TE OGH 2009/2/25 3Ob286/08t

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Veröffentlicht am 25.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der H***** S*****, geboren am *****, Verfahrenssachwalterin Mag. Martina Weirer, Rechtsanwältin in Graz, infolge Revisionsrekurses der Betroffenen, vertreten durch den Verfahrenshelfer Mag. Alexander Gerngross, Rechtsanwalt in Unterpremstätten, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 4. August 2008, GZ 1 R 156/08f-21, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 8. April 2008, GZ 412 P 56/07h-15, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Betroffene bezieht eine Pension in der Höhe von 600 EUR monatlich sowie Sozialhilfe in der Höhe von 150 EUR monatlich. Sie verfügt über kein Vermögen. Das Landesgericht für Strafsachen Graz regte im Zuge der Einstellung eines unter anderem auch gegen die Betroffene wegen § 107 (1) StGB geführten Strafverfahrens die Beurteilung der Notwendigkeit allfälliger pflegschaftsgerichtlicher Maßnahmen an. Aus einem im Strafverfahren erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachten gehe hervor, dass die Betroffene unter einer chronischen paranoiden Psychose leide, die aller Wahrscheinlichkeit nach dem schizophrenen Formenkreis zuzuordnen sei. Im Rahmen der Erstanhörung erklärte die Betroffene, keinen Sachwalter zu benötigen. Sie lebe gemeinsam mit ihrer Mutter J***** S*****, die sie unterstütze und ihr auch beim Abtragen ihrer Schulden in Höhe von etwa 4.000 bis 5.000 EUR helfe. Mit den Nachbarn gebe es Streit, Alkohol sei dabei aber nicht im Spiel.

Das VertretungsNetz-Sachwalterschaft teilte in einem „Clearingbericht" dem Erstgericht mit, dass keine Angelegenheiten ersichtlich seien, in denen die Betroffene von einem Sachwalter vertreten werden müsse. Im Zuge einer gegen sie eingeleiteten Räumungsklage habe sie sich selbst vertreten und selbst einen Anwalt gewählt. Da man mit der Betroffenen keinen persönlichen Kontakt herstellen habe können, sei nicht auszuschließen, dass es andere Angelegenheiten gebe, die die Betroffene ohne Gefahr eines Nachteils nicht selbst regeln könne. Ein allfälliger Sachwalter könne nichts gegen das unleidliche Verhalten der Betroffenen unternehmen. Die Sachwalterschaft diene aber nicht ihrem Schutz, sondern lediglich jenem der Hausgemeinschaft.

Nach der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen leidet die Betroffene unter einer paranoiden Psychose. Sie sei aufgrund dieser Erkrankung nicht verlässlich in der Lage, „anfallende Sachverhalte" ausreichend in ihrer Bedeutung zu erkennen und in ihren Erfahrungsbereich einzuordnen. Sie sei daher nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Sie benötige Hilfe bei der Einkommens- und Vermögensverwaltung, dem Umgang mit Ämtern und Behörden und für die Vertretung in Prozessen. Die Testierfähigkeit müsste erst gezielt überprüft werden.

Das Erstgericht bestellte für die Betroffene eine Sachwalterin für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und behördenähnlichen Institutionen sowie für die Einkommens- und Vermögensverwaltung und sprach aus, dass die Betroffene nicht testierfähig sei. Es traf die bereits im Wesentlichen wiedergegebenen Feststellungen. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Behauptung der Betroffenen im Rekurs, dass sie keinen Sachwalter benötige, könne die Richtigkeit des Gutachtens der Sachverständigen nicht in Frage stellen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig sei. Mit ihrem als „außerordentliche Revision" bezeichneten außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Betroffene die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auch berechtigt.

I. Die unvertretene Betroffene erhob zunächst fristgerecht gegen den angefochtenen Beschluss einen als außerordentlichen Revisionsrekurs zu wertenden „Einspruch". Über Auftrag des Erstgerichts brachte sie wiederum fristgerecht einen Verfahrenshilfeantrag ein. Der Beschluss, mit dem der Betroffenen die Verfahrenshilfe unter anderem durch Beigebung eines Rechtsanwalts bewilligt wurde, wurde an den Verfahrenshelfer am 31. 10. 2008 zugestellt. Weder aus der Zustellverfügung des Erstgerichts noch dem Rückschein ergibt sich, dass auch die angefochtene Entscheidung dem Verfahrenshelfer zu diesem Zeitpunkt bereits zugestellt worden wäre. In einem Aktenvermerk vom 18. 11. 2008 ist festgehalten, dass der Verfahrenshelfer um Übermittlung des angefochtenen Beschlusses ersuche (ON 27). Diesem Ersuchen entsprach das Erstgericht mit Verfügung vom 19. 11. 2008. Aus dem Abfertigungsvermerk ergibt sich, dass die Zustellung des angefochtenen Beschlusses noch am selben Tag erfolgte. Der als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandelnde Rechtsmittelschriftsatz des Verfahrenshelfers wurde elektronisch am 5. 12. 2008 beim Erstgericht eingebracht. Im Rechtsmittel wird eine Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Verfahrenshelfer am 21. 11. 2008 behauptet.

Beantragt eine Partei innerhalb einer verfahrensrechtlichen Notfrist oder einer für eine solche eingeräumten Verbesserungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts im Weg der Verfahrenshilfe, so beginnt für sie diese Frist gemäß § 7 Abs 2 AußStrG mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und, wenn ein Schriftstück fristauslösend war, mit dessen Zustellung an den bestellten Rechtsanwalt neu zu laufen. Für die Zustellung sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über Zustellungen und das Zustellgesetz gemäß § 24 Abs 1 AußStrG anzuwenden. Im konkreten Fall ist daher im Zweifel von der Rechtzeitigkeit des Revisionsrekurses auszugehen (RIS-Justiz RS0006965). Nach der Aktenlage erfolgte die Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Verfahrenshelfer ohne Rückschein, sodass die Zustellung gemäß § 26 Abs 2 ZustG im Zweifel als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt gilt. Ausgehend davon, hat das Rechtsmittel jedenfalls die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich und ist meritorisch zu behandeln.

II. Die im Revisionsrekurs gerügten Feststellungsmängel sind unter dem Gesichtspunkt der sich aus § 268 Abs 2 ABGB ergebenden Subsidiarität der Bestellung eines Sachwalters berechtigt. Das Subsidiaritätsprinzip ist durch das Sachwalterrechts-Änderungsgesetz (SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92) verstärkt worden, es sind folgende Grundsätze nach der Rechtsprechung zu beachten (3 Ob 208/06v; 3 Ob 107/08v):

a) Die Bestellung eines Sachwalters hat subsidiären Charakter und darf nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die nunmehr in § 268 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen (RIS-Justiz RS0049088). § 268 Abs 2 ABGB weist etwa auf die Möglichkeit der Hilfe in der Familie oder die Möglichkeit der Erteilung einer Vollmacht, insbesondere einer Vorsorgevollmacht hin.

b) Die Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person müssen konkret und begründet sein. Sie müssen sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Schutzbedürftigkeit beziehen (RIS-Justiz RS0008526). Die Sachwalterbestellung setzt voraus, dass überhaupt Angelegenheiten zu besorgen sind (4 Ob 2299/96h).

c) Die Bestellung eines Sachwalters ist dann unzulässig, wenn der Betroffene sich der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann, beispielsweise durch Vollmachtserteilung oder durch Genehmigung einer Geschäftsführung (RIS-Justiz RS0048997).

d) Die Hilfe durch einen Vertreter ist nur dann möglich, wenn die behinderte Person noch zu eigenem Handeln fähig ist, also noch über ein bestimmtes Maß an Einsichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit verfügt (RIS-Justiz RS0049004).

Schon aus § 268 Abs 2 ABGB folgt die Verpflichtung der Gerichte zu ausreichenden Feststellungen über die Art der zu besorgenden Angelegenheiten und die Einsichtsfähigkeit der behinderten Person zur Bevollmächtigung eines geeigneten Vertreters. Zutreffend weist die Rechtsmittelwerberin darauf hin, dass Feststellungen über die Art der zu besorgenden Angelegenheiten im Bestellungsbeschluss fehlen. Dieser spricht lediglich allgemein von „ihren Angelegenheiten", ohne diese näher zu bezeichnen.

In diesem Zusammenhang ist auf den „Clearingbericht" des Sachwaltervereins hinzuweisen, wonach sich die Betroffene in einem gegen sie geführten Räumungsverfahren selbst um anwaltliche Vertretung gekümmert hat. Einem von ihr erhobenen Rechtsmittel sei im Sinn einer Entscheidungsaufhebung stattgegeben worden. Die Betroffene zahle nach den Angaben der Vermieterin ihre Miete, nach Angaben der Nachbarn kaufe sie regelmäßig ein und scheine über ausreichend Geld zu verfügen. Die Betroffene könne sich offenbar trotz ihrer psychischen Krankheit selbst vertreten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch die vom Erstgericht beigezogene Sachverständige keinen Hinweis auf konkret zu besorgende Angelegenheiten der Betroffenen gegeben hat, für die sie der Unterstützung durch einen Sachwalter bedürfte.

Zutreffend weist die Rechtsmittelwerberin auch darauf hin, dass das Erstgericht sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob ihre Angelegenheiten auch durch Unterstützung seitens ihrer Mutter geregelt werden können.

Auch zur Frage, ob die Betroffene durch Vollmachtserteilung an eine geeignete Person ihre Angelegenheiten zu regeln in der Lage ist und über die dazu ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, fehlen Feststellungen.

Die Sachverständige führte in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass die Betroffene zwar in der Lage sei, selbständig zu Gericht zu kommen und auch weitgehend fähig, der Verhandlung zu folgen, ihr Wohl aber durch ihre Anwesenheit der Verhandlung gefährdet würde. In ihrem ergänzenden Gutachten folgert die Sachverständige, dass „für die Vertretung in Prozessen eine Hilfe" für die Betroffene notwendig sei. Daraus ergibt sich aber noch nicht, ob die Betroffene in der Lage ist, eine Vollmacht zu erteilen, oder ob sie lediglich einer Unterstützung („Hilfe") im Fall ihrer Anwesenheit während eines Prozesses bedarf.

Im fortgesetzten Verfahren werden daher erforderliche Erhebungen über die Möglichkeit einer Vollmachtserteilung durch die Betroffene an eine geeignete Person und ihre Einsichtsfähigkeit bei der Auswahl eines Vertreters sowie über die Art der zu besorgenden Angelegenheiten durchzuführen und die entsprechenden Feststellungen zu treffen sein.

Erst nach Ergänzung des Verfahrens kann die Frage der Zulässigkeit der Sachwalterbestellung iSd § 268 Abs 2 ABGB abschließend beurteilt werden, wobei das Erstgericht für den Fall, dass sich die Erforderlichkeit der Bestellung eines Sachwalters erweisen sollte, auch den in § 279 ABGB normierten Stufenbau bei der Auswahl des Sachwalters zu berücksichtigen haben wird:

Danach ist primär als Sachwalter eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahestehenden Person empfohlene Person heranzuziehen. Wenn eine solche Person nicht gewählt oder nicht empfohlen wird, ist ein der betroffenen Person nahestehender Mensch zum Sachwalter zu bestellen. Fehlt auch eine solche geeignete Person, ist (mit dessen Zustimmung) der örtlich zuständige Sachwalterverein nach § 1 VSPBG (Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretergesetz, früher VSPAG) zu bestellen. Erst wenn ein Vereinssachwalter nicht verfügbar ist, wäre ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter), Notar (Notariatskandidat) oder - mit ihrer Zustimmung - eine andere geeignete Person zu bestellen (RIS-Justiz RS0123297).

Anmerkung

E901513Ob286.08t

Schlagworte

Kennung XPUBLDiese Entscheidung wurde veröffentlicht iniFamZ 2009/193 S 289 - iFamZ 2009,289XPUBLEND

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0030OB00286.08T.0225.000

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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