TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/07 C9 311319-1/2008

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Veröffentlicht am 07.10.2008
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Spruch

C9 311319-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Dr. René BRUCKER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Daniel LEITNER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Tanja ANTOVIC über die Beschwerde des H. Q., geb. 00.00.1980, StA. Vietnam, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.03.2007, FZ. 06 00.610-BAL in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid b e h o b e n und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt z u r ü c k v e r w i e s e n.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) brachte am 13.01.2006 beim Bundesasylamt, Außenstelle Wien (BAW), einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am selben Tag wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung durchgeführt, wobei der Bf. zu seinem Fluchtgrund anführte, dass Mitglieder der Drogenmafia versucht hätten, ihn zum Handel mit Drogen zu zwingen. Auf Grund seiner Weigerung habe man ihm damit gedroht, ihn zu töten. Er habe gehört, dass Österreich ein sicheres Land sei, deshalb sei er nach Österreich gekommen.

 

2. Am 19.01.2006 fand eine (kurze) niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West (EAST West), sowie am selben Tag eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Genannten statt. Im Zuge dieser Einvernahme erklärte der Antragsteller, dass er über keinerlei Dokumente verfüge, auch nicht in seiner Heimat. In Vietnam habe er lediglich eine Geburtsurkunde besessen, diese sei jedoch von den Schleppern zerrissen worden. Zu seinem Fluchtgrund führte der Genannte aus, dass in seinem Heimatort viele Menschen mit Drogen handeln würden, auch sein Bruder habe mit Drogen zu tun gehabt und sei deswegen auch inhaftiert worden. Die Drogenmafia habe versucht ihn zu zwingen, auch mit Drogen zu handeln, er habe sich jedoch geweigert. Seither sei seine Familie mit Schwierigkeiten durch die Drogenmafia konfrontiert gewesen. Die Drogenmafia habe einen Brief an seine Mutter geschickt, in welchem ihnen mitgeteilt worden sei, dass sie Drogen verloren hätten und dafür Ersatz leisten müssten, und wenn sie dieser Aufforderung nicht nachkämen, würden sie umgebracht. Der Bf. habe lediglich einmal mit der Drogenmafia Kontakt gehabt, namentlich könne er keine Mitglieder nennen. Er habe den Drohbrief weder der Polizei gezeigt, noch den Vorfall zur Anzeige gebracht. Den Drohbrief habe er schließlich weggeschmissen. In einem anderen Teil seines Herkunftsstaates habe er keinen Schutz vor Verfolgung finden können, die Mitglieder der Drogenmafia hätten ihn überall finden können. Seine Reise nach Österreich habe er sich durch den Verkauf eines Hauses und mehrerer Äcker finanziert, seine Familie lebe derzeit in einem anderen Haus, welches nicht verkauft worden sei. Im Falle seiner Rückkehr habe er Bedenken getötet zu werden. Er habe wegen des Drohbriefes große Angst bekommen und sei geflohen.

 

3. Am 26.03.2007 wurde der Antragsteller vor der belangten Behörde neuerlich einvernommen, wobei er ausführte, dass er in seinem Heimatstaat seinen Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit im elterlichen Betrieb als Landwirt bzw. Feldarbeiter bestritten habe. Er sei von 1998 bis 2005 in der elterlichen Landwirtschaft tätig gewesen. In seiner Heimat seien nach wie vor seine Mutter N. T. , sowie sein Bruder H. V.. Sein Bruder sei verheiratet und habe einen 15 jährigen Sohn.

 

Er habe sich bereits Anfang November 2005 dazu entschlossen, sein Heimatland zu verlassen, tatsächlich ausgereist sei er am 25.11.2005. Die Ausreise habe er durch den Verkauf eines Grundstückes finanziert, er habe das Erbteil seines Vaters verkauft, ein Grundstück in der Größe von 500 m². Er sei im Container versteckt mit einem Schiff aus Hai Phong ausgereist, wo ihn ein Schlepper untergebracht habe; der Schlepper habe ihn aufgefordert, seine Dokumente ins Meer zu werfen, seine Geburtsurkunde habe er jedoch bei sich, diese sei ihm von seiner Familie geschickt worden.

 

Zu seinem Fluchtgrund führte der Genannte im Rahmen dieser Einvernahme aus, dass er Anfang September 2005 einen Drohbrief von der Mafia erhalten habe. Er hätte zwei Kilo Heroin transportieren sollen. Ihm sei angedroht worden, ihn zu "erledigen", wenn er dies nicht tun würde. Im Brief sei gestanden, dass der Transport Anfang November stattfinden solle, die Organisation würde mit ihm zu Beginn des Monats November Kontakt aufnehmen. Es sei kein genaues Datum angeführt gewesen, es sei im Brief lediglich gestanden, dass zwischen 15 bis 20 November die Kontaktaufnahme bei ihm zu Hause stattfinden werde. Er habe diesen Brief auch seinen Eltern gezeigt, diese seien mit dem Verkauf des Grundstückes und auch seiner Ausreise einverstanden gewesen. Er sei mit dem Brief nicht zur Polizei gegangen, weil dies nichts helfen würde, zumal in diesem Brief darauf hingewiesen worden sei, dass seine Familie in Gefahr geraten würde, wenn er Kontakt mit der Polizei aufnehmen würde. Er habe den Brief schließlich verbrannt. Er wisse nicht, ob diese Leute von der Mafia schon festgenommen worden seien, er müsse auf diese Nachricht warten. Er wisse jedoch nicht, wie diese Leute heißen. Er könne nicht angeben, wie groß diese Gruppe sei, auch sein Bruder habe keine Namen preisgegeben.

 

4. Mit Bescheid vom 28.03.2007, AZ. 06 00.610-BAL, zugestellt am 03.04.2007, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 13.01.2006 gemäß § 3 Abs. 3 Ziffer 1 iVm § 11 Abs. 1 AsylG ab (Spruchpunkt I), erkannte gemäß § 8 Abs. 3 iVm §11 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Vietnam nicht zu (Spruchpunkt II) und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG mit einer Ausweisung (Spruchpunkt III).

 

Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Vorbringen des Antragstellers unwahrscheinlich und nicht nachvollziehbar gewesen sei, es sei nicht erkennbar, dass der Antragsteller im Falle einer Bedrohung von den staatlichen Behörden nicht Schutz erlangen könnte. Der Antragsteller habe selbst vorgebracht, dass sein Bruder wegen Drogenhandel und Drogenbesitz verurteilt worden sei und sich in Strafhaft befinde, schon aus diesem Grund könne nicht angenommen werden, dass die Behörden dem Antragsteller ihren Schutz verweigern würden. Zudem seien die Ausführungen des Antragstellers zum Inhalt des erhaltenen Drohbriefes insofern unglaubwürdig, als dieser angegeben habe, dass die Drogenmafia den Drogentransport schriftlich angekündigt habe. Gerade weil der Bruder des Antragstellers den lokalen Behörden bereits einschlägig bekannt sei (Verurteilung wegen Drogenhandel) würde die Polizei besonders Augenmerk auf das Umfeld des Täters haben. Unabhängig davon könne auch für den Fall der Wahrheitsunterstellung des Vorbringens des Antragstellers dieser Sachverhalt nicht zu einer Asylgewährung führen, die vom Antragsteller behauptete Bedrohung durch unbekannte Personen (ohne Duldung oder Unterstützung der Polizeikräfte) stelle nur eine kriminelle Bedrohung ohne Asylrelevanz dar. Zudem sei der Antragsteller nicht in der Lage gewesen, den Zeitpunkt des Vorfalles wiederzugeben, welcher schließlich Anlass zur Flucht gewesen sein soll. Anhand der Länderfeststellungen sei nicht erkennbar, dass eine allfällige Rückkehr des Antragstellers bekannt werden würde. Der Antragsteller selbst habe das Vorhandensein einer innerstaatlichen Fluchtalternative bestätigt und habe in diesem Zusammenhang ausgeführt, diese nicht in Erwägung gezogen zu haben, weil er in Österreich ein neues Leben beginnen wollte.

 

5. Gegen den og. Bescheid des BAL richtet sich die beim BAL am 17.04.2007 fristgerecht eingelangte Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (in der Folge: UBAS) vom 12.04.2007. In seiner Berufung monierte der Bf. die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei weder schlüssig noch nachvollziehbar, dem Antragsteller sei ohne ausreichende Begründung die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden. Die von der belangten Behörde vorgehaltenen Länderfeststellungen ließen nicht darauf schließen, dass der Staat den Antragsteller vor Übergriffen durch die Drogenmafia schützen könne. Dem Antragsteller drohe im Falle seiner Rückkehr von den vietnamesischen Behörden wegen dessen illegaler Ausreise und seines illegalen Auslandsaufenthaltes asylrelevante Bestrafung. Den behördlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid zu Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches sei entgegenzuhalten, dass das erwähnte Abkommen mit Deutschland und nicht mit Österreich abgeschlossen worden sei; verlässliche Angaben über die Situation von Rückkehrern aus Österreich würden fehlen. In diesem Zusammenhang sei auf den Bescheid des UBAS vom 08.03.2007, Zl. 267.546/0/3E-XVI/48/06 zu verwiesen, wonach die Gefährdung eines Rückkehrers nicht generell ausgeschlossen werden könne.

 

6. Das anhängige Berufungsverfahren in der ggst. Rechtssache ist nunmehr von dem nach der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat C9 des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Anzuwendendes Recht

 

1. Am 01.07.2008 beim UBAS anhängige Verfahren sind nach Maßgabe der Übergangsbestimmung des § 75 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 sind Verfahren gegen abweisende Bescheide, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind und in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichthofes zuständigen Senat weiterzuführen. Das gegenständliche Beschwerdeverfahren war am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig, eine mündliche Verhandlung hatte nicht stattgefunden. Das Verfahren war nach Maßgabe der Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat C9 des Asylgerichtshofes zu führen.

 

3. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes in Senaten oder, soweit dies bundesgesetzlich besonders vorgesehen ist, durch Einzelrichter.

 

Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden

 

gegen zurückweisende Bescheide

 

wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4,

 

wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und

 

wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie

 

die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

4. Die Fälle der Entscheidung des Asylgerichtshofes durch Einzelrichter sind in § 61 Abs. 3 AsylG 2005 taxativ aufgezählt. Da in der ggst. Rechtssache keiner dieser Fälle vorliegt, ist von einer Senatszuständigkeit des Asylgerichtshofes auszugehen.

 

5. Gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008 (in der Folge: AsylGHG), sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.2. Zum Spruch

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Gemäß § 23 AsylGHG findet die Bestimmung des § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof Anwendung.

 

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den UBAS im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In seinem Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung oder Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

3.1. Zu den verwendeten Quellen ist im gegenständlichen Fall anzumerken, dass zum Zeitpunkt der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung teilweise aktuellere Berichte als die in der erstinstanzlichen Entscheidung zitierten heranzuziehen gewesen wären. Dies gilt für den im erstinstanzlichen Bescheid zitierten Bericht des U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices (S. 135 des erstinstanzlichen Bescheides), zitiert mit dem Datum 08.03.2006, zum Entscheidungszeitpunkt aktuell vom 06.03.2007, sowie den zitierten Bericht des U.K. Home Office, Country Report Vietnam aus April 2006 (S. 143 des erstinstanzlichen Bescheides) zum Entscheidungszeitpunkt aktuell aus Dezember 2006.

 

3.2. Insbesondere ist im gegenständlichen Fall dem Einwand des Bf. in seiner Berufungsschrift in Hinblick auf Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches (vStGB) beizutreten, wonach das in den diesbezüglichen Feststellungen (S. 143 des erstinstanzlichen Bescheides) erwähnte Abkommen mit Deutschland und nicht mit Österreich abgeschlossen worden ist und daher verlässliche Angaben über die Situation von Rückkehrern aus Österreich fehlen. Das von der belangten Behörde erwähnte Abkommen bezieht sich - wie auch in der Beschwerde zu Recht dargestellt - nur auf die Behandlung vietnamesischer Rückkehrer aus Deutschland vor dem Hintergrund des genannten Abkommens. Daraus kann nicht ohne weiteres auf die Rückkehrsituation geschlossen werden, die nach (erfolgloser) Asylantragstellung und einem mehrjährigen Aufenthalt außerhalb Vietnams dorthin aus Österreich abgeschoben werden (siehe VwGH 02.03.2006, Zl. 2003/20/0342). Auch wenn im diesbezüglichen Bericht (Deutsches Auswärtiges Amt [in der Folge: DAA], Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam, 31.03.2006) angeführt wird, dass dem DAA, anderen befragten westlichen Botschaften in Vietnam und dem UNHCR keinerlei Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern wegen ungenehmigter Ausreise bekannt seien, so kann dies keinen Aufschluss darüber geben, ob es nicht dennoch derartige Maßnahmen nach einem "unerlaubten" Verbleib (siehe diesbezüglich die Terminologie des Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches) gibt.

 

Die belangte Behörde hätte daher - korrespondierend mit den entsprechenden Feststellungen - auch prüfen müssen, ob die im gegenständlichen Fall vorliegenden Umstände (Asylantragstellung und der Verbleib in einem westeuropäischen Land) den genannten Straftatbestand erfüllten und ob der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr deshalb mit einer unverhältnismäßigen Bestrafung zu rechnen hätte.

 

Einschlägig ist hier das bereits angeführte Erkenntnis des VwGH vom 02.03.2006, Zl. 2003/20/0342, welches der belangten Behörde zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits hätte bekannt sein müssen.

In diesem Erkenntnis führte der VwGH unter anderem aus:

 

"Vor diesem Hintergrund kommt es daher entscheidungswesentlich darauf an, ob die Einschätzung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe bei einer Rückkehr nach Vietnam nicht mit einer Bestrafung nach der genannten Bestimmung zu rechnen, tragfähig begründet wurde. [...] Die belangte Behörde hätte daher auch prüfen müssen, ob die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang geltend gemachten Umstände - die Asylantragstellung, mit der sie ihre mangelnde Rückkehrabsicht zum Ausdruck gebracht habe, und der lange Verbleib außerhalb Vietnams in einem westeuropäischen Land - den genannten Straftatbestand erfüllen und ob die Beschwerdeführerin trotz legaler Ausreise deshalb mit einer - im oben erwähnten, Asylrelevanz begründenden Sinn - unverhältnismäßigen Bestrafung zu rechnen hätte."

 

3.3. Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die oben dargestellte mangelhafte Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes ist dieses Erfordernis aber nicht erfüllt.

 

3.4. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

4. Aus Sicht der Berufungsbehörde verstößt das Prozedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG 2005 bestimmt nämlich, dass das Bundesasylamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, hat die belangte Behörde in diesem Verfahren missachtet.

 

5. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes - trotz der in den übrigen Punkten eingehenden und daher aus der Sicht des Asylgerichtshofes nicht zu bemängelnden Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Antragstellers - und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis als so mangelhaft zu beurteilen, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren vor dem Bundesasylamt mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG.

 

6. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an das Bundesasylamt als belangte Behörde zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesasylamt wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
illegale Ausreise, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Rückübernahmeabkommen, strafrechtliche Verfolgung, Straftatbestand
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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