TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/23 B4 256887-0/2008

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Veröffentlicht am 23.09.2008
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Spruch

B4 256.887-0/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des D.S., geboren am 00.00.1975, serbischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7.1.2005, Zl. 04 03.554-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger serbischer Volksgruppenzugehörigkeit und orthodoxen Glaubens, reiste am 2.3.2004 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein.

 

2. Nachdem er zuvor in 3400 Klosterneuburg bei Holzarbeiten betreten worden war, wurde er am 22.2.2004 auf dem Gendarmerieposten Klosterneuburg einvernommen. Dabei gab er u.a. an, dass er in seiner Heimat nicht politisch verfolgt werde und ihm dort auch nicht die Todesstrafe oder unmenschliche Behandlung drohe.

 

3. Mit Schriftsatz vom 1.3.2004, beim Bundesasylamt eingelangt am gleichen Tag, stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag.

 

4. Am 24.3.2004 beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

Er habe Probleme mit der Polizei; Polizisten hätten ihn regelmäßig geschlagen. Zunächst gab der Beschwerdeführer als Grund dafür an, dass er 1999 eine Einberufung abgelehnt habe; im weiteren Verlauf der Einvernahme räumte er hingegen ein, dass die Aussage, er sei nicht "fahnenflüchtig", zutreffe; die Polizisten hätten aber "das so ausgelegt". Zum Beweis der Richtigkeit seines Vorbringens legte er drei in serbischer Sprache abgefasste Urkunden vor; eines davon sei ein "Gerichtsbeschluss von den Polizisten", die er erwähnt habe; dort stehe, dass sie zugegeben hätten, ihn geschlagen zu haben, das Verfahren sei aber immer verschleppt worden und noch nicht abgeschlossen. Ein weiteres Dokument sei seine polizeiliche Einvernahme. Die letzte Urkunde, zu der der Beschwerdeführer nicht befragt wurde, dürfte eine ärztliche Bestätigung sein. Überdies gab der Beschwerdeführer an, dass er innerhalb Serbiens seinen Aufenthaltsort gewechselt habe. Er sei bei einem Freund gewesen, er habe sonst "nirgendwo niemanden". Er könne sich jedoch nicht von seinem Freund auf Dauer aushalten lassen; Arbeit habe er nicht gefunden.

 

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt - ohne eine Übersetzung der zuvor genannten Urkunden veranlasst zu haben - den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.), erklärte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I. Nr. 101/2003 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro" für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg.cit. - ohne Bestimmung eines Zielstaates - aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Die Abweisung des Asylantrages begründete es folgendermaßen: Der Großteil des Vorbringens des Beschwerdeführers sei aufgrund von Widersprüchen unglaubwürdig; glaubwürdig sei nur, dass er von Polizisten geschlagen worden sei, er diesbezüglich Anzeige erstattet habe, gegen diese Polizisten ein Strafverfahren anhängig sei, dass der Beschwerdeführer "innerhalb der Heimat verzogen" sei und er dort mangels Arbeit nicht habe bleiben können. Der Beschwerdeführer sei keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Das gegen die Polizisten eingeleitete Strafverfahren beweise klar, dass der Staat sehr wohl willig als auch fähig sei, ihm Schutz vor Verfolgung seitens Dritter zu gewähren. Auch Übergriffe durch Polizisten seien allenfalls als Verfolgung von Privatpersonen zu werten, wenn der Staat diese weder fördert noch billigt, was im Fall des Beschwerdeführers anzunehmen sei. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer auch die Möglichkeit gehabt, sich der Verfolgung durch einen Ortswechsel zu entziehen, was er nach seinen Angaben auch gemacht habe.

 

6. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung. Diese weist im Wesentlichen darauf hin, dass das Bundesasylamt bei seinen Erwägungen zur Glaubwürdigkeit des vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringens nicht berücksichtigt habe, dass dieser noch nicht beim Heer gewesen sei und was dies nach serbischem Recht bedeute. Auch habe es sich weder "mit der Frage der de facto Unstrafbarkeit von Polizisten" noch "mit der Allmacht serbischer Polizei zum landesweiten Ausforschen eines missliebigen Staatsbürgers, der sich erdreistet auch noch die ihn misshandelnde Polizei anzuzeigen" befasst.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1.7.2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass - wie das Bundesasylamt zutreffend ausgeführt hat - das Vorbringen des Beschwerdeführers erhebliche Widersprüche aufweist. Gleichwohl geht er davon aus, dass das Bundesasylamt auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sachgerecht eingegangen ist: Denn es hätte dessen Asylantrag nicht mit der Begründung, die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Polizisten, die den Beschwerdeführer geschlagen hätten, zeige, dass der Herkunftsstaat willens und auch fähig sei, den Beschwerdeführer zu schützen, abweisen dürfen, ohne sich vorher vom Inhalt der Urkunden, die zu diesem Verfahren vorgelegt wurden, Kenntnis zu verschaffen. Auch kann nicht gesagt werden, dass es dem Vorbringen des Beschwerdeführers am erforderlichen Konnex zu einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen fehlen würde; denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich aus dem vom Beschwerdeführer als "Gerichtsbeschluss" bezeichneten Dokument, in dem nach dessen Vorbringen "alles drinnen stehe", Hinweise für die Gründe ergeben, weswegen die Polizisten den Beschwerdeführer geschlagen hätten. Soweit das Bundesasylamt aber überdies annimmt, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat eine interne Relokationsmöglichkeit offenstehe, übersieht es, dass eine solche dem Asylwerber auch zumutbar sein muss; in Hinblick darauf, dass das Bundesasylamt die Aussage des Beschwerdeführers, er habe an dem Ort, an den er sich begeben habe, mangels Arbeit nicht bleiben können, fehlen aber Ausführungen zur Frage, aus welchen anderen Gründen anzunehmen ist, dass der Beschwerdeführer am Ort seiner Relokation nicht in eine existenzgefährdende Notlage gerät.

 

3.2. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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