TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/02 D6 259970-4/2008

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Veröffentlicht am 02.09.2008
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Spruch

259970-4/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzer über die Beschwerde des D.G., geb. 00.00.1986, StA. v. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.6.2008, FZ. 06 01.522-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger, beantragte am 15.10.2003 erstmals die Gewährung von Asyl und begründete den Antrag damit, dass seine Lebensgefährtin in ihrer gemeinsamen Wohnung zwei verletzte Tschetschenen als Untermieter aufgenommen und gepflegt habe, weshalb sie beide von unbekannten Männern bedroht worden seien.

 

Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 19.2.2004, Zl. 03 31.864-BAT, gemäß § 7 AsylG 1997 ab und erklärte zugleich die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 leg. cit. für zulässig. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 23.2.2004 in der Justizanstalt Josefstadt zugestellt.

 

Mit Schriftsatz vom 21.2.2005 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit dem unbekämpft gebliebenen Bescheid vom 3.3.2005 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen.

 

2. Mit Schriftsatz vom 16.3.2005 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Gewährung von Asyl und führte begründend aus, er habe aufgrund seiner politischen Überzeugung in seiner Heimat schwere Verfolgung ertragen müssen und könne daher nicht zurückkehren. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 19.4.2005 vom Bundesasylamt wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 25.7.2005, Zl. 259970/0-IX/27/05, ab. Ein gegen diesen Berufungsbescheid gerichteter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom 28.9.2005, B 868/05, abgewiesen.

 

3. In der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 3.2.2006 schließlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Ersteinvernahme am 10.2.2006 räumte der Beschwerdeführer ein, dass sich an seinen Fluchtgründen seit der ersten Antragstellung nichts geändert habe. Nach der Rückübersetzung des Einvernahmeprotokolls gab er jedoch ergänzend an, dass er von kriminellen Landsleuten zur Verübung von Vermögensdelikten gezwungen und im Gefängnis zusammengeschlagen worden sei, weil man ihm vorgeworfen habe, "kein richtiger Krimineller" zu sein. Da er vor Gericht als Zeuge gegen die georgischen Häftlinge ausgesagt habe, gelte er als Verräter und sei auch in Österreich mit dem Tod bedroht worden.

 

Mit Bescheid vom 18.2.2006 wies das Bundesasylamt diesen Antrag erneut wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG) aus; die Durchführung der Ausweisung wurde gemäß § 10 Abs. 3. leg. cit. bis zum 4.4.2006 aufgeschoben. Die Begründung des neuerlichen Antrages reiche nach Ansicht des Bundesasylamtes nicht aus, einen neuen, gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. Im Hinblick auf eine allfällige Refoulement-Prüfung führte die belangte Behörde aus, dass eine Sachverhaltsänderung unter diesem Blickwinkel nicht zu überprüfen sei, da nur eine asylrelevante Änderung des Sachverhaltes zu einer neuen Sachentscheidung berechtige. Die Verfügung des Durchführungsaufschubes sei wegen der von einem Facharzt für Psychiatrie festgestellten vorübergehenden Unmöglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers, der im Zuge der Einvernahme seinen Selbstmord angekündigt habe, wegen einer suizidalen Gefährdung erforderlich gewesen; eine Besserung des psychischen Zustandes sei nach einer 6-wöchigen Therapie zu erwarten.

 

Der dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 20.3.2006 gemäß § 41 Abs. 3 AsylG Folge und behob den angefochtenen Bescheid. Die Rechtsansicht des Bundesasylamtes, wonach im vorliegenden Fall auf Refoulement-relevante Sachverhalte nicht einzugehen sei, verwarf der Bundesasylsenat mit dem Hinweis, dass nach dem AsylG auch Zurückweisungen wegen entschiedener Sache mit einer Ausweisung zu verbinden seien und diese wiederum als Feststellung der Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gemäß § 10 Abs. 4 leg. cit. gelte. Das Bundesasylamt hätte daher nicht aus diesem Grund ablehnen dürfen, auf die Aussage des Berufungswerbers, er sei aufgrund der Probleme mit georgischen Staatsangehörigen in Österreich auch in Georgien gefährdet, sachgerecht einzugehen. Da aber für eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen Ermittlungen, wie die Beischaffung der Akten des Gerichtsverfahrens, in dem der Beschwerdeführer als Zeuge ausgesagt habe, sowie Anfragen an die Leitung der betreffenden Justizanstalten, gepflogen werden müssten und dem Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen Parteiengehör zu gewähren sei, erscheine eine abermalige Vernehmung des Beschwerdeführers als erforderlich.

 

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.6.2008 wies das Bundesasylamt - ohne dem Verwaltungsakt entnehmbare weitere Ermittlungsschritte zu setzen - den Antrag vom 3.2.2006 gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG bezüglich Georgiens nicht zu; ferner wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG ausgewiesen.

 

In seiner Begründung ging das Bundesasylamt von der georgischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers aufgrund seiner Angaben im ersten Asylverfahren aus, ohne die nähere Identität des Beschwerdeführers festzustellen. Weiters stellte das Bundesasylamt fest, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt vom 00.00.2004, wegen Raubes, versuchter Sachbeschädigung und Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten (davon 8 Monate bedingt) verurteilt wurde, wobei der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe später widerrufen worden sei. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 00.00.2004, sei der Beschwerdeführer wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten sowie mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 00.00.2006, wegen Diebstahls, Einbruchsdiebstahls und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe im Zuge seines knapp 5-jährigen Aufenthalts zahlreiche strafrechtsrelevante Sachverhalte verwirklicht und aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen bereits 4 Jahre in Strafhaft verbracht.

 

Nach weiteren Feststellungen zur Situation des Rechtsschutzes in Georgien folgerte das Bundesasylamt in rechtlicher Hinsicht, dass der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens, nämlich des Raubes, von einem inländischen Gerichts rechtskräftig verurteilt worden sei und wegen seines wiederholten strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Zudem könne keine günstige Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer erstellt werden. Der Beschwerdeführer sei wegen Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 AsylG von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen und sein Antrag gemäß § 6 Abs. 2 leg. cit. ohne weitere Prüfung hinsichtlich des ersten Spruchpunktes abzuweisen gewesen. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten verwies das Bundesasylamt lediglich darauf, dass mit der behaupteten Verfolgung durch georgische Landsleute eine Verfolgung Dritter vorliege, die nur dann relevant sei, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage sei, entsprechenden Schutz zu bieten, wovon jedoch gemäß den Länderfeststellungen keineswegs ausgegangen werden könne. Abschließend begründete das Bundesasylamt seine Ausweisungsentscheidung mit dem Überwiegen öffentlicher Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zum Zweck der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zeitgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde vom 7.7.2008, worin sich der Beschwerdeführer als "Freiwild" für georgische und tschetschenische "Mafiastrukturen", gegen deren Kodex er sich durch seine Zusammenarbeit mit den österreichischen Behörden gewandt habe, bezeichnet. Zudem sei seine Heimat Abchasien.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 3.2.2006 gestellt wurde, ist das vorliegenden Verfahren nach dem AsylG 2005 zu Ende zu führen.

 

2. Gemäß § 6 Abs. 2 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt (Z 1), einer der in Art. 1 Abschnitt F der Konvention genannten Ausschlussgründe vorliegt (Z 2), er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Z 3), oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet (Z 4).

 

2.1. Die belangte Behörde stützte sich in ihrer Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz zwar u.a. ausdrücklich auf § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG, begründete ihren Bescheid jedoch ausschließlich mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und seiner Gefährlichkeit für die Gemeinschaft, weshalb der erkennende Senat davon ausgeht, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung - entgegen dem Bescheidspruch - auf die Z 4 des § 6 Abs. 1 leg. cit. gegründet hat.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG, nämlich § 13 Abs. 2 AsylG 1997, sind als "besonders schweres Verbrechen" Straftaten zu qualifizieren, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen, wie etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Drogenhandel oder bewaffneter Raub (vgl. zB VwGH 3.12.2002, 99/01/0449). Für das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes genügt es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht, dass ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist: Einerseits müsse sich die Tat im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen; so ist u.a. auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen und der Entscheidung eine Zukunftsprognose zugrunde zu legen (VwGH 5.10.2007, 2007/20/0416; 27.4.2006, 2003/20/0050; 6.10.1999, 99/01/0288). Andererseits setze die Entscheidung eine Güterabwägung, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen, voraus; eine solche Güterabwägung könne wiederum erst dann erfolgen, wenn die dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat drohende Rückkehrgefährdung ausreichend geklärt sei (VwGH 15.12.2006, 2006/19/0299; 5.10.2007, 2007/20/0416).

 

Diesen Grundsätzen, wie sie in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelt wurden und gemäß den Erläuterungen des Gesetzgebers (RV 952 BlgNR 22. GP, Zu § 6) auch für die aktuelle Regelung gelten sollen, ist die belangte Behörde nicht gerecht geworden: Sie hat sich auf die Angabe der strafgerichtlichen Verurteilungen und deren Rechtskraft beschränkt, ohne über die Anführung des Delikts hinaus auf die konkrete Straftat Bezug zu nehmen oder gar Milderungs- und Erschwerungsgründe zu berücksichtigen. Dem Verwaltungsakt sind nicht einmal die Urteilsausfertigungen zu entnehmen. Damit ist aber weder die Beurteilung, ob die Tat objektiv und subjektiv schwer wiegend ist, noch eine sämtliche Aspekte einschließende Zukunftsprognose möglich, die von der belangten Behörde offenbar ausschließlich aufgrund der Zahl der begangenen Straftaten vorgenommen wurde.

 

Die belangte Behörde hat aber auch die - vom unabhängigen Bundesasylsenat im Bescheid vom 20.3.2006 aufgetragenen - Ermittlungen nicht durchgeführt und damit keine Feststellungen getroffen, ob die vom Beschwerdeführer behauptete Gefährdung in Georgien glaubhaft erscheint. In der rechtlichen Beurteilung wird zur Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes lediglich auf allgemeine Länderfeststellungen zum Rechtsschutz in Georgien hingewiesen, woraus die Ansicht der belangten Behörde abgeleitet werden könnte, dass der staatliche Schutz Georgiens jedenfalls so weit gegeben sei, dass - selbst im Falle des Zutreffens der behaupteten Verfolgung durch mafiose Kreise - eine Rückführung des Beschwerdeführers keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde. Allerdings reicht der bloße Hinweis auf die Länderfeststellungen insofern nicht aus, um die von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geforderte Güterabwägung vornehmen zu können, in der die individuellen Schutzinteressen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sind.

 

Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass die vom Beschwerdeführer verübten Straftaten angesichts ihrer Zahl und auch der Deliktsarten bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Asylausschlussgrund iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG bewirken k ö n n e n . Zur Beurteilung aber, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, wären auch die erwähnten Ermittlungen zur Rückkehrgefährdung erforderlich gewesen, die von der belangten Behörde gänzlich unterlassen wurden. Die Regelung § 6 Abs. 2 AsylG, demzufolge bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes der Antrag hinsichtlich der Asylberechtigung "ohne weitere Prüfung abgewiesen werden" kann, ändert nichts an der Notwendigkeit einer Güterabwägung (vgl. ausführlich dazu Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG³ (2006), 203, insb. zum Zweck der Regelung).

 

2.2. Mit Bescheid vom 18.2.2006 hatte die belangte Behörde nach § 10 Abs. 3 AsylG einen Durchführungsaufschub gewährt, weil ein Facharzt für Psychiatrie die Abschiebung des Beschwerderührers wegen Suizidgefahr als unmöglich erachtet und eine 6-wöchige Therapie als ausreichend prognostiziert hatte, um die Durchführung der Ausweisung gewährleisten zu können. Dem Verwaltungsakt ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in seiner Vernehmung am 10.2.2006 seinen Suizid angekündigt und sich während der Einvernahme am 17.2.2006 infolge einer "starken Gefühlserregung" selbst verletzt hatte (AS 77, 173). Ferner wurde der Beschwerdeführer am 00.00.2006 wegen Selbstgefährdung in die Landesnervenklinik aufgenommen, nachdem er bereits wenige Tage zuvor einen Selbstmordversuch durch Erhängen unternommen hat (AS 213).

 

Angesichts dieses Akteninhaltes und insbesondere der Ereignisse nach Erlassung des Bescheides vom 18.2.2006 hätte die belangte Behörde die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund von Art. 3 EMRK von Amts wegen erneut zu überprüfen gehabt (zum Durchführungsaufschub vgl. auch VfGH 1.10.2007, G 179, 180/07, sowie die Teilaufhebung in § 10 Abs. 3 AsylG nach Kundmachung des Erk. in BGBl. I 75/2007).

 

2.3. Die Durchführung der vom unabhängigen Bundesasylsenat aufgetragenen Ermittlungen über die Behauptungen des Beschwerdeführers, aufgrund seiner Zeugenaussagen gegen kriminelle Landsleute nun als Verräter auch in Georgien verfolgt zu werden, wären auch aus folgendem Grund erforderlich gewesen: Der Beschwerdeführer stellte nach seinen Asylanträgen vom 15.10.2003 und 16.3.2005 neuerlich am 3.2.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, der wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Stellen sich die Behauptungen des Beschwerdeführers nicht als glaubhaft oder entscheidungsrelevant heraus, wäre mangels neuen entscheidungswesentlichen Sachverhalts der Antrag vom 3.2.2006 - wie schon jener zuvor - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs. 1 AVG kann nur eine solche Änderung des Sachverhaltes zu einer neuen Sachentscheidung führen, die - für sich allein oder iVm anderen Tatsachen - den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann; ergeben die Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen sein ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 24.2.2000, 99/20/0173; 16.2.2006, 2006/19/0380 mwN).

 

3. Die belangte Behörde hätte daher auf das in der Einvernahme vom 10.2.2006 erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich einzugehen und insbesondere die oben unter Punkt 2.1. genannten Ermittlungsschritte zu setzen gehabt; daraus wiederum ergibt sich die Notwendigkeit, den Beschwerdeführer nochmals einzuvernehmen. Damit liegt aber eine der Voraussetzungen vor, die § 66 Abs. 2 AVG normiert: dass nämlich infolge des mangelhaften Sachverhaltes die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine; ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

3.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof - wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint - den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG iVm § 23 AsylGHG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof betonte in seiner langjährigen Rechtsprechung zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG in Asylsachen (vor Inkrafttreten des AsylGHG), dass dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderen Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" im Rahmen eines zweiinstanzlichen Verfahrens (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) zukomme (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135). In diesem Verfahren habe bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es sei gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liege nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages solle nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sehe man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies spreche auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes sieht keinen Grund anzunehmen, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die (mit Inkrafttreten der B-VG-Novelle BGBl I 2/2008 sowie des AsylGHG geänderte) neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass er seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst - sieht man von der auf Verfassungsfragen beschränkten Kontrollbefugnis durch den Verfassungsgerichtshof ab - beim Asylgerichtshof beginnen und zugleich enden.

 

3.2. Das Bundesasylamt hat sich - wie oben unter Punkt 2. dargelegt - mit entscheidungswesentlichen Behauptungen des Beschwerdeführers nicht auseinandergesetzt und Ermittlungen unterlassen, die insbesondere für die Frage der Zulässigkeit des Antrages und der Güterabwägung, wie sie das Vorgehen nach § 6 AsylG voraussetzt, erforderlich gewesen wären. Ferner hat die belangte Behörde den psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers keiner psychiatrischen Beurteilung unterziehen lassen, obwohl sie selbst noch in ihrem Bescheid vom 18.2.2006 die (vorübergehende) Unmöglichkeit der Abschiebung festgestellt hat und dem Verwaltungsakt Vorgänge zu entnehmen sind, die eine solche Untersuchung nahe gelegt hätten.

 

Der Umfang des noch durchzuführenden Ermittlungsverfahrens lässt den erkennenden Senat zum Ergebnis gelangen, dass dessen Nachholung durch den Asylgerichtshof ein Unterlaufen des zweiinstanzlichen Instanzenzuges bedeuten würde und daher im vorliegenden Fall nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen ist. Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme und Durchführung der mündlichen Verhandlung durch den Asylgerichtshof eine "Ersparnis an Zeit und Kosten" iSd § 66 Abs. 3 AVG erzielen würde, ist - angesichts des mit dem asylgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten administrativ-manipulativen Aufwandes - nicht ersichtlich.

 

4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt zu überprüfen haben, inwieweit der Beschwerdeführer infolge seiner Zeugenaussagen in Georgien durch mafiose Kreise einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Sollten die Behauptungen nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 AVG eine Sachentscheidung erfordern, wird bei Annahme eines Asylausschließungsgrundes konkret auf die verübten Straftaten Bezug zu nehmen und im Sinne der oben unter Punkt 2. dargelegten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vorzugehen sein. Auch wird der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK durch einen Facharzt für Psychiatrie zu überprüfen sein. Der Asylgerichtshof verweist dabei auch auf die jüngst ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Abschiebung Kranker (vgl. VfGH 6.3.2008, B 2400/07 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Asylausschlussgrund, gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, strafrechtliche Verurteilung
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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