TE Vwgh Erkenntnis 2007/10/5 2007/20/1043

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Veröffentlicht am 05.10.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des F, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Laudongasse 25/III, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. März 2007, Zl. 222.962/11/12E-III/07/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 28. Mai 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Als Fluchtgrund gab er an, er sei aufgrund von Gebietsstreitigkeiten zwischen den Umuleri und Aguleri, im Zuge derer sein Vater im Dezember 1999 getötet worden sei, als einziger Sohn von den Feinden des Vaters verfolgt worden. Er habe sich an die Polizei gewandt, die versprochen hätte, ihm zu helfen, jedoch nichts unternommen habe. Daraufhin habe er sich ein Jahr lang bei einem Freund in der Nähe seiner Großmutter versteckt gehalten. Über Aufforderung, den Grund seiner Ausreise konkret zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, Nigeria aufgrund eines "spirituellen Problems" - er sei wegen der Anwendung von Juju durch die Feinde seines Vaters erkrankt - im Mai 2001 verlassen zu haben.

Mit Bescheid vom 8. Juni 2001 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 3 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 17. November 2003 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass - obwohl das individuelle Fluchtvorbringen höchst zweifelhaft erscheine - allein aufgrund der Amtsbekanntheit des Umuleri-Aguleri Konflikts nicht von einer offensichtlichen Unglaubwürdigkeit iS des § 6 Z 3 AsylG ausgegangen werden könne.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 8. März 2004 erneut vor dem Bundesasylamt einvernommen und wiederholte dabei im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen. Mit Bescheid vom 26. Jänner 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III).

Das Bundesasylamt sprach dem Beschwerdeführer - aus näher dargelegten Gründen - die Glaubwürdigkeit ab und verneinte im Hinblick darauf eine Verfolgungsgefahr iS der Genfer Flüchtlingskonvention. Auch lägen keine "außergewöhnlichen Umstände" vor, die die Abschiebung des Beschwerdeführers iS von Art. 3 EMRK und § 57 Abs.1 FrG unzulässig machen würden. Der Beschwerdeführer sei ledig und verfüge über keine familiären Beziehungen in Österreich, die Ausweisung stelle daher auch keinen Eingriff in die durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte dar.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Berufung wies die belangte Behörde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung -

mit dem hier angefochtenen Bescheid ab. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung ihrer Entscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers an. Spruchpunkt III wurde insoweit abgeändert, als der Beschwerdeführer nunmehr zielstaatsbezogen - "nach Nigeria" - ausgewiesen wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichthof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Soweit sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet, ist ihr zu entgegnen, dass die Erwägungen, aus denen die belangte Behörde den Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe nicht gefolgt ist, der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof standhalten. Die belangte Behörde ist daher zutreffend vom Fehlen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr und eines Refoulementhindernisses ausgegangen, sodass die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1. und 2. des angefochtenen Bescheides richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

2. Die Beschwerde rügt jedoch weiters, die belangte Behörde habe es unterlassen, Erhebungen dazu anzustellen, ob "familiäre Bindungen" des sich seit Mai 2001 in Österreich aufhaltenden Beschwerdeführers gegen eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Ausweisung sprechen würden. Sie habe daher übersehen, dass der seit 2001 in Österreich lebende Beschwerdeführer eine Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin führe, die von ihm ein Kind erwarte. Arztberichte und eine "eidesstattliche Bestätigung" der Lebensgefährtin waren der Beschwerde als Belege für dieses Vorbringen beigelegt.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Im Hinblick auf den seit der letzten Vernehmung des Beschwerdeführers am 8. März 2004 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangenen Zeitraum von knapp drei Jahren konnte die Asylbehörde nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass sich die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers mittlerweile nicht verändert hätten. Es wäre daher geboten gewesen, dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Gelegenheit zur allfälligen Geltendmachung von unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK relevanten Umständen zu geben (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2006/01/0487, mwN).

Da die belangte Behörde dies unterließ, unterliegt das (neue) Vorbringen in der Beschwerde nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (dazu siehe das hg. Erkenntnis 2006/01/0595 vom 26. März 2007). Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der neu vorgebrachten Umstände zu einer anderen - für den Beschwerdeführer günstigeren - Entscheidung gelangen hätte können, weshalb Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333.

Wien, am 5. Oktober 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete"zu einem anderen Bescheid"Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007201043.X00

Im RIS seit

21.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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