TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/21 E12 301420-1/2008

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Veröffentlicht am 21.08.2008
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Spruch

E12 301.420-1/2008-10E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Auberger über die Beschwerde der A.D., geb. 00.00.1944, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.04.2006, FZ. 06 03.071 -EAST- Ost, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde vom 2.5.2006 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. VERFAHRENSGANG:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Die Beschwerdeführerin (nachfolgend: BF) stellte am 16.03.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 21. und 24.03.2006 niederschriftlich zu ihrem Antrag einvernommen (AS 47 f und 75 f).

 

2. Mit Bescheid vom 21.04.2006, FZ 06 03.071-EAST-Ost, persönlich übernommen am 24.04.2006, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gem. § 3 iVm § 6 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde im Spruchpunkt II. der BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 AsylG 2005 nicht erkannt und in weiterer Folge im Spruchpunkt III. die Ausweisung gem. § 10 AsylG 2005 verfügt.

 

3. Dagegen wurde am 2.5..2006 fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E12 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 01. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF BGBl I. Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl I. Nr. 4/2008 idgF (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), sind, soweit sich aus dem Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl I. Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985/VwGG, BGBl Nr. 10 nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang auch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBL Nr. 51, zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 hat die erkennende Behörde sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im vorliegenden Fall ist daher das Asylgesetz 2005 anzuwenden.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der Asylgerichtshof; es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen) so der hier vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle, kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zahl: 2002/20/0315 und Zahl: 2000/20/0084 grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (nunmehr Asylgerichtshof) im besonderen getätigt. Dabei wurde im letzt genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, Zahl: 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Artikel 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen".

 

Im Erkenntnis vom 17.10.2006, (Zahl: 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung / Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche, detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden und zwar aus folgenden Erwägungen:

 

Das Bundesasylamt hat den "maßgeblichen Sachverhalt" nicht ausreichend ermittelt; so wurde es unterlassen, das vom Landesgericht für Strafsachen Wien 2005 wegen §§ 12 ( 2. Fall), 75 StGB ergangene Urteil bzw. den gesamten Gerichtsakt beizuschaffen und einzusehen. Dies wäre deswegen notwendig gewesen, weil bei der Beurteilung nicht die Verurteilung bzw. Bestrafung per se, sondern das der Verurteilung bzw. Bestrafung zugrundeliegende Fehlverhalten maßgeblich ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein sind dafür nicht ausreichend. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Zweifelsohne handelt es sich bei der von der BF begangenen Straftat um eine der schwersten Verbrechen, das die österreichische Rechtsordnung kennt, was aber alleine nicht ausreicht um das der Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten ausreichend zu beurteilen.

 

Darüberhinaus enthält der gegenständliche erstinstanzliche Bescheid bereits zum Entscheidungszeitpunkt veraltete Länderfeststellungen zur Türkei ohne erkennbaren Bezug zum verfahrensgegenständlichen Vorbringen mit zum Teil pauschalem Verweis auf UBAS- Bescheide. Diese Umstände müssen in ihrer Gesamtheit bei einer Spezialbehörde als maßgeblicher Mangel angesehen werden. Eine bloße Aneinanderreihung teils veralterter Informationen ohne jede systematische Bewertung oder wissenschaftliche Aufarbeitung, mag nicht zu genügen. Jedenfalls wären zumindest auch Feststellungen zur Situation alleinstehender Frauen in der Türkei, zu Hilfseinrichtungen für Frauen, zur Schutzfähigkeit des türkischen Staates im Zusammenhang mit befürchteter Blutrache sowie zur Versorgungslage alleinstehender Frauen aufzunehmen gewesen. Vor dem Hintergrund des Artikel 3 EMRK wäre auch darauf einzugehen gewesen, ob die Abschiebung der BF. sie in eine "unmenschliche Lage" versetzen würde. Dabei wäre jedenfalls darauf näher einzugehen gewesen, dass es sich um eine nunmehr 64 jährige Frau, die obendrein Analphabetin ist, handelt. Auch lässt der angefochtene Bescheid ein detailliertes Eingehen auf die vom EGMR im Zusammenhang mit Artikel 8 EMRK zu beachtenden Kriterien, wie Dauer des legalen Aufenthaltes, Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes, Ausmaß der Ingeration allenfalls im Berufsleben, Intensität der familiären Bindungen, Konsequenzen der Beeinträchtigung dieser Bindungen, Möglichkeit das Familienleben anderswo zu führen, etc., vermissen.

 

Überdies wurde es unterlassen, die sich bei den Einvernahmen der BF gegebenen Ungereimtheiten (so wird z.B. das Alter der Mutter immer mit ca. 60 Jahren angegeben, während die BF selbst Jahrgang 1944 ist, welche Stiefkinder nunmehr tatsächlich in der Türkei wohnhaft sind und welchen Personen gegenüber welche Drohungen in welcher Form ausgestoßen wurden, etc.) aufzuklären.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtssprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/03-89). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde hat diese jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkreten, entscheidungsrelevanten Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt dass Procedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von amtswegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet, oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von amtswegen beizuschaffen. Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren bedacht zu nehmen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von amtswegen zu ermitteln und festzustellen, ist hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

4. Zusammenfassend ist daher der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit dem unter Punkt 3 dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen bzw. Befragungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten war von § 66 Abs. 3 AVG kein Gebrauch zu machen.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern bzw. aufzuklären haben.

Schlagworte
Kassation
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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