TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/24 E6 241818-0/2008

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Veröffentlicht am 24.05.2011
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Spruch

E6 241.818-0/2008-35E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Habersack als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Kloibmüller als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, StA. Türkei, vertreten durch RAe Dellasega & Kapferer, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.09.2003, Zl. 03 09.574-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.01.2011 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer gab an, Staatsangehöriger der Türkei türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens zu sein. Bereits am 13.01.1999 beantragte er bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX einen Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck der Familiengemeinschaft. Dieser Antrag wurde am 27.04.1999 abgewiesen. Am 05.09.2002 stellte der Beschwerdeführer - als Schüler - neuerlich unter dem Hinweis auf seine Angehörigeneigenschaft einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Österreich. In diesem Verfahren wurde eine fürsorgerechtliche Stellungnahme eingeholt, wonach der Beschwerdeführer mangels eigenen Einkommens damals auf die finanzielle Unterstützung seiner in Österreich als Gastarbeiter im Gastgewerbe aufhältigen Eltern angewiesen war. Es konnte vom Sozialreferat keine Empfehlung ausgesprochen werden, da es öfters Probleme der Eltern mit Dienstgebern gegeben habe, mehrmals Notstandshilfe nach Verbrauch des ebenso häufig in Anspruch genommenen Arbeitsgeldes gewährt worden sei und der Sozialhilfeaufwand nur teilweise und in Erwartung einer positiven Stellungnahme zum Aufenthaltsverfahren des Beschwerdeführers rückerstattet worden sei. Der zweite Antrag auf Aufenthaltsbewilligung wurde am 21.10.2002 vom Vater des Beschwerdeführers zurückgezogen.

 

Der Beschwerdeführer reiste am 04.03.2003 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. In weiterer Folge beantragte er mit Telefax seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 25.03.2003 ohne weitere inhaltliche Konkretisierung die Gewährung von Asyl. Der vom Bundesasylamt angeforderte Fremdenakt des Beschwerdeführers wurde von der Bezirkshauptmannschaft XXXX mit Schreiben vom 28.03.2003 übermittelt. Am 23.07.2003 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.09.2003, Zl. 03 09.574-BAI, wurde der Asylantrag in Spruchteil I unter Berufung auf § 7 AsylG abgewiesen; in Spruchteil II stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Gegen diesen am 04.09.2003 dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers zugestellten Bescheid wurde am 18.09.2003 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben.

 

Am 12.04.2007 führte der Unabhängige Bundesasylsenat in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch, bei welcher seine Eltern anwesend waren.

 

Der Beschwerdeführer führte zu seinen Fluchtgründen wiederum aus, dass er seinen Militärdienst aus Gewissensgründen nicht ableisten wolle und gegen ihn ein Strafverfahren in der Türkei eingeleitet worden sei. Seine Großmutter habe ihm mitgeteilt, dass er zu sechs Monaten Haftstrafe verurteilt worden sei. Die mündliche Verhandlung wurde mit dem Auftrag zur Vorlage dieses Urteils sowie des Scheidungsurteils betreffend den Beschwerdeführer vertagt.

 

Am 31.10.2007 fand eine fortgesetzte Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines rechtsfreundlichen Vertreters statt. In dieser wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Weiters legte der Beschwerdeführer eine Anklageschrift, ausgestellt von der Staatsanwaltschaft in XXXX im Dezember 2002 vor. Im Rahmen dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, die schon vor dem Bundesasylamt erwähnten Unterlagen betreffend seinen Militärdienst in der Türkei vorzulegen.

 

Mit Schreiben vom 12.04.2010 übermittelte der Asylgerichtshof der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers eine Verständigung über die Beweisaufnahme zur allgemeinen Lage in der Türkei zur Stellungnahme.

 

Mit Schreiben vom 18.05.2006, 08.11.2006, 26.04.2007 und 20.03.2009 wurde durch das AMS mitgeteilt, dass betreffend den Beschwerdeführer Beschäftigungsbewilligungen vorliegen.

 

Von den Sicherheitsbehörden wurden Urteile des Landesgerichts XXXX, die Abschlussberichte der Polizei und eine einstweilige Verfügung vom XXXX betreffend die ehemalige Lebensgefährtin des Beschwerdeführers übermittelt.

 

Am 17.01.2011 führte der Asylgerichtshof eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, da die Neudurchführung der Verhandlung aufgrund der Einrichtung des Asylgerichtshofes im Zusammenhang mit dem Erkenntnis des VfGH vom 27.04.2010, Zl. U 634/10-8, erforderlich war. Verlesen wurde der gesamte Akteninhalt, insbesondere die Verhandlungsprotokolle vom 12.04.2007 und 31.10.2007. In dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer nochmals Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand vorliegender Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

 

2. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens. Geboren wurde der Beschwerdeführer in XXXX, wo er auch aufgewachsen ist, die Volksschule für fünf Jahre besuchte und grundsätzlich bis zu seiner Ausreise bei seiner Großmutter gelebt hat. Im Jahr 1992 hielt sich der Beschwerdeführer ungefähr ein halbes Jahr lang in Österreich bei seinen Eltern auf und besuchte hier die Schule. Der Beschwerdeführer hat in der Türkei am XXXX geheiratet und wurde diese Ehe mit Urteil vom XXXX geschieden. Die Mutter des Beschwerdeführers hält sich seit 21 und der Vater seit 17 Jahren in Österreich auf.

 

Während die Mutter des Beschwerdeführers derzeit aufgrund einer Herzerkrankung arbeitsunfähig ist, arbeitet der Vater nach wie vor im Gastgewerbe. Der Vater des Beschwerdeführers besitzt seit dem Jahr 2007 die österreichische Staatsbürgerschaft. Neben den Eltern leben noch ein minderjähriger Bruder und ein Schwager des Beschwerdeführers in Österreich.

 

Der Beschwerdeführer hat eine zweieinhalbjährige Tochter, welche österreichische Staatsbürgerin ist und die bei ihrer Mutter lebt. Der Beschwerdeführer lebt von der Mutter seiner Tochter getrennt und bezahlt Unterhalt iHv 170 Euro monatlich. Er besucht diese Tochter lediglich zeitweise in Begleitung einer Person des Jugendamtes. In der Türkei leben noch die Großmutter und ein weiterer Bruder, gegen welchen gemeinsam mit dem Beschwerdeführer eine Anklage wegen Belästigung von der Oberstaatsanwaltschaft in XXXX am XXXX erhoben wurde. Vorgeworfen wird dem Beschwerdeführer in dieser Anklage, dass er am 27.05.2002 ein Mädchen telefonisch belästigt (Heranmachung) habe. Angeführt wurde weiters der genaue Wortlaut der die Belästigungen darstellenden SMS sowie die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht einvernommen werden könne, da er sich im Ausland befunden habe.

 

Der vom Beschwerdeführer am 13.01.1999 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für Österreich wurde am 27.04.1999 abgewiesen. Am 11.07.2002 wurde dem Beschwerdeführer von der Österreichischen Botschaft in XXXX ein Visum für den Schengenraum, gültig vom 12.07.2002 bis 15.09.2002, ausgestellt. Am 05.09.2002 hat der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Zweck des Studium/Schulausbildung gestellt, welcher am 21.10.2002 zurückgezogen wurde.

 

Der Beschwerdeführer war in der Türkei nicht politisch tätig und hatte - außer dem Vorfall im Zusammenhang mit der SMS-Belästigung gegenüber einem Mädchen - keine Probleme mit den türkischen Behörden.

 

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX zu einer Geldstrafe wegen eines Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz verurteilt. Weiters wurde der Beschwerdeführer am XXXX, am XXXX und am XXXX wegen Körperverletzungsdelikten bzw. gefährlicher Drohung zu Geldstrafen verurteilt. Demnach hat der Beschwerdeführer in Österreich seine ehemalige Lebensgefährtin belästigt und gefährlich bedroht und ist weiters mehrmals gewalttätig geworden. Darüber hinaus hat es eine einstweilige Verfügung des BG XXXX gegeben, wobei dem Beschwerdeführer aufgetragen wurde, sich für die Dauer von 3 Monaten der Wohnung der Eltern seiner damaligen Freundin nicht näher als 50m zu nähern.

 

Der Beschwerdeführer ist im wehrdienstpflichtigen Alter und hat den Wehrdienst noch nicht abgeleistet.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Türkei eine asylrelevante - oder sonstige - Verfolgung oder Strafe maßgeblicher Intensität oder die Todesstrafe droht oder dem Beschwerdeführer in der Türkei die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre.

 

3. Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

 

Überblick

 

Die Republik Türkei ist eine parlamentarische Republik und definiert sich in ihrer Verfassung (Art. 2) als demokratischen, säkularen und sozialen Rechtsstaat auf der Grundlage der Ideen des öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität und Gerechtigkeit sowie der Menschenrechte und als besonders verpflichtet den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk. Staatsoberhaupt mit weitgehend repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Premierminister. Durch Referendum vom 21.10.2007 wurde die Verfassung dahingehend geändert, dass der Staatspräsident künftig nicht mehr vom Parlament, sondern vom Volk gewählt wird. Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Die Regierung hat mehrfach, zuletzt während der 8. Beitrittskonferenz in Brüssel am 21. Dezember 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Meinungsfreiheit

 

Die Meinungsfreiheit wird durch die Anwendung verschiedener Gesetze (insbesondere Strafgesetzbuch, Anti-Terror-Gesetz) eingeschränkt. Schriftliche wie mündliche Aussagen, die die PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als "Guerrilla"), den PKK-nahen Fernsehsender ROJ-TV oder den inhaftierten Abdullah Öcalan (z.B. "Verehrter Öcalan") in ein positives Licht stellen, werden strafrechtlich verfolgt. Themen wie Militär, die Armenierfrage und die Kurdenproblematik können inzwischen überwiegend ohne rechtliche Konsequenzen im öffentlichen Raum angesprochen werden. So lehnte es die Staatsanwaltschaft XXXX Anfang 2009 ab, Unterzeichner einer Internetkampagne, die von türkischen Intellektuellen zur Entschuldigung gegenüber den armenischen Opfern von 1915 eingerichtet worden war, strafrechtlich zu verfolgen. Ein Urteil des obersten Zivilgerichts gegen den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk wegen seiner Äußerung zu Morden an Armeniern und Kurden (Oktober 2009) eröffnet jedoch den zivilrechtlichen Weg des Schadensersatzes bei Aussagen, die Kläger in ihrer Eigenschaft als türkische Staatsangehörige in ihrem Ehrempfinden verletzen. Kritik, Infragestellung oder Ironisierung des Staatsgründers Kemal Atatürk läuft weiterhin Gefahr, zur Anzeige gebracht und von Staatsanwälten auch strafrechtlich verfolgt zu werden.

 

Insbesondere im Südosten kommt es vor, dass Meinungsäußerungen bzw. die Teilnahmen an einer Demonstration bei öffentlichen Stellen wie der Polizei oder dem Gemeindeamt registriert werden. Dies kann in der Folge zur Diskriminierung bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen führen (z.B. Bezug von Sozialleistungen über die Grüne Karte).

 

Politische Opposition

 

Politisch Oppositionelle werden nicht systematisch verfolgt. Die Arbeit der oppositionellen prokurdischen und in Teilen PKK-nahen DTP (Demokratik Toplum Partisi) wurde jedoch seit ihrem Bestehen ebenso wie ihre Vorgängerorganisationen von Seiten der Justiz durch Verfahren behindert, die die Meinungsfreiheit oder die politische Betätigungsfreiheit der DTP-Abgeordneten oder -Mitglieder einschränken. Nach zwei vornehmlich gegen DTP-und DTP-nahe Gewerkschaftsmitglieder gerichteten Verhaftungswellen am 15.und 28.05.2009 folgten im September, Oktober, Dezember 2009 und Januar 2010 weitere Verhaftungen. Dabei wurden über 800 Personen wegen angeblich terroristischer Aktivität im Rahmen der PKK-nahen Organisation (Kurdistan-Parlament, KCK) in Gewahrsam genommen. Das 2007 gegen die Partei eingeleitete Verbotsverfahren wurde am 11.12.2009 abgeschlossen. Die Partei wurde wegen ihrer Verbindungen zur terroristischen PKK verboten, gegen 37 DTP-Mitglieder (Antrag betraf 221 Personen) wurde wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" ein politisches Betätigungsverbot ausgesprochen. Zwei der betroffenen DTP-Mitglieder sind Abgeordnete im Parlament.

 

Dem Auswärtige Amt ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte.

 

Exilpolitische Aktivitäten

 

Nur türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die türkischen Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den türkischen Staat rechnen.

 

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die Entwicklung der vergangenen Jahre ist gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Die türkische Regierung hat zuletzt im Rahmen des 47. Assoziationsrates der EG mit der Türkei in Brüssel am 19. Mai 2009 ein klares Bekenntnis zum Ziel der EU-Vollmitgliedschaft abgegeben und angekündigt, den Reformprozess zu beschleunigen.

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig (Verhandlung in geschlossenen Verfahren; ohne gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit). Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen.

 

Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden. Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin. 2008 sei es wiederholt zu Vertuschungsversuchen, Zerstörung und Unterdrückung von Beweisen bzw. Behinderung der staatsanwaltlichen Ermittlungen gekommen. Ähnliche Erkenntnisse ergeben sich aus der Beobachtung von Gerichtsverfahren durch die Botschaft XXXX.

 

Reformierte Strafrechtsnormen werden von den Gerichten auch in Fällen mit Terrorbezug und Separatismusvorwürfen grundsätzlich rechtsstaatskonform angewandt. Im Mai 2009 wurden vier Anwälte des Menschenrechtsvereins IHD kurzfristig aufgrund von Terrorismusvorwürfen verhaftet. Dabei wurden auch Unterlagen von Klienten beschlagnahmt. Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung bei Schuldvorwürfen mit einem Strafrahmen bis 5 Jahre wurde 2006 (mit Blick auf den Mangel an dafür geeigneten Rechtsberatern) eingeschränkt. Seit Dezember 2006 kann die kostenlose Rechtsberatung nur derjenige in Anspruch nehmen, der einem Tatvorwurf mit Strafandrohung von mindestens fünf Jahren ausgesetzt ist.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt in der Türkei eine wichtige Rolle: Zum einen, weil er als Ersatz für die im türkischen Recht fehlende Verfassungsbeschwerde angesehen und daher in vielen Fällen nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges angerufen wird; zum anderen ist die EMRK aufgrund einer entsprechenden Verfassungsbestimmung nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar.

 

Die Zahl der Beschwerden, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folterfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2009 landesweit zurückgegangen. Aus den vorliegenden Statistiken lassen sich jedoch keine Rückschlüsse ziehen, da längst nicht alle potentiellen Hinweise auf Folter durch die Menschenrechtsorganisationen überprüft und bestätigt werden konnten und die Erfassung in unterschiedlicher, teils sehr stark voneinander abweichender Weise gehandhabt wird. Bei einem statistischen Vergleich muss zudem berücksichtigt werden, dass gerade durch die "Null-Toleranz-Politik" die Sensibilität für das Thema erheblich zugenommen hat. Die aus Sicht des Auswärtigen Amtes verlässlichsten Zahlen stammen von der Menschenrechtsstiftung der Türkei, TIHV. In der Gesamtzahl berichtet TIHV von einer leichten Abnahme der bei ihnen behandelten Fälle von Folter und Misshandlung. Bis Ende November 2009 wurden insgesamt 252 Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden (2008: 269, 2007: 320; 2006: 222).

 

Sippenhaft

 

In der Türkei gibt es keine "Sippenhaft" in dem Sinne, dass Familienmitglieder für die Handlungen eines Angehörigen strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die nach türkischem Recht aussagepflichtigen Familienangehörigen - etwa von vermeintlichen oder tatsächlichen PKK-Mitgliedern oder Sympathisanten - werden allerdings zu Vernehmungen geladen, z.B. um über den Aufenthalt von Verdächtigen befragt zu werden. Werden Ladungen nicht befolgt, kann es zur zwangsweisen Vorführung kommen.

 

Dem Auswärtigen Amt liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Personen, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben und die zB eine strafrechtliche Verfolgung oder Gefährdung durch "Sippenhaft" in der Türkei behaupten, bei Rückkehr in die Türkei einer Gefährdung durch Folter oder Misshandlungen allein aufgrund der Tatsache droht, dass ein Asylantrag gestellt wurde.

 

Staatliche Repressionen

 

Es gibt keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung. Es kommt jedoch zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen.

 

Repressionen Dritter

 

In der Türkei gibt es zahlreiche militante religiöse Gruppierungen wie die türkische Hizbullah, die "Front der Vorkämpfer des Großen Ostens" (IBDA-C) und linksradikale, terroristische Gruppierungen wie die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi - "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front") bzw. die TKP-ML (Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist) oder die linksterroristische MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei). Trotz der andauernden Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Teile dieser Gruppierungen kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Repressionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wegen ihrer Rasse, Nationalität, Religion oder politischen Überzeugung ausüben.

 

Grundversorgung

 

Die Türkei kennt bisher keine staatliche Sozialhilfe die mit dem EU-Standard vergleichbar ist. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Kanunu) und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Genel Müdürlügü Teskilat ve Görevleri Hakkinda Kanun) gewährt. Die Sozialhilfeprogramme werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt und sind den Gouverneuren unterstellt.

Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der Sozialsicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die durch eine kleine Unterstützung oder durch Gewährleistung einer Ausbildungsmöglichkeit gemeinnützig und produktiv werden können.

 

Die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung werden von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Hilfen für die Ausbildung (Schülerbedarfsartikel, Unterkunft), Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. In einem im Jahr 2008 begonnenen Projekt sollen erstmals Bedürftigkeitskriterien für die einzelnen Leistungsarten entwickelt werden. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt; in Einzelfällen entscheidet der Vorstand der Stiftung. In der Türkei existieren darüber hinaus weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben.

 

Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standards entsprechen. Auch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert. Versorgungsdefizite - vor allem in den ländlichen Provinzen - bestehen aber noch bei der medizinischen Ausstattung, bei Ärzten und Krankenpflegern. In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, die Patienten in Behandlungszentren der nächstgelegenen größeren Städte zu überweisen.

 

Das am 1. Oktober 2008 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Sozialversicherungsreform (Gesetz Nr. 5510) dehnt die gesetzliche Krankenversicherung auf alle Personengruppen, einschließlich der unter 18-Jährigen, aus. Ziel ist die Sicherstellung einer einheitlichen gesundheitlichen Versorgung aller Bürger mit im Wesentlichen gleichen Bezugsvoraussetzungen und Leistungsansprüchen für Angestellte, Rentner und Selbständige. Nach einer Übergangszeit von zwei Jahren (bis XXXX) werden auch bisher unversicherte Mittellose, die die sog. "Grüne Karte" (Yesil Kart) für eine kostenlose medizinische Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem nutzen, sowie bisher durch die Maschen des Systems fallende Personen, einbezogen.

 

Eine medizinische Versorgung sowie die Behandlungsmöglichkeit psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich landesweit gegeben. In ländlichen Regionen müssen Patienten unter Umständen in Behandlungszentren größerer Städte überwiesen werden. Das Gesundheitswesen garantiert psychisch kranken Menschen umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Dauereinrichtungen für psychisch Kranke wie offene oder geschlossene Psychiatrien oder betreute Wohnheime gibt es jedoch nur in begrenzter Kapazität für chronische Fälle, in denen familiäre Unterstützung nicht gewährleistet ist oder die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ist ein ständig steigender Standard festzustellen. Die Behandlung psychischer Erkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

Behandlung von Rückkehrern

 

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die türkischen Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier.

 

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Ein Eintrag besteht nicht, wenn zuvor anhängige Ermittlungsverfahren oder eingeleitete Strafverfahren wegen Verjährung oder Amnestiebestimmungen eingestellt wurden oder die Person freigesprochen und ein Fahndungs- bzw. Haftbefehl aufgehoben wurde.

 

Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Ein Anwalt wird zur Durchführung des Verhörs, bei welchem der Festgenommene zu den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen gehört wird, hinzugezogen. Der Festgenommene wird ärztlich untersucht. Das Verhör wird durch den Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten im Namen der Staatsanwaltschaft vorgenommen. Der Festgenommene darf zunächst 24 Stunden festgehalten werden. Eine Verlängerung dieser Frist auf 48 Stunden ist möglich. Danach findet erneut eine ärztliche Untersuchung statt. Nach der ärztlichen Untersuchung wird der Festgenommene mit dem Bericht des Arztes dem Staatsanwalt vorgeführt, der nochmals eine Befragung im Beisein eines Anwaltes durchführt. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter mit dem Antrag auf Ausstellung eines Haftbefehls. Bei der Befragung durch den Richter ist ebenfalls der Anwalt anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein Anwalt wird hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung vorgenommen.

 

Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den Amnestiebestimmungen des 1991 in Kraft getretenen Antiterrorgesetzes Nr. 3713 oder des im Dezember 2000 in Kraft getretenen Gesetzes Nr. 4616 (Gesetz über die bedingte Entlassung, Verfahrenseinstellung und Strafaussetzung zur Bewährung bei Straftaten, die vor dem 23. April 1999 begangen worden sind) profitieren kann oder ob gemäß Art. 102 StGB a. F. (jetzt Art. 66 StGB n. F.) Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen.

 

Andernfalls fordert der Staatsanwalt von dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbeschluss an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem Haftbefehl - der durch den örtlich zuständigen Richter erlassen wird - dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Während der Verhöre - sowohl im Ermittlungs- als auch im Strafverfahren - sind grundsätzlich Kameras eingeschaltet.

 

Dem Auswärtigen Amt ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Auch seitens türkischer Menschenrechtsorganisationen wurde kein Fall genannt, in dem politisch nicht in Erscheinung getretene Rückkehrer oder exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen menschenrechtswidriger Behandlung durch staatliche Stellen ausgesetzt war. Nach Auskunft von EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, England, auch der Kommission) sowie Norwegen, der Schweiz und den USA ist auch diesen aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem exponierte Mitglieder, führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt waren.

 

Zum Wehrdienst:

 

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige ab dem 1. Jänner jenes Jahres, in dem ein Staatsbürger 19 Jahre alt wird unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit, sofern eine gesundheitliche Eignung gegeben ist. Der fünfzehnmonatige (für Universitätsabsolventen sechs- bzw. zwölfmonatige) Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Das Höchstalter für die Ableistung des Wehrdienstes liegt bei 40 Jahren. Das wehrdienstpflichtige Alter erstreckt sich damit über eine Zeitspanne von 21 Jahren, kann aber bei hinreichend dargelegter Notwendigkeit durch Generalstab und Verteidigungsministerium vom Nationalrat um fünf Jahre erhöht oder reduziert werden. Das wehrpflichtige Alter teilt sich in drei Phasen: die Einberufungsphase, den aktiven Dienst und die Reserve.

 

Gem. Art. 63 des Militärstrafgesetzes beträgt die Strafe für Wehrdienstverweigerung, wenn die Person dem Musterungsbefehl nicht folgt und drei Monate nach Zustellung desselben gefasst wird, zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahre, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist.

 

Obwohl im türkischen Militärgesetz § 63 die Verweigerung des Wehrdienstes mit schwerer Strafe bedroht wird, wird diese in den meisten Fällen nicht verhängt, es sei denn, es liegt ein weiterer qualifizierter Sachverhalt vor. Auch die Ländersachverständige Sedef Dearing geht davon aus, dass sich die Bestrafungen im unteren bzw. untersten Bereich des Strafrahmens bewegen.

 

In der Türkei gibt es keine gesetzliche Möglichkeit, einen Wehrersatzdienst zu leisten. Bei der Behandlung des Problems "Kriegsdienstverweigerung" schien sich auf offizieller Ebene eine Tendenz durchzusetzen, diese Personen als "untauglich" zu erklären, um wiederholte Inhaftierung und entsprechende internationale Proteste zu vermeiden. Dennoch kam es auch im Jahr 2008 zu Strafverfolgung von Wehrdienstverweigerern.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass kurdischstämmige Wehrdienstleistende während des Militärdienstes generell relevanten Nachteilen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt wären. Vereinzelte Vorfälle können aber nicht ausgeschlossen werden.

 

Die Zuteilung der Wehrpflichtigen zu den Einheiten des Militärs erfolgt durch ein Computerprogramm (Zufallsprinzip). Vom Computersystem abweichende Zuteilungen - etwa über Intervention - sind im Einzelfall nicht gänzlich ausgeschlossen. Das GIGA geht in der genannten Anfragebeantwortung davon aus, dass Wehrpflichtige idR in der Nähe ihrer Wohnsitze einberufen werden, was jedoch nicht für Kurden aus dem Südosten der Türkei gilt, welche in der Regel im Norden und Westen eingesetzt werden, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden. Der Zuweisungsort erfolgt grundsätzlich durch ein Computersystem, das gewisse Parameter berücksichtigt. So erfolgt kein Einsatz in der Region, in der ein Wehrdienstpflichtiger gemeldet ist und auch nicht in jener, aus der die betreffende Person ursprünglich stammte (in der er geboren ist).

 

Für türkische Staatsbürger, die aus dem Ausland zurückkämen, gibt es keine gesonderte Vorgangsweise - auch ihre Zuteilung zu bestimmten Regionen würde von der Wehrdienstbehörde per Computer entschieden.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass es hinsichtlich des militärischen Einsatzes der Türkei gegen die PKK in der Türkei bzw. im Nordirak von der Völkerrechtsgemeinschaft bzw. dem UN-Sicherheitsrat zu einer Verurteilung gekommen wäre, weil dieser etwa den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend wäre. Kritische Äußerungen von Staaten gibt es und die Türkei wird von Staaten aufgefordert von unverhältnismäßigen Militäraktionen abzusehen. Die Türkei stützt ihre militärische Aktion gegen die PKK im Nordirak auf Art 51 der UN-Charta, wonach Selbstverteidigungsmaßnahmen des Landes grundsätzlich erlaubt sind, wenn es bewaffneten Angriffen ausgesetzt ist, was für gegeben erachtet wird, weil die PKK vom Nordirak aus immer wieder Terroranschläge auf türkischem Gebiet verübt. Nach einer UN-Resolution aus dem Jahr 1974 (3314) kann eine solche Aggression nicht nur von einem Staat sondern auch von bewaffneten Banden ausgehen.

 

Für den Kampf gegen die PKK werden in der Türkei sowohl Armee, die Gendarmerie, die Polizei und Spezialeinheiten eingesetzt. Bei Gendarmerie, Polizei und Spezialeinheiten erfolgt kein Einsatz gegen den Willen des Betroffenen im eigentlichen Sinne, da diese Personen sich aus freiem Willen zu diesem Beruf entschlossen haben und ihn auch aufgeben könnten. Zudem kommen bei größeren Operationen gegen die PKK Personen/Einheiten zum Einsatz, welche eine Spezialsausbildung im Antiterrorkampf besitzen. Auch bei der gezielten Terrorbekämpfung gegen die PKK durch die Armee werden spezielle ausgebildete Kommandoeinheiten eingesetzt. Seit 2008 werden in diesen Kommandoeinheiten keine Reserveoffiziere mehr eingesetzt. Ab 2009 sollen die bisher eingesetzten Wehrpflichtigen, welche ebenfalls eine Spezialausbildung im Antiterrorkampf absolviert haben, durch Berufsoldaten ersetzt werden.

 

Es gibt in der türkischen Armee Spezialeinheiten, welche sich aus hoch spezialisierten und qualifizierten Leuten zusammensetzt, die als "politisch zuverlässig" und daher nicht nur über eine sehr spezielle Ausbildung, sondern auch über eine hohe Loyalität verfügen. Seit 2008 werden den dafür zuständigen Kommandobrigaden keine neuen Grundwehrdiener mehr zugeteilt. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass derzeit solche noch zu diesen Einheiten zur Bekämpfung des Terrorismus zugewiesen werden. Bis Ende 2009 sollen diese nach Beendigung der Umstrukturierung nur mehr aus hauptberuflichem Militärpersonal bestehen.

 

Eine Auswertung der Herkunftsorte gefallener Soldaten zeigt, dass eine Mehrzahl aus der Schwarzmeerregion und aus Zentralanatolien stammt.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Akt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde, den bekämpften Bescheid, den Beschwerdeschriftsatz, die vorgelegten Zeitungsberichte und Dokumente sowie durch öffentlich mündliche Verhandlung der Beschwerdesache, Einsichtnahme in den Fremdenakt des Beschwerdeführers und die übermittelten Unterlagen zu den Strafverfahren sowie durch Berücksichtigung nachstehender

Länderdokumentationsunterlagen:

 

Allgemein:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.04.2010, 29.06.2009 und 11.09.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Glossar Islamische Länder, Band 23, Februar 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse, Juni 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei, November 2009

 

EU-Kommission, Türkei Fortschrittsbericht 2010, 09.11.2010

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 09.08.2010

 

USDOS: Country Reports on Human Rights Practices 2009: Turkey, 11.03.2010

 

USDOS: International Religious Freedom Report Turkey 2010, 17.11.2010

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, Verbot der DTP, 14.12.2009 und 21.12.2009

 

Zum Wehrdienst:

 

Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 11.04.2010

 

Anfragebeantwortung des deutschen auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Hannover vom 27.05.2010

 

GIGA, Anfragebeantwortung an den Unabhängigen Bundesasylsenat vom 10.9.2007

 

www.focus.de , Der türkische Einmarsch und das Völkerrecht, 22.2.2008;

 

Generalversammlung der Vereinten Nationen, 3314.-Definition der Aggression, 14.12.1974, Art 51 der UN-Charta

 

www.allaboutturkey.com/index.htm

 

BAMF/Informationszentrum für Asyl und Migration (Oktober 2008):

Vortrag Eurasil-Workshop vom 24.6.2008 in Nürnberg, Bericht von Michael Bittner, BAMF

 

ACCORD: Wehrdienstverweigerung in der Türkei, März 2009

 

Workshop AsylGH Türkei vom 24.4.2009: Vortragende Ländersachverständige Sedef Dearing

 

5. Beweiswürdigend wird ausgeführt:

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner legalen Einreise in das Bundesgebiet und des Datums seiner Asylantragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten türkischen Reisepasses, ausgestellt am XXXX vom XXXX, gültig von XXXX bis XXXX samt Schengenvisum, ausgestellt von der österreichischen Botschaft in XXXX am 11.07.2002, gültig vom 12.07.2002 bis 15.09.2002 sowie dem Auszug aus dem Geburtseintrag in der Türkei, ausgestellt vom XXXX am 14.11.2007.

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zu den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdige Angaben im Asylverfahren sowie die vorgelegte Scheidungsurkunde vom XXXX, ausgestellt vom Land-Zivilgericht XXXX und die vorgelegten österreichischen Reisepässe betreffend den Bruder und Vater des Beschwerdeführers.

 

Die Feststellung zur Wehrfähigkeit des Beschwerdeführers war auf Grund des Alters des Beschwerdeführers sowie des diesbezüglich in Vorlage gebrachten türkischen Dokumentes (Schreiben des Militärkommandos XXXX vom 24.01.2007) zu treffen.

 

Die Feststellungen zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug sowie den übermittelten Urteilen des Landesgerichtes XXXX. Die einstweilige Verfügung gegen den Beschwerdeführer ergibt sich aus dem vorgelegten entsprechenden Dokument.

 

Die Feststellungen zur Anklage in der Türkei ergeben sich aus der in Vorlage gebrachten Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft XXXX vom XXXX.

 

Was die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe betrifft, so ist Folgendes auszuführen:

 

Der Beschwerdeführer hat im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben, dass er wie alle Gleichaltrigen zum Militärdienst einberufen werden hätte sollen. Er hätte nach seiner Musterung im August/September 2002 in XXXX beim Wehrbezirkskommando seinen Militärdienst antreten sollen, und habe daher die Türkei verlassen. Der Einberufungsbefehl sei aufgrund der Ausreise des Beschwerdeführers dem in der Türkei aufhältigen Bruder übergeben worden. Befragt dazu, warum er den Wehrdienst nicht antreten wolle, führte er aus, dass er "sehr schlimme Sachen über den Militärdienst gehört" habe, dieser sehr streng sei, man schlecht behandelt und beschimpft werde und zudem die Dauer von 18 Monaten zu lang sei.

 

Weiters habe er in der Türkei mit einem siebzehnjährigen Mädchen im Zeitraum von Jänner 2001 bis März 2002 Geschlechtsverkehr gehabt, wobei "das Mädchen seitdem nicht mehr Jungfrau" sei. Es sei dann von dem Mädchen und deren Familie großer Druck auf ihn ausgeübt worden, und sei er letztlich von einem Familienmitglied oder dem Mädchen selbst auch wegen gefährlicher Drohung bei der Staatsanwaltschaft angezeigt worden. Konkret sei ihm vorgeworfen worden, dass er das Mädchen per SMS mit dem Umbringen bedroht habe. Er sei nicht schuldig, aber dies könne er sehr schwer beweisen, da das Mädchen sich in einem von ihm unbeobachteten Moment tatsächlich mit seinem Handy derartige SMS auf ihr Handy geschickt habe. Er habe dann drei Ladungen - welche seine Großmutter oder sein Bruder entgegengenommen hätten - ignoriert, und werde er nunmehr per Haftbefehl in der Türkei gesucht, was ihm sein Bruder mitgeteilt habe. Das Mädchen habe er nicht heiraten können, da er seit XXXX mit einer anderen Frau standesamtlich verheiratet gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr vermute er, dass er für sechs Monate ins Gefängnis müsse, da er den Ladungen nicht Folge geleistet habe.

 

In der Beschwerde wurde neben der Wiederholung der wesentlichen bis zu diesem Zeitpunkt getätigten Aussagen zusätzlich erstmalig ausgeführt, dass es der Überzeugung des Beschwerdeführers entgegenstehen würde, Waffen zu tragen und einzusetzen. Darüber hinaus sei er systemkritisch eingestellt und hätte sich nicht in das hierarchische System des türkischen Militärs integrieren können, was zu großen Problemen geführt hätte.

 

Weiters würde er an militärischen Einsätzen gegen Kurden teilnehmen müssen, und würden diese Kampfhandlungen auf ein vom Völkerrecht verpöntes Ergebnis hinauslaufen. Darüber hinaus würden ihn kein faires Verfahren betreffend seine Wehrdienstverweigerung und eine menschenunwürdige Haft im Gefängnis in der Türkei erwarten. Es wurde daher eine gutachterliche Stellungnahme zur Frage beantragt, ob türkische Wehrdienstverweigerer nach einer Flucht nach Österreich in türkischen Gefängnissen aus konventionsrelevanten Gründen eine vergleichsweise härtere Bestrafung erwartet. Weiters wurde beantragt, ein Gutachten zur Gefährdung generell für Rückkehrer einzuholen.

 

Im Zuge der Verhandlungen vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat führte der Beschwerdeführer bezüglich seiner Wehrdienstverweigerung über Befragung insbesondere aus, dass viele PKK-Kämpfe in der Türkei stattfinden würden und er aus Angst keine Waffe tragen wolle, da er dann im Zuge von Kampfhandlungen "dem Tod gegenüberstehen" würde.

 

Auch in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof gab der Beschwerdeführer über Befragung dazu, was er mit "Gewissensgründen" meine, an, dass er nicht selbst Opfer werden möchte, und man sehe immer die Kämpfe gegen die Terroristen in den Medien. Über Vorhalt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass man auch aus seinem Verhalten in Österreich erkennen könne, dass er grundsätzlich gewaltbereit sei und dies der Einstellung von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen diametral gegenüberstünde, konnte der Beschwerdeführer nur Ausflüchte angeben und versuchte, seine Straftaten in Österreich zu rechtfertigen. Der Asylgerichtshof stützt die Annahme der Unglaubwürdigkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen jedoch auch auf den generellen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers, welcher an der Glaubwürdigkeit dieses zudem erst in der Beschwerde erstmalig erwähnten und damit gesteigerten Vorbringens erhebliche Zweifel erweckte. Dazu ist anzumerken, dass auch der VwGH davon ausgeht, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

 

Der Asylgerichtshof gewann während der mündlichen Beschwerdeverhandlung - insbesondere auf Grund des Umstandes, dass die Eltern des Beschwerdeführers mit dem jüngeren Bruder mittlerweile schon seit ungefähr zwanzig Jahren in Österreich leben und der Beschwerdeführer bereits 1999 und 2002 versuchte, mittels Antrages auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung bzw. zwecks Schulaufenthaltes einen Aufenthaltstitel für Österreich zu erlangen - viel mehr den Eindruck, dass er lediglich aus wirtschaftlichen oder privaten Gründen nach Österreich reiste. Da diese Anträge abgelehnt bzw. zurückgezogen wurden, war die Erteilung eines fremdenrechtlichen Aufenthaltstitels für Österreich offenbar nicht möglich und erhärtet sich die Ansicht des Asylgerichtshofes, dass der Beschwerdeführer die Türkei rein aus wirtschaftlichen oder privaten Interessen verlassen hat und die Asylantragstellung lediglich zum Zwecke des Erhaltes eines Aufenthaltstitels für Österreich erfolgte.

 

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen Begründung dieses Asylantrages kann daher vorweg festgehalten werden, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer behaupteten Verfolgung in der Türkei nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung - wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung - eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.

 

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

 

Hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers in Bezug auf den Militärdienst an sich ist auf die getroffenen Feststellungen zu verweisen, wonach vereinzelte Vorfälle bei der Ableistung des Wehrdienstes nicht ausgeschlossen werden können, jedoch auch nicht festgestellt werden kann, dass Wehrdienstleistende während des Wehrdienstes generell relevanten Nachteilen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit bzw. aufgrund ihres Religionsbekenntnisses ausgesetzt wären. Wenn auch Diskriminierungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden können, so ist jedoch ein gezieltes, systematisches Vorgehen hierin nicht erkennbar. Selbst für Angehörige kurdischer Abstammung sind keinerlei relevanten Benachteiligungen beim türkischen Militär bekannt. Generell ist der Militärdienst in der Türkei für alle Wehrdienstpflichtigen an sich als Art. 3 EMRK konform zu sehen. Die Angabe, dass der Beschwerdeführer sich an bewaffneten Einsätzen gegen Kurden beteiligen müsse, stützt der Beschwerdeführer selbst auf eine bloße Mutmaßung, und ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die Zuteilung grundsätzlich mittels eines Computerprogramms nach dem Zufallsprinzip erfolgt, und damit an sich nicht vorausgesagt werden kann, in welcher Region eine Person tatsächlich eingesetzt wird. Weiters finden derzeit bewaffnete Kampfhandlungen nur in sehr geringerem Umfang statt, und werden Rekruten überdies in der Regel abseits ihres Heimatgebietes eingesetzt. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer zum Kampf gegen Kurden oder die PKK eingesetzt werden würde, ist demnach nicht gegeben (gemäß dem Bericht des Auswärtigen Amtes erfolgt in der Regel ein Einsatz für alle Wehrdienstleistenden in gewisser Entfernung vom Wohnort).

 

Darüber hinaus ist es dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Militärdienst nicht gelungen, eine gezielt und konkret gegen ihn gerichtete, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende, Asylrelevanz erreichende Verfolgung in Form von Misshandlungen oder Verwendungen im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes oder des Strafvollzuges darzutun. Auch von Amts wegen existieren keine aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür, dass gerade der Beschwerdeführer bei der Ableistung seines Militärdienstes oder der Abbüßung einer Haftstrafe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit solchen Situationen ausgesetzt wäre.

 

Gemäß den getroffenen Länderfeststellungen ist jeder männliche Staatsbürger der Türkei zwischen 19 und 40 Jahren verpflichtet, für 15 Monate beim Militär einzurücken, sodass auch den Beschwerdeführer als mittlerweile wehrpflichtigen Mann diese Pflicht trifft.

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer den Militärdienst abzuleisten hat, ergibt sich aus seinem Vorbringen, seinem Geschlecht, seinem Alter und den Feststellungen zum Militärdienst in der Türkei.

 

Nach ständiger Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Furcht vor Verfolgung im Fall der Wehrdienstverweigerung oder Desertion jedoch nur dann als asylrechtlich relevant anzusehen, wenn der Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während dieses Militärdienstes im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde oder davon auszugehen sei, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsbürgern härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung drohe (Verstärkter Senat des VwGH vom 29.06.1994, Slg Nr. 14.089/A; VwGH vom 21.08.2001, 98/01/0600). Bei der rechtlichen Beurteilung des zugrunde liegenden Sachverhaltes kommt es auf die Grundsätze an, die der Verwaltungsgerichtshof auf dem Boden der bestehenden Rechtslage insbesondere in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates zur Zl. 93/01/0377 niedergelegt hat, wobei sich seine dabei zum Ausdruck kommende Rechtsansicht nur zum Teil mit der vom UNHCR (Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft) vertretenen Auffassung deckt (VwGH 20.12.1995, 95/01/0104). Demnach können die in der Stellungnahme zitierten Passagen aus dem Handbuch des UNHCR nicht ohne entsprechende Interpretation angesehen werden, bzw. können lediglich als Richtlinien verstanden werden. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht der Entscheidungspraxis in Deutschland, welche aufgrund der notorisch bekannten Vergemeinschaftung nicht als gänzlich unbeachtlich angesehen werden kann (vgl. Übersicht zur deutschen und schweizerischen Rechtssprechung in hg. Erkenntnis vom 12.04.2010, E3 319.230).

 

Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen (VwGH vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0718; 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben (vgl. VwGH 30. November 1992, Zl. 92/01/0789, betreffend Somalia, und Zl. 92/01/0718, betreffend Äthiopien, vom 8. April 1992, Zl. 92/01/0243, vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0734, und vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0784, alle betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien).

 

Allein die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes stellt somit grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar; ebenso wenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes oder wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung.

 

Der Beschwerdeführer hat zwar vor allem in der vom rechtsfreundlichen Vertreter verfassten Beschwerde angegeben, den türkischen Militärdienst aus Gewissensgründen abzulehnen. Wie oben bereits dargestellt relativierte der Beschwerdeführer diese Angaben im weiteren Verlauf des Verfahrens und gab schließlich im Verfahren letztlich sogar an, dass er hier in Österreich ein neues Leben begonnen habe, den Wehrdienst in Österreich ableisten und ein neues Leben anfangen wolle.

 

Damit konnte der Beschwerdeführer letztlich eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht glaubhaft machen. Außerdem würde die Relevierung des Themas der "Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen" an sich auch keinerlei Einfluss auf gegenständliche Entscheidung haben, da der türkische Staat den Tatbestand "Wehrdienstentziehung" einheitlich nach dem Militärstrafgesetz ahndet, und damit grundsätzlich zwischen der Gruppe "Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen, welche den Militärdienst noch nicht angetreten haben" und jener der bloß "Wehrdienstflüchtigen" (Wehrpflichtige, die sich dem zukünftigen Antritt des Wehrdienstes in irgendeiner Weise entzogen haben) nicht unterscheidet (vgl. auch die Entscheidungen des AsylGH vom 14.01.2010, E7 241.551-0/2008-18E und vom 18.09.2010, E6 266.936). Dass es in der Türkei keinen Wehrersatzdienst gibt, stellt per se noch kein asylrelevantes Vorbringen im Sinne der GFK dar. So ist in Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK lediglich festgehalten, dass jede Dienstleistung militärischen Charakters, - oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung - nicht als "Zwangs- oder Pflichtarbeit" gilt. Eine Verpflichtung zur Erlassung von Regelungen betreffend einem Ersatzdienst (Zivildienst) bzw. eine "Verpflichtung zur Anerkennung einer Verweigerung aus Gewissensgründen" gibt es somit grundsätzlich nicht für die Mitgliedstaaten (vgl. aber Wehrpflicht iZm Art. 9 EMRK).

 

Die Verurteilung der Türkei durch den Europäischen Gerichthof (Ülke vs. Türkei vom 24.01.2006, BeschwerdeNr. 39437/98, NL 2006, 23) wurde von diesem nicht im Zusammenhang mit Verfolgungs- oder Asylgründen getroffen. In diesem Fall hat vielmehr der damalige Präsident der Izmirer Vereinigung von Kriegsgegnern, Ülke, öffentlich auf einer Pressekonferenz seinen Einberufungsbefehl verbrannt und sich damit aufgrund seiner pazifistischen Einstellung geweigert, den Militärdienst abzuleisten. Nach seiner Verurteilung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe im Jänner 1997 trat Ülke den Militärdienst an, verweigerte aber regelmäßig die Ausführung von Befehlen sowie das Tragen einer Uniform. Aufgrund dessen (Befehlsverweigerung) wurde er zwischen März 1997 und November 1998 achtmal verurteilt.

 

Dazu hat der EGMR ausgeführt, dass "zahlreichen Strafverfolgungen, der damit zusammenhängende kumulative Effekt der verhängten strafrechtlichen Sanktionen und der beständige Wechsel von Anklage und Haftstrafe, zusammen mit der Möglichkeit, für den Rest seines Lebens strafrechtlich verfolgt zu werden, als Sanktionen wegen der Verweigerung des Wehrdienstes unverhältnismäßig zum gesetzlich verfolgten Ziel der Gewährleistung der Ableistung des Wehrdienstes sind."

 

Weiters wurde festgestellt, dass Ülke durch den türkischen Staat im Rahmen seiner Behandlung im Zuge von mehreren Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung schwere Schmerzen und Leiden zugefügt wurden, welche über das übliche Maß an Demütigungen, welche einer Verurteilung und Haft innewohnen, hinausgegangen sind. In Summe haben diese Handlungen des Staates zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK geführt, und wurde weiters ausgeführt, dass das derzeitige Sanktionssystem in der Türkei im Falle der Wehrdienstverweigerung ungeeignet ist, um Situationen wie denen im Fall Ülke gerecht zu werden. Keinesfalls wurde mit dieser Entscheidung der Türkei auferlegt, damit etwas am grundsätzlich verpflichtenden Wehrdienstwesen zu ändern bzw. wurde auch die Möglichkeit, den Zivildienst abzulegen, nicht als verpflichtend einzurichtendes Institut angesehen. Damit hält der EGMR im Urteil Ülke vs. Türkei nur fest, dass eine übermäßig strenge Strafe eine erniedrigende Behandlung darstellen und zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen kann und stellt damit fest, dass der gesetzliche Rahmen in der Situation des Ülke nicht tauglich war und keine angemessenen Mittel zur Verfügung stellte.

 

Die Ausführungen im Schriftsatz zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gehen somit ins Leere.

 

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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