TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/13 S9 319661-1/2008

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Veröffentlicht am 13.10.2008
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Spruch

S9 319.661-1/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde der S. T., geb. 00.00.1988, StA. RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch Katharina AMMANN, Diakonie - Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.05.2008, FZ. 08 02.235-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF. BGBL. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine russischer Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten am 05.03.2008 aus POLEN kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Polizeiinspektion Traiskirchen, niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie an, dass sie am 19.02.2008 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten L. H. von Gudermes/Tschetschenien mit dem Zug in Richtung Moskau aufgebrochen sei. Von dort seien sie dann mit dem Zug nach Brest/Weißrussland und weiter nach Teraspol gefahren. Am 22.02.2008 seien sie in Teraspol von den polnischen Grenzbehörden angehalten worden und hätten in der Folge um Asyl angesucht. Sie seien erkennungsdienstlich behandelt worden und hätten ins Lager nach Dembak gehen sollen. Ein Tschetschene namens U., den sie zuvor bei ihrer Flucht kennen gelernt hatten, habe ihnen jedoch angeboten bei ihm zu wohnen. Sie hätten sich daher entschieden nicht ins Lager zu gehen und seien bis zum 04.03.2008 bei diesem Tschetschenen geblieben. Dann seien sie mit einem Taxi bis in eine dem Beschwerdeführer unbekannte Stadt und mit einem weiteren Taxi bis nach Traiskirchen gefahren. Als Fluchtgründe gab sie an, dass ihr Lebensgefährte vom russischen sowie tschetschenischen Militär verfolgt wurde. Sie sei im fünften Monat schwanger und habe daher nicht alleine in Tschetschenien bleiben wollen.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass die Beschwerdeführerin am 22.02.2008 in POLEN einen Asylantrag gestellt hatte .

 

2. Am 06.03.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage des Eurodac-Treffers ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde POLENS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 über die Absicht, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sowie über die Führung von Konsultationen mit POLEN erhielt die Beschwerdeführerin am 11.03.2008. Mit dem am 12.03.2008 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben der polnischen Behörde wurde die Zuständigkeit POLENS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO bestätigt und der Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin zugestimmt.

 

3. Am 28.04.2008 wurde die Beschwerdeführerin von Dr. H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, zur Erstellung einer gutachtlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren untersucht.

Dabei wurde folgendes festgestellt:

 

"Die Frau ist allseits orientiert, bewusstseinsklar. Der Ductus ist kohärent, zielführend, flüssig. Es bestehen keine Hinweise auf Denk- oder Ich-Störungen. Die Stimmung ist sorgenvoll, abhängig vom Thema auch traurig, dies jedoch adäquat und nicht krankheitswertig. Keine Affektregulationsstörungen, keine frei flott. Angst, keine Schreckhaftigkeit. Keine Suizidgedanken. Keine Störungen im Zeitgitter, keine Intrusionen. Keine sonstigen Beschwerden angegeben. Schlaf hier besser, auch fühle sie sich hier sicher. Sie selbst habe auch in Polen nichts zu befürchten, jedoch der Mann. Und damit sei es auch ihr Problem. Zur Zeit der Untersuchung findet sich keine Symptomatik einer Traumafolge-Erkrankung oder einer anderen Psychischen Störung. Die Stimmung adäquat der Situation. Das Wohlbefinden des Mannes dürfte der Frau sehr wichtig sein, demgegenüber stellt sie eigene Bedürfnisse stark in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die unmittelbare Zukunft mit sorge um das weitere Prozedere im Asylverfahren."

 

Schließlich stellte die Ärztin fest, dass einer Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstehen würden, die aus ärztlicher Sicht eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden.

 

4. Am 02.05.2008 wurde die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs von Organwaltern des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein einer Rechtsberaterin und einer Dolmetscherin niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und Moslem sei. Seit September 2007 sei sie mit ihrem Lebensgefährten nach moslemischer Tradition, jedoch nicht standesamtlich verheiratet. Sie sei schwanger und würde am 00.00.2008 ihr gemeinsames Kind erwarten.

 

In Österreich lebe seit fünf bis sechs Jahren ein Onkel als anerkannter Flüchtling gemeinsam seiner Frau und ihren vier Kindern. Sie habe mit ihrem Onkel von 1995 oder 1996 an ungefähr fünf Jahre lang in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, als dieser in ihrer Ortschaft gearbeitet habe. Dann habe ihr Onkel wieder cirka 2 Jahre zu Hause gewohnt und sei anschließend nach Österreich geflüchtet. Sie sei von ihrem Onkel nicht abhängig, aber er habe ihrer Familie hin und wieder zu gewissen Anlässen Geld geschickt.

 

Auf den Vorhalt, dass beabsichtigt sei, sie aus Österreich nach Polen auszuweisen, gab sie an, dass sie nicht nach Polen zurück wolle. Sie habe dort überhaupt keine Verwandten. Sie wolle auch wegen ihrem Mann nicht nach Polen. Ein Polizeibeamter habe in Polen bei der Abnahme der Fingerabdrücke zu ihnen gesagt: "Wir wissen, ihr kommt hierher, aber bleibt nicht in Polen. Wenn ihr in ein anderes land geht, euch diese Land nicht nimmt und ihr zurückkommt, werfen wir euch aus Polen hinaus." Es gehe bei Polen um ihren Mann und seine Sicherheit. Sie sei davon nicht betroffen. Ihr Mann habe in Polen jemanden erkannt, den er aus der Heimat kenne. Auf Vorhalt der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. H. stellte die Beschwerdeführerin fest, dass diese voll und ganz ihren Angaben entsprechen würde.

 

5. Mit dem Bescheid vom 20.05.2008, Zahl: 08 02.235- EAST Ost, wurde der Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art 10 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 POLEN zuständig sei. Gleichzeitig wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach POLEN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach POLEN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu POLEN, insbesondere zum polnischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie konkret Gefahr liefe, in POLEN Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 21.05.2007 in den Amtsräumen des Bundesasylamtes persönlich ausgefolgt.

 

6. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die fristgerecht am 04.06.2007 eingebrachte Beschwerde. Darin wird die Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. In der Begründung wurden überwiegend Fehler im Verfahren betreffend ihren Lebensgefährten geltend gemacht. Betreffend die Beschwerdeführerin wurde lediglich ausgeführt, dass die Feststellungen der Behörde im Bescheid, dass es sich bei der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin nicht um eine fortgeschrittene Schwangerschaft handeln würde, falsch wären. Nach dem Mutter-Kindpass sei der errechnete Geburtstermin der 00.00.2008, weshalb die Beschwerdeführerin am 00.00.2008 in der 23. Schwangerschaftswoche gewesen sei. Die Beschwerdeführerin befinde sich zurzeit in der 34. oder 35. Schwangerschaftswoche und damit mittlerweile im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft. Eine Überstellung nach Polen würde insbesondere unter Berücksichtigung der psychischen Belastung und Aufregung eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten. Schließlich werde darauf hingewiesen, dass der EGMR bereits wiederholt darauf hingewiesen habe, dass auch die Gesundheit, die psychische und die körperliche Integrität einer Person vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK umfasst seien. Angesichts der tödlichen Krankheit des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin würden außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Nähe zu vertrauten Bezugspersonen, wie seine Schwester in Österreich, notwendiger mache als im Durchschnittsfall. Dazu komme das fortgeschrittene Stadium der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin. Es könne daher im konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die öffentlichen Interessen an einer Überstellung nach Polen die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiegen würden.

 

7. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 03.07.2008, GZ S8 319.661-1/4Z/08, wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt und festgestellt, dass mit dieser Entscheidung gemäß § 36 Abs. 3 AsylG 2005 auch der Beschwerde ihres Lebensgefährten aufschiebende Wirkung zukomme.

 

8. Am 00.00.2008 brachte die Beschwerdeführerin im Krankenhaus ihren Sohn zur Welt. Am 29.07.2008 brachte die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für ihren Sohn einen Asylantrag ein. Mit Bescheid vom 08.08.2008, AZ 08 06.626 EAST Ost, wurde der Antrag ihres Sohnes ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art 4 Dublin II VO Polen zuständig sei. Mit Spruchpunkt II. wurde der Sohn der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen zulässig ist. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin mit Schreiben vom 25.08.2008 eine Beschwerde ein.

 

9. Die Beschwerden des Lebensgefährten und des Sohnes der Beschwerdeführerin gegen die zurückweisenden Bescheide des Bundesasylamtes wurden jeweils mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag, Zl. S9 319.662-1/2008/# und Zl. S9 401.262-1/2008/#, gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 gilt der Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen (§ 2 Z 22) eines Asylwerbers als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik POLEN gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II VO aufgrund des Übertrittes der Grenze Polens aus einem Drittstaat besteht. Polen ist aufgrund des dort gestellten Asylantrages gemäß Art. 16 Abs 1 lit. c Dublin II VO gehalten, die Asylwerberin wieder aufzunehmen und hat dieser Wiederaufnahme ausdrücklich zugestimmt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Ebenso unbestritten ist im Asylverfahren der Beschwerdeführerin noch keine Sachentscheidung in POLEN gefallen.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Darüber hinaus hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge der Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG 2005 überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall lebt ein Onkel der Beschwerdeführerin in Österreich. Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass die Beziehung zwischen einer volljährigen Nichte und ihrem Onkel von der oben zitierten Judikatur des EGMR nicht grundsätzlich umfasst wird. Es ist daher zu prüfen, ob die vom EGMR geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt.

 

Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass der Onkel der Beschwerdeführerin gemeinsam seiner Frau und seinen vier Kindern seit fünf bis sechs Jahren als anerkannter Flüchtling in Österreich lebt. Nach den Angaben der Beschwerdeführerin lebte sie mit ihrem Onkel von 1995 an ungefähr fünf Jahre in einem gemeinsamen Haushalt, als dieser in ihrer Ortschaft gearbeitet habe. Dann habe ihr Onkel wieder cirka 2 Jahre zu Hause gewohnt und sei anschließend nach Österreich geflüchtet. Sie sei von ihrem Onkel nicht abhängig, aber er habe ihrer Familie hin und wieder zu gewissen Anlässen Geld geschickt.

 

Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Onkel ist damit der Aktenlage auch dann nicht zu entnehmen, wenn man von ihrem eigenen Vorbringen ausgeht. Sie lebt auch in Österreich nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt.

 

Auch wenn das weitere Vorbringen des Beschwerdeführerin, dass sie lieber in Österreich bleiben wolle, da sie in Polen überhaupt keine Angehörigen habe, unter den gegebenen Umständen durchaus nachvollziehbar ist, reicht das im gegenständlichen Fall noch nicht aus, um von der vom EGMR geforderten Beziehungsintensität zwischen ihr und ihrem Onkel zu sprechen, weshalb eine Ausweisung der Beschwerdeführerin auch nach Auffassung des Asylgerichtshofes keinen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat und Familienleben darstellt.

 

Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11).

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen

 

Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass POLEN in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in POLEN notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehens eines allgemeinen Konsenses über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.

 

Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu POLEN, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen Antragstellern aus POLEN praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in POLEN vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen. Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass POLEN nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Zur allgemeinen Versorgung von Asylwerbern in POLEN, denen "tolerated stay" zuerkannt wurde, steht unwidersprochen fest, dass solchen Personen die gleichen sozialen Rechte zuerkannt werden, wie polnischen Staatsbürgern. Der Verbleib in Flüchtlingslagern ist, wie nunmehr hervorgekommen ist, in Einzelfällen auch länger als 3 Monate nach Statuszuerkennung möglich. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik ist gesetzlich mit der Integration auch dieser Personengruppen betraut und diesbezüglich auch aktiv tätig. Die rasche Reaktion der polnischen Behörden auf den Zuwachs an Antragstellern in der 2. Jahreshälfte 2007 (Bau neuer Flüchtlingsunterbringungsstätten) zeigt, dass die entsprechenden Verpflichtungen tatsächlich ernst genommen werden.

 

2.1.2.3. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in POLEN

 

Das entsprechende vage Vorbringen der Beschwerdeführerin kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen systematisch mit russischen Organen kooperierten (entsprechende Belege wurden auch nicht erbracht), bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällig wahrscheinliche erhebliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.

 

Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei, Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und dem Beschwerdeführer bei allfälligen gegen ihn gerichteten kriminellen Handlungen in POLEN nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden.

 

2.1.2.4. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in POLEN

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach POLEN nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. vs. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs. UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

In psychiatrischer Hinsicht ist im gegenständlichen Fall auf die Gutachtliche Stellungnahme von Dr. H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, zu verweisen, wonach einer Überstellung nach POLEN keine schweren psychischen Störungen entgegen stehen würden, die eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden.

 

Der Aktenlage sind darüber hinaus auch keine Hinweise auf das Vorliegen von körperlichen Krankheiten zu entnehmen, die einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen im Hinblick auf Art. 3 EMRK entgegenstehen würden.

 

Das Beschwerdevorbringen, eine Überstellung der Beschwerdeführerin würde im Hinblick auf ihre fortgeschrittene Schwangerschaft zu einer Verletzung der in Art. 3 EMRK garantierten Rechte führen, ist vor dem Hintergrund des Umstandes der bereits erfolgten Geburt ihres Kindes nicht mehr relevant. Es war daher nicht weiter darauf einzugehen.

 

2.1.2.5. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs 2 Dublin II VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war daher bei Übernahme der Beweisergebnisse und der rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Zu Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, Intensität, Interessensabwägung, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz
Zuletzt aktualisiert am
23.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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