TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/29 S8 315364-2/2008

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Veröffentlicht am 29.09.2008
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Spruch

S8 315.364-2/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Büchele als Einzelrichter über die Beschwerde des D.R., geb. 00.00.1977, StA. Russische Föderation, vertreten durch GENNER Michael, Asyl in Not in 1090 Wien, Währinger Straße 59 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.06.2008, Zahl: 08 01.580-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, ist am 23.08.2007 über Italien kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag) gestellt.

 

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.10.2007, Zl. 07 07.778-EAST Ost wurde der Asylantrag vom 23.08.2007 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) Italien zuständig. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen; eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien sei somit gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig.

 

1.3. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylamtes vom 30.11.2008, Zl. 315.364-1/2E-V/14/07, gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 abgewiesen.

 

1.4. Am 30.11.2007 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer nach Italien überstellt.

 

2.1. Der Beschwerdeführer ist am 06.12.2007 neuerlich illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am 13.02.2008 den gegenständlichen Asylantrag gestellt.

 

2.2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für Tschetschenisch gab der Beschwerdeführer an, er sei am 02.08.2007 gemeinsam mit seinem Bruder (D.T.) mit einem Reisebus nach Nalzik gefahren. Von dort aus seien sie legal über die Türkei (Istanbul) nach Syrien gefahren. Von Syrien aus seien sie schlepperunterstützt nach Italien geflogen. Sie seien am 20.08.2007 in Mailand gelandet. Sie seien zur Polizei gegangen und ihnen seien die Fingerabdrücke abgenommen worden. Man habe ihnen gesagt, sie hätten das Land innerhalb von fünf Tagen zu verlassen, obwohl sie um Asyl ansuchen wollten. Nach der illegalen Einreise in Österreich hätten sie einen Asylantrag gestellt. Sie seien in Schubhaft genommen worden und seien am 29.11.2007 nach Italien rücküberstellt worden. Da sie in Italien nicht um Asyl ansuchen konnten, seien sie am 06.12.2007 wieder nach Österreich gereist, wo sie sich bis jetzt illegal aufgehalten hätten.

 

2.3. Am 15.02.2008 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung an Italien gestellt. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit Italien erhielt der Beschwerdeführer am 18.02.2008. Da Italien nicht in der vorgegebenen Frist antwortete, wurde die zuständige italienische Behörde mit Schreiben vom 19.03.2008 auf die Verfristung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung hingewiesen. Mit Schreiben vom 08.04.2008 erklärte sich Italien gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung für die Aufnahme des Asylwerbers für zuständig.

 

2.4. Am 07.03.2008 langte ein Psychotherapeutischer Kurzbericht vom 05.02.2008 beim Bundesasylamt ein, worin beim Beschwerdeführer eine PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) diagnostiziert wurde. Da der Beschwerdeführer im Rahmen seines krankheitswertigen Syndroms retraumatisierungsanfällig sei, sei er einem Risiko der weiteren, anhaltenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und der Verschlechterung seiner Entwicklungsperspektive ausgesetzt.

 

Am 02.04.2008 sowie am 21.04.2007 erfolgte eine Untersuchung bei der Erstaufnahmestelle-Ost durch Dr. H., Ärztin der Allgemein Medizin und psychotherapeutische Medizin. Diese stellte in ihrer Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren fest, dass einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien keine schwere psychische Störung entgegenstünde; es sei nicht zu erwarten, dass es durch eine Überstellung zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen werde. Es sollte allerdings keine Trennung vom Bruder des Beschwerdeführers erfolgen, weil dies zu einer weiteren Destabilisierung führen würde. Das Vorliegen einer Anpassungsstörung und längere depressive Reaktionen mit Sorge, Verzweiflung und dem Gefühl, nicht mehr zu Recht zu kommen, wurden diagnostiziert.

 

Bei der am 25.04.2008 stattgefundenen niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für Russisch gab der Beschwerdeführer an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich, außer dem mit ihm reisenden Bruder, habe er keine. Er habe am 23.08.2007 erstmals einen Asylantrag in Österreich gestellt, welcher mit Bescheid vom 10.10.2007 gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen worden sei. Er sei am 30.11.2007 nach Italien überstellt worden. Sechs Tage nach seiner Abschiebung sei er abermals illegal nach Österreich gekommen. Er habe in Italien eine Nacht am Flughafen verbringen müssen. Die italienischen Behören hätten ihm gesagt, dass er nach Mailand zur Polizeistation fahren solle. Dort habe er erzählt, dass er von Österreich überstellt worden sei. Es sei ihm gesagt worden, dass er in ein Flüchtlingslager fahren solle. Da er kein Geld gehabt habe, habe er darum gebeten, ihn dorthin zu bringen. Die italienischen Beamten hätten ihm die Adresse auf einen Zettel geschrieben und ihn weggeschickt. Er sei zu dem Flüchtlingslager gefahren, wo er wieder zu einer anderen Polizeistation geschickt worden sei. Dort habe man ihm mitgeteilt, er solle ins Flüchtlingslager gehen. Nachdem er dem Polizisten erklärt habe, dass er von dort käme, habe ihm dieser auf Englisch mitgeteilt, Today no Asylum, Tomorrow no Asylum. Er sei daher wieder zur ersten Polizeidienststelle gefahren, wo er abermals vor die Tür gesetzt worden sei. Man habe gemeint, er solle nach Frankreich oder woanders hinfahren. Bevor er wieder nach Österreich gereist sei, habe er sechs Tag am Bahnhof verbracht. Zur geplanten Ausweisung brachte der Beschwerdeführer vor, er befürchte, dass er wieder kein Asyl bekommen werde. Das einzige Probleme in Italien sei, dass er nicht aufgenommen und sein Asylantrag nicht entgegengenommen worden sei. In Italien sei er erniedrigt und ausgelacht worden. Im Flüchtlingslager habe er keinen einzigen Menschen gesehen; es sei leer gewesen.

 

3. Mit dem beim Asylgerichtshof angefochtenen Bescheid entschied das Bundesasylamt gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 13.02.2008 als unzulässig zurückzuweisen sei. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 10 Abs. 1 der Dublin-Verordnung Italien zuständig. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen (in der Übersetzung in das Russische richtigerweise nach Italien ausgewiesen); eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien sei somit gemäß § 10 Abs 4 AsylG 2005 zulässig. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu Italien, insbesondere zum italienischen Asylwesen und zur Versorgung von Asylwerbern in Italien. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser konkret Gefahr liefe, in Italien verfolgt zu werden. Es drohe ihm keine Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

4. Mit Schriftsatz vom 07.07.2008 wurde in der - fristgerecht eingebrachten - Beschwerde vorgebracht, dass E.K. eine schwere psychische Störung belegt habe, die die Durchführung einer Ausweisung wegen der damit verbundenen Gefahr einer Retraumatisierung unzulässig mache. Das Bundesasylamt habe allerdings ohne triftige Begründung der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. H. den Vorzug eingeräumt. Weiters sei der Beschwerdeführer bei seiner Ankunft in Italien menschenunwürdig behandelt worden. Er befürchte, dass ihm Italien nicht den notwendigen Schutz zukommen lassen werden. Überdies sei es ihm verwehrt gewesen, einen Asylantrag zu stellen und sei daher nicht davon auszugehen, dass er bei einer neuerlichen Überstellung sein Asylantrag entgegengenommen werde. Er habe auch keinen Zugang zu den Flüchtlingslagern gehabt.

 

Mit Schreiben vom 30.07.2008 (beim Asylgerichtshof am 31.07.2008 eingelangt) wurde in Ergänzung der Beschwerde ein weiterer Psychotherapeutischer Kurzbericht vom 08.07.2008 von E.K. vorgelegt, welchem entnommen werden kann, dass der Beschwerdeführer an einer Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) nach rezenten Erlebnissen, aufsitzend auf einer post-traumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) zu Folge serieller Traumatisierung leide. Da der Beschwerdeführer im Rahmen seines krankheitswertigen Syndroms retraumatisierungsanfällig ist, sei er einem Risiko der weiteren, anhaltenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und der Verschlechterung seiner Entwicklungsperspektive ausgesetzt.

 

5. Mit Beschluss des Asylgerichthofes vom 17.07.2008, GZ: S8 315.364-2/2008/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, wurde gemeinsam mit seinem Bruder (D.T.; vgl. die Entscheidung des Asylgerichtshofs zur Zahl: GZ. S8 315.782-2/2008/5E vom heutigen Tag) am 30.11.2007 nach Italien/Mailand überstellt, nachdem sein Asylantrag wegen Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen und seine Berufung abgewiesen wurde. Er ist am 06.12.2008 abermals illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am 13.02.2008 einen neuerlichen Asylantrag gestellt, der Gegenstand dieses Verfahrens ist. Weiter Familienangehörige oder Personen, mit denen er in einer familienähnlichen Gemeinschaft lebt, hat der Beschwerdeführer in Österreich, im Gebiet der EU, in Norwegen oder in Island nicht.

 

1.2. Am 15.02.2008 wurde ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung an Italien gestellt. Nachdem von Italien nicht innerhalb der vorgegebenen Frist ein Antwortschreiben beim Bundesasylamt eintraf, besteht gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung eine Zuständigkeit Italiens durch Verfristung. Mit Schreiben vom 08.04.2008 (beim Bundesasylamt am selben Tag eingetroffen) erklärte sich Italien gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung ausdrücklich für die Aufnahme des Beschwerdeführers für zuständig.

 

1.3. Die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 festgelegten zwanzigtägigen Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG 2005 ist nicht anwendbar, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß Dublin-Verordnung binnen Frist mitgeteilt wurde; es ist somit zu keinem Zuständigkeitsübergang an Österreich wegen Fristüberschreitung gekommen.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere auf die Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.02.2008 (Aktenseite 13 bis 21), aus der ärztlichen Untersuchung durch Dr. H. (Aktenseite 113 bis 117), den Psychotherapeutischen Kurzberichten von E.K. (Aktenseite 77 bis 81), aus der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers am 25.04.2008 (Aktenseite 127 bis 133), der Zuständigkeitserklärung Italiens vom 08.04.2008 (Aktenseite 109) sowie aus sowie der dem Asylgerichtshof vorgelegte psychotherapeutischer Kurzbericht vom 08.07.2008 von E.K..

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 Schutz vor Verfolgung findet (§ 5 Abs. 3 AsylG 2005). Mit dieser Regelung wurde eine teilweise Beweislastumkehr geschaffen. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, ihr Beschwerdevorbringen zu untermauern (wobei dem auch durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949); dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung in dieser Bestimmung überhaupt für unbeachtlich zu erklären.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin-Verordnung ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger (eine Person, die nicht Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union ist) an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn dem Fremden entweder im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

3.3. Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin-Verordnung oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer in Italien die Fingerabdrücke angenommen wurde und Italien einer Übernahme des Beschwerdeführers nicht innerhalb der vorgegebenen Frist ausdrücklich widersprochen hat und ein Zuständigkeitsübergang infolge Fristablaufes gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung vorliegt, zu Recht von einer Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall durch Mitteilung der Konsultationen an den Beschwerdeführer weggefallen ist.

 

3.4. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen.

 

3.4.1. Zur möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Im vorliegenden Fall liegen einander widersprechende Einschätzungen hinsichtlich der Frage des psychischen Zustandes des Beschwerdeführers bzw. einer Überstellungsfähigkeit vor; diese beruhen der Aktenlage zufolge auf einem Privatgutachten aufgrund einer Untersuchungen am 10.01.2008 (K.) die sich gegen eine Überstellungsmöglichkeit und andererseits vom 02.04.2008 (Dr. H.) die für eine Überstellungsmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Italien aussprechen. Mit Schriftsatz vom 09.07.2008 wurde ein weiterer psychotherapeutischer Kurzbericht von E.K. vom 08.07.2008 vorgelegt, der gegen eine Überstellungsmöglichkeit des Beschwerdeführers spricht. Für den Asylgerichtshof ist somit nicht klargestellt, ob der genannte psychotherapeutische Kurzbericht vom 10.01.2008 überhaupt der untersuchenden Ärztin anlässlich der Begutachtung am 02.04.2008 zur Verfügung stand. Vor dem Hintergrund, dass im genannten Bericht vom 10.01.2008 von K. eine latente Suizidalität diagnostiziert wurde, darüber hinaus in der Schlussfolgerung eine Retraumatisierungsgefahr und die Gefahr einer Steigerung der latenten Suizidalität diagnostiziert wurde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass derzeit von einer Überstellungsmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Italien ausgegangen werden kann. Da auch aus dem dem Asylgerichtshof vorgelegten psychotherapeutischer Kurzbericht von E.K. vom 08.07.2008 wiederum eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ausgegangen wird, kann derzeit nicht von einer Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführer ausgegangen werden, ohne dass sichergestellt ist, dass keine Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte besteht.

 

Bei dieser Sachlage ist es nach Auffassung des Asylgerichtshofs unerlässlich, die vorliegenden ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Einschätzungen durch die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zum Vorliegen der geltend gemachten Erkrankung und zur Frage, welche psychischen und physischen Auswirkungen eine Überstellung nach Italien mit sich bringen würden - unter Einbeziehung des gesamten bisherigen Vorbringens - einer eingehenden sachverständigen Beurteilung zuzuführen.

 

Diesbezüglich ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang zunächst die Klärung der Frage verlangt, mit welcher Wahrscheinlichkeit - sofern tatsächlich eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt - mit dem Auftreten einer Retraumatisierung aus medizinischer Sicht zu rechnen wäre und welche Auswirkungen (physischer und psychischer Art) auf den Gesundheitszustand des Betreffenden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären. Erst bei Vorliegen einer diesbezüglichen Grundlage wäre einzuschätzen, ob es für die Beurteilung, ob eine Überstellung ohne Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte möglich ist, auch noch einer detaillierten Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Betreffenden (insbesondere zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld, aber auch zur medizinischen Versorgungssituation), und zwar sowohl im Zielstaat der Abschiebung als auch in Österreich, bedurft hätte (so VwGH v. 17.12.2003, Zl. 2000/20/0208 [betreffend eine Abschiebung in den Herkunftsstaat]; siehe weiters VwGH v. 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080 [betreffend ebenfalls eine Abschiebung in den Herkunftsstaat]; VwGH

v. 18.02.2003, Zl. 99/01/0446 [betreffend eine "Dublin-Überstellung" nach Italien]). Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass auch der jüngeren Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht entnommen werden kann, dass schwerwiegende psychischen Erkrankungen bzw. eine (im Falle einer Außerlandesschaffung eintretende) "Retraumatisierung" niemals geeignet wären, eine Außerlandesschaffung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erscheinen zu lassen; dass in den bisher diesbezüglich entschiedenen Fällen (vgl. EGMR v. 10.11.2005, Paramsothy gegen die Niederlande [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom]; EGMR v. 10.11.2005, Ramadan gegen die Niederlande, Nr. 35989/03 [Erkrankung an Depression, teils mit psychotischer Charakteristik]; EGMR v. 22.09.2005, Kaldik gegen Deutschland, Nr. 28526 [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom mit Selbstmordgefahr]; EGMR v. 31.05.2005, Ovdienko gegen Finnland, Nr. 1383/04 [Erkrankung an schwerer Depression mit Selbstmordgefahr]; EGMR v. 29.06.2004, Salkic gegen Schweden, Nr. 7702/04 [psychische Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen], EGMR v. 06.02.2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich [Erkrankung an Schizophrenie]) keine derart außergewöhnlichen Umstände, die mit einer tödlichen Krankheit im Endstadium [AIDS] ohne Aussicht auf medizinische Behandlung oder familiäre Unterstützung im Herkunftsstaat (EGMR v. 02.05.1997, D. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 146/1996/767/964) vergleichbar wären, angenommen wurden, steht dem nicht entgegen.

 

3.4.2. Da nach dem Gesagten der vorliegende Sachverhalt sich als i. S.d. § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 mangelhaft erweist, war schon aus den genannten Gründen der Beschwerde gegen die vorliegende Entscheidung im Zulassungsverfahren spruchgemäß stattzugeben; demgemäß ist das Verfahren gem. § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 zugelassen. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass im Fall einer Zurückverweisung im Grunde des § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 das Bundesasylamt im Falle einer neuerlichen zurückweisenden Entscheidung (lediglich) an die die Aufhebung tragenden Gründe und die für die Behebung maßgebliche Rechtsansicht des Asylgerichtshofs gebunden ist (siehe mutatis mutandis Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 550, unter Verweis auf die Erläut. zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 66 Abs. 2 AVG z.B. VwGH v. 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010; VwGH v. 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141). Infolge der Zurückverweisung des Verfahrens wird das Bundesasylamt allerdings das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere - hier nicht mehr zu behandelnde - Parteivorbringen zu berücksichtigen und gem. § 18 Abs. 1 AsylG 2005 gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

 

4. Von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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