TE AsylGH Erkenntnis 2009/01/13 S9 403489-1/2008

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Veröffentlicht am 13.01.2009
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Spruch

S9 403.489-1/2008/3E

 

Im Namen der Republik!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des D.A., geb. 00.00.1988, StA. Kosovo, p. A. European Homecare, Betreuungsstelle West in 4880 St. Georgen im Attergau, Thalham 80, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2008, FZ. 08 10.919-EAST West, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005, BGBL. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des KOSOVO, reiste am 04.11.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am 05.11.2008 durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau niederschriftlich erstbefragt. Er gab dabei im Wesentlichen an, dass er am 31.10.2008 mit einem PKW von Peje nach Bujanovac gefahren sei. Dort sei er mit vier weiteren Personen in einen Kombi umgestiegen. Ab diesem Zeitpunkt könne er keine Angaben mehr machen; er wisse weder durch welche Länder sie gefahren seien noch wo sie in Österreich eingereist wären. Er habe sich von Februar 2007 bis Juli 2008 in FRANKREICH aufgehalten. Sein Asylantrag sei negativ entschieden worden und er sei aufgefordert worden, FRANKREICH zu verlassen. Er habe FRANKREICH am 20.07.2008 verlassen. Er habe bei seinem Onkel, D.Z., in H. gelebt.

 

Sein Heimatland habe er aus politischen Gründen verlassen. Circa zwei Wochen nach seiner Rückkehr von FRANKREICH sei er von vier unbekannten maskierten Männern aufgehalten worden. Er sei mit seinem Vater in einem PKW unterwegs gewesen. Die Männer hätten ihre Personalausweise sehen wollen. Als der eine Mann den Personalausweis des Beschwerdeführers gesehen habe, habe er ihn gefragt, ob er D.A. sei, weil er seit eineinhalb Jahren gesucht werde. Er sei von zwei Männern aus dem Auto gezerrt worden. Sie wären auf ihn losgegangen und hätten auf ihn eingeschlagen. Dann sei ein anderes Auto vorbeigefahren. Die Männer hätten Angst bekommen und seien geflüchtet.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass der Beschwerdeführer am 28.02.2007 in FRANKREICH einen Asylantrag gestellt hatte.

 

2. Am 07.11.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage des Eurodac-Treffers ein dringliches Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde FRANKREICHS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die Frist zur Beantwortung wurde darin auf 21.11.2008 verkürzt. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 über die Absicht, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sowie über die Führung von Konsultationen mit FRANKREICH erhielt der Beschwerdeführer am 11.11.2008. Mit dem am 21.11.2008 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben der französischen Behörden wurde die Zuständigkeit FRANKREICHS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO bestätigt.

 

3. Am 25.11.2008 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs durch das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen. Er gab dabei im Wesentlichen an, er fühle sich körperlich und geistig in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Er habe großen Stress gehabt und dadurch bedingt Magenprobleme bekommen. In FRANKREICH sei er auch operiert worden. Er habe in FRANKREICH einen Asylantrag gestellt und zwei negative Bescheide erhalten. Deswegen habe er FRANKREICH am 20.07.2008 verlassen müssen. Er habe für die Reise selbst bezahlen müssen. Er habe die französischen Behörden bei seiner Rückreise nicht in Anspruch genommen, weil er Angst gehabt habe, im Kosovo in Haft genommen zu werden. Er wolle nicht nach FRANKREICH überstellt werden; er habe bereits zwei negative Bescheide erhalten. Die französischen Behörden würden ihn in den Kosovo abschieben; er dürfe nicht mehr in den Kosovo zurückkehren.

 

4. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 26.11.2008, FZ. 08 10.919-EAST West, wurde der Antrag des Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO FRANKREICH zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach FRANKREICH ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu FRANKREICH, insbesondere zum französischen Asylwesen und zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in FRANKREICH Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 oder Art. 8 ERMK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 26.11.2008 in den Amtsräumen des Bundesasylamtes persönlich ausgefolgt.

 

Zu seiner angeblichen Ausreise in den Kosovo führte das Bundesasylamt überdies aus, dass es weder plausibel noch nachvollziehbar sei, dass der Beschwerdeführer tatsächlich FRANKREICH verlassen habe und in den Kosovo zurückgereist sei. Es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Beschwerdeführer freiwillig das Risiko auf sich genommen haben soll, Frankreich und danach Italien illegal zu verlassen und weiter illegal über Albanien in den Kosovo zu reisen, danach die Republik Kosovo wieder illegal zu verlassen und illegal über mehrere Länder nach Österreich zu fahren und damit Gefahr zu laufen, inhaftiert zu werden. Weiters sei es nicht nachvollziehbar, dass er für dieses hohe Risiko auch noch freiwillig bezahlt und monatelang in Frankreich das Geld zusammengespart haben soll, dass er von der Sozialhilfe bezogen hatte, nur um es für die illegale Ausreise aus der Europäischen Union und die neuerliche Einreise einige Monate später wieder auszugeben. Dabei sei es auch unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer Frankreich sofort verlassen habe, nur weil ihm mitgeteilt wurde, dass er das tun müsse. Auch für die französischen Behörden sei es offensichtlich belegt, dass der Beschwerdeführer den Hoheitsbereich der Europäischen Union nicht verlassen habe, da diese andernfalls dem Wiederaufnahmeersuchen der Republik Österreich wohl nicht entsprochen hätten. Der Beschwerdeführer habe weder seine angebliche Ausreise in den Kosovo, noch seine neuerliche Einreise in die EU plausibel darlegen oder mit Beweisen belegen können. Selbst wenn sich der Beschwerdeführer - wie angegeben - seine negativen Bescheide aus dem Kosovo schicken lassen würde, könne er dadurch seinen Aufenthalt im Kosovo nicht schlüssig nachweisen. Das Bundesasylamt gehe daher davon aus, dass sich der Beschwerdeführer im Raum der Europäischen Union aufgehalten habe.

 

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht am 10.12.2008 eingebrachte Beschwerde. Der Beschwerdeführer wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen bezüglich seiner Fluchtgründe und fügte hinzu, dass er die Einvernahme von Zeugen bzw. seiner Familie, welche bezeugen könne, dass er verfolgt werde, wünsche. Die Lage im Kosovo sei für ihn nach wie vor sehr schwierig.

 

6. In Ergänzung seiner Beschwerde legte der Beschwerdeführer mit dem am 08.01.2009 beim Asylgerichtshof eingelangten Schreiben die negativen Asylentscheidungen der französischen Behörden vor.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II-VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass aufgrund des abgeschlossenen französischen Asylverfahrens eine Zuständigkeit FRANKREICHS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO besteht. Der Asylgerichtshof schießt sich in diesem Zusammenhang den oben dargestellten Feststellungen des Bundesasylamtes zu dem vom Beschwerdeführer behaupteten Aufenthalt im Kosovo an. Auch für den Asylgerichtshof erscheint die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er sich vor seiner Einreise in Österreich mehr als mindestens drei Monate im Kosovo ausgehalten haben soll, vor dem Hintergrund der gegebenen Umstände weder plausibel noch nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer konnte seine diesbezüglichen Angaben nicht entsprechend glaubhaft machen. FRANKREICH hat darüber hinaus der Übernahme des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 21.11.2008 ausdrücklich zugestimmt. Schließlich wurde die Zuständigkeit FRANKREICHS auch in der Beschwerde nicht bestritten. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

Ebenso unbestritten ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers in FRANKREICH bereits eine Sachentscheidung gefallen.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Darüber hinaus hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge der Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-VO, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG 2005 überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Es leben keine Angehörigen der Kernfamilie des Beschwerdeführers in Österreich. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes treffen zu; diesen ist in der Beschwerde auch nicht entgegengetreten worden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. B 1802, 1803/06).

 

2.1.2.2. Kritik am französischen Asylwesen

 

Nach der Judikatur der Straßburger Organe muss der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EGMR, Entsch. vom 07.07.1987 Nr. 12877/87 [Kalema gegen Frankreich], DR 53, S. 254 [264]; zum Maßstab des "real risk" siehe auch die Nachweise in VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582).

 

Diesen Erfordernissen ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. Vielmehr bezieht sich sein Vorbringen lediglich auf seine Situation im Kosovo. Ein Vorbringen, aus welchem eine konkrete individuelle Gefahr in FRANKREICH für ihn persönlich ableitbar wäre, erstattete der Beschwerdeführer nicht. So hat der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme lediglich angegeben, dass er in FRANKREICH bereits zwei negative Bescheide erhalten habe und daher im Falle einer Überstellung nach FRANKREICH von dort aus ohne Prüfung seiner Fluchtgründe in den Kosovo abgeschoben werde. Dem Asylgerichtshof ist nicht bekannt, dass die französischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen in Einzelfällen oder gar systematisch mit dem Kosovo kooperieren. FRANKREICH ist ein Rechtstaat mit funktionierender Staatsgewalt. Wie das Bundesasylamt im beschwerdegegenständlichen Bescheid zum französischen Asylverfahren festgestellt hat (gestützt auf den "Report on the Application of the Dublin II Regulation in Europe, March 2006"), haben Dublin II-VO Rückkehrer grundsätzlich Zugang zum normalen Asylverfahren. Ein entsprechendes Ansuchen wird im Zuge des normalen Verfahrens abgewickelt. Wurde bereits vorher ein Asylantrag gestellt, so wird im Falle eines neuerlichen Asylantrages das beschleunigte Verfahren angewendet. In diesem Verfahren hat eine Berufung gegen eine negative Entscheidung keine aufschiebende Wirkung.

 

Die Behauptung, der Beschwerdeführer würde nach seiner Rückverbringung nach FRANKREICH von den französischen Behörden sofort in den Kosovo abschoben werden, war daher nicht geeignet, der Ansicht des Asylgerichtshofes substantiiert entgegenzutreten. Im Übrigen ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann, "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u. a. VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in FRANKREICH

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach FRANKREICH nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II-VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. vs. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs. UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut Existenzbedrohende Krankheitszustände des Beschwerdeführers sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Der Beschwerdeführer hat selbst am Beginn seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt ausgeführt, dass es ihm geistig und körperlich gut gehe. In der Folge brachte der Beschwerdeführer zwar im Rahmen seiner Einvernahme vor, er habe Magenprobleme und sei deswegen auch operiert worden. Dieses Vorbringen stellte er allerdings gänzlich unsubstantiiert und unbelegt in den Raum. Auch in der Beschwerdeschrift finden sich diesbezüglich keine näheren Ausführungen. Der Asylgerichtshof vermag jedenfalls darin keine Hinweise auf das Vorliegen eines gesundheitlichen Überstellungshindernisses zu erkennen. Im Übrigen kann auch im Falle des Vorliegens etwaiger Magenprobleme als gesichert angenommen werden, dass dem Beschwerdeführer in FRANKREICH die notwendige Behandlung zuteil wird.

 

2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war daher bei Übernahme der Beweisergebnisse und der rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Zu Spruchpunkt II:

 

Den Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II ist vollinhaltlich beizutreten. Im Übrigen ist dazu auch auf die obigen Ausführungen unter Punkt 2.1.2. zu verweisen. Schließlich sind im Beschwerdeverfahren auch keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Beweise, Beweislastumkehr, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
06.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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