TE Vwgh Erkenntnis 2006/5/23 2003/11/0100

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.05.2006
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs2;
FSG 1997 §26 Abs2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Manfred Schlögl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. Jänner 2003, Zl. UVS-FSG/18/162/2003/2, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19. August 2002 wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers gemäß § 26 Abs. 2 FSG für die Dauer von vier Monaten entzogen, weil dieser am 7. August 2002 eine Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. a StVO begangen habe. Mit Bescheid der genannten Behörde vom 10. September 2002 wurde angeordnet, dass sich der Beschwerdeführer innerhalb einer bestimmten Frist einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen und seine psychische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme nachzuweisen habe. Beide Bescheide sind nach der Aktenlage rechtskräftig.

Das Kuratorium für Verkehrssicherheit gelangte in seiner verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 4. Oktober 2002 zum Ergebnis, die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers seien durchschnittlich ausgeprägt und dessen intellektuelle Voraussetzungen seien gegeben. Hingegen werde die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B auf Grund der "Befundlage zur Persönlichkeit"

ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe "eine Neigung ... zu

regelmäßigem Alkoholkonsum mit einer bereits bestehenden Alkoholgewöhnung". Dies führe, was die Teilnahme am Straßenverkehr betreffe, aus verkehrspsychologischer Sicht zu gravierenden Risikofaktoren, weil durch die erhöhte Alkoholgewöhnung körperliche Warnsignale des Beschwerdeführers beim Überschreiten der geltenden Promillegrenze fehlten. Die Gefahr einer neuerlichen alkoholisierten Teilnahme des Beschwerdeführers am Verkehr sei erhöht, eine Alkoholabsistenz sei nicht nachvollziehbar. Insgesamt sei der Beschwerdeführer bislang nicht in ausreichendem Ausmaß bereit gewesen, sich mit seiner "Vorgeschichte" selbstkritisch und problembewusst auseinander zu setzen. Weitere Delikte des Beschwerdeführers im Straßenverkehr seien daher nicht "mit der nötigen Sicherheit auszuschließen".

Im amtsärztlichen Gutachten vom 13. Dezember 2002 wurde der Beschwerdeführer als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 "nicht geeignet" befunden. Die Begründung dieses Gutachtens lautet:

"Verdacht des regelmäßigen Alkoholkonsums und gravierende Risikofaktoren".

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Dezember 2002 wurde dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt 1. gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 2 FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung entzogen. Unter Spruchpunkt 2. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 FSG das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenfahrzeugen für den im Spruchpunkt 1. angeführten Zeitraum verboten. Gleichzeitig wurde einer eventuellen Berufung die aufschiebende Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG aberkannt.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Begründend verwies sie zunächst auf das Verhalten des Beschwerdeführers am 7. August 2002, mit dem er eine Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 FSG verwirklicht habe. Der Beschwerdeführer müsse daher, weil der damalige Alkoholisierungsgrad (0,9 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft) sehr hoch gewesen und seither noch keine so lange Zeit verstrichen sei, als verkehrsunzuverlässig angesehen werden. "Überdies", so die belangte Behörde in ihrer weiteren Begründung, seien die verkehrspsychologische Stellungnahme und das amtsärztliche Gutachten nachvollziehbar und könnten dem angefochtenen Bescheid daher als völlig unbedenklich zu Grunde gelegt werden. Maßgeblich für die Entscheidung der belangten Behörde sei daher "der Verdacht auf regelmäßigen Alkoholkonsum in Zusammenhang mit den gravierenden Risikofaktoren".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde hätten ihm zur verkehrspsychologischen Stellungnahme und zum amtsärztlichen Gutachten das Parteiengehör gewährt. Dieser Verfahrensmangel sei wesentlich, weil es nicht zutreffe, dass der Beschwerdeführer zu regelmäßigem Alkoholkonsum neige und bereits an Alkohol gewöhnt sei. Vielmehr trinke er nur zwei bis drei Bier pro Monat, beim Vorfall vom 7. August 2002 habe es sich um ein singuläres Ereignis nach einer Geburtstagsparty gehandelt.

Mit diesem - mit der Aktenlage übereinstimmenden - Vorbringen hat der Beschwerdeführer nicht nur aufgezeigt, dass ihm das rechtliche Gehör vorenthalten wurde, sondern er hat auch die Relevanz des Verfahrensmangels dargelegt. Wenn in der Gegenschrift darauf hingewiesen wird, der belangten Behörde sei die "übliche Vorgangsweise" bekannt, wonach das Ergebnis der verkehrspsychologischen und der amtsärztlichen Untersuchung "mündlich mitgeteilt" werde, so ist dies schon deshalb nicht von Bedeutung, weil auch in der Gegenschrift bestätigt wird, dass dem Beschwerdeführer ein Recht zur Stellungnahme nicht eingeräumt wurde.

Die belangte Behörde verkennt die Rechtslage aber auch in einem weiteren Zusammenhang. Soweit sie nämlich in der Gegenschrift meint, es komme gegenständlich auf die Untersuchungsergebnisse und das vorenthaltene Parteiengehör nicht an, weil der angefochtene Bescheid (auch) auf das Fehlen der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers gestützt sei, so irrt sie unter zweierlei Gesichtspunkten: Einerseits kann mit dem Fehlen der Verkehrszuverlässigkeit die Entziehung der Lenkberechtigung nicht für die gegenständlich ausgesprochene Dauer der gesundheitlichen Nichteignung begründet werden (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 FSG). Andererseits führte der Vorfall vom 7. August 2002 und die sich daraus ergebende Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers, wie dargestellt, gemäß § 26 Abs. 2 FSG zwingend zum Entziehungsbescheid vom 19. August 2002, sodass dieser Vorfall - bei gebotener Beachtung der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. März 2002, Zl. 2001/0342, und vom 25. April 2006, Zl. 2006/11/0042, je mwN) - nicht als Grundlage für eine neuerliche mit mangelnder Verkehrszuverlässigkeit begründete Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers herangezogen werden durfte.

Soweit die belangte Behörde meint, den angefochtenen Bescheid auf die ihres Erachtens nachvollziehbaren Ergebnisse der verkehrspsychologischen und der amtsärztlichen Untersuchung stützen zu können, ist für das fortgesetzte Verfahren darauf hinzuweisen, dass von einer Schlüssigkeit des amtsärztlichen Gutachtens keine Rede sein kann. Nicht zuletzt hat die belangte Behörde die Rechtslage auch deshalb verkannt, weil sie meint, für die Entziehung der Lenkberechtigung wegen fehlender gesundheitlicher Eignung reiche schon der "Verdacht auf regelmäßigen Alkoholkonsum" (vgl. dazu aus vielen das hg. Erkenntnis vom 29. April 2003, Zl. 2002/11/0110, und das dort zitierte, bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ergangene Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2001/11/0266).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 23. Mai 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003110100.X00

Im RIS seit

22.06.2006

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten