TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/3 92/18/0529

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Veröffentlicht am 03.05.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §4;
MRK Art8 Abs2;
StGB §43;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll,

Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des AJ, vertreten durch BJ (gesetzlicher Vertreter), dieser vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 9. November 1992, Zl. III 95/92, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 9. November 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf § 3 Abs. 1 iVm Abs. 3 und § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet auf unbestimmte Zeit erlassen.

Die belangte Behörde traf hiezu - unter jeweils näherer Beschreibung der Tatumstände - die Feststellung, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom 2. Mai 1988 bis 4. April 1991 teils allein, teils gemeinsam mit anderen Personen insgesamt vier Diebstähle begangen und einen Diebstahl zu begehen versucht sowie zwei Raubüberfälle begangen habe. In zwei Fällen sei er vom Gericht rechtskräftig verurteilt worden, und zwar vom Bezirksgericht Innsbruck mit Urteil vom 11. April 1991 wegen des Vergehens des Diebstahls, wobei gemäß § 13 JGG der Strafausspruch für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten worden sei, und vom Landesgericht Innsbruck mit Urteil vom 15. November 1991 wegen Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, wobei in Anwendung des § 5 JGG die Freiheitsstrafe mit fünf Monaten bemessen und deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei. In rechtlicher Hinsicht sah die belangte Behörde durch diese Delikte in ihrer Gesamtheit den Tatbestand des § 3 Abs. 1 FrPolG als (unmittelbar) verwirklicht an.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 FrPolG nahm die belangte Behörde darauf Bedacht, daß der Beschwerdeführer selbst, seine Familie (Eltern, zwei Brüder) sowie seine Lebensgefährtin durch deren jeweils langjährigen Aufenthalt in Österreich hier voll integriert seien; dazu komme, daß der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin zwei (in den Jahren 1990 und 1991 geborene) Kinder habe. Der Eingriff in die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie sei daher als erheblich zu werten. Zur beruflichen Situation des Beschwerdeführers sei festzuhalten, daß er bis Oktober 1991 keine "nennenswerte Beschäftigung" ausgeübt habe und seit diesem Zeitpunkt als Hilfsarbeiter tätig sei. Aufgrund seines jugendlichen Alters dürfte es ihm trotz der "Kriegszustände in Jugoslawien" nicht schwerfallen, sich in seinem Heimatland zurechtzufinden und auch den Lebensunterhalt zu verschaffen. Dennoch bestehe kein Zweifel, daß den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot schwer treffe. Angesichts der in Österreich begangenen strafbaren Handlungen sei aber die Verhängung dieser Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers und zum Schutz der Rechte anderer dringend geboten. In Anbetracht der zahlreichen gravierenden Rechtsverletzungen des Beschwerdeführers (ausschließlich Vermögensdelikte) sei die Annahme gerechtfertigt, daß der Beschwerdeführer eine Neigung zu solchen Delikten habe; darüber hinaus lasse seine aktenkundige Verantwortung Rückschlüsse auf seinen schlechten Charakter, vor allem aber auf seine Unberechenbarkeit und somit Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu. Obwohl der Beschwerdeführer am 3. Jänner 1993 erst achtzehn Jahre alt werde, habe er bereits eine beachtliche "kriminelle Laufbahn" hinter sich, eine Laufbahn, die ihn gegenüber anderen "Burschen seines Alters mit Lausbubenstreichen" deutlich abhebe und nicht allein mit "schlechten Freunden" abgetan werden könne. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes würde aus diesen Gründen unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie.

Angesichts der Häufigkeit und der Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und im Hinblick darauf, daß zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhergesehen werden könne, wann der Berufungswerber keine Gefahr mehr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, sei das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit zu erlassen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit behauptende Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 3 Abs. 1 FrPolG (unter Bedachtnahme auf § 3 Abs. 3 leg. cit.) gestützt werden, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 3 Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. September 1992, Zl. 92/18/0189, m.W.N.).

2. Die belangte Behörde hat unter Zugrundelegung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers geprüft, ob die im § 3 Abs. 1 FrPolG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Sie ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß aufgrund zahlreicher, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen (Diebstähle; Raubüberfälle) des Beschwerdeführers - deren Begehung in der Beschwerde unbestritten geblieben ist - sein weiterer Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Selbst wenn man berücksichtigt, daß - was im Rahmen der Rechtsrüge hervorgehoben wird - der Beschwerdeführer zwei der im bekämpften Bescheid angeführten Straftaten (Raub am 2. Mai 1988 und Diebstahl am 4. Oktober 1988) zu einem Zeitpunkt begangen hat, an dem er das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, also unmündig (§ 1 Z. 1 JGG) und somit nicht strafbar (§ 4 Abs. 1 leg. cit.) war, ferner, daß er die weiteren vier Diebstähle und den zweiten Raub vor Vollendung des neunzehnten Lebensjahres, also als Jugendlicher (§ 1 Z. 2 leg. cit.) begangen hat, vermag der Gerichtshof die Ansicht der belangten Behörde nicht als rechtsirrig zu erkennen. Denn abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer hinsichtlich eines der Diebstähle und hinsichtlich des zweiten Raubes, ungeachtet seines Status als Jugendlicher, als strafrechtlich verantwortlich angesehen (und hiefür gerichtlich verurteilt) wurde, darf die im Grunde des § 3 Abs. 1 FrPolG relevante Rechtsfigur des Gesamt(fehl)verhaltens eines Fremden nicht derart mit dem Strafrecht verknüpft werden, daß sie lediglich im Fall der Bestrafung oder zumindest der Strafbarkeit des Fehlverhaltens zum Tragen kommt. Entscheidend für die Zulässigkeit des Abstellens auf das Gesamt(fehl)verhalten als Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ist vielmehr, ob die jeweils ins Auge gefaßten Verhaltensweisen des Fremden von der Rechtsordnung verpönt sind und sie zusammengefaßt betrachtet die im § 3 Abs. 1 FrPolG näher umschriebene Annahme rechtfertigen. Dies aber trifft auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid im einzelnen dargestellten Handlungen des Beschwerdeführers zweifellos zu. Zu Recht hat sie die sich in ihnen manifestierende Neigung des Beschwerdeführers zu Übergriffen gegen das Eigentum anderer betont und ebenso zutreffend darauf hingewiesen, daß sich dieses Gesamtfehlverhalten deutlich von "Lausbubenstreichen" Gleichaltriger - einer Qualifizierung, an welcher der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde unvertretbarer Weise festhält - abhebe. Schließlich war die in der zweimaligen Verwirklichung des Raubtatbestandes zum Ausdruck kommende Neigung des Beschwerdeführers zur Anwendung von Gewalt gegen Personen zu berücksichtigen - ein Umstand, der die Beeinträchtigung eines geordneten und sicheren menschlichen Zusammenlebens durch den Beschwerdeführer besonders augenfällig werden läßt.

Durfte sohin die belangte Behörde unter direkter Gebrauchnahme von § 3 Abs. 1 FrPolG die dort umschriebene Annahme für gerechtfertigt halten, bleibt noch zu prüfen, ob die von ihr vorgenommene Interessenabwägung mit dem Gesetz in Einklang steht.

3. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid insoweit auf sämtliche dem privaten (persönlichen, familiären) Interessenbereich angehörenden, nunmehr auch in der Beschwerde geltend gemachten Umstände Bedacht genommen und sie als erheblich gewertet. Dies mit Recht. Wenn die belangte Behörde trotz des großen Ausmaßes der Integration des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, daß das Absehen von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in ihren nachteiligen Folgen unverhältnismäßig schwerer wiege als die negativen Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie, so kann dieses Abwägungsergebnis im Hinblick auf das die öffentliche Ruhe, Ordnung und vor allem Sicherheit in sehr hohem Grad gefährdende Verhalten des Beschwerdeführers, welches eine hartnäckige Mißachtung fremden Eigentums sowie der körperlichen Integrität anderer Menschen zum Ausdruck bringt, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Daran ändert auch nichts, daß das Landesgericht Innsbruck den Vollzug der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. September 1992, Zl. 92/18/0332).

4. Der belangten Behörde kann auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie sich mit Rücksicht auf die in den mehrfachen Gesetzesverstößen zutage getretene Neigung des Beschwerdeführers zu einem die Rechtsordnung kontinuierlich mißachtenden Verhalten außerstande sah vorherzusehen, wann die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegfallen würden, und demgemäß mit der Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes vorgegangen ist (vgl. aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0341, und Zl. 92/18/0452).

5. Schließlich erweist sich auch der Beschwerdehinweis auf für den Beschwerdeführer günstigere Regelungen in dem mit 1. Jänner 1993 in Kraft getretenen Fremdengesetz (BGBl. Nr. 838/1992) als nicht zielführend, da dieses Gesetz von der belangten Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides nicht anzuwenden war.

6. Da somit die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992180529.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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