TE AsylGH Erkenntnis 2008/07/22 S11 317287-2/2008

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Veröffentlicht am 22.07.2008
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Spruch

S11 317.287-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichter über die Beschwerde des J.M., geb. 00.00.2005, StA. Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.06.2008, FZ. 07 12.285-BAL, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Der nunmehrige Beschwerdeführer reiste am 29.12.2007 gemeinsam mit seinem Onkel, J.Y., seiener Mutter J.Z., seinen minderjährigen Schwestern J.R., J.N., J.A., J.K. illegal nach Österreich ein. Er stellte am 29.12.2007 vertreten durch seine Mutter in der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Traiskirchen eine Erstbefragung sowie am 12.01.2008 und am 30.01.2008 eine niederschriftliche Einvernahmen der gesetzlichen Vertreterin vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Gegenwart eines Rechtsberaters, statt.

 

Am 05.01.2008 richtete das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 08.01.2008 bestätigte die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG vom 07.01.2008, wonach beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 09.01.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 11.01.2008, stimmten die polnischen Behörden der Übernahme des Beschwerdeführers zur Prüfung des Asylantrags gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO zu.

 

Die gesetzliche Vertreterin des nunmehrigen Beschwerdeführers brachte im Verfahren folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor:

 

Sie sei gemeinsam mit ihrem Bruder und ihren fünf Kindern mit dem Zug von Grosny über Moskau und Brest nach Teraspol gefahren, wo sie am 08.12.2007 angekommen und von der polnischen Polizei aufgegriffen worden seien. Danach hätten sie um Asyl angesucht und seien ins Lager nach D. überstellt worden, wo sie sich bis zum 28.12.2007 aufgehalten hätten. Am 28.12.2007 morgens seien sie, ihr Bruder und die Kinder schlepperunterstützt mit einem Kleinbus nach Österreich gereist. Die Mutter des Beschwerdeführers brachte zum Aufenthalt in Polen vor, dass sie nicht mehr nach Polen zurück wolle. Sie sehe dort keine Zukunft für ihre Kinder, es gebe dort keine Schule. Sie wolle nicht nach Polen zurück, weil Bedienstete des Rubop sie dort finden und bedrohen könnten. Im Zuge ihrer Einvernahme erklärte die Mutter des Beschwerdeführers, dass sie Polen mit ihren Kindern verlassen habe, weil sie dort keine Zukunft für ihre Kinder sehe. Bei ihrer Einvernahme vom 12.01.2008 gab die Mutter des Beschwerdeführers auf konkrete Frage, warum sie Polen verlassen habe, an, dass alle aus Polen weggegangen seien und auch sie sei gefolgt. Sie hätte eigentlich keinen Grund gehabt. Sie habe jedoch erfahren, dass ein Feind ihres Mannes sich in Polen befunden habe, selbst habe sie diesen jedoch nicht gesehen. Ihre Kinder seien krank, sie wolle, dass ihre Kinder ärztlich behandelt würden. Im Lager in Polen sei manchmal ein Arzt gekommen, meist sei eine Krankenschwester da gewesen. Im Lager habe es keine Schule gegeben, die Behörden hätten ihr gesagt, dass ihre Kinder erst im nächsten Jahr in die Schule gehen könnten. Im Zuge der Einvernahme legte die Mutter des Beschwerdeführers eine Anklageschrift betreffend den Vater des Beschwerdeführers vor.

 

Am 30.01.2008 erfolgte eine neuerliche niederschriftliche Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers, wobei sie erklärte, dass in Österreich zwei ihrer Cousins und eine Cousine aufhältig seien. Diese Verwandten hätten ihr in die Heimat Geld geschickt, seit sie in Österreich sei, habe sie diese Verwandten drei Mal gesehen. In der Heimat habe sie mit ihnen ein Jahr lang, von 1999 bis 2000 im gemeinsamen Haushalt gelebt. Die Familiennamen der Verwandten kenne sie nicht, sie würden den Familiennamen der Mutter tragen. Die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers erklärte überdies, dass ihre Tochter A. behindert sei. Es stimme etwas mit deren Herz nicht, sie sei in der Heimat auch in Behandlung deswegen gewesen. Die Mutter des Beschwerdeführers legte betreffend die Schwester des Beschwerdeführers ein Schreiben des Ministeriums für Gesundheit und soziale Entwicklung der russischen Föderation vor, in welchem die Invalidität der Tochter A. festgestellt wurde, sowie eine neuerliche Untersuchung angeordnet wurde. Gemäß diesem Schreiben wurde bei der Tochter des Beschwerdeführers die Diagnose gestellt, wie folgt: "Chronische nicht rehematische Karditis, rezidivierender Verlauf, sekundäre Insuffizienz der Mitralklappe, NK II. Grades, neuro-asthenisches Syndrom, Poly-Mängel Anämie II.-III. Grades, Physischer Entwicklungsstand, Chronische Tonsillitis."

 

Am 26.01.2008 erfolgte eine Untersuchung der Muter des Beschwerdeführers in der EAST West durch einen dort tätigen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und langte danach am 01.02.2008 beim Bundesasylamt eine "Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 10 AsylG 2005" des untersuchenden Arztes ein, wonach - durch Ausfüllen eines dafür vorgesehenen Kästchens im Formular erkenntlich - einer Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 30.01.2008, Zl: 07 12.285-EAST West, den Antrag auf internationalen Schutz des (nunmehrigen) Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

3. Der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 14.02.2008, Zl. 317.287-1/2Z-XVI/48/08 gemäß § 37 Abs. 1 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit Bescheid vom 26.02.2008, Zl. 317.287-1/3E-XVI/48/08 gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und das Verfahren zugelassen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Erstbehörde den Sachverhalt in Bezug auf den gesundheitlichen Zustand der Schwester des Beschwerdeführers nicht ausreichend ermittelt habe. Die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers habe bei der niederschriftlichen Einvernahme angegeben, dass A. behindert und invalide sei, sowie, dass sie Probleme mit ihrem Herzen habe. Für die Beurteilung, ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung bei der Schwester des Beschwerdeführers, welche einer Überstellung entgegenstehe, vorliege, habe das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren ein eine fachärztliche Untersuchung zu veranlassen, sowie ein fachärztliches Gutachten zur Frage einzuholen haben, ob der Gesundheitszustand der Schwester des Beschwerdeführers einer Überstellung nach Polen entgegenstehe.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 30.05.2008 verwies die Mutter des Beschwerdeführers auf ihr bisheriges Vorbringen und führte ergänzend dazu aus, dass die Namen ihrer in Österreich lebenden zwei Cousins namens M.B. und M.P. seien, sowie der Name der Cousine M.L.. Sie wohne mit diesen Verwandten nicht im gemeinsamen Haushalt. Diese Verwandten treffe er circa ein bis zwei Mal im Monat, ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu diesen bestehe nicht, sie sei in der Heimat ungefähr einmal im Jahr mit jeweils ¿ 300,-- unterstützt worden. Die Mutter des Beschwerdeführers gab ergänzend an, dass sich im Lager in Polen ein Feind ihres Mannes befunden habe, der Name dieses Mannes sei P.S.. Dieser Mann sei ein Leiter des Kadyrov Batallion gewesen. Im Falle ihrer Rückkehr nach Polen sei es möglich, dass sie von diesem Mann getötet werde. Sie habe sich nicht an die polnischen Behörden wenden können, weil diese mit den russischen Behörden zusammen arbeiten würden. Im Lager in B. sei ein junger Mann getötet worden, die Polizei sei zwar gekommen, habe jedoch nichts unternommen. Die Mutter des Beschwerdeführers gab weiters an, dass sie sie am Tag zuvor einen Anruf bekommen habe, man habe sie gefragt, ob sie sich an Kadyrov Umar und Kadyrov Ali erinnere. Bei der Einvernahme wurde der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers das Untersuchungsergebnis der Landes-, Frauen- und Kinderklinik vom 27.05.2008 betreffend die Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht und dieser Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

 

4. Das Bundesasylamt veranlasste die Untersuchung des (nunmehrigen) Beschwerdeführers durch Dr. B.L., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, welche am 13.06.2008 stattfand. Im psychiatrischen Gutachten des Dr. L., wird zusammenfassend ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer keine psychische Erkrankung vorliege, es lägen bei diesem keine Hinweise auf eine Entwicklungsstörung vor. Lediglich in der Vergangenheit fänden sich um den Zeitraum der Flucht Hinweise für das Vorliegen einer psychischen Auffälligkeit. Im Falle einer Überstellung nach Polen bestehe keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate; beim Beschwerdeführer bestehe aktuell auch keine Behandlungsbedürftigkeit. Bei einer Überstellung nach Polen seien unter der Voraussetzung der Aufrechterhaltung des Familienverbandes Schwierigkeiten unwahrscheinlich. Eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen sei jederzeit möglich.

 

Am 17.06.2008 erfolgte eine neuerliche Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers unter Vorhalt der Gutachten von Dr. L.. Die Mutter des Beschwerdeführers erklärte dabei, dass sie in Polen niemanden habe, dort seien nur ihre Feinde. Hier in Österreich habe sie Freunde, welche sie unterstützen könnten. Die Mutter des Beschwerdeführers merkte an, im Falle eines negativen Bescheides in Österreich Selbstmord zu begehen. Im Zuge dieser Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers wurden dieser zudem die Gutachten betreffend ihre Kinder vorgehalten und diese darauf hingewiesen, dass auch in Polen eine medizinische Betreuung, so auch bezüglich psychischer Erkrankungen erhalten können.

 

5. Das Bundesasylamt hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.06.2008, Zl: 07 12.285-BAL, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, der Ausweisung, zur Versorgung von Asylwerbern in Polen und zur Sicherheitslage in Polen).

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die gesetzliche Vertreterin des Antragstellers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass der Antragsteller tatsächliche Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihr eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Die Mutter des Antragstellers habe ausgeführt, dass sie in Polen nicht sicher sei und Übergriffen eines Mannes namens P.S. ausgesetzt sein könnte. Sofern sich der Antragsteller oder deren Familie bedroht fühle, wäre es ihnen zumutbar, Kotakt mit dem Sicherheitsdienst im Flüchtlingslager aufzunehmen, welcher verpflichtet sei, umgehend die Polizei und das Management des Lagers zu informieren. Die polnischen Sicherheitsbehörden würden dem Antragsteller Schutz gewähren. Dublin II Flüchtlinge hätten in Polen Zugang zum normalen Asylverfahren. Zur Frage der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers wurde auf das psychiatrische Gutachten verwiesen, gemäß welchem der Antragsteller an keiner psychischen Erkrankung leide. Diesem Gutachten seien keine qualifizierten Einwände entgegen gehalten worden.

 

6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 02.07.2008 auf dem Faxwege Berufung (nunmehr als Beschwerde anzusehen) erhoben. Darin wird im Wesentlichen die inhaltliche Rechtswidrigkeit, sowie die Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften moniert. Der Unabhängige Bundesasylsenat habe mit Bescheid vom 26.02.3008 der Berufung stattgegeben und das Verfahren zur Durchführung des materiellen Verfahrens an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Der angefochtene Bescheid beschäftige sich jedoch nach wie vor mit der Zulassung und nicht mit dem inhaltlichen Verfahren. Das Bundesasylamt habe sich daher über die Weisung der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde hinweggesetzt, was als grober Verfahrensmangel zu werten sei. Ein weiterer Verfahrensmangel sei darin zu sehen, dass der Bericht der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz vom 28.05.2008 dem Vertreter im Verfahren nicht zugestellt worden sei. In diesem Gutachten werde angeführt, dass die Schwester des Beschwerdeführers an keinem Herzfehler leide, es stehe daher Gutachten gegen Gutachten. Die Begründung der belangten Behörde im erstinstanzlichen Bescheid sei nicht nachvollziehbar; im Gutachten werde behauptet, dass kein Hinweis dafür bestehe, dass A. im Falle einer Überstellung, aufgrund ihres Gesundheitszustand in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate. Im Gegensatz dazu vermeinte die belangte Behörde jedoch, A. leide an keiner psychischen Erkrankung. Die Aussage, dass bei A. keine psychische Erkrankung vorliege, sei falsch. Jegliche Berichte von Fachärzten seien dem Vertreter des Beschwerdeführers nicht zugestellt worden.

 

Die Mutter des Beschwerdeführers habe vorgebracht, dass in Polen ein Mann namens P.S. aufhältig sei. Dieser Mann sei bei der Entführung der Mutter des Beschwerdeführers beteiligt gewesen und habe den Cousin ihres Mannes getötet. Dieser Mann befinde sich nun in Polen, es bestehe somit die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer in Polen getötet würde. Es sei fraglich, ob der nötige Schutz durch die polnischen Behörden gegeben sei. Die Mutter des Beschwerdeführers habe berichtet, dass sich polnische Polizisten in keiner Weise bemühen würden, Vorfällen nachzugehen. Es sei nicht ausreichend, wenn sich die belangte Behörde auf Anfragebeantwortungen seitens der polnischen Behörden stütze, diese würden nicht objektiv über die Situation in Polen berichten.

 

Bei den Berichten der belangten Behörde betreffend die medizinische Versorgung von Asylwerbern handle es sich lediglich um Soll - Zustände, diese stünden in Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten. Überdies würden Tschetschenen in Polen lediglich eine "Duldung" erhalten und hätten keinen Zugang zu den Integrationsmaßnahmen, die nur anerkannten Flüchtlingen zugänglich seien. Es sei bekannt, dass Flüchtlinge aus Tschetschenien in der Regel den Hauptanteil der Abschiebungshäftlinge in Polen darstellen würden. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 08.07.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers noch keine Sachentscheidung in Polen gefallen.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Es leben ihren Angaben nach keine Angehörigen der Kernfamilie der Mutter des Beschwerdeführers in Österreich. Die Anträge auf internationalen Schutz des Onkels, J.Y., der Mutter J.Z., seiner minderjährigen Schwester J.R., sowie J.N., seiner minderjährigen Schwester J.A., sowie J.K. wurden ebenfalls gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Eine außergewöhnliche Nahebeziehung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses zu den ebenso in Österreich aufhältigen zwei Cousins, bzw. zu der Cousine der Mutter des Beschwerdeführers wurde vom Bundesasylamt zu Recht nicht festgestellt. Zum einem ergibt sich aus den Angaben der Mutter des Beschwerdeführers nicht dass in den letzten Jahren vor der Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich ein längerfristiger gemeinsamer Haushalt bestanden hat und zum anderen besteht auch zur Zeit kein gemeinsamer Haushalt in Österreich bzw. ein dem gleichzuhaltendes Naheverhältnis oder eine finanzielle Abhängigkeit. Vielmehr erklärte die Mutter des Beschwerdeführers selbst, ihre Verwandten lediglich ein bis zwei Mal im Monat zu sehen. Es wurde insbesondere auch nicht dargetan, dass ohne Unterstützung durch die zwei Cousins bzw. der Cousine der Mutter des Beschwerdeführers für diese und ihre Familie ein existenzbedrohender Zustand einträte. Auch wurde den diesbezüglichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des Bundesasylamtes in der Beschwerde nicht entgegen getreten.

 

Es leben keine Angehörigen der Kernfamilie des Beschwerdeführers in Österreich. Die diesbezüglichen Ausführungen der Erstbehörde (Seite 17 des erstinstanzlichen Bescheides) treffen zu, und sind in der Beschwerde auch nicht bestritten worden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11).

 

Vom Vorliegen eines iSd Art. 8 EMRK relevanten, tatsächlichen und hinreichend intensiven Familienlebens, bzw. eines relevantes Abhängigkeitsverhältnisses der Mutter des Beschwerdeführers zu ihren Cousins bzw. der Cousine in Österreich war daher nicht auszugehen.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen

 

Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.

 

2.1.2.2.1 Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu Polen, die in der erstinstanzlichen Einvernahme vorgehalten wurden, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei AntragstellerInnen aus Tschetschenien praktisch keine Abschiebungen von Polen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in Polen vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen (20 des Bescheides des BAA). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Auch dem Einwand in der Beschwerdeschrift, dass Tschetschenen in Polen lediglich eine "Duldung" erhalten würden und dadurch keinen Zugang zu den Integrationsmaßnahmen hätten, kann nicht beigetreten werden. Vorweg bleibt festzuhalten, dass aus den Länderfeststellungen des erstinstanzlichen Bescheides ersichtlich ist, dass Dublin II Flüchtlinge normalen Zugang zum Asylverfahren haben. Zu einer etwaigen Berücksichtigung des vermeintlichen Verfahrensausganges in dem zuständigen "Dublin-Staat" durch die österreichischen Asylbehörden vertritt der Verwaltungsgerichtshof in VwGH 31.05.2005, Zahl 2002/20/0095, die Rechtsansicht, dass "[...] es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörde sein könne, hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen.." Im vorliegenden Fall hat sich Polen mit Zustimmungserklärung vom 09.01.2008 ausdrücklich bereit erklärt, die Beschwerdeführerin wieder aufzunehmen und deren Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Doch auch Fremden, welchen tolerierter Aufenthalt bewilligt wird, können - wie aus den Länderberichten des erstinstanzlichen Bescheid ersichtlich - Familienleistungen beanspruchen, bzw. haben auch im Bereich der Bildung, bzw. betreffend den Zugang zum Arbeitsmarkt dieselben Berechtigungen, wie auch anerkannte Flüchtlinge. Schon aus diesen Gründen muss der pauschale und vor allem unsubstantiierte Einwand in der Beschwerde - nur anerkannte Flüchtlinge hätten Zugang zu Integrationsmaßnahen - ins Leere gehen.

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung sehr schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Auch konnte von des Beschwerdeführers keine Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des Asylgerichthofes belegt werden. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen aktuellen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf das fachärztliche psychiatrische Gutachten von Dr. L. hinzuweisen, wonach beim Beschwerdeführer keine Hinweise auf eine Entwicklungsstörung vorliegt, sondern lediglich um den Zeitraum der Flucht Hinweise auf das Vorliegen einer psychischen Auffälligkeit vorliege, jedoch keine schwere psychische Störung vorhanden ist, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder einen lebensbedrohlichen Zustand aus ärztlicher Sicht bewirken würde. Die Überstellungsfähigkeit wurde somit im erstinstanzlichen Verfahren bereits medizinisch in schlüssiger Form bejaht und ist dem nichts Entscheidendes entgegengesetzt worden.

 

Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Polen zu verweisen. In diesem Zusammenhang überzeugen die Ausführungen in der Beschwerde nicht, die sich im wesentlichen auf ein mangelndes Vertrauen in die polnische medizinische Versorgung und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Schwester des Beschwerdeführers beziehen. Die Feststellungen des Bundesasylamtes, welche insbesondere auf dem Bericht der Steiermärkischen Landesregierung über die Situation im Flüchtlingslager D. aus Juni 2007 und die Anfragebeantwortung der ÖB Warschau vom 12.12.2006 beruhen, lassen sehr wohl den Schluss zu, dass auch eine psychologische Versorgung besteht, die jedenfalls im Lichte der Judikatur des EGMR zu Krankheiten eine existenzbedrohende Gefährdung von psychisch kranken Personen qualifiziert unwahrscheinlich erscheinen lässt. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in Polen (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt, dies tangiert zum einen jedoch nicht per se den Schutzbereich des Art. 3 EMRK, zum anderen ist aufgrund der Feststellungen des Bundesasylamtes davon auszugehen, dass es jedenfalls keine schwerwiegenden Unterschiede zu Österreich gibt (alle Krankheiten grundsätzlich behandelbar); ein außergewöhnlicher komplexer Krankheitszustand, der allfälligerweise im Einzelfall eine andere Beurteilung angezeigt erscheinen ließe, liegt hier jedenfalls nicht vor.

 

Angemerkt sei, dass die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers im Zuge ihres Asylverfahrens auch keinen Vorfall geschildert hat, bei welchem ihr oder ihrer Familie der Zugang zur medizinischen Versorgung verweigert oder aus irgendwelchen Gründen nicht möglich gewesen sei. Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer somit keine schwere psychische Krankheit belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Asylgerichtshofes. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

2.1.2.4. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in Polen

 

Das entsprechende vage Vorbringen der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers (in Polen habe sich auch ein Mann namens P.S., ein Feind ihres Mannes, aufgehalten, welcher auch nach ihr gesucht habe) kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen nicht tätig würden (entsprechende Belege wurden auch nicht ansatzweise erbracht), - bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit - nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällige erheblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.

 

Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt ist, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und der Beschwerdeführer bei allfälligen gegen ihn gerichteten kriminellen Handlungen in Polen nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden, zumal dieser im Zuge seiner Einvernahme ausdrücklich anführte, er selbst sei in Polen weder verfolgt worden, noch sei es zu konkreten Vorfällen gekommen.

 

2.1.2.5. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.2.6. Vollständigkeitshalber ist zu den in der Beschwerdeschrift vom 18.06.2008 geäußerten Rechtsansichten auszuführen: Im gegenständlichen Verfahren ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht von einer Unzulässigkeit einer neuerlichen Zurückweisungsentscheidung durch das Bundesasylamt auszugehen. Aufgrund der Behebung des Bescheides des BAA vom 30.01.2008 aufgrund von Erhebungsmängeln durch das zuständige Mitglied des UBAS nach § 41 Abs 3 AsylG, ist nach Durchführung eines ergänzenden materiellen Verfahrens durch die Erstbehörde unter Bindung an die Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates eine spätere Zurückweisung des Asylantrages wiederum möglich gewesen. Hinweise auf eine willkürliche Vorgangsweise und Verfahrensführung der Erstbehörde ergaben sich nicht.

 

Sofern der Vertreter des Beschwerdeführers nunmehr einwendet, dass ihm die medizinischen Gutachten betreffend den Beschwerdeführer und seine Familie nicht zugestellt worden seien und aus diesem Grund ein Verfahrensmangel vorliege, bleibt anzumerken, dass das vorliegende Vollmachtsverhältnis zur gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers der Erstbehörde am 30.04.2008 bekannt gegeben wurde und in der Folge sämtliche Ladungen auch an den Vertreter übermittelt wurden. Es war dem Vertreter im gegenständlichen Fall bekannt, dass eine psychologische Untersuchung des Beschwerdeführers und seiner Familie stattgefunden hat (diese Ladung wurde an den Vertreter am 05.06.2008 übermittelt). Auch zur niederschriftlichen Einvernahme vom 17.06.2008, in welcher der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers die Möglichkeit der Stellungnahme zu den Gutachten von Dr. L. eingeräumt wurde, wurde die Ladung an den Vertreter des Beschwerdeführers übermittelt, weshalb ein Verfahrensfehler für den Asylgerichtshof im gegenständlichen Fall nicht ersichtlich ist; vielmehr wäre es dem Vertreter möglich gewesen, sich im Zuge dieser Einvernahme zu den Gutachten betreffend den Beschwerdeführer bzw. dessen Familie zu äußern und die Übermittlung einer Abschrift zu beantragen.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, Integration, medizinische Versorgung, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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