TE AsylGH Bescheid 2008/09/19 C10 246562-0/2008

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Veröffentlicht am 19.09.2008
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Spruch

C10 246562-0/2008/14E

 

S.I.

geb. 00.00.1986 alias 00.00.1984

Staatsangehöriger von Afghanistan

 

Schriftliche Ausfertigung des am 15.11.2006 mündlich verkündeten

Bescheides:

 

SPRUCH:

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. LEHOFER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. Nr. 76/1997 (AsylG), i.d.g.F. Nr. 82/2001, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.05.2005 und am 15.11.2006 entschieden:

 

I. Die Berufung vom 29.01.2004 von S.I. gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.01.2004, Zl. 03 04.224-BAW wird gemäß § 7 AsylG abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 AsylG iVm § 50 FPG wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von S.I. nach Afghanistan nicht zulässig ist.

 

III. Gem. § 15 AsylG wird S.I. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.11.2007 erteilt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

I.1. Verfahrensgang

 

1. Der Berufungswerber (Bw.) hat am 03.02.2003 beim Bundesasylamt, Außenstelle Wien (BAW), einen Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (in der Folge: AsylG 1997) eingebracht (Aktenseite des Verwaltungsaktes des BAW [in der Folge: BAW AS] 1f).

 

Am 13.03.2003 wurde das Asylverfahren gemäß § 30 Abs. 1 AsylG wegen des unbekannten Aufenthaltes des Genannten eingestellt, am 02.06.2003 wurde der Antragsteller gemäß dem Dubliner Übereinkommen BGBl. III 1997/165 aus dem Vereinigten Königreich rücküberstellt (AS BAW 21, 23).

 

Am 18.06.2003 wurde das Verfahren neuerlich wegen Abwesenheit des Antragstellers gemäß § 30 Abs. 1 AsylG 1997 eingestellt (AS BAW 55).

 

Am 08.08.2003 sowie am 14.01.2004 fanden vor dem BAW niederschriftliche Einvernahmen des Bw. im Asylverfahren statt (BAW AS 93 -101 und 103 - 111).

 

2. Das BAW wies mit Bescheid vom 21.01.2004, FZ. 03 04.224-BAW, zugestellt am 27.01.2004, den Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Bw. nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig (BAE-AS 117-143).

 

3. Gegen den og. Bescheid des BAW richtet sich die beim BAW fristgerecht eingelangte Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS) vom 29.01.2004 (BAW-AS 153-167).

 

4. Der Unabhängige Bundesasylsenat führte in der ggst. Rechtssache am 12.05.2005 sowie am 15.11.2006 je eine öffentliche mündliche Verhandlung durch und wurde nach dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung am 15.11.2006 sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch vom zuständigen Mitglied Dr. LEHOFER öffentlich verkündet.

 

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens

 

I.2.1. Beweisaufnahme

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt des BAW, beinhaltend die Niederschriften vor dem BAW vom 08.08.2003 und 14.01.2004 und die Berufung des Bw. vom 29.01.2004.

 

Einvernahme des Bw. im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem UBAS vom 12.05.2005 und vom 15.11.2006, sowie Einsicht in die dem UBAS vorliegenden Länderdokumentation, das Gutachten des Sachverständigen K.N. vom 04.09.2006 und die der Entscheidung zugrunde liegenden Dokumente:

 

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Home - Office, Afghanistan Country Report; Oktober 2004

 

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AA vom 03.11.2004, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan

 

-

U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices, 28 Februar 2005

 

I.2.2. Ermittlungsergebnis (Sachverhalt)

 

Der UBAS geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

a) Zur Person des Berufungswerbers:

 

1. Der Bw. führt nach seinen Angaben den Namen S.I., ist im Jahr 1986 geboren und Staatsangehöriger von Afghanistan, zugehörig zur Volksgruppe der Pashtunen und Angehöriger der sunnitischen Religionsgemeinschaft. Er lebte vor seiner Ausreise im Unterdorf S., Distrikt Jalalabad.

 

Der (zum Zeitpunkt seiner Flucht noch minderjährige) Bw. lebte in seiner Heimat gemeinsam mit seinem Vater und seiner Mutter (ebenfalls Angehörige der Volksgruppe der Pashtunen) und seinen Geschwistern im elterlichen Wohnhaus. Der Vater des Bw. war im Besitz einer Landwirtschaft.

 

2. Der Bw. gehörte nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat nie einer politischen Partei oder einer andern politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung an. Er hatte nie Probleme mit den Behörden. Auch aus religiösen Gründen oder wegen seiner Ethnie hat es entsprechend seiner Aussage keine Probleme in seinem Herkunftsstaat gegeben.

 

3. Der Bw. ist nach eigenen Angaben Ende 2002 bzw. Anfang 2003 schlepperunterstützt von Jalalabad nach Teheran und schließlich nach Istanbul und von dort anschließend nach Österreich gereist. Welche Länder er (bei seiner Reise von Istanbul nach Österreich) passiert hat, konnte er jedoch nicht angeben. Der Bw. verfügt seiner Aussage zu Folge über keinerlei Dokumente.

 

4. Der Bw. hat sein Heimatland nicht - wie von ihm angegeben - aufgrund einer Feindschaft zwischen seiner Familie und seinen vier Cousins K., H., M. und B. bzw. wegen der Verfolgung durch den Kommandanten des K. verlassen. Der Vater des Bw. war nicht

stellvertretender Kommandant der M.. der Vater des Bw. war nicht

stellvertretender Kommandant der M.. Sowohl der Vater, als auch der Bruder des Antragstellers sind nach wie vor am Leben.

 

b) Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

 

Auf Grund der in der mündlichen Verhandlung erörterten aktuellen Quellen und des in der mündlichen Verhandlung vom Sachverständigen erstatteten Gutachtens waren folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu treffen:

 

1. Politische Lage:

 

Afghanistan ist ein Land, in welchem die verschiedenen Volksgruppen nach ihren traditionellen Riten leben. Neben den islamischen Gesetzen gibt es viele Gesetze und Traditionen der unterschiedlichen Volksgruppen, die je nachdem, in und für unterschiedliche Regionen und Volksgruppen gelten. Es gibt keine wirkliche Zentralregierung oder ein einheitliches Gesetz. Die jetzige Regierung, wie alle vorherigen Regierungen seit Jahrhunderten, war und ist nicht in der Lage, alle Regionen des Landes unter eine effektive Kontrolle zu bringen und die Souveränität des Staates einzuhalten. Neben den afghanischen Sicherheitsorganen gibt es die amerikanischen sowie die Nato-Soldaten, welche immer wieder versuchen die "Law and Order" Situation unter Kontrolle zu bringen. In östlichen und südöstlichen Provinzen sind die Taliban nach wie vor in der Lage, die jetzige afghanische Regierung sowie die internationalen Hilfstruppen herauszufordern bzw. diese anzugreifen. Das Land Afghanistan wurde bzw. wird seit Jahrzehnten in den verschiedenen Regionen von War Lords, religiösen Vereinigungen und ethnischen Gruppierungen verwaltet und kontrolliert. Laut internationaler Presseberichte ist die Führung der Al Qaida und der Taliban nach wie vor in den Grenzregionen Afghanistans und Pakistans aufhältig, und versuchen diese allmählich einzeln, unter gefälschten Namen oder mit gefälschten Dokumenten aus dieser Region herauszukommen.

 

Die Lage der ethnischen Minderheiten hat sich nach einhelliger Auffassung seit dem Ende der Taliban - Herrschaft verbessert. Insoweit wird vielfach betont, dass Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und auch die schiitische Hazara - Minderheit an namhafter Stelle in der Übergangsregierung präsent sind. Die traditionellen Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien dauern lokal in unterschiedlicher Intensität noch an. Von der Regierung Karsai gingen derzeit aber regelmäßig keine politischen Verfolgungsmaßnahmen gegen die unter dem Regime der Taliban gefährdeten Bevölkerungsgruppen, insbesondere auch die ethnischen und religiösen Minderheiten aus.

 

I.3. Beweiswürdigung

 

I.3.1.

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur ggst. Rechtssache vorliegenden Akten des BAW und des UBAS.

 

I.3.2.

 

1. Die Feststellungen zur Identität (Name und Alter) und Herkunft des Bw. sowie seinem persönlichen Umfeld und seinen Lebensbedingungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem BAW und in der mündlichen Verhandlung vor dem UBAS sowie dem Gutachten des Sachverständigen. Den Grund für seine (vorerst) falschen Angaben zu seinem Namen (bei seiner Antragstellung hatte er den Namen G.H. und das Geburtsdatum 00.00.1984 angegeben) vermochte der Bw. im Rahmen der weiteren niederschriftlichen Einvernahme glaubhaft aufzuklären, indem dieser angab, dass sein Schlepper ihn dazu angehalten habe, falsche Daten anzugeben. In Hinblick auf sein Geburtsdatum behauptete der Bw bei Antragstellung in Österreich, am 00.00.1984 geboren zu sein, im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vom 08.08.2003 führte er als Geburtsdatum hingegen den 00.00.1986 an. Im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung erklärte er wiederum, er sei im Jahr 1986 geboren worden, ein genaueres Datum könne er nicht angeben. Die Aussagen des Genannten stimmten daher lediglich in Bezug auf das Geburtsjahr überein, weshalb (auch mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes) die Feststellung des genauen Geburtsdatums nicht möglich, sondern auf die Feststellung des Geburtsjahres zu beschränken war. Die übrigen Angaben zu seiner Person waren konsistent und konnten insbesondere durch das Gutachten des Sachverständigen verifiziert werden.

 

2. Die Angaben des Bw. zu dessen Staatsangehörigkeit sind auf Grund der in diesem Zusammenhang schlüssigen Aussage, der vom Bw. gesprochenen Sprache und seinen Angaben vor dem BAA glaubwürdig. Diese Aussage wurde auch durch das Gutachten des in der mündlichen Berufungsverhandlung anwesenden Sachverständigen bestärkt, welcher die Angaben des Bw. zu seiner Person vor Ort überprüfte und diese in seinem Gutachten bestätigte.

 

3. Die Feststellungen zum Reiseweg des Antragstellers ergaben sich aus seiner diesbezüglich glaubwürdigen Aussage im Rahmen der Einvernahme vom 08.08.2003. Zwar führte der Bw. bei der mündlichen Berufungsverhandlung an, dass er sich er nicht mehr erinnern könne, durch welche Länder er gereist sei, in Anbetracht der Tatsache, dass die Ausreise des Bw. jedoch erst kurze Zeit vor der Einvernahme vom 08.08.2003 stattgefunden hat und diesem der Reiseweg zu diesen Zeitpunkt noch besser in Erinnerung gewesen sein muss, als in der Berufungsverhandlung im Jahr 2005,war den diesbezüglichen Angaben Glauben zu schenken.

 

4. Bezüglich seines Fluchtgrundes waren die Angaben des Bw. sowohl vor dem BAW, als auch vor dem UBAS von zahlreichen Widersprüchen gekennzeichnet. So erklärte er in der niederschriftlichen Einvernahme vom 08.08.2003, dass sein Vater Stellvertreter des Kommandanten H.Z. der M. Partei gewesen sei und dieser Kommandant von seinem Vater verlangt habe, dass er den Anführer der Islamischen Partei, namens H.A. töten solle. In der Folge seien sein Vater und sein Bruder, welche nach den Attentat versucht hätten, zu flüchten, von Polizisten erschossen worden; dies habe sich im Jahr 2003 ereignet. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 14.01.2004 führte er in dazu widersprüchlicher Weise aus, dass am 00.00.2002 Anhänger von H.A. seinen Vater und seinen Bruder getötet hätten. Zudem steigerte er sein Vorbringen im Zuge der zweiten Einvernahme, indem er erklärte, es habe eine Feindschaft zwischen seiner Familie und seinen vier Cousins bestanden, er könne auch aus diesem Grund nicht in seine Heimat zurückkehren. Eine allfällige Bedrohung durch seine Cousins hatte er bei seiner ersten Einvernahme jedoch noch mit keinem Wort erwähnt. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 12.05.2005 erklärte er, dass sein Vater und sein Bruder zu H.A. gereist seien, um eine Versöhnung zwischen diesem und dem Kommandanten H.Z. herbeizuführen und dass es dabei zu einer Auseinandersetzung gekommen sei, welche schließlich für seinen Vater und seinen Bruder tödlich geendet hätte. Zusammengefasst bleibt anzumerken, dass bereits die Schilderungen des Antragstellers in Bezug auf dessen Fluchtgrund massiv widersprüchlich waren und somit nicht von deren Glaubwürdigkeit auszugehen war.

 

Diese Ansicht wird zudem noch vom Gutachten des Sachverständigen gestützt, welcher ausführt, dass schon die Angaben des Bw. in Bezug auf die Funktion seines Vaters als stellvertretender Kommandant des M. nicht den Tatsachen entspreche. So hätten diesbezüglich mehrere Bewohner des angegebenen Heimatdorfes die Angaben des Bw. widerlegt. Auch die Angaben des Schwagers, sowie des Onkels des Bw. hätten ergeben, dass der Vater des Bw. unmittelbar nach der russischen Besatzung in Afghanistan nach Pakistan geflohen sei und seither der Bw. und seine Familie in Pakistan gelebt hätten. Diese Verwandten hätten eindeutig angegeben, dass der Vater des Antragstellers nie stellvertretender Kommandant der M. gewesen ist. Insgesamt ist daher auf Basis dieses Gutachtens keinesfalls davon auszugehen, dass die Angaben des Bw. den Tatsachen entsprechen, zumal der Sachverständige nach weiteren Recherchen feststellte, dass weder der Vater, noch der Bruder des Bw. getötet worden waren, vielmehr würden diese in der Stadt P. (Pakistan) leben und dort ein Teppichgeschäft betreiben. Auch die vom Bw. ins Treffen geführte Feindschaft zwischen der Familie des Antragstellers und dessen Cousins konnte nach Überprüfung durch den Sachverständigen widerlegt werden. Laut Gutachten ergaben die diesbezüglichen Recherchen, dass der Vater dieser vier Cousins ein Geschäftpartner des Vaters des Bw. ist und alle vier Cousins mit dem Vater des Bw. in der Stadt P. in Pakistan zusammenarbeiten.

 

Zusammengefasst bleibt daher festzuhalten, dass die Angaben des Bw. durch das Gutachten des Sachverständigen eindeutig widerlegt werden konnten. Die Familie des Antragstellers lebt mittlerweile in Pakistan, die Angaben des Antragstellers in Bezug auf die Ermordung des Vaters bzw. des Bruders entsprechen nicht den Tatsachen, auch das Vorbringen zur Feindschaft zwischen seiner Familie und den vier Cousins konnte nicht verifiziert werden.

 

I.3.3.

 

1. Die getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Bw. ergeben sich aus den angeführten und in der mündlichen Verhandlung erörterten Erkenntnisquellen und dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen.

 

2. Hierbei wurden Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa der Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes oder jener des US Department of State, ebenso herangezogen.

 

3. Da die Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, von einander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln. Hinzu kommt, dass den Auskünften in der Regel Recherchen vor Ort tätigen Personen oder Organisationen zu Grunde liegen.

 

4. Insgesamt war auf Grund des unglaubwürdigen (weil massiv widersprüchlichen) Vorbringens des Bw. in Zusammenschau mit dem erstellten Gutachten und den in das Verfahren einbezogenen Dokumentationsquellen der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat nicht davon auszugehen, dass dem Bw. in seiner Heimat eine aktuelle Verfolgungsgefahr droht.

 

5. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Anzuwendendes Recht

 

1. Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002, geführt.

 

2. Da der ggst. Asylantrag am 03.02.2003 gestellt wurde, war er nach der Rechtslage des AsylG 1997 idF 126/2002 unter Beachtung der Übergangsbestimmungen, woraus sich die gegenständliche Zuständigkeit ergibt, zu beurteilen.

 

3. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

4. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 (WV) idF BGBl. I Nr. 2/2008, ab 01.07.2008 die beim UBAS anhängigen Verfahren weiterzuführen. An die Stelle des Begriffs "Berufung" tritt gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008, mit Wirksamkeit ab 01.07.2008 der Begriff "Beschwerde". Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Einrichtung des Asylgerichtshofes finden sich in den Art. 129c ff. B-VG.

 

5. Die Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 lautet:

 

"Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichthofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständen Senat weiterzuführen."

 

Im gegenständlichen Verfahren wurde durch ein Mitglied des UBAS, das nicht zu einem Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, eine mündliche Verhandlung geführt und der Berufungsbescheid durch mündliche Verkündung am 15.11.2006 rechtswirksam erlassen. Der Spruch und die wesentliche Begründung wurden in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehalten.

 

6. Da im Falle einer Bescheidverkündung nach Schluss der Verhandlung den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides zuzustellen ist und diese Ausfertigung bislang noch nicht erfolgte, ist das gegenständliche Verfahren als ein beim UBAS am 01.07.2008 anhängig gewesenes Verfahren zu sehen, das gemäß § 75 Abs. 7 Z 3 AsylG 2005 idgF vom zuständigen Senat laut erster Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes weiterzuführen ist.

 

7. An den mündlich verkündeten Bescheid knüpfen sich nach der Rechtsprechung des VwGH die Rechtwirkungen eines Bescheides, insbesondere dessen Unwiderrufbarkeit und Unabänderlichkeit (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG-Kommentar, 2. TB, § 62). Im vorliegenden Fall kann der Asylgerichtshof in Hinblick auf die Rechtswirkungen des bereits erlassenen und mündlich verkündeten Bescheides keine Entscheidung gemäß § 61 AsylG 2005 treffen, da die Entscheidung in der Sache mit Spruch vom 15.11.2006 durch das zuständige Mitglied des UBAS rechtswirksam erfolgte. Da der Bescheid schon durch die mündliche Verkündung erlassen wurde, darf die schriftliche Ausfertigung nicht vom mündlich verkündeten Bescheid abweichen (Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4 [2006] 212).

 

8. Die Ausfertigung des mündlich verkündeten und damit rechtswirksam erlassenen Bescheides ist daher vom Vorsitzenden des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes laut erster Geschäftsverteilung vorzunehmen.

 

II.2. Zur Berufung gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides

 

1. Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Als Flüchtling iSd. der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine sog. inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein.

 

3. Als Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates nannte der Bw., Verfolgung durch den Kommandanten des K., namens H.A. (sein Vater sei der stellvertretende Kommandant der Mujaheddingruppierung M. gewesen; sein Vater, sowie auch sein Bruder seien während einer Auseinandersetzung mit dem Kommandanten H.A. getötet worden). Zudem behauptete er Verfolgung wegen einer Feindschaft zwischen seiner Familie und vier seiner Cousins. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor H.A. bzw. von seinen vier Cousins getötet zu werden.

 

3. Die o.a. Feststellungen zugrundelegend (siehe dazu Punkt I.2.2.) kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat keine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (siehe für viele VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (hierzu VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation der berufenden Partei, sondern auch die generelle politische Lage in ihrem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt.

 

4. Die von der berufenden Partei vor dem Bundesasylamt getätigten Angaben zu seinem Fluchtgrund sind schon aufgrund des widersprüchlichen Vorbringens als nicht glaubwürdig einzustufen und wurden zudem durch das Gutachten des Sachverständigen eindeutig widerlegt. Von einer individuellen Verfolgungsgefahr für den Bw. in seinem Heimatland ist daher nicht auszugehen.

 

5. Der Bw. konnte somit keine aktuell bestehende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen, eine solche ist auch im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt. Es ist folglich davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.

 

Daher war die Berufung gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

II.3. Zur Berufung gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides

 

1. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG 1997 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist und diese Entscheidung mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden. Die Prüfung ist - im Falle der Abweisung des Asylantrages - von Amts wegen vorzunehmen. Dabei verweist § 8 AsylG 1997 auf § 57 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75/1997, wonach gemäß Abs. 1 leg. cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

 

2. Die angespannte wirtschaftliche und soziale Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei lassen sich den o.g. Informationsquellen entnehmen (siehe oben I.2.1.). In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Gutachten des länderkundigen Sachverständigen K.N. sowie die in das Verfahren eingeführten Beweismittel zur humanitären Lage zu verweisen. Im gegenständlichen Fall hätte der Bw. im Falle seiner Rückkehr nicht die Möglichkeit familiären Rückhalt in Anspruch zu nehmen (die Familienmitglieder des Antragstellers leben mittlerweile in Pakistan), was insbesondere in Anbetracht des jugendlichen Alters des Bw. problematisch erscheint. Auf Grund des länger dauernden Aufenthaltes des Bw. in Österreich ist zudem davon auszugehen, dass dieser im Falle der Rückverbringung vorerst auf sich alleine gestellt sein wird. Angesichts der politischen Lage in Afghanistan ist staatliche Unterstützung nicht sehr wahrscheinlich. Es ist somit nicht auszuschließen, dass der Bw. im Falle seiner Rückverbringung nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt ist und würde eine solche unter den vorhandenen Bedingungen in Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche Behandlung des Bw. darstellen. Die Zurückschiebung, Zurückweisung oder Abschiebung des Bw. nach Afghanistan ist angesichts der latenten Bedrohungslage unzulässig.

 

3. Zusammengefasst liegt beim Bw. somit eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059) vor.

 

4. Vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen finden sich somit Anhaltspunkte dafür, dass die berufende Partei bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, einer Gefährdungssituation i.S.d. § 57 Abs. 1 FrG ausgesetzt wäre.

 

Eine innerstaatliche Fluchtalternative hinsichtlich der unzumutbaren Lebensumstände ist nicht zu erkennen, da sich die prekäre Situation für mittellose dem Amtswissen und den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen) über ganz Afghanistan erstreckt.

 

Daher war der Berufung gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides stattzugeben.

 

II.4. Zur Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung:

 

1. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG ist Fremden, deren Asylantrag aus anderen Gründen als den Asylausschlussgründen (§ 13 AsylG) rechtskräftig abgewiesen wurde, von jener Asylbehörde mit Bescheid eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen, von der erstmals festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig ist.

 

2. Die befristete Aufenthaltsberechtigung ist gemäß § 15 Abs. 2 leg. cit. für höchstens ein Jahr zu erteilen. Im Falle der berufenden Partei liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vor. Auch ist auf Grund der oben festgestellten Verhältnisse im Herkunftsstaat der berufenden Partei nicht davon auszugehen, dass sich ihre Rückkehrsituation innerhalb der nächsten Monate maßgeblich ändern wird.

 

II.5.

 

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung, gesamte Staatsgebiet, Glaubwürdigkeit, Lebensgrundlage, Schutzunfähigkeit, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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