TE OGH 1990/9/12 11Os79/90 (11Os80/90)

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Veröffentlicht am 12.09.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.September 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hassenbauer als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Robert B*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs. 1 (§§ 127, 129 Z 1; 15, 146, 147 Abs. 2; 99 Abs. 1) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil und den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Februar 1990, GZ 2 c Vr 5.517/86-147 und 155, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Tschulik, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Februar 1990, GZ 2 c Vr 5.517/86-147, mit dem Robert B*** gemäß dem § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde, und der Beschluß dieses Gerichtes vom 20.Februar 1990, GZ 2 c Vr 5.517/86-155, mit dem der Eingewiesene zugleich aus der genannten Maßnahme unter Bestimmung einer Probezeit von 10 Jahren bedingt entlassen wurde, verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 21 Abs. 1, 47 Abs. 2, 48 Abs. 2 StGB.

Beide Entscheidungen werden aufgehoben, und es wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Auf Grund eines Antrages der Staatsanwaltschaft gemäß dem § 429 Abs. 1 StPO wurde der am 10.April 1965 geborene Robert B*** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Februar 1990, GZ 2 c Vr 5.517/86-147, gemäß dem § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der Anordnung der Maßnahme lag zugrunde, daß der Betroffene unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, in Wien am 17.Dezember 1984 dem Ludwig P*** 10 Packungen Zigaretten im Wert von ca. 200 S nach Aufbrechen eines Spindes und am 16.Oktober 1984 der Roswitha W*** ein Kinderfahrrad im Wert von 1.500 S nach Aufbrechen des Nummernschlosses mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern (A/1 und /2), am 23.Juli 1986 mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, in wiederholten Angriffen versuchte, Angestellte der Z*** UND

K*** W*** durch Vorlage eines Sparbuches der

Z*** bei verschiedenen Filialen in Wien, Schwechat, Salzburg und Linz unter der Vorgabe, ein verfügungsberechtigter Inhaber des Sparbuches zu sein, zur Auszahlung eines Betrages von 31.606,87 S, mithin durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen zu verleiten, welche die Z*** UND K*** W*** am

Vermögen schädigen sollten (B/), sowie am 12.Juni 1984 dem Manfred K*** und dem Christian S*** dadurch, daß er sie an Händen und Füßen fesselte und an Nägeln festband, welche er vorher in den Fußboden seiner Wohnung eingeschlagen hatte, die persönliche Freiheit entzog (C/), mithin Taten beging, welche mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 StGB (A/), Vergehen des versuchten schweren Betruges nach den §§ 15, 146, 147 Abs. 2 StGB (B/) und Vergehen der Freiheitsentziehung nach dem § 99 Abs. 1 StGB (C/) zuzurechnen gewesen wären.

Wegen dieser und anderer Taten war gegen Robert B*** zunächst die Voruntersuchung eingeleitet und über ihn die Untersuchungshaft verhängt worden, welche durch den Vollzug mehrerer Strafhaften unterbrochen wurde. Auf Grund eines gerichtspsychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Otto S***, wonach Robert B*** an Schizophrenie leide, zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zurechnungsunfähig gewesen sei und bei ihm eine geistige und seelische Abartigkeit höheren Grades vorliege, welche die Begehung von Taten mit schweren Folgen befürchten lasse, hatte das Gericht mit Beschluß vom 20.März 1987, GZ 22 a Vr 5.517/86-47, die vorläufige Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (mit Wirkung vom 16.Februar 1987) gemäß dem § 429 Abs. 4 StPO angeordnet. Zum Vollzug dieser Maßnahme wurde der Betroffene dem Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien überstellt; dort wurde er in der Folge einer psychiatrischen Behandlung unterzogen.

Nach den auf Grund der (im wesentlichen übereinstimmenden) Gutachten der Sachverständigen Dr. Otto S***, Dr. Heinrich G*** und Dr. Heinz P*** getroffenen Urteilsfeststellungen lag beim Betroffenen eine hebephrene Form einer Schizophrenie (sogenanntes Jugendirresein) vor, die sich nach Auftreten von Psychosen in einer ins Manische gehenden Verhaltensweise mit sadistischen Zügen und groben, ins Aggressive gehenden Belästigungstendenzen auswirkte. Die inkriminierten Tathandlungen seien auf die als geistige und seelische Abartigkeit höheren Grades zu bezeichnende, krankhaft gestörte Geistestätigkeit zurückzuführen, derzufolge der Täter zu einsichtsgemäßem Handeln völlig außer Stande gewesen sei. Überdies wurde angenommen, daß im Hinblick auf die schwere Persönlichkeitsstörung und die wiederholten Aggressionshandlungen mit größter Wahrscheinlichkeit zu befürchten sei, daß Robert B*** auch künftig ohne weitere Behandlung auf Grund seiner unkritischen und aggressiv-sadistischen Tendenzen, die ihn restlos unberechenbar machen, mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen gegen Personen und Sachen begehen werde.

Unmittelbar nachdem der Betroffene und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Rechtsmittelverzicht erklärt hatten, verkündete der Vorsitzende des Schöffensenates den Beschluß auf bedingte Entlassung des Robert B*** aus der Anstalt für abnorme Rechtsbrecher für eine Probezeit von zehn Jahren, verbunden mit der Weisung, daß sich der Betroffene unmittelbar nach der Entlassung in die Behandlung eines Psychiaters zu begeben und dies dem Gericht innerhalb eines Monats bekanntzugeben habe (Band III, S 333). In der Ausfertigung dieses Beschlusses vom 20.Februar 1990, GZ 2 c Vr 5.517/86-155, wird festgestellt, daß die Gefährlichkeit, gegen die sich die angeordnete Maßnahme der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher richte, nicht mehr bestehe, und ausgesprochen, daß diese Entscheidung einer bedingten Entlassung aus der Maßnahme gleichstehe. Laut Begründung stehe auf Grund der Verfahrensergebnisse, insbesondere auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Pfolz fest, daß beim Betroffenen zwar eine geringgradige psychische Beeinträchtigung als Ausdruck eines schizophrenen Residualzustandes, zum "gegenwärtigen Zeitpunkt" aber keine für eine Unterbringung relevante geistige und seelische Abartigkeit höheren Grades mehr vorhanden sei. Die bisherige ärztliche Behandlung im Rahmen der vorläufigen Anhaltung habe zu einer Stabilisierung und Besserung der psychischen Befindlichkeit geführt, auf Grund welcher eine höhergradige Abartigkeit und eine Gefährlichkeit nicht mehr vorliege, sodaß der Betroffene in sinngemäßer Anwendung des § 265 StPO bedingt zu entlassen sei.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Februar 1990 und der auf dieser Entscheidung beruhende (letztgenannte) Beschluß dieses Gerichtes vom selben Tag stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach dem § 21 Abs. 1 StGB setzt voraus, daß a./ jemand eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begeht, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, und b./ nach seiner Person und seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Demgemäß muß beim Betroffenen zum einen zur Tatzeit Zurechnungsunfähigkeit und eine ausgeprägte schwere psychische Abartigkeit gegeben sein, zum anderen bei Urteilsfällung (in erster Instanz) auf Grund einer solchen, zu diesem Zeitpunkt noch andauernden Abartigkeit die hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, daß der Betroffene unter dem Einfluß dieses Zustandes strafbedrohte Handlungen von erheblichem sozialem Störwert auch künftig verüben werde. Da der Vollzug der Maßnahme solange zu dauern hat, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs. 1 StGB), kann eine Entlassung aus der Maßanahme nur verfügt werden, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, daß die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht, wobei bei der Unterbringung gemäß dem § 21 Abs. 1 StGB der Eingewiesene stets nur unter Bestimmung einer Probezeit bedingt entlassen werden darf (§ 47 Abs. 1 und Abs. 2 StGB). Nach der durch das StRÄG 1987 geänderten Fassung des § 48 Abs. 2 StGB beträgt die Probezeit bei dieser Maßnahme grundsätzlich zehn Jahre, wenn aber die der Unterbringung zugrundeliegende strafbare Handlung mit keiner strengeren Strafe als einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren bedroht ist, nur fünf Jahre.

Daraus folgt zunächst, daß die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und die gleichzeitige bedingte Entlassung aus dieser Maßnahme ausgeschlossen sind, weil die spezielle Gefährlichkeit des Täters nicht für ein und denselben Zeitpunkt (urteilsmäßig) bejaht und (im Beschluß über die bedingte Entlassung) verneint werden kann. Andernfalls käme dies im Ergebnis einer bedingten Nachsicht der Maßnahme gleich, welche das Gesetz aber nur bei der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher vorsieht (§ 45 Abs. 1 StGB). Eine analoge Anwendung des § 265 StPO auf die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme kommt nicht in Betracht, weil diese Entlassung - anders als die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe - nicht von zeitlichen Voraussetzungen, sondern ausschließlich vom Erfolg des Maßnahmenvollzuges abhängt. Sofern daher festgestellt wird, daß die besondere Gefährlichkeit, der die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorbeugen soll, im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mehr bestanden hat, wäre der Antrag gemäß dem § 429 Abs. 1 StPO abzuweisen. Hingegen kann bei Erstellung einer für den Betroffenen nachteiligen Prognose das Einweisungserkenntnis nicht mit der bedingten Entlassung aus der vorbeugenden Maßnahme verbunden werden.

In ihrem Zusammenhang betrachtet ergibt sich aus den Begründungen des Einweisungserkenntnisses und des Beschlusses über die bedingte Entlassung, daß das Gericht einerseits in tatsachenmäßiger Hinsicht eine für die Anlaßtaten ursächliche geistige und seelische Abartigkeit höheren Grades zum Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehungen für gegeben erachtete (Band III S 344 f) und daraus folgerte, diese schwere Abnormität rechtfertige auch nunmehr die Befürchtung, der Betroffene werde strafbedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen, andererseits aber bei der Beschlußfassung über die bedingte Entlassung annahm, daß im Zeitpunkt der Urteilsfällung eine einweisungsrelevante Abartigkeit und eine darauf beruhende spezifische Gefährlichkeit des Betroffenen nicht mehr bestand (Band III S 361 ff). Da insoweit das Einweisungserkenntnis und der gleichzeitig ergangene Beschluß über die bedingte Entlassung eine untrennbare Einheit bilden, begründet dieser Widerspruch in bezug auf eine unmittelbar subsumtionsrelevante Tatsache - ungeachtet dessen, daß die Erstellung der Gefährlichkeitsprognose eine Ermessensentscheidung bildet, die (auch in der Neufassung des § 435 Abs. 2 StPO durch das StRÄG 1987) nicht mit Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 11 StPO behaftet sein kann (vgl. 13 Os 46/89) - einen Fehler rechtlicher Art (vgl. E. Steininger, Die Kontrolle der Tatfrage im schöffengerichtlichen Verfahren, S 155 ff, 249 f), der zur Aufhebung beider - für den Betroffenen insgesamt nachteiligen - gerichtlichen Entscheidungen führen muß.

Da keine der der angeordneten Maßnahme zugrundeliegenden strafbaren Handlungen mit einer zehn Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht war, hätte schließlich bei einer bedingten Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher die Probezeit mit fünf Jahren festgesetzt werden müssen. Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.

Anmerkung

E21781

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0110OS00079.9.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19900912_OGH0002_0110OS00079_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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