TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2000/20/0236

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AVG §66 Abs2;
B-VG Art129c Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des EY in E, geboren am 1976, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Mai 2000, Zl. 204.236/19-I/02/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, der schon 1995 einen erfolglosen Asylantrag gestellt hatte (vgl. insoweit das Erkenntnis vom 12. September 1996, Zl. 95/20/0233), reiste am 10. April 1998 neuerlich in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. April 1998 Asyl. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 18. Juni 1998 gründete er diesen Antrag darauf, dass ihm in der Türkei jetzt der Militärdienst bevorstehe. In der Türkei herrsche Krieg und er wolle nicht als Kurde an einem Krieg teilnehmen, der gegen sein eigenes Volk geführt werde.

Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 20. Juli 1998 gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei sei zulässig.

Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene, umfangreiche Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 29. Juli 1998 ab. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0369, im Hinblick auf die verfassungswidrige Kürze der Berufungsfrist in der noch nicht bereinigten Fassung des § 32 Abs. 1 AsylG aufgehoben.

Die belangte Behörde führte am 13. Oktober 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Mit dem am Ende der Verhandlung verkündeten, am 1. Dezember 1999 schriftlich ausgefertigten Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Sie behob den Bescheid vom 20. Juli 1998 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Schon den im Verhandlungsprotokoll festgehaltenen Ausführungen zur Begründung dieses Berufungsbescheides war entnehmbar, dass die belangte Behörde an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner individuellen Situation zweifelte, sie den erstinstanzlichen Bescheid ihres Erachtens aber unter dem Gesichtspunkt eines "sonstigen Hinweises" auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat "angesichts der Menschenrechtssituation der Kurden in der Türkei - insbesondere auch im Hinblick auf die Ereignisse seit der Verhaftung und der Verurteilung des PKK Führers Öcalan" nicht bestätigen konnte. In der schriftlichen Ausfertigung wurde dies mit detaillierten Ausführungen über die Entwicklung im Anschluss an die Verhaftung Öcalans am 16. Februar 1999 näher dargelegt.

Das Bundesasylamt wartete nicht auf die schriftliche Ausfertigung des Berufungsbescheides, sondern wies mit Bescheid vom 29. November 1999 den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei sei zulässig. Die Sachverhaltsfeststellungen in diesem Bescheid waren wörtlich dieselben wie in dem Bescheid vom 20. Juli 1998. Der Bescheid stützte sich auch - ausdrücklich - auf dieselben Erkenntnisquellen, nämlich die Einvernahme vom 18. Juni 1998, den Reisepass des Beschwerdeführers und eine seine erste Ausreise betreffende Aussage aus dem ersten Asylverfahren. Auf die Ergebnisse der ausführlichen Einvernahme am 13. Oktober 1999 wurde mit keinem Wort Bezug genommen. Auch die Vorfälle des Jahres 1999, derentwegen die belangte Behörde den Bescheid vom 20. Juli 1998 in erster Linie aufgehoben hatte, blieben unerwähnt.

Erkenntnisquellen betreffend die Umstände der Wehrdienstleistung von Kurden in der Türkei und die bei Verweigerung des Wehrdienstes drohenden Sanktionen wurden - wie schon im Bescheid vom 20. Juli 1998 - ebenfalls nicht herangezogen.

In der Berufung gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Behauptungen u.a. über Aspekte des ihm bevorstehenden Wehrdienstes, wie etwa die Behauptung, als Kurde während des Militärdienstes einer großen Gefahr asylrelevanter Übergriffe ausgesetzt zu sein, und die Behauptung, die türkische Armee begehe schwer wiegende Menschenrechtsverletzungen und verletze die Völkermordkonvention, sodass es die Pflicht jedes Soldaten sei, sich der Armee zu verweigern. Er beantragte die Einholung eines Gutachtens des Ludwig Bolzmann-Institutes für Menschenrechte, allenfalls des UNHCR, zum Beweis der ihm auf Grund seiner Wehrdienstverweigerung drohenden Verfolgung und stellte ausdrücklich den Antrag auf Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unter Ladung und Einvernahme des Beschwerdeführers.

Die belangte Behörde nahm von einer mündlichen Verhandlung über diese Berufung Abstand, wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Mai 2000 gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab und stellte unter Heranziehung der Ergebnisse der Verhandlung vom 13. Oktober 1999 dar, weshalb das (damalige) Vorbringen des Beschwerdeführers über seine schon erfolgte Einberufung und die Umstände, unter denen er sich dieser entzogen habe, nicht als glaubwürdig anzusehen seien. Darüber hinaus traf sie - gestützt u. a. auf Unterlagen, die in der Verhandlung am 13. Oktober 1999 erörtert worden waren - Feststellungen über ein ethnisch neutrales Vorgehen beim türkischen Militär, u.a. im Zusammenhang mit der Bestrafung der Nichtbefolgung von Einberufungsbefehlen. Von einer (neuerlichen) mündlichen Verhandlung sei Abstand zu nehmen gewesen, weil diese nach Ansicht der belangten Behörde "die bloße Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bei unverändertem maßgebenden Sachverhalt" gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer rügt, ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, zu den von der belangten Behörde herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen, und er sei dadurch in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Dem ist zumindest insoweit beizupflichten, als den Akten der belangten Behörde in Bezug auf eine Einräumung des Parteiengehörs zu diesen Unterlagen nur zu entnehmen ist, dass der Verhandlungsleiter in der Berufungsverhandlung am 13. Oktober 1999 - die mit der Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 1998 endete - auf den Großteil dieser Erkenntnisquellen in Vorhalten gegenüber dem Beschwerdeführer Bezug nahm (und dieser die Richtigkeit der Unterlagen teilweise in Abrede stellte). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes konnten diese Erörterungen aber schon deshalb - in Bezug auf den jetzt angefochtenen Bescheid - nicht ausreichend sein, weil im angefochtenen Bescheid mehrfach auf einen Bericht des deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Militärdienst in der Türkei, August 1997) Bezug genommen wird, dessen Erörterung in der Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 13. Oktober 1999 nicht aufscheint.

Der Ansicht der belangten Behörde, die - in Verbindung mit Sachverhaltsbehauptungen und Beweisanträgen - ausdrücklich beantragte (neuerliche) Berufungsverhandlung wäre eine bloße Wiederholung der Verhandlung vom 13. Oktober 1999 gewesen, kann schon aus diesem Grund ebenfalls nicht beigepflichtet werden. Auf die Frage, ob es überhaupt dem Gesetz entsprechen kann, wenn bei nicht ausreichender Klärung des Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz statt der Durchführung einer Berufungsverhandlung die Ergebnisse einer solchen in einem früheren Rechtsgang herangezogen werden, muss daher hier nicht weiter eingegangen werden. Mit dem Hinweis auf die in der Beschwerde u.a. zitierte Quelle, der zufolge schon die bloße Einreise eines Kurden im wehrdienstfähigen Alter in die Türkei die Gefahr politisch motivierter Verfolgung mit sich bringen soll, zeigt die Beschwerde auch auf, dass zu den von der belangten Behörde in das Verfahren eingeführten Unterlagen bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einer - unabhängig von der Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers über die schon erfolgte Einberufung - erörterungsbedürftigen Weise Stellung genommen worden wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Abschließend ist anzumerken, dass die belangte Behörde als Antwort auf das dargestellte Verhalten des Bundesasylamtes - unveränderte Wiederholung der Feststellungen vom Juli 1998 im Bescheid vom 29. November 1999 - unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG die Möglichkeit hat, das sonst gegebene Erfordernis einer (hier: neuerlichen) Berufungsverhandlung durch eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides abzuwenden und damit auch dem Abbau einer echten Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens und der Aushöhlung der Funktion der belangten Behörde als Kontrollinstanz entgegenzuwirken (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0084 und Zl. 2002/20/0315).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200236.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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