TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/15 90/08/0190

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Veröffentlicht am 15.12.1992
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1152;
ABGB §879 Abs2 Z4;
ArbVG §3 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Vereins XY in G, vertreten durch Obmann A in M, dieser vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 10. September 1990, Zl. VII/2-4396/8-1990, betreffend Feststellung der Beitragsgrundlagen (mP: 1. NÖ Gebietskrankenkasse,

Dr. Karl Renner-Promenade 14-16, 3100 St. Pölten; 2. PVA, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien; 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Webergasse 4, 1203 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren auf Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 14. Dezember 1989 stellte die erstmitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, daß für den als Sekretär des beschwerdeführenden Vereins tätig gewesenen G (in der Folge: Dienstnehmer) für die Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen während der angeführten Zeiträume folgende Grundlagen in Betracht kommen:

"Vom 09.03.1988 bis 31.03.1988 monatl. S 7.800,- anst. S 3.000,-

(Lohnstufe 13) (Lohnstufe 5)

vom 01.04.1988 bis 30.09.1988 monatl. S 7.800,- anst. S 4.200,-

(Lohnstufe 13) (Lohnstufe 7)

vom 01.10.1988 bis 30.11.1988 monatl. S 9.600,- anst. S 4.200,-

(Lohnstufe 16) (Lohnstufe 7)

Sonderzahlungen 1988 S 12.298,- anst. S 1.500,-"

Dadurch ergebe sich eine Gesamtnachforderung an Beiträgen in der Höhe von S 16.714,11. Nach der Begründung habe der beschwerdeführende Verein für den Dienstnehmer eine Anmeldung zum 9. März 1988 vorgelegt, aus der hervorgegangen sei, daß dieser für seine Tätigkeit als Klubsekretär (35 Stunden pro Woche) eine monatliche Entschädigung in der Höhe von S 2.080,-- erhalten habe. Obwohl die ab 9. März 1988 gemeldete Entlohnung nachträglich auf S 2.791,-- korrigiert und ab 1. April 1988 eine Entschädigung in der Höhe von S 4.480,-- zugestanden worden sei, könnten diese Entgeltzahlungen in Anbetracht der ausgeübten Tätigkeit (Sekretärangelegenheiten, Schreiben, Zeichnungen, Artikel fertigen) nicht als angemessene Entlohnung erachtet werden. Die beschwerdeführende Partei falle aufgrund ihrer Rechtsnatur als Verein nicht unter den persönlichen Geltungsbereich eines Kollektivvertrages. In derartigen Fällen sei aber zumindest auf die Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) zurückzugreifen. Fehle, wie im Beschwerdefall, eine einzelvertragliche Entgeltvereinbarung, so gelte ein angemessenes Entgelt im Sinne des § 1152 ABGB als bedungen. Für die Feststellung dieses angemessenen Entgeltes sei der für vergleichbare Arbeiten in Betracht kommende Kollektivvertrag heranzuziehen. Angesichts des vom Dienstnehmer dargelegten Aufgabenbereiches komme dabei der Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes als Vergleichsbasis in Betracht. Danach ergebe sich folgender Lohn:

"Vom 09.03.1988 bis 30.09.1988 S 7.511,-- monatlich (Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes, Verwendungsgruppe III im 1. und 2. Verwendungsgruppenjahr ohne vorgeschriebene Praxis von 12 Monaten - daher nur 80 Prozent des Kollektivvertragslohnes in Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden);

vom 01.10.1988 bis 30.11.1988 S 9.388,-- monatlich (Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes, Verwendungsgruppe III im 1. und 2. Verwendungsgruppenjahr in Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden)."

Die Vorschreibung der Beiträge habe im Sinne des § 46 ASVG nach Lohnstufen zu erfolgen. Für den erstgenannten Zeitraum sei dies die Lohnstufe 13, die Arbeitsverdienste von S 7.501,-- bis S 8.100,-- erfasse; für den zweitgenannten Zeitraum die Lohnstufe 16, die für Arbeitsverdienste von S 9.301,-- bis S 9.900,-- gelte. Die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge erfolge dabei vom Mittelwert, also von S 7.800,-- bzw. S 9.600,-- monatlich.

In der weiteren Folge ihrer Begründung setzte sich die Gebietskrankenkasse schließlich mit dem Ausmaß der Sonderzahlungen und der Höhe der Sonderbeiträge auseinander.

Der beschwerdeführende Verein erhob Einspruch, wobei er im wesentlichen darauf verwies, daß die Tätigkeit des Dienstnehmers als "gemischte Tätigkeit aus Arbeit und Hobby bzw. Idealismus" anzusehen sei. Es handle sich größenteils um eine freiwillige Leistung, welche nur anerkennungsmäßig honoriert werde. Die Tätigkeit eines Vereinssekretärs könne nicht generell mit einer Tätigkeit nach dem Kollektivvertrag für Angestellte im Gewerbe verglichen werden. Der Verein könne sich im übrigen das als Bemessungsgrundlage herangezogene Gehalt nicht leisten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestätigt. In ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde dabei im wesentlichen die Auffassung, daß der beschwerdeführende Verein nicht unter den persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages für Angestellte im Gewerbe falle. In diesem Zusammenhang dürfe jedoch die Bestimmung des § 1152 ABGB nicht außer acht gelassen werden. Demnach gelte ein angemessenes Entgelt als bedungen. Dabei sei der für vergleichbare Arbeiten in Betracht kommende Kollektivvertrag heranzuziehen. Aufgrund des Aufgabenbereiches des Dienstnehmers erscheine der Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes, Verwendungsgruppe III, als Vergleichsbasis zutreffend. Bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sei nicht das tatsächlich bezahlte, sondern das gebührende Entgelt ausschlaggebend. Wenn im Einspruch hervorgehoben werde, die Tätigkeit des Dienstnehmers als Klubsekretär sei als Hobby und aus Idealismus ausgeübt worden, so übersehe die Beschwerdeführerin, daß im Verfahren vor der Gebietskrankenkasse angegeben worden sei, daß der Dienstnehmer bei der in Rede stehenden Tätigkeit weisungsunterworfen gewesen und einer Kontrolle unterlegen sei und sich keineswegs aus eigenem habe vertreten lassen können. Im Beschwerdefall seien daher alle jene Merkmale gegeben, welche nötig seien, um eine Person als Dienstnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Von den mitbeteiligten Parteien haben nur die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge für Pflichtversicherte der im Beitragszeitraum gebührende Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6 ASVG.

Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt Geld- und Sachbezüge zu vestehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus aufgrund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

Für die Bemessung der Beiträge ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht lediglich der tatsächlich gezahlte Lohn maßgebend, sondern, wenn er diesen übersteigt, der Lohn, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestand (sog. "Anspruchslohn": vgl. dazu die Erkenntnisse vom 18. Juni 1982, Zl. 81/08/0191, und die dort zitierte Vorjudikatur, ferner vom 12. Mai 1992, Zl. 89/08/0103).

Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen (vgl. z.B. das bereits genannten Erkenntnis vom 12. Mai 1992).

Die Entgelthöhe richtet sich im Arbeitsverhältnis primär nach der Vereinbarung, subsidiär nach der Angemessenheit (§ 1152 ABGB) oder dem Ortsgebrauch und der Angemessenheit (§ 6 Abs. 1 AngG). Verstößt die Einzelvereinbarung gegen eine Norm kollektiver Rechtsgestaltung, ist sie insoweit nichtig (teilnichtig). An die Stelle der nichtigen Lohnabrede tritt der Lohnsatz der kollektiven Rechtsquelle (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 18. Dezember 1990, Zl. 89/08/0165).

Im Beschwerdefall besteht zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Übereinstimmung, daß eine Norm kollektiver Rechtsgestaltung (Kollektivvertrag, Satzung, Mindestlohntarif, Betriebsvereinbarung) nicht vorhanden ist. Deshalb sei nach Auffassung der belangten Behörde gemäß § 1152 ABGB ein angemessenes Entgelt bedungen, d.h. es sei der für vergleichbare Arbeiten in Betracht kommende Kollektivvertrag für Angestellte im Gewerbe heranzuziehen. Sie übersieht dabei jedoch, daß diese Bestimmung nur "im Zweifel", d.h. für Verträge ohne gültige Entgeltabrede oder Unentgeltlichkeitsvereinbarung bzw. für Verträge mit unvollständiger Entgeltabrede gilt (vgl. z.B. Krejci in Rummel, ABGB2, Rdz 1 ff. zu § 1152). Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall jedoch nicht gegeben, da zwischen dem beschwerdeführenden Verein und dem Dienstnehmer eine entsprechende Entgeltvereinbarung bestand (vgl. z.B. die in den Verwaltungsakten unter der Ordnungsnummer 13 erliegende Niederschrift vom 17. Oktober 1988). Die Grenze einer solchen Vereinbarung bildet lediglich die Sittenwidrigkeit zufolge Lohnwuchers gemäß § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. Danach sind erst im auffallenden Mißverhältnis stehende "Schund- und Hungerlöhne", die durch Ausbeutung des Leichtsinns, der Zwangslage, der Verstandesschwäche oder Unerfahrenheit oder der Gemütsaufregung zustandegekommen sind, als wucherisch nichtig (vgl. z.B. Arb. 9665 = dRdA 1979/13, Arb. 10086). Ob dies, vorliegendenfalls der Fall ist, hat die belangte Behörde aufgrund ihrer verfehlten Rechtsauffassung nicht geprüft und sich deshalb insbesondere auch nicht mit dem - gegen die Annahme von Lohnwucher sprechenden - Argument der beschwerdeführenden Partei auseinandergesetzt, es sei deshalb nur ein niedriges Entgelt vereinbart worden, weil die Tätigkeit des Dienstnehmers zum Teil auch als "Hobby" sowie aus "Idealismus" ausgeübt werde.

Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastete, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die geltend gemachten Bundesstempel konnten im Hinblick auf die auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zugesprochen werden.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Entgelt Begriff Anspruchslohn Kollektivvertrag Sondervereinbarung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990080190.X00

Im RIS seit

15.12.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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