TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/18 D8 400426-1/2008

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Veröffentlicht am 18.07.2008
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Spruch

D8 400426-1/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Gollegger als Einzelrichterin über die Beschwerde des I. M., geb. 00.00.1986, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.06.2008, FZ. 08 04.687 EAST-West, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. 1. Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet und brachte am 24.09.2007 beim Bundesasylamt seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, Zahl 07 07.234-BAE, ein. Anlässlich einer niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor der Grenzpolizeiinspektion Hainburg an der Donau am 08.08.2007 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, in Tschetschenien Angst um sein Leben zu haben. Am 17.08.2007 wurde dem Beschwerdeführer eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG ausgefolgt, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da seit 14.08.2007 Konsultationen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50 S 1-10), mit der Slowakei geführt werden. Das Konsultationsverfahren ergab keine Zuständigkeit der Slowakei.

 

Am 31.08.2007 langte eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 30 AsylG beim Bundesasylamt ein, aus der hervorgeht, dass beim Beschwerdeführer keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege.

 

Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 24.09.2007 einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt, EAST-Ost, unterzogen, in welcher er im Wesentlichen angab, dass er in Tschetschenien vorbestraft und ein Jahr und zehn Monate inhaftiert gewesen sei. Die tschetschenischen Behörden würden nach ihm fahnden, da er einem tschetschenischen Freiheitskämpfer Quartier gegeben habe und deshalb illegaler Bandenbildung beschuldigt werde. In Tschetschenien werde man geschlagen, die allgemeine Lage sei zu gefährlich für ihn.

 

Am 18.12.2007 fand eine weitere Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, statt, in der der Beschwerdeführer kurz zusammengefasst angab, ein Rebell zu sein und die Wahhabiten mit mit den unterschiedlichsten Dingen versorgt zu haben. Er sei 2004 von der Polizei festgenommen und schließlich nach vier Verhandlungstagen 2004 zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren wegen Bandenbildung und Teilnahme an dieser verurteilt worden. 2005 sei er wegen guter Führung entlassen worden. Drei Monate vor seiner Ausreise habe ihn die Polizei neuerlich angehalten und ihn gezwungen, ein Schriftstück zu unterschreiben, wonach er Tschetschenien ohne Genehmigung nicht verlassen werde. Er sei aus Angst vor einer künftigen Festnahme aus Tschetschenien ausgereist. Für den Fall seiner Rückkehr befürchte er eine neuerliche Verhaftung und Verurteilung wegen Unterstützung von Widerstandskämpfern. An Kämpfen oder Anschlägen habe er nicht teilgenommen. Nach Rückübersetzung der Niederschrift schwächte der Antragsteller sein Vorbringen dahingehend ab, dass er kein Rebell sei und für die Wahhabiten Transporte durchgeführt habe. Drei Monate vor seiner Abreise sei er wiederum zum Gericht vorgeladen worden. Am 18.01.2008 wurden dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zur Russischen Föderation zur Stellungnahme binnen drei Wochen vom Bundesasylamt übermittelt.

 

Mit Bescheid vom 19.02.2008, Zahl: 07 07.234-BAE, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erklärte, dass der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt werde (Spruchpunkt I.). In Spruchpunkt II. wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und in Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Dieser Bescheid des Bundesasylamtes wurde dem Beschwerdeführer nach einem erfolglosen Zustellversuch am 20.02.2008 an der Zustelladresse Wien, durch Hinterlegung beim Postamt am 21.02.2008 zugestellt. Eine vom Bundesasasylamt am 19.02.2008 durchgeführte Abfrage beim Zentralen Melderegister ergab eine Meldung des Beschwerdeführers an dieser Adresse als "obdachlos".

 

Am 28.05.2008 langte aus der Justizanstalt L. Schreiben des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt ein, in dem er um Benachrichtigung über den Stand des Asylverfahrens ersuchte. Mit Schreiben vom 29.05.2008 teilte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer mit, dass sein Verfahren "seit 07.03.2008 rechtskräftig negativ abgeschlossen" sei.

 

2. Am 29.05.2008 brachte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, Zahl 08 04.687 EAST-West, beim Bundesasylamt ein. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 29.05.2008 gab der Beschwerdeführer an, dass er ein sicheres Leben führen wolle. Vom Militär sei er immer über Soldaten des Tschetschenienkrieges befragt worden. Er kenne jedoch keine Soldaten, die am Krieg teilgenommen hätten, und wolle deshalb nicht mehr in seiner Heimat sein. Er habe Angst, dass er ins Gefängnis komme.

 

In einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 03.06.2008 in Anwesenheit einer Rechtsberaterin gab der Beschwerdeführer an, dass er Angst habe, ausgeraubt oder geschlagen zu werden. In Tschetschenien sei man nicht sicher und er habe Angst, da es dort keinen Rechtsstaat gebe. Die allgemeine Situation habe ihn zur Flucht veranlasst.

 

Am 03.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer eine Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 AsylG persönlich ausgefolgt.

 

Am 10.06.2008 fand in Anwesenheit eines Rechtsberaters eine weitere Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführte, dass er in Tschetschenien mehr als zehn Monate im Gefängnis gewesen sei. Die Polizei habe ihm gedroht, ihn geschlagen und ihn nach dem Aufenthalt seiner Bekannten und Verwandten, die man des Terrorismus beschuldigt habe, gefragt. Über Nachfrage der einvernehmenden Organwalterin gab der Beschwerdeführer an, dass er diese Gründe im ersten Asylverfahren schon erwähnt habe. Er halte alle seine Angaben, die er im ersten Asylverfahren gemacht habe, aufrecht. Er habe im ersten Asylverfahren vergessen zu sagen, dass er nur unter der Bedingung freigelassen worden sei, der Polizei als Informant zu dienen. Er habe von Februar 2006 bis Juni 2007 für die Polizei als Informant gearbeitet. Er sei für die Dauer von dreieinhalb Jahren wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitzes verurteilt worden, jedoch frühzeitig entlassen worden, da er für die Polizei als Spitzel gearbeitet habe. Die Gründe, die er angeführt habe, seien ihm alle zum Zeitpunkt des ersten Antrages bekannt gewesen. Er wolle in Österreich ganz normal leben. Er habe Angst vor einer Inhaftierung. Weiters gab er an, dass er im ersten Asylverfahren gelogen habe und sein Bruder nicht ermordet worden sei.

 

Mit Bescheid vom 13.06.2008, Zahl 08 04.687 EAST-West, wurde der - zweite - Asylantrag (Anmerkung gemeint wohl: "Antrag auf internationalen Schutz") vom 29.05.2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und in Spruchpunkt II. des Bescheides der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 13.06.2008 persönlich ausgefolgt.

 

In der Begründung führte das Bundesasylamt unter anderem aus, der Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.02.2008 sei mit 07.03.2008 in Rechtskraft erwachsen. Ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt könne nicht festgestellt werden.

 

Gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die am 26.06.2008 fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Der Beschwerdeführer führt darin im Wesentlichen aus, dass er fürchte, in der Russischen Föderation umgebracht zu werden. Es bestehe Todesgefahr, da es dort keine Menschenrechte gebe und Gesetzlosigkeit herrsche. Er werde vom tschetschenischen Militär verfolgt.

 

3. Mit 01.07.2008 wurde die ursprünglich zuständige Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, aufgelöst, an seine Stelle trat der neu eingerichtete Asylgerichtshof.

 

Mit Email vom 14.07.2008 teilte der Asylgerichtshof dem Bundesasylamt mit, dass die Beschwerdevorlage am 11.07.2008 beim Asylgerichtshof eingelangt ist.

 

Am 15.07.2008 langte beim Asylgerichtshof eine Beschwerdeergänzung ein, in welcher der Beschwerdeführer wiederholte, dass sein Leben in der Russischen Föderation in Gefahr sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 4/2008 (AsylG), ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

zurückweisende Bescheide

 

wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5;

 

wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. 1/1930 dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 -VwGG, BGBl. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren gemäß

 

§ 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), das gemäß § 61 Abs. 3 AsylG von der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichterin zu entscheiden ist.

 

2. Gemäß § 75 Abs. 4 AsylG begründen ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Gemäß § 21 AVG und § 1 des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz - ZustG), BGBl. 200/1982 in der Fassung BGBl. I 5/2008, sind Zustellungen nach dem ZustG vorzunehmen.

 

Für den Asylgerichtshof ist Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesasylamt mit Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

3. Die Zurückweisung des (zweiten) Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache setzt voraus, dass das Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig beendet worden ist. Ist ein Bescheid, der das erste Verfahren abschließt, nicht rechtswirksam zugestellt worden, dann ist es noch nicht rechtskräftig beendet, sondern weiterhin in erster Instanz anhängig. Einen Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, käme dann nicht in Betracht (VwGH 12.04.2005, 2004/01/0491; 18.10.2005, 2005/01/0215, mwN; 16.02.2006, 2006/19/0146; 27.04.2006, 2005/20/0645; 28.02.2008, 2005/01/0473).

 

Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.02.2008 betreffend den ersten Antrag auf internationalen Schutz wurde - nach Einholung einer Abfrage aus dem Zentralen Melderegister - nach einem erfolglosen Zustellversuch an der Adresse Wien, durch Hinterlegung zugestellt.

 

Weder aus dem Bescheid noch aus dem Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass sich das Bundesasylamt - im Rahmen der Zustellung des Bescheides betreffend den ersten Antrag auf internationalen Schutz - mit der Frage, ob diese Anschrift im Zeitpunkt der Zustellung eine Abgabestelle war und damit für eine Zustellung an den Beschwerdeführer zur Verfügung stand, auseinandergesetzt oder Ermittlungen bei der Verfügungsberechtigten der Kontaktstelle angestellt hat. Für das Bundesasylamt konnte jedoch nach der Aktenlage nicht zweifelhaft gewesen sein, dass der Beschwerdeführer an dieser Anschrift keine Wohnung, sonstige Unterkunft, Betriebsstätte, Sitz, Geschäftsraum, Kanzlei oder Arbeitsplatz besaß. Dies deshalb, da das Bundesasylamt am 19.02.2008 eine Anfrage aus dem Zentralen Melderegister eingeholt hat, der zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer seit 04.10.2007 an der genannten Adresse als "obdachlos" gemeldet war. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer an der Zustellanschrift als Obdachloser gemeldet war, hätte das Bundesasylamt zu prüfen und festzustellen gehabt, ob der Beschwerdeführer im Sinne von

 

§ 19a Abs. 1 des Bundesgesetzes über das polizeiliche Meldewesen (Meldegesetz 1991 - MeldeG), BGBl. 9/1992 idF BGBl. I 45/2006, an der Zustellanschrift tatsächlich eine Kontaktstelle hatte und für diese die Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 MeldeG erfüllt waren (vgl. dazu VwGH 24.05.2005, 2003/01/0621).

 

4. Mit am 28.05.2008 beim Bundesasylamt eingelangtem Schreiben erkundigte sich der Beschwerdeführer über den Stand des Asylverfahrens. Das Bundesasylamt teilte ihm schriftlich mit, dass das Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen sei und der Beschwerdeführer brachte daraufhin am 29.05.2008 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 13.06.2008 wies das Bundesasylamt den Antrag wegen entschiedener Sache zurück und den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus. In der Begründung führte das Bundesasylamt in Hinblick auf die Zustellung des zum ersten Antrag auf internationalen Schutz ergangenen Bescheides lediglich aus, "Der Bescheid wurde mit 21.02.2008 beim zuständigen Postamt für den ASt. hinterlegt, welcher mit 07.03.2008 in Rechtskraft erwuchs.".

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in einem über einen Folgeantrag geführten Verfahren Aufgabe der Asylbehörden ist, sich mit der Zustellung des das Erstverfahren beendenden Bescheides näher auseinander zu setzen. Gibt die Aktenlage ausreichend Anlass, Überlegungen zur Wirksamkeit der Zustellung anzustellen und allenfalls auch entsprechende Ermittlungen vorzunehmen, so bewirkt deren Unterbleiben - ungeachtet des Umstandes, dass die Partei diese Frage im Verwaltungsverfahren nicht releviert hatte - einen wesentlichen Verfahrensmangel (vgl. dazu VwGH 12.04.2005, 2004/01/0491; 27.04.2006, 2005/20/0645).

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte sich die belangte Behörde mit der Zustellung des das Erstverfahren beendenden Bescheides näher auseinandersetzen müssen. Die nicht weiter begründete Annahme des Bundesasylamtes, der im Erstverfahren ergangene Bescheid des Bundesasylamtes sei "sowohl formell als auch materiell rechtskräftig geworden", hätte vorausgesetzt, dass die vorgenommene Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Postamt wirksam erfolgt ist. Auf welche Überlegungen bzw. Ermittlungen das Bundesasylamt seine Annahme stützt, ist weder dem Bescheid noch dem Verwaltungsakt zu entnehmen. Dadurch, dass aufgrund der im Akt befindlichen Anfrage aus dem Zentralen Melderegister vom 19.02.2008 der Beschwerdeführer als "obdachlos" gemeldet war, hätte sich die belangte Behörde damit auseinandersetzen müssen, ob im Rahmen der Zustellung des das Erstverfahren beendenden Bescheides geprüft worden war, ob der Beschwerdeführer an der Anschrift tatsächlich eine Kontaktstelle hatte, da er diese Stelle regelmäßig aufsuchte, ob für diese die Voraussetzungen des § 19a Abs. 2 MeldeG erfüllt waren und die Zustellung des Bescheides vom 19.02.2008 somit rechtmäßig erfolgt ist.

 

Die belangte Behörde hat dazu keine Ermittlungen angestellt oder Feststellungen getroffen, obwohl die Sachlage dazu Anlass geboten hätte. Spätestens die schriftliche Anfrage des Beschwerdeführers aus der Justizanstalt L. vom 16.05.2008 über den Stand des Asylverfahrens hätte das Bundesasylamt zur Untersuchung der Zustellung veranlassen müssen.

 

Das Bundesasylamt hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Adresse jemals eine Abgabestelle gewesen ist und gegebenenfalls daraus Konsequenzen ziehen müssen. Somit mangelt es dem Bescheid an Feststellungen dazu, ob der Beschwerdeführer an jener Adresse eine Kontaktstelle und damit Abgabestelle hatte. Davon hängt aber ab, ob die Zustellung durch Hinterlegung beim Postamt gemäß § 17 ZustG zulässig und damit die Zustellung des Bescheides wirksam war.

 

5. Gemäß § 41 Abs 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung der Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Die belangte Behörde hat weder Überlegungen noch entsprechende Ermittlungen zur Klärung der Frage der Wirksamkeit der Zustellung und somit der rechtswirksamen Erlassung des Bescheides vom 19.02.2008 - was eine Voraussetzung für das Vorliegen einer entschiedenen Sache im vorliegenden Verfahren wäre - angestellt. Die belangte Behörde hat es somit unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse unter dem Aspekt der Abgabestelle in das Verfahren einzuführen.

 

Der angefochtene Bescheid war daher aufgrund der aufgezeigten Mängel nach § 41 Abs. 3 AsylG zu beheben. Die belangte Behörde hat daher weitere Erhebungen zur Frage durchzuführen, ob der Beschwerdeführer an der Adresse jemals eine Kontaktstelle und damit Abgabestelle hatte, ob der Bescheid betreffend das Erstverfahren rechtswirksam zugestellt wurde und diese Ergebnisse unter anderem mit dem Beschwerdeführer in einer Vernehmung zu erörtern, um den Sachverhalt weiter zu erhellen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in mehreren Erkenntnissen ausgeführt hat, macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der "Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung" um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

In Asylsachen ist ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet. Gemäß Art. 129c Z 1, Art. I des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. I 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor den Asylgerichtshof verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln muss und eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der - im Bundesverfassungsgesetz, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. 2/2008, neu eingefügten Art. 144a B-VG vorgesehenen - Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes).

 

6. Wird gegen einen mit einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Ausweisung Beschwerde ergriffen, hat der Asylgerichtshof dieser binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die Ausweisung lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 37 Abs. 1 AsylG).

 

Gegenständliche Beschwerde langte am 11.07.2008 beim Asylgerichtshof ein. Da der Asylgerichtshof noch vor Ablauf der in § 37 Abs. 1 AsylG genannte Frist spruchgemäß entschied, konnte die Prüfung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerdevorlage entfallen.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Abgabestelle, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Unterkunft, Zustellung
Zuletzt aktualisiert am
14.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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