen. Bei der Festnahme sei er unterwegs gewesen und nicht mehr zu Hause.

 

Auf Vorhalt, er habe im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, nach der zweiten Anhaltung (und Freilassung) woanders (als zu Hause) gelebt zu haben, und auf Ersuchen, nochmals anzugeben, wo er gelebt habe, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe auf Baustellen gearbeitet und dort gelebt. Wenn er in Grosny gearbeitet habe, habe er auch in Grosny übernachtet. Er sei alleine gewesen, die anderen seien dann nach Hause gegangen.

 

Auf Vorhalt, er habe im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, mit seiner Mutter in einem Container gelebt zu haben, gab der Beschwerdeführer an, dies stimme auch, dies sei im Dorf XXXX gewesen.

 

Er habe hinsichtlich seiner Verletzungen keine Behandlung bekommen, er habe es so gelassen, wie es gewesen sei. Er habe sich nicht darum gekümmert. Er sei auch nicht im Krankenhaus gewesen. Ihre Nachbarin habe als Ärztin gearbeitet, sie habe ihn aber nicht behandelt, nur gesagt, dass er eine Gehirnerschütterung erlitten habe, weil er danach starke Kopfschmerzen gehabt habe. Die Rückfrage, ob die Nachbarin eine Ärztin war, wurde ausdrücklich bejaht. Auf Vorhalt, er habe im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt, sie sei eine Krankenschwester gewesen, erwiderte der Beschwerdeführer:

"Krankenschwester, Ärztin - wer weiß das schon". Auf Vorhalt, er sei während der Beschwerdeverhandlung bereits mehrmals ermahnt worden, genau auf die Fragestellung zu achten und genau zu antworten, gab der Beschwerdeführer an, er habe gedacht, dass sie Ärztin sei, da sie im Krankenhaus arbeite. Auf Vorhalt, er habe im erstinstanzlichen Verfahren als Diagnose der Nachbarin (Krankenschwester/Ärztin) nur eine Gehirnerschütterung, nicht aber einen gebrochenen Wangenknochen angegeben, teilte der Beschwerdeführer mit, er habe damals (im erstinstanzlichen Verfahren) alles gesagt.

 

In weiterer Folge gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, sein Onkel und sein Bruder hätten am Krieg teilgenommen, er wisse aber nicht, was sie in den Bergen gemacht hätten bzw. wo gekämpft worden sei. Sie seien Kämpfer gewesen.

 

Er sei bei der zweiten Anhaltung zu einem Ort gebracht worden, welcher von seinem Ort XXXX nicht weit entfernt sei, vielleicht zwei oder drei Kilometer. Man habe es von seinem Dorf aus sehen können. Auf Vorhalt, er habe vor der ersten Instanz einen Ort in seinem Dorf angegeben, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe das auch gesagt, damit habe er gemeint, es sei praktisch gleich bei ihnen im Dorf gewesen.

 

Nach der Anhaltung habe er vielleicht noch ein paar Monate, ein halbes Jahr oder so, in Tschetschenien gelebt, aber nicht mehr zu Hause. Er habe in den letzten 10 Jahren einen Pass und einen Führerschein erhalten, beides im Jahr 2002 und am Passamt. Auf die Frage, wie er diese Papiere ohne Probleme bekommen habe, wenn er doch verfolgt worden sei, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe 7 Monate auf den Pass gewartet, das habe man ohne ihn gemacht. Er habe den Pass erhalten, sonst wäre er nicht hier. Er habe Geld für den Pass bezahlt.

 

Die Frage, ob er außer dem Reisepass im Jahr 2002 noch einen anderen Pass erhalten habe, verneinte der Beschwerdeführer ausdrücklich. Auf Vorhalt, es sei laut Aktenlage eine Passausstellung im Jahr 2005 verzeichnet, antwortete der Beschwerdeführer, er habe tatsächlich im Jahr 2005 einen Pass bekommen, konkret über Bekannte. Seine Mutter habe dies organisiert, er wisse nicht wo, damit er schneller von zu Hause wegfahren könne. Auf Vorhalt, er habe diesen Reisepass am 24.08.2005 erhalten und auf die Frage, warum ihm das erst auf Vorhalt einfalle, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe es vergessen. Aus Tschetschenien sei er mit dem Pass aus dem Jahr 2002 ausgereist, er habe aber in Polen den Pass aus dem Jahr 2005 vorgezeigt, dort sei ihm der Pass aber abgenommen worden. Auf Vorhalt, es unglaubwürdig, es vergessen zu haben, da der Pass gewissermaßen sein "Ticket in die Freiheit" dargestellt habe, wiederholte der Beschwerdeführer, dass er es vergessen habe.

 

Auf die Frage, was er in Polen als Fluchtgrund angegeben habe, antwortete der Beschwerdeführer, er habe das gesagt, was er heute gesagt habe, aber nicht alles. Auf die Frage, was er bei der Einreise als Fluchtgrund angegeben habe, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe angegeben, dass man ihn zu Hause gesucht habe. Auf Vorhalt, er habe (in Polen) als Fluchtgrund angegeben, "um normal leben und arbeiten zu können" und auf die Frage, warum er keine einzige Verfolgungshandlung erwähnt habe, gab der Beschwerdeführer zur Antwort, es habe keine Einvernahme mehr gegeben (wobei der vorsitzende Richter im Protokoll festhielt, dass der Beschwerdeführer bei dieser Antwort sehr niedergeschlagen wirkte). Auf Wiederholung der Frage, warum er keine einzige Verfolgungshandlung erwähnt habe, und auf die ergänzende Anmerkung, mit solch einer vagen Begründung für einen Asylantrag habe der Beschwerdeführer doch riskiert, dass es gar nicht mehr zu einer Einvernahme gekommen sei, erläuterte der Beschwerdeführer, er sei ein einfacher Mensch, er habe das nicht verstanden.

 

Auf die Mitteilung, diese Begründung sei leider nicht plausibel, gab der Beschwerdeführer an, es sei einfacher, wenn man jemandem alles persönlich sagen könne, als wenn man es schriftlich mache.

 

Auf Vorhalt, er habe vor der ersten Instanz "zwei oder drei" Mitnahmen angegeben, in der Beschwerdeverhandlung hingegen genau zwei Mitnahmen, erwiderte der Beschwerdeführer, er wisse genau, wie oft er mitgenommen worden sei. Er habe damals angegeben, zwei Mal mitgenommen worden zu sein. Auf die Anmerkung, er sei damals ausdrücklich gefragt worden, ob er die genaue Anzahl angeben könne, und auf die Frage, ob er es hätte wissen müssen, gab der Beschwerdeführer bejahend an, er wisse es auch heute noch genau, dass es zwei Mal gewesen sei.

 

Auf Vorhalt, er habe jedoch vor der ersten Instanz auf die Frage, ob er die genaue Anzahl angeben könne, mit "Ich erinnere mich nicht" geantwortet, gab der Beschwerdeführer - sehr erstaunt - zur Antwort, er sei nur zwei Mal mitgenommen worden, er wisse das sicher.

 

Auf die Frage, ob bei der zweiten Freilassung Geld bezahlt wurde, erwiderte der Beschwerdeführer, er wisse es nicht, ob damals Geld bezahlt worden sei oder nicht. Aber er wisse, dass die Leute gekommen seien und seine Freilassung gefordert hätten. Auf Vorhalt, er habe vor der ersten Instanz angegeben, dass das Dorf eine Sammelaktion durchgeführt hätte, antwortete der Beschwerdeführer, dies sei beim ersten Mal gewesen. Auf die Anmerkung, es sei aus dem Kontext klar, dass es beim zweiten Mal gewesen sei, verneinte dies der Beschwerdeführer und wiederholte, es sei beim ersten Mal gewesen. Daraufhin ließ der vorsitzende Richter die entsprechende Passage übersetzen und merkte an, es sei eindeutig, dass der Beschwerdeführer die zweite Anhaltung gemeint habe. Dieser gab zur Antwort, es sei beim ersten Mal Geld gesammelt worden, er glaube nicht, dass dies beim zweiten Mal der Fall gewesen sei.

 

Auf die Frage, warum er dann (vor der ersten Instanz) ausgesagt habe, dass das Dorf damals gesammelt hätte, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe damals das erste Mal gemeint. Auf Vorhalt, es sei die Niederschrift rückübersetzt worden, erwiderte der Beschwerdeführer, er sei sicher, er sei überzeugt, dass er es nicht so gesagt habe.

 

Er befürchte für den Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat, dass man ihn für 10 Jahre ins Gefängnis bringen werde. Auf die Frage, wer ihn für 10 Jahre ins Gefängnis bringen werde, antwortete der Beschwerdeführer mit "Sie kamen zu uns nach Hause". Auf die Frage, wer mit "sie" gemeint sei, gab der Beschwerdeführer an, die Russen gemeinsam mit den Tschetschenen. Er wisse, dass die Russen von dort nicht weggingen. Wenn es entsprechende Verträge geben werde, dann würden die Russen auch abziehen. Er könne nicht einmal für eine Minute nach Tschetschenien zurückkehren. Er schwöre, er wäre nicht hergekommen, wenn er keine Probleme gehabt hätte. Es sei nicht einfach, die alte Mutter alleine zu Hause zu lassen.

 

Befragt zur Integration gab der Beschwerdeführer an, er arbeite ab und zu für die Caritas. Die Frage, ob er in Österreich Deutschkurse besucht habe, musste sich der Beschwerdeführer übersetzen lassen und bejahte diese. Die Frage, ob er ein Zeugnis erworben habe, musste sich der Beschwerdeführer ebenfalls übersetzen lassen und bejahte diese. Er sei nicht Mitglied in einer Organisation oder einem Verein, mangels Geld werde er nirgendwo aufgenommen, er könne sich kaum das Essen leisten.

 

Der Beschwerdeführer gab an, er sei zwei Mal vorbestraft, wobei er auf eine (offenkundige) Verwaltungsstrafe verwies ("U-Bahn") sowie auf ein (offenkundiges) Betrugsdelikt (jemand habe auf seinen Namen aus Katalogen bestellt, dies sei nicht seine Bestellung gewesen, doch versuche er den Schaden gut zu machen, er wolle nicht im Gefängnis sitzen).

 

Über Befragen des Vertreters der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer in weiterer Folge an, er sei nicht zum Militär einberufen worden, er wisse nicht warum. Befragt, ob er für die Passausstellung ein Dokument über den Wehrdienst habe vorgelegen müssen, gab der Beschwerdeführer an, er habe für die Ausstellung des Passes nur eine Kopie des Inlandspasses vorlegen müssen, worauf der Vertreter des Bundesasylamtes auf eine schriftliche Quelle (welche dem Beschwerdeführer und seinem Vertreter zwecks Abgabe einer etwaigen Stellungnahme binnen 14 Tagen übergeben wurde) verwies, wonach Antragsteller für die Ausstellung eines Reisepasses Unterlagen zum Militärdienst benötigen und dass ein "Zagranpasport"-EDV-System existiere, aus welchem der FSB Kontrollen vornehme. Weiters gehe aus den Unterlagen hervor, dass kein Reisepass ausgestellt werde, wenn kein Militärdienst abgeleistet worden sei.

 

Vom Vertreter der belangten Behörde befragt, ob er wisse, für wen oder mit wem der Onkel und der Bruder in den Bergen gekämpft habe, gab der Beschwerdeführer zur Antwort, er wisse es nicht.

 

Auf Vorhalt des vorsitzenden Richters, er habe vor der ersten Instanz bei der ersten und zweiten Einvernahme immer nur von seinem Onkel (nicht aber von seinem Bruder) gesprochen, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe auch damals von seinem Bruder gesprochen. Auf Vorhalt, er habe beispielsweise in der Einvernahme vom 28.10.2005 ausdrücklich nur von seinem Onkel gesprochen (Zitat aus dem Einvernahmeprotokoll AS 69: "Mein Onkel hat während des ersten Tschetschenenkrieges gekämpft. Ich werde seinetwegen verfolgt. (....) Sie wollten wissen, wo sich mein Onkel aufhält."), antwortete der Beschwerdeführer, vielleicht habe er nichts sagen wollen.

 

In weiterer Folge legte der Vertreter der belangten Behörde ein Dokument zur Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen vor; dem Beschwerdeführer und dem Vertreter wurde dieses Dokument seitens des vorsitzenden Richters zur Abgabe einer etwaigen Stellungnahme binnen 14 Tagen übergeben.

 

Auf Befragung durch seinen Vertreter gab der Beschwerdeführer schließlich an, dass die Personen, die ihn verfolgt hätten, maskiert gewesen seien, Russisch gesprochen hätten und von der Aussprache her eindeutig Russen gewesen seien.

 

1.10. Mit Fax vom 29.07.2009 nahm der Beschwerdeführer zu den Länderfeststellungen und dem Dokument der Staatendokumentation wie folgt Stellung: Den Länderfeststellungen könne über weite Teile zugestimmt werden, da die katastrophale Situation in allen Bereichen in Tschetschenien wiedergegeben werde. Das Dokument der Staatendokumentation des BAA sei jedoch geschönt und gebe die raue Wirklichkeit nicht zu. Dies entspreche sinngemäß der generellen Vorgangsweise der Staatendokumentation, wonach mit allen Mitteln ein schönes Bild der jeweiligen Lage in den Herkunftsländern gezeichnet werde, welches mit der Realität oft nicht mehr viel zu tun habe. Auch widerspreche es den übrigen, aus unabhängigen und unbedenklichen Quellen schöpfenden Länderfeststellungen.

 

1.11. Mit Fax vom 11.08.2009 übermittelte der Vertreter des Beschwerdeführers ein Gutachten des Psychotherapeuten und Psychoanalytikers XXXX vom 23.07.2009, wonach eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Weiters wurde eine Bestätigung der Caritas vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer sich gut in die schwierige Wohnsituation eingelebt habe, aktiv und selbständig sei (zB Besuch von ehrenamtlich geleiteten Deutschkursen, Teilnahme an Männerkaffees zwecks Kulturaustausch). Er zeige sich im Haus und in der Betreuung sehr engagiert und kooperativ.

 

1.12. Mit Gutachten vom 07.11.2009 stellte der vom vorsitzenden Richter des erkennenden Senates bestellte Gutachter Univ.-Prof. Dr. XXXX nach Durchführung einer Untersuchung des Beschwerdeführers in Gegenwart einer Dolmetscherin fest, es sei beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion (ICD-10, F43.21) gegeben. Im Rahmen der Untersuchung konnten keine eindeutigen Hinweise auf das Vorliegen der (in Vorbefunden genannten) Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gefunden werden. Abweichende oder widersprüchliche Antworten in der Beschwerdeverhandlung am 15.07.2009 seien nicht durch eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit erklärbar. In der Anamnese führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, er sei im Jahr 2005 drei- bis viermal beim Psychologen XXXX gewesen sowie im Jahr 2009 ein Mal. Sein Bruder sei seit einem Jahr in Kasachstan im Gefängnis, er sei bereits drei Jahre im Gefängnis gewesen, dann sei er nach Hause gekommen und dann sei er wiederum mitgenommen worden.

 

1.13. Mit Stellungnahme per Fax vom 04.12.2009 nahm eine Vertreterin des Beschwerdeführers zum genannten Gutachten des XXXX wie folgt Stellung: es liege auch mit der angeführten Diagnose eine krankheitswertige psychische Störung vor, eine posttraumatische Belastungsstörung sei nicht mit völliger Sicherheit auszuschließen. Im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation drohe eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, wobei Angstsymptomatik im Vordergrund stehe, zumal der Beschwerdeführer bei der Untersuchung den Umstand angegeben habe, dass sein Bruder, welcher Widerstandskämpfer gewesen sei, seit einem Jahr in Kasachstan im Gefängnis sei. Es werde der Antrag gestellt, den Beschwerdeführer einer abschließenden klärenden Beschwerdeverhandlung zu unterziehen und ihm zumindest subsidiären Schutz zu gewähren.

 

1.14. Mit Erkenntnis vom 04.02.2010, Zl. D11 266437-2/2008/17E, wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gemäß §§ 7 und 8 Abs 1 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 101/2003, und § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 idgF ab.

 

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen sukzessive gesteigert worden sei. Der Beschwerdeführer habe in Polen seinen Antrag lediglich mit den Worten "um normal leben und arbeiten zu können" begründet. Weiters sei es auch in Österreich zu erheblichen Widersprüchen und Steigerungen gekommen, so habe der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde zunächst nur eine Gehirnerschütterung als Folge einer Anhaltung zu Protokoll gegeben, in weiterer Folge bei einer anderen Einvernahme hingegen den Bruch von Gesichtsknochen und das Ausdrücken von Zigaretten am Unterschenkel. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung habe der Beschwerdeführer einen desinteressierten Eindruck hinterlassen und vage, zögerliche oder von der Fragestellung abweichende Antworten gegeben. In einer Gesamtschau sei das Vorbringen als unglaubwürdig zu erachten.

 

Eine refoulement-relevante Gefährdung liege nicht vor.

 

Die Ausweisung erfolge im überwiegenden öffentlichen Interesse. Der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Beschwerdeverhandlung keine familiären Bindungen geltend gemacht und zu Protokoll gegeben, alleine zu leben. Verfestigungsgründe oder sonstige Nachweise einer vertiefenden Integration seien nicht zu Tage getreten.

 

Mit Zustellung am 09.02.2010 erwuchs das Erkenntnis in Rechtskraft.

 

1.15 Am 01.03.2011 brachte der Beschwerdeführer einen zweiten (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz ein. Im Rahmen der am selben Tag stattgefundenen niederschriftlichen Ersteinvernahme gab der Beschwerdeführer vor Organen der öffentlichen Sicherheit im Wesentlichen an, dass sich zum einen an den Fluchtgründen nichts geändert habe und dass er zum anderen am 14.02.2010 nach islamischem Recht geheiratet habe. Er liebe seine Frau und deren Kinder aus erster Ehe, er habe eine Familie gefunden. Einige Male seien in Tschetschenien unbekannte uniformierte Männer, letztmalig vor drei bis vier Monaten, zu seiner Mutter nach Hause gekommen und hätten sich nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers erkundigt.

 

1.16. Am 07.03.2011 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesasylamt einvernommen. Er gab an, abgesehen von gelegentlichen Kopfschmerzen prinzipiell gesund zu sein. Er lebe in Wien mit seiner Lebensgefährtin und ihren Kindern und habe von 2008 bis 2010 offiziell beim Unternehmen "XXXX" als Hilfsarbeiter gearbeitet. Auf Vorhalt, im Akt befinde sich lediglich eine Bestätigung, wonach er im Falle einer Aufenthaltsberechtigung angestellt werden könne, erwiderte der Beschwerdeführer, er verfüge über eine Bestätigung, habe sie aber nicht mit. Er wohne mit der Frau und deren drei Kindern aus erster Ehe in einer 51m2-Wohnung, welche 373 Euro/Monat koste und durch Sozialhilfe finanziert werde. Seine Frau bekomme Geld vom Sozialamt, er selbst habe keine Einkünfte, würde aber arbeiten gehen. Seinen neuen Antrag stelle er aufgrund der neuen Familiensituation, die Fluchtgründe habe er bereits im ersten Antrag aufgezählt und seien diese weiterhin aufrecht. Er habe Angst, im Falle einer Rückkehr spurlos zu verschwinden.

 

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Einvernahme eine Bestätigungszusage für eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter (Räumungen) vor, ein Befürwortungsschreiben der Caritas, eine Deutschkursbestätigung am Bildungsinstitut "Aktives Lernen" (A1,A1+ und A2-Niveau) für den (laufenden) Zeitraum 01.04.2011-15.07.2011 sowie ein privates Befürwortungsschreiben des Mag. XXXX vor.

 

1.17. Am 28.03.2011 wurde der Beschwerdeführer erneut niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Er gab an, Mag. XXXX, der Verfasser des Befürwortungsschreibens, sei ein Vorarbeiter auf einer Baustelle gewesen, auf welcher er im Jahr 2008 ebenfalls gearbeitet habe. Er habe ihn zuletzt im September 2010 gesehen, manchmal hätten sie einmal im Monat telefonischen Kontakt.

 

Er selbst sei gesund, es gebe keine ausständigen Behandlungen. Er wolle mit seiner Familie in Österreich leben und habe die Gesetze nicht gebrochen. In Tschetschenien lebe seine Mutter unter schwierigen Bedingungen, sein Onkel sei vor kurzem an zugefügten Verletzungen gestorben, sein Bruder sei im Gefängnis.

 

1.18. Mit Bescheid vom 04.05.2011, Zl. 11 02.062-EAST Ost, wurde seitens des Bundesasylamtes der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 AVG Absatz 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl Nr. 51/1991 idgF. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I) und die beschwerdeführende Partei gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 (AsylG), BGBl Nr. I 100/2005 idgF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt II). Der (erste) Antrag sei bereits rechtskräftig negativ beschieden worden, es könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Eine Zurückweisung eines Antrages auf Internationalen Schutz sei mit einer Ausweisung zu verbinden. Diese verstoße nach Durchführung einer Interessensabwägung nicht gegen Art 8 MRK. Hinsichtlich der geltend gemachten Familienverhältnisse sei zu berücksichtigen, dass die Eheschließung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu welchem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen.

 

Der Bescheid wurde am 09.05.2011 durch persönliche Übergabe an den Beschwerdeführer zugestellt.

 

1.19. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche, fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 13.05.2011.

 

In dieser wird zusammengefasst insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer am 14.02.2011 [Anm.: gemeint wohl: 2010] geheiratet habe. Seine Frau sei anerkannter Flüchtling und lebe mit dem Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer helfe ihr und den Kindern seiner Frau aus erster Ehe sehr. Es sei eine Verletzung des Art 8 MRK, wenn er nicht weiter mit ihr sein Leben aufbauen könne.

 

Weiters sei es von Anfang an ganz und gar nicht sicher gewesen, dass sein Asylantrag negativ entschieden werden würde. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht verändert, er sei massiv im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation gefährdet.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 23 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 idgF sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 23 AsylGHG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist.

 

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen.

 

Gegenüber neu entstandenen Tatsachen fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd § 69 Abs. 1 Z. 2, bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd § 68 Abs. 1 AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (vgl. E VwGH 30.9.1994, 94/08/0183, mwN; 24.8.2004, 2003/01/0431).

 

Zu einer neuen Sachentscheidung kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls sie festgestellt werden kann - zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann

 

(E VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391, mwN zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005, nämlich § 28 AsylG 1997).

 

Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. etwa E VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 bzw. auch E VwGH 25.4.2007, 2004/20/0100). Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (E VwGH 4.5.2000, 99/20/0192).

 

Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. E VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.4.2002, 2000/07/0235).

 

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat; in der Berufung (hier: Beschwerde) gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. VwSlg. 5642 A/1961; 23.5.1995, 94/04/0081; 15.10.1999, 96/21/0097; 4.4.2001, 98/09/0041; 25.4.2002, 2000/07/0235). Allgemein bekannte Tatsachen hat das Bundesasylamt jedoch als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. E VwGH 7.6.2000, 99/01/0321; 29.6.2000, 99/01/0400).

 

Aus dem Neuerungsverbot im Berufungsverfahren (hier: Beschwerdeverfahren) folgt, dass die Berufungsbehörde (hier: der Asylgerichtshof) den bekämpften Bescheid in sachverhaltsmäßiger Hinsicht bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Bundesasylamtes zu kontrollieren hat.

 

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist somit nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (E VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

 

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens iSd § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG bildet somit nur die Frage, ob das Bundesasylamt den gegenständlichen Antrag des BF1 (und der übrigen Beschwerdeführer) auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht zurückgewiesen hat.

 

Der Beschwerdeführer hat im Zusammenhang mit der Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz lediglich jene Fluchtgründe geltend gemacht, welche er bereits im ersten Rechtsgang vorgebracht hat. Hinsichtlich dieser bereits im ersten Verfahren geltend gemachten Fluchtgründe ist der belangten Behörde vollinhaltlich Folge zu leisten und auf das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.02.2010, D11 266437-2/2008/17E zu verweisen, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers als widersprüchlich und unglaubwürdig zu werten sei.

 

Lediglich am Rande (zudem nur bei der Erstbefragung, nicht aber bei den weiteren Einvernahmen) behauptete der Beschwerdeführer, es gebe ein fortgesetztes Interesse der Polizei am Verbleib des Beschwerdeführers, man habe sich mehrfach bei seiner Mutter nach seinem Verbleib erkundigt.

 

Diesbezüglich ergeben sich jedoch aus folgenden Überlegungen massive Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieses neuen Vorbringens. Der Beschwerdeführer leitete das angeblich weiterhin bestehende Interesse an seiner Person von seiner bereits im ersten Verfahrensgang dargelegten Verfolgung ab, welche jedoch wie erwähnt als widersprüchlich und unglaubwürdig zu werten war. Da weder dem Erstverfahren noch dem gegenständlichen Folgeverfahren ein (über das unglaubwürdige Vorbringen hinausreichender) Anhaltspunkt zu entnehmen ist, warum sich russische Behörden unter Einsatz nicht unbeträchtlicher Personalressourcen für den Beschwerdeführer interessieren sollten, stellt dieses neue Sachverhaltselement lediglich einen Nebenaspekt der ursprünglichen Verfolgungsbehauptung dar und hätte somit nichts an der Unglaubwürdigkeit des zentralen Vorbringens im Rahmen des rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahrens geändert.

 

Aufgrund der Unglaubwürdigkeit auch des neuen Vorbringens ist somit nicht anzunehmen, dass sich dadurch eine solche wesentliche Änderung im gesamten Sachverhalt ergeben hat, welche im Endergebnis in Zusammenschau mit den bereits im ersten Rechtsgang ins Treffen geführten alten Fluchtgründen zu einer positiven Entscheidung in der Frage der Zuerkennung internationalen Schutzes geführt hätte.

 

Somit ist der belangten Behörde im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Internationalen Schutz vollinhaltlich Folge zu leisten und auf das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.02.2010 zu verweisen, wonach das Vorbringen des Beschwerdeführers als widersprüchlich und unglaubwürdig zu werten und eine refoulementrelevante Gefährdung nicht gegeben sei.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde die beschwerdeführende Partei aus dem österreichischen Bundesgebiet in die russische Föderation ausgewiesen.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

 

b) das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

 

c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

 

d) der Grad der Integration;

 

e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;

 

f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

 

g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

 

h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 2005 ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß § 10 Abs. 6 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen nach Abs. 1 binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht.

 

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienleben vorliegen (Art. 8 Abs. 1 EMRK). In seinem Erkenntnis vom 29. September 2007, Zahl B 1150/07-9, führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass das öffentliche Interesse an einer Ausweisung höher wiege, als das Interesse eines Fremden an der Fortsetzung seines Privatlebens, wenn dieses sich bloß auf die lange Aufenthaltsdauer, verursacht durch rechtswidrigen Aufenthalt bzw. aussichtslose Anträge, stütze. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK sei nicht denkbar, wenn die belangte Behörde das Interesse an einer geregelten Einreise und der Befolgung österreichischer Gesetze höher bewerte, als den langjährigen tatsächlichen Aufenthalt im Inland.

 

Im gegenständlichen Fall kam bzw. kommt der beschwerdeführenden Partei kein, nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht zu.

 

Seitens des Beschwerdeführers wurde das Bestehen eines Familienlebens behauptet. Er sei seit 14.02.2010 nach islamischem Recht mit seiner asylbe

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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