TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/14 S12 400939-1/2008

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Veröffentlicht am 14.10.2008
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Spruch

S12 400.939-1/2008/3E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des H.H., geb. 00.00.1981, StA.

Iran, vertreten durch: Mag. KAYA Volkan, Asyl in Not, Währinger Straße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2008, FZ. 08 02.266-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.03.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei der darauf folgenden Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen am selben Tag gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Farsi an, er sei am 17.04.2007 mit dem Flugzeug illegal mit einem gefälschten iranischen Reisepass aus dem Iran ausgereist. Dieser Reisepass befinde sich in Thailand beim Schlepper. Im Jahr 2005 sei er bereits illegal nach Italien gereist und habe einen Asylantrag gestellt. Dann sei er weiter über Frankreich nach England gefahren. In England seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen und nach drei Tagen sei er nach Frankreich abgeschoben worden. Die französische Polizei habe ihn weggeschickt und daher sei er illegal nach Holland gereist. Dort sei er nach ein paar Tagen zur iranischen Botschaft gegangen und habe die Heimreise in den Iran beantragt, wobei er die Daten seines Bruders verwendet habe. Am 17.04.2007 habe er den Iran erneut verlassen und sei mit einem fremden iranischen Pass nach Thailand geflogen. In Thailand habe ihm jemand einen irischen Reisepass besorgt, mit dem er Mitte Oktober 2007 nach Wien geflogen sei. Bei der Einreise habe es keine Probleme gegeben. In Wien habe er sich ca. zehn Tage aufgehalten und sei dann über Helsinki nach Japan weitergeflogen. Die Polizei in Japan habe seinen falschen Pass erkannt und ihn nach Finnland abgeschoben. In Finnland seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden. Ca. drei Monate habe er sich in Helsinki in einem Flüchtlingslager aufgehalten, dann sei er schlepperunterstützt mit einem PKW über unbekannte Länder nach Wien gebracht worden. Seit seiner Ankunft in Finnland habe er Europa nicht verlassen. Er habe im März 2005 in Italien, im April 2005 in Großbritannien und im November 2007 in Finnland um Asyl angesucht. Familienangehörige habe er weder in Österreich noch im Gebiet der Europäischen Union, Norwegen oder Island. Sein Heimatland habe er verlassen, da er homosexuell sei und mit einem Freund Sex gehabt habe. Dessen Familie habe dies der Polizei gemeldet und nun drohe ihm im Iran der Tod durch Steinigung. Nach Finnland wolle er nicht zurück, da er dort eine Ausweisungsentscheidung erhalten habe und in den Iran zurückgeschoben hätte werden sollen.

 

Eine EURODAC-Abfrage vom 06.03.2008 ergab, dass der Beschwerdeführer am 24.03.2005 in Italien, am 04.04.2005 in Großbritannien und am 06.11.2007 in Finnland einen Asylantrag gestellt bzw. erkennungsdienstlich behandelt wurde (vgl. AS 7).

 

2. Das Bundesasylamt nahm nach der Aktenlage am 07.03.2008 Konsultationen mit Finnland auf, welches sich mit Schreiben vom 12.03.2008 für nicht zuständig erklärte und angab, dass der Beschwerdeführer am 13.11.2007 in Finnland um Asyl angesucht habe. Da es sich herausgestellt habe, dass er am 24.03.2005 bereits in Italien einen Asylantrag gestellt habe, hätten die finnischen Behörden eine Wiederaufnahmeersuchen an Italien gerichtet, welches sich am 10.01.2008 für zuständig erklärt habe. Der Beschwerdeführer sei am 31.01.2008 nach Italien abgeschoben worden (vgl. AS 33 des Dublin-Aktes).

 

Am 13.03.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund des finnischen Antwortschreibens ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien und ersuchte um Rückübernahme des Beschwerdeführers aufgrund Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (ABl. L 50 vom 25.02.2003; Dublin II-VO).

 

3. Am 11.03.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5 und 68 Abs. 1 AVG) (§ 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da seit dem 07.03.2008 Konsultationen mit Finnland geführt würden (vgl. AS 57ff). Ferner wurde dem Beschwerdeführer am 13.03.2008 bekannt gegeben, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5 und 68 Abs. 1 AVG) (§ 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da seit dem 13.03.2008 Konsultationen mit Italien geführt würden (vgl. AS 93ff).

 

4. Mit einem als "Ersuchen" bezeichneten Schriftsatz vom 18.03.2008 brachte der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter vor, dass er nach über zweijähriger Abwesenheit aus dem Schengener Raum im Oktober 2007 in Österreich eingereist sei. Er habe sich einige Tage in Wien aufgehalten und sei dann über Finnland nach Japan gereist. Von dort sei er nach Finnland abgeschoben worden und habe sich dann ca. drei Monate in Finnland aufgehalten. In gegenständlichem Fall käme daher Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zur Anwendung, wonach derjenige Mitgliedstaat zuständig sei, dessen Grenze der Asylwerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten habe, wobei die Zuständigkeit erst zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts enden würde. Aus den Angaben des Antragstellers ergebe sich, dass Österreich der Mitgliedstaat sei, dessen Grenze er nach jahrelangen Aufenthalten in Nicht-EU-Staaten illegal überschritten habe. Auch die Zuständigkeit eines anderen Staates könne nicht begründet werden, da sich der Antragsteller in keinem Mitgliedstaat länger als fünf Monate aufgehalten habe, nicht zur sichtvermerksfreien Einreise in einen anderen Staat berechtigt gewesen sei und in keinem anderen Staat einen Asylantrag gestellt habe. Weiters wurde ausgeführt, dass es im Rahmen der Erstbefragung zu einigen Falschprotokollierungen gekommen sei. Es sei nicht richtig, dass der Antragsteller angegeben habe, dass er in Italien, Großbritannien und Finnland Asylanträge gestellt habe. Ferner sei der Antragsteller weder homo- noch bisexuell, sondern habe lediglich Sex mit einem Freund gehabt und werde aus diesem Grund im Iran verfolgt.

 

5. Am 04.04.2008 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Farsi nach erfolgter Rechtsberatung und in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie einer Vertrauensperson vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass sein Fluchtweg im Rahmen der Erstbefragung nicht ganz richtig angegeben worden sei. Ferner habe er in Italien, Großbritannien und Finnland keine Asylanträge gestellt. Es seien auch Fehler in der Protokollierung betreffend den Fluchtgrund gemacht worden. In England sei er drei Monate in Haft gewesen, dann sei er nach Italien - nicht nach Frankreich - abgeschoben worden. Der Reisepass, mit dem er von Thailand nach Wien geflogen sei, sei ein französischer und kein irischer gewesen. Er sei nicht homosexuell, sondern bisexuell. Richtig sei, dass er mit einem Freund Sex gehabt habe und ihn daher im Iran die Todesstrafe erwarte. Befragt zu seiner Person, erklärte der Beschwerdeführer, dass er am 00.00.1981 geboren sei. Im Oktober 2007 sei er das erste Mal mit einem gefälschten Reisepass nach Österreich gekommen und sei dann weiter nach Helsinki geflogen. Dort habe er sich lediglich einige Stunden im Transitbereich des Flughafens aufgehalten und sei dann weiter nach Japan gereist. Dort sei er von der Polizei kontrolliert, festgenommen und für elf Tage inhaftiert worden. Dann sei er nach Helsinki geschickt und dort von der Polizei festgenommen worden. Nach dreimonatiger Haft sei er nach Italien zurückgeschoben und von dort aus nach Österreich gefahren. Die anwesende Vertrauensperson, J.G., sei seine Lebensgefährtin, die er im Oktober 2007 in Wien kennen gelernt habe. Im Jahr 2005 sei er erstmals in das Gebiet der Europäischen Union eingereist und im selben Jahr habe er es wieder verlassen. Dann sei er erst im Jahr 2007 wieder eingereist. In der Zwischenzeit sei er im Iran geblieben und habe dort eine Blinddarmoperation gehabt. Ca. zehn Monate habe er in Thailand gelebt. In Österreich, im Oktober 2007, habe er mit seiner Lebensgefährtin in derselben Wohnung gelebt. Er wolle seine Lebensgefährtin heiraten, sobald er aus der Haft entlassen werde. Derzeit helfe ihm seine Lebensgefährtin finanziell, mit Kleidung und habe auch den Rechtsanwalt besorgt. Bis dato habe er zwischen ¿ 2.000,00 und ¿ 3.000,00 von ihr erhalten. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, aufgrund von Fingerabdruckvergleichen habe sich eindeutig ergeben, dass er in Großbritannien, Italien und Finnland Asylanträge gestellt habe, gab er an, er habe keine Asylanträge gestellt; habe jedoch öfter etwas unterschreiben müssen; ob dies Asylanträge gewesen seien, wisse er nicht. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass seine Ausweisung nach Italien beabsichtigt sei, gab er an, er habe in Italien keinen Asylantrag gestellt und wolle bei seiner Lebensgefährtin in Österreich bleiben. Er sei zwei Jahre lang nicht in Schengenländern gewesen und sei von sich aus nach Österreich gekommen, um seine Lebensgefährtin zu heiraten.

 

6. Mit Urkundenvorlage vom 09.04.2008 legte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt einen Bericht über die in der Einvernahme erwähnte Blinddarmoperation vor. Aus der beigeschlossenen Übersetzung geht hervor, dass H.H., geboren am 00.00.1981, am 00.00.2007 in die "Universität für Medizinwissenschaften, Hygiene und Heilung Teheran" aufgenommen und am selben Tag operiert worden sei.

 

7. Mit Schreiben vom 26.05.2008 erklärte sich Italien für die Wiederaufnahme des Asylwerbers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zur Weiterführung seines Asylverfahrens für zuständig (vgl. AS 395).

 

8. Mit Bescheid vom 04.07.2008, FZ. 08 02.266-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 06.03.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, und stellte fest, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Italien für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei; gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass gemäß § 10 Abs. 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien demzufolge zulässig sei.

 

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Beschwerde und führte in dieser im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass die erstinstanzliche Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit in Bezug darauf verwehre, dass er das Gebiet der EU länger als drei Monate verlassen habe. Ob sich der Beschwerdeführer neun oder zehn Monate in Thailand aufgehalten habe, spiele keine Rolle, da der Tatbestand des Art. 16 Abs. 3 Dublin II-VO schon dann erfüllt sei, wenn der Beschwerdeführer das Gebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen habe. Der Beschwerdeführer sei im Oktober 2007 mit dem Flugzeug nach Österreich eingereist. Dabei sei er aus Thailand mit einem iranischen Reisepass, der ihm in Teheran ausgestellt worden sei, ausgereist und in Österreich mit einem irischen Reisepass, für den er kein Visum benötigt habe, eingereist. Die belangte Behörde habe es unterlassen, den Reisepass des Beschwerdeführers von den finnischen Behörden anzufordern, welcher sämtliche Ein- und Ausreisestempel aufweise, obwohl dies vom Vertreter des Beschwerdeführers mit Telefax vom 30.05.2008 ausdrücklich beantragt worden sei. Dieser Antrag sei im angefochtenen Bescheid nicht behandelt worden und stelle dies bereits einen wesentlichen Verfahrensfehler dar. Ferner habe der Beschwerdeführer der belangten Behörde einen Operationsbericht aus seinem Heimatland vorgelegt, der bestätige, dass sich der Beschwerdeführer im Feber 2007 einer Blinddarmoperation unterzogen habe. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass dieser Operationsbericht nicht glaubhaft sei, da der Name des Vaters des Beschwerdeführers auf diesem Bericht falsch sei. Ferner verstoße der angefochtene Bescheid auch gegen Art. 8 EMRK, da der Beschwerdeführer im Oktober 2007 eine österreichische Staatsangehörige kennen gelernt und sich mit dieser verlobt habe. Diese habe bereits eine Verpflichtungserklärung abgegeben, wobei es sich nicht nur um eine lebenswichtige Unterstützung durch irgendein Familienmitglied, sondern die baldige Ehefrau des Beschwerdeführers handle und sohin eine Ausweisung gegen Art. 8 EMRK verstoße.

 

10. Mit Beschluss vom 14.08.2008, GZ. S12 400.939-1/2008/2Z, hat der Asylgerichtshof dieser Beschwerde gemäß § 37 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.

 

2. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

2.1. § 41 Abs. 3 AsylG lautet: "In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist gemäß Abs. 1 auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG ist die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz mit einer Ausweisung zu verbinden. Diese gilt gemäß § 10 Abs. 4 AsylG stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen. Wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würden und diese nicht von Dauer sind, ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

2.2. Im vorliegenden Fall liegt eindeutig eine ungenügende Feststellung der Zuständigkeitsvoraussetzungen gemäß der Dublin II-VO durch das Bundesasylamt vor. Dies aufgrund von Ermittlungsmängeln und gravierenden Ungereimtheiten, die sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes ergeben.

 

So hat der Beschwerdeführer mehrfach angegeben, er habe im Jahr 2005 in Italien um Asyl angesucht und sei noch im selben Jahr freiwillig in den Iran zurückgekehrt. Dort sei er bis zum April 2007 geblieben, sei dann mit einem fremden iranischen Reisepass nach Thailand gefahren und in der Folge im Oktober 2007 mit einem gefälschten irischen Reisepass nach Österreich eingereist. Das Bundesasylamt gelangt zu der Feststellung, dass der Beschwerdeführer seit der Asylantragstellung im Jahr 2005 in Italien das Gebiet der EU für nicht länger als drei Monate verlassen hat und sohin Italien zur Führung des Asylverfahrens zuständig ist. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers sowie der Aktenlage ist es für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das Bundesasylamt zu dieser Feststellung gelangen konnte. Das Bundesasylamt hat ausgeführt, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, am 17.04.2007 den Iran erneut verlassen, neun oder zehn Monate in Thailand verbracht zu haben und (dennoch) im Oktober 2007 in Österreich eingereist zu sein. Richtig ist, dass zwischen April und Oktober 2007 keinesfalls neun oder zehn Monate liegen (jedoch jedenfalls mehr als drei Monate). Es ist dem Bundesasylamt insofern zuzustimmen, dass diese Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers zwar grundsätzlich für die Unglaubwürdigkeit seines Reiseweges zu sprechen scheinen, jedoch ist diese Begründung des Bundesasylamtes nicht ausreichend dafür, die Feststellung, der Beschwerdeführer habe das Gebiet der EU jedenfalls nicht länger als drei Monate verlassen, zu tragen. In diesem Zusammenhang ist zunächst anzumerken, dass sich das Bundesasylamt die, die Asylanträge des Beschwerdeführers betreffenden Akten aus Italien, Großbritannien und Finnland hätte übermitteln lassen können, um die jeweilige Aufenthaltsdauer in den angeführten Ländern sowie allfällige Ausweisungen oder Überstellungen des Beschwerdeführers nachvollziehbar feststellen zu können. Der Beschwerdeführer hätte in weiterer Folge mit diesen Ermittlungsergebnissen anlässlich einer Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs konfrontiert werden müssen.

 

Im angefochtenen Bescheid fehlt sohin eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der - für die Zuständigkeit gemäß der Dublin II-VO überaus relevanten - Frage, ob der Beschwerdeführer das Gebiet der EU tatsächlich für länger als drei Monate verlassen hat. Weiters ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer mit Urkundenvorlage vom 09.04.2008 einen Operationsbericht vorgelegt hat, welchem zu entnehmen ist, dass er sich am 12.03.2007 in Teheran einer Blinddarmoperation unterzogen hat. Das Bundesasylamt kommt im angefochtenen Bescheid zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer durch die Vorlage dieser ärztlichen Bescheinigung nicht den Beweis habe erbringen können, dass er Europa seit 2005 verlassen habe. Diesbezüglich ist auszuführen, dass es sich beim Bundesasylamt bzw. beim bescheidausfertigenden Organwalter nicht um einen Experten für die Echtheitsprüfung von ausländischen Dokumente handelt und dieser sohin ohne Dokumentenechtheitsprüfung durch einen qualifizierten Experten nicht mit der für ein Beweisverfahren ausreichenden Sicherheit feststellen kann, ob es sich bei den vorgelegten Urkunden um echte oder gefälschte handelt. Ferner ist dem erstinstanzlichen Akt nicht zu entnehmen, ob die (handschriftliche) Teilübersetzung der vorgelegten Urkunden vom Beschwerdeführer selbst bzw. seinem Vertreter oder vom Bundesasylamt veranlasst wurde. Für den Fall, dass diese Übersetzungen vom Beschwerdeführer selbst vorgelegt wurden, wäre nach Ansicht des Asylgerichtshofes eine nochmalige Übersetzung von amtswegen zu veranlassen. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass in der im Akt befindlichen Übersetzung, das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit 00.00.1981 angegeben ist. Der Beschwerdeführer hatte bei seiner Antragstellung und in seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angegeben am 00.00.1981 geboren zu sein. Auch das Schreiben seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 18.03.2008 weist als Geburtsdatum des Beschwerdeführers den 00.00.1981 auf. Erst anlässlich seiner Einvernahme vor der EAST Ost am 04.04.2008 erklärte der Beschwerdeführer am 00.00.1981 geboren zu sein. Im Hinblick auf die Beschwerdeausführungen wonach hinsichtlich der Geburtsdaten die unterschiedlichen Angaben durch Schwierigkeiten bei der Umrechnung vom persischen Kalender auf das westliche Kalendersystem zu erklären seien, ist jedenfalls das in dem Operationsbericht angegebene Geburtsdatum einer Überprüfung zu unterziehen und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich seiner Identitätsangaben zu geben.

 

Nochmals ist festzuhalten, dass die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen über die behauptete Operation in Teheran zumindest als Indizien für die Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anzusehen sind, die eine individuelle Würdigung und jedenfalls, wie ausgeführt, eine nähere Überprüfung und Befragung erforderlich gemacht hätten, um diese Fragen schlüssig und haltbar zu klären.

 

Erhebliche Bedenken an der Verfahrensführung des Bundesasylamtes ergeben sich auch aus dem Umstand, dass in der Niederschrift vom 04.04.2008 (As. 133) unter 2. Dokumente, ein Personalausweis, ausgestellt am 00.00.1982 vom iranischen IM eingetragen wurde. Aufgrund des weiteren Eintrages "(ltAwnichtabgegeben)" bleibt völlig unklar, ob der Beschwerdeführer tatsächlich einen iranischen Personalausweis dem Bundesasylamt vorgelegt hat. Jedenfalls wurde ein solcher durch das Bundesasylamt weder im Original noch in Kopie dem Akt beigelegt. Darüber hinaus ist unklar, um welches Dokument es sich bei der Kopie auf As. 31 des Bundesasylamtes handelt. So trägt die Kopie den handschriftlichen Vermerk "iran.

Staatsbürgerschaftsnachweis", "in Original vorgelegt", jedoch wurden zuvor weitere handschriftliche Anmerkungen verfasst (iran. Staatsbürgerschaftsnachweis, iran. Personalausweis), welche durchgestrichen wurden. Es wäre für die Erstbehörde ohne großen Aufwand möglich gewesen, dieses vorgelegte Dokument übersetzen zu lassen und ist dieses Versäumnis nunmehr nachzuholen.

 

Im Übrigen ist auf die Behauptung in der Beschwerde zu verweisen, dass ein Schriftstück vom Vertreter des Beschwerdeführers am 30.05.2008 mittels Fax übermittelt wurde, welches sich allerdings nicht in dem, dem Asylgerichtshof vorgelegten, erstinstanzlichen Verwaltungsakt befindet. Im gegenständlichen Fall ergeben sich somit in einer Gesamtschau des Akteninhaltes massive Bedenken an der ordnungsgemäßen Verfahrensführung des Bundesasylamtes.

 

Im gegenständlichen Verfahren ist jedoch auch nicht abschließend geklärt, ob Österreich im Falle festgestellter Zuständigkeit Italiens verpflichtet wäre, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen und erweist sich das Verfahren daher aus folgenden Gründen mangelhaft:

 

Im vorliegenden Fall hat es das Bundesasylamt unterlassen, umfassende aktuelle Feststellungen zu Italien zu treffen. Die im Bescheid genannten Quellen sind durchwegs veraltet, zumal sie sich auf den Berichtszeitraum 2005 bis 2006 beziehen. Es ist für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen sich das Bundesasylamt nicht mit aktuelleren Berichten beschäftigt hat.

 

Letztlich ist noch anzuführen, dass der Beschwerdeführer mehrfach vorgebracht hat, mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Lebensgemeinschaft zu führen, wobei es das Bundesasylamt diesbezüglich ebenfalls unterlassen hat, entsprechende Ermittlungen - beispielsweise durch die Einvernahme der Lebensgefährtin, welche bei der Einvernahme des Beschwerdeführers am 04.04.2008 als Vertrauensperson anwesend war - zu führen, um feststellen zu können, ob die Ausweisung des Beschwerdeführers eventuell gegen Art. 8 EMRK verstoßen könnte. Wie das Bundesasylamt zu der Feststellung gelangt, es bestünden keine Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, obwohl die Lebensgemeinschaft dem Bundesasylamt nicht nur bekannt war, sondern die Erstbehörde offenbar auch vom tatsächlichen Bestehen dieser Lebensgemeinschaft ausgeht, ist für das erkennende Gericht ebenfalls nicht nachvollziehbar.

 

2.3. Der Sachverhalt, welcher dem Asylgerichtshof nunmehr vorliegt, ist daher "so mangelhaft", dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich ist (vgl. zu den erforderlichen Ermittlungsergebnissen Punkt 2.2.). Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG) vorgesehen, andererseits aber die Rechtsmittelinstanz dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdeinstanz einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläut. zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Rechtsmittelinstanz im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdeinstanz - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

2.4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
28.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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