TE Vfgh Erkenntnis 2022/12/1 G231/2022

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Veröffentlicht am 01.12.2022
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

B-VG

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Antrag auf Aufhebung des §141 Abs1 des Bundesgesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl I Nr 111/2003, idF BGBl I Nr 59/2017 wird abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. das bekämpfte Gesetz (§141 AußStrG) in der Fassung vom 01.07.2018, kundgemacht im BGBl I Nr 59/2017 als auch in der Fassung vom 01.01.2005, kundgemacht in BGBl I Nr 111/2003 gemäß Art140 Abs3 B-VG und den §64 Abs1 VfGG zur Gänze als verfassungswidrig aufheben,

in eventu

2. den ersten Absatz des §141 AußStrG in der Fassung vom 01.07.2018, kundgemacht im BGBl I Nr 59/2017 gemäß Art140 [B-VG]

in eventu

3. die Bezeichnung '(§157)' im ersten Absatz des §141 AußStrG in der Fassung vom 01.07.2018, kundgemacht im BGBl I Nr 59/2017 gemäß Art140 [B-VG als verfassungswidrig] aufheben".

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG), BGBl I 111/2003, idF BGBl I 58/2018 lauten (die mit dem Hauptantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Vertraulichkeit der Daten

§141. (1) Auskünfte über Einkommens- und Vermögensverhältnisse der vertretenen Person sowie Informationen zu deren Gesundheitszustand darf das Gericht nur dieser und ihrem gesetzlichen Vertreter erteilen. Nach dem Tod der vertretenen Person dürfen Erben und erbantrittserklärten Personen (§157) Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der verstorbenen Person und – soweit dies der Durchsetzung ihres letzten Willens dient – über Informationen zu ihrem Gesundheitszustand erteilt werden.

(2) Im Rahmen der Amtshilfe darf das Gericht Auskünfte über Einkommens- und Vermögensverhältnisse der vertretenen Person und Informationen zu deren Gesundheitszustand nur erteilen, wenn

1. die Auskünfte zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat oder eines Vergehens, das in die Zuständigkeit des Landesgerichts fällt, erforderlich sind oder

2. die vertretene Person gesetzlich zur Mitwirkung an einem behördlichen Verfahren verpflichtet ist, die gewünschten Auskünfte für die angegebenen Zwecke erforderlich sind und die Behörde die Informationen nicht mit zumutbarem Aufwand auf andere Weise erhalten kann.

Das ersuchte Gericht und die ersuchende Stelle haben das Geheimhaltungsinteresse der vertretenen Person zu wahren. Das ersuchte Gericht hat die vertretene Person und ihren gesetzlichen Vertreter über die erteilten Auskünfte zu informieren. Im Fall der Z1 darf diese Verständigung solange unterbleiben, als sonst der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre.

[...]

Erbantrittserklärung

§157. (1) Der Gerichtskommissär hat die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen nachweislich aufzufordern, zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft antreten oder ob sie diese ausschlagen wollen. Die Aufforderung hat einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs3 und – soweit diese Personen nicht von einem Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind – eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Abgabe der unbedingten und bedingten Erbantrittserklärung sowie über die Möglichkeit der Antragstellung nach §184 Abs3 zu enthalten.

(2) Zur Abgabe der Erbantrittserklärung ist den als Erben in Frage kommenden Personen eine angemessene Frist von mindestens vier Wochen zu setzen. Aus erheblichen Gründen kann ihnen auch eine Bedenkzeit eingeräumt werden, die insgesamt ein Jahr nicht überschreiten darf.

(3) Versäumt eine solche Person die Frist, so ist sie dem weiteren Verfahren nicht mehr beizuziehen, solange sie die Erklärung nicht nachholt. Versäumt der gesetzliche Vertreter einer schutzberechtigten Person die Frist, so ist das Pflegschaftsgericht zu verständigen.

(4) Wird keine Erbantrittserklärung abgegeben, so ist – sofern dies nicht schon geschehen ist – zur Vorbereitung des Verfahrens nach §184 ein Verlassenschaftskurator zu bestellen.

Unbekannte Erben und Pflichtteilsberechtigte

§158. (1) Sind keine Erben bekannt oder bestehen nach der Aktenlage Anhaltspunkte dafür, dass neben den bekannten Personen noch andere als Erben oder Pflichtteilsberechtigte in Betracht kommen, so hat sie der Gerichtskommissär durch öffentliche Bekanntmachung aufzufordern, ihre Ansprüche binnen sechs Monaten geltend zu machen.

(2) Wird diese Frist versäumt, so kann die Verlassenschaft ohne Rücksicht auf die Ansprüche der unbekannten Erben oder Pflichtteilsberechtigten den bekannten Erben eingeantwortet oder für erblos erklärt werden. Auf diese Rechtsfolge ist in der Bekanntmachung hinzuweisen.

[…]

§164. Gibt eine Partei erst nach Feststellung des Erbrechts, aber bevor das Gericht an den Beschluss über die Einantwortung gebunden ist, eine Erbantrittserklärung ab, so ist neuerlich im Sinne der §§160 bis 163 vorzugehen, wobei auch eine Abweisung der Erbantrittserklärung, die Grundlage der früheren Entscheidung über das Erbrecht war, zulässig ist. Später sind erbrechtliche Ansprüche nur noch mit Klage geltend zu machen."

2. §141 AußStrG lautete in seiner – ebenfalls mit dem Hauptantrag angefochtenen – Stammfassung, BGBl I 111/2003, wie folgt:

"Vertraulichkeit der Einkommens- und Vermögensverhältnisse

§141. Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dürfen vom Gericht nur dem betroffenen Pflegebefohlenen und seinen gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen oder Stellen erteilt werden."

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811, idF BGBl I 87/2015 lauten:

"Erbschafts- und Aneignungsklage

§823. (1) Auch nach Einantwortung kann der Erwerber der Verlassenschaft von jeder Person, die ein besseres oder gleichwertiges Erbrecht behauptet, auf Herausgabe der Erbschaft oder des seiner Berechtigung entsprechenden Teils der Erbschaft belangt werden. Das Eigentum an einzelnen Erbschaftstücken wird aber nicht mit der Erbschafts-, sondern mit der Eigentumsklage geltend gemacht.

(2) Der Bund kann in sinngemäßer Anwendung des Abs1 gegen den eingeantworteten Erben das Recht, sich die Verlassenschaft anzueignen, geltend machen.

Wirkung der Erbschafts- und Aneignungsklage

§824. Wenn der Beklagte ganz oder zum Teil zur Herausgabe der Verlassenschaft verurteilt wird, sind die Ansprüche auf die Zurückstellung der von ihm gezogenen Früchte oder auf die Vergütung der von ihm getätigten Aufwendungen und Kosten nach denjenigen Grundsätzen zu beurteilen, die für den redlichen oder unredlichen Besitzer im Hauptstück vom Besitz festgesetzt sind. Ein dritter redlicher Erwerber ist für die in der Zwischenzeit erworbenen Erbstücke niemandem verantwortlich."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der Antragsteller ist Halbbruder einer Verstorbenen, die zum Zeitpunkt ihres Ablebens unter gesetzlicher Vertretung stand. Der Antragsteller befindet sich laut seinem Vorbringen in der Situation, dass er als "übergangener Erbe" vor der Zustellung des Einantwortungsbeschlusses nicht am Verlassenschaftsverfahren beteiligt gewesen sei und somit keine Möglichkeit zur Abgabe einer Erbantrittserklärung gemäß §157 AußStrG gehabt habe. Aus diesem Grund habe er zur Durchsetzung seines behaupteten Erbrechtes eine Erbschaftsklage erheben müssen.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens beantragte der Antragsteller beim Bezirksgericht Bludenz als zuständigem Pflegschaftsgericht der Verstorbenen Akteneinsicht in jene Aktenbestandteile des Pflegschaftsaktes, die den geistigen Gesundheitszustand der Verstorbenen betreffen. Das Bezirksgericht Bludenz wies den Antrag auf Akteneinsicht mit Beschluss vom 21. Juli 2022, 26 P 10/17g, ab. Begründend führt das Bezirksgericht Bludenz zusammengefasst aus, der Antragsteller sei weder Erbe noch erbantrittserklärte Person im Sinne des §141 Abs1 AußStrG. Lediglich diese beiden Personengruppen seien zufolge der genannten Bestimmung zur Akteneinsicht berechtigt. Nach der geltenden Rechtslage würden Personen, denen Akteneinsicht erteilt werden dürfe, vom Gesetzgeber konkret bezeichnet. Das Gesetz verweise darüber hinaus ausdrücklich auf die Bestimmung des §157 AußStrG, nicht hingegen auf §823 ABGB, der die Erbschaftsklage zum Gegenstand habe. Dritte hätten kein Recht auf Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt, selbst wenn sie ein rechtliches Interesse geltend machen könnten. Potentiellen Erben vor Abgabe der Erbantrittserklärung sowie Pflichtteilsberechtigten komme daher das Recht auf Akteneinsicht nicht zu.

3. Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt der Antragsteller seine verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt dar (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"3. Begründung der Verfassungswidrigkeit

3.1. Das Grundverfahren

Der Antragsteller ist Halbbruder der vom gegenständlichen Pflegschaftsverfahren bzw der gesetzlichen Vertretung Betroffenen […]. Diese stand unter gesetzlicher Vertretung, es existierte der im gegenständlichen Verfahren strittige Pflegschaftsakt. [Die Betroffene] ist verstorben und hinterließ ein Testament, in welchem [sie] ihre Mutter als Alleinerbin eingesetzt hat.

Im Verlassenschaftsverfahren erhielt der Antragsteller entgegen der Bestimmung des §157 Außerstreitgesetz keine Aufforderung, eine Erbantrittserklärung abzugeben. Dies, obwohl er als gesetzlicher Erbe als Erbe in Frage kommt. Vielmehr wurde ihm die Einantwortung der Verlassenschaft an die Mutter der Verstorbenen zugestellt. Ihr ist offenbar Gelegenheit gegeben worden, eine Erbantrittserklärung abzugeben.

Nach der neueren Rechtslage war für den Antragsteller ein Rekurs gegen die Einantwortung im Verlassenschaftsverfahren nicht möglich.

Der Antragsteller meint, das Testament der Betroffenen sei infolge Testierunfähigkeit ungültig. Er hat daher eine Erbschaftsklage beim Landesgericht Feldkirch gegen die Testamentserbin und Mutter der Betroffenen eingebracht. In diesem noch laufenden Verfahren hat die Beklagte eine über Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt erhaltene Unterlage vorgelegt. Sie hat offenbar Einsicht in den Pflegschaftsakt erhalten.

Der Antragsteller hat seinerseits beim zuständigen Pflegschaftsgericht den Antrag gestellt, ihm möge (ebenfalls) Einsicht in den Pflegschaftsakt gewährt werden. Diesen Antrag hat er dahin eingeschränkt, dass er Einsicht in die gesundheitsrelevanten Unterlagen wünscht.

Das Pflegschaftsgericht hat den Antrag mit dem nun gegenständlichen und mit Rekurs angefochtenen Beschluss abgewiesen.

Nach der ständigen und Jahrzehnte alten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ersetzt die Erbschaftsklage die Erbantrittserklärung. […]

Der Antragsteller muss im Verfahren vor dem Landesgericht über die Erbschaftsklage die Testierunfähigkeit beweisen. Er bekommt jedoch keine Einsicht in die relevanten Unterlagen im Pflegschaftsakt.

Er ist in Beweisnot.

Die schon im Verlassenschaftsverfahren bevorzugte testamentarische Erbin genießt im Verfahren über die Erbschaftsklage zusätzlich den Vorteil, dass sie Einsicht in die gesundheitsrelevanten Unterlagen im Pflegschaftsakt erhält und ihrerseits entscheiden kann, ob und welche Unterlagen sie daraus dem über die Erbschaftsklage zuständigen Landesgericht vorlegt und welche nicht.

3.2. Gleichheitswidrigkeit

Der Antragsteller ist österreichischer Staatsbürger und damit Grundrechtsträger.

Der Gleichheitsgrundsatz lässt nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zu. Eine Differenzierung ist nur dann sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen erfolgt. Der Gesetzgeber ist demnach durch den Gleichheitssatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Er hat gleiches gleich zu behandeln. Unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, sind gleichheitswidrig.

Auch Regelungen des Zivilverfahrensrechtes und damit des Außerstreitgesetzes sind am Gleichheitssatz zu messen.

Gegenständlich liegen gleiche Tatbestände vor, die rechtlich unterschiedlich behandelt werden.

Es liegen zwei potenzielle Erben vor. Einer erhält Akteneinsicht, der andere nicht. Derjenige der Akteneinsicht erhält, erhält diese nur, weil er klar unter den im angefochtenen Gesetz genannten Personenkreis fällt. Ob ein potentieller Erbe unter diesen Personenkreis fällt, liegt jedoch aufgrund des im angefochtenen Gesetz[es] genannten §157 AußStrG vollkommen in der Willkür der nach Ansicht des Gerichtskommissärs vorliegenden Aktenlage. Dieser entscheidet, welcher potentielle Erbe eine Aufforderung nach §157 Außerstreitgesetz erhält und ob er damit später nach Erbantrittserklärung zum Kreis der im angefochtenen Gesetz genannten Personen zählt und Akteneinsicht erhält oder nicht.

Dabei sind laut OGH beide Erben als erbantrittserklärte Erben anzusehen. Der vom Gerichtskommissar geladene Erbe hat im Verlassenschaftsverfahren eine Erbantrittserklärung abgegeben. Der übergangene Erbe hat Erbschaftsklage erhoben, die die Erbantrittserklärung ersetzt.

[Beide] sind somit tatsächlich Erben[,] die eine Erbantrittserklärung abgegeben haben. Sie müssen daher beide auch rechtlich als erbantrittserklärte Erben bzw erbantrittserklärte Person[en] behandelt bzw angesehen und beiden Akteneinsicht gewährt werden.

Der übergangene Erbe erhält jedoch keine Akteneinsicht, weil das angefochtene Gesetz den Erbschaftskläger nicht anführt (Antrag 1. und Eventualantrag 2.).

Weiters erhält er keine Akteneinsicht, weil das angefochtene Gesetz ausdrücklich auf §157 und nicht (auch) auf §823 ABGB verweist (Eventualantrag 3.).

Dadurch wird er rechtlich anders behandelt als der faktisch gleiche Erbe, der zur Verlassenschaftsabhandlung geladen worden ist und dort eine Erbantrittserklärung abgeben konnte, was dem übergangenen Erben nicht möglich war. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür ist weder erkennbar, noch wird eine solche in den Erläuterungen angeführt. Die angefochtene Norm ist daher im angefochtenen Umfang gleichheitswidrig.

3.3. Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art6 EMRK

Die angefochtene Entscheidung verletzt ebenso das Recht auf ein faires Verfahren.

Der vom Kommissär zur Verlassenschaftsabhandlung geladene und später erbantrittserklärte Erbe erhält Akteneinsicht und dadurch Einblick in jene Unterlagen, mit denen das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Testierfähigkeit bewiesen werden kann. Er kann nach Durchsicht und Prüfung dieser Unterlagen entscheiden, welche davon er dem Gericht im Prozess um die Erbschaftsklage zum Beweis seines Vorbringens vorlegt. Für ihn nachteilige Urkunden legt er einfach nicht vor. Ein Vorgehen nach §303 ZPO ist für den Antragsteller nicht zielführend, da er weder Bescheinigungsmittel, die den Besitz der Unterlagen nachweisen, darlegen, noch den Inhalt der Urkunde im erforderlichen Ausmaß angeben kann […].

Der übergangene Erbe muss, weil er nicht zur Verlassenschaftsabhandlung geladen worden ist, ohnehin bereits Klage erheben, um sein Erbrecht geltend zu machen. Dies ist aufgrund der vielfach hohen Streitwerte mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden. Die angefochtene Norm verschafft dem geladenen Erbe auf der einen Seite eine Beweiserleichterung und dem übergegangenen Erben auf der anderen Seite ein massives Beweiserschwernis, das nicht nur gegen das verfassungsmäßig geschützte Recht auf ein faires Verfahren verstößt, sondern zudem auch gleichheitswidrig ist.

Wenn dem übergangenen Erben kein Recht auf Akteneinsicht zuerkannt wird, ist es für diesen oftmals faktisch unmöglich, zu beweisen, dass der oder die Verstorbene testierunfähig war. Demgegenüber ist es dem eingeantworteten Erbe[n] leicht möglich, mit den punktuell eingesetzten Urkunden des Aktes den Anspruch des Erbschaf[t]sklägers zu entkräften.

3.4. Anwendung des Gerichts nach Aufhebung der bekämpften Norm / Auswirkung der beantragten Entscheidung auf die Entscheidung des Erstgerichtes

3.4.1. Nach Stattgebung des Antrages / nach Stattgebung des Eventualantrages

Wenn die angefochtene Norm aufgehoben ist, kann diese vom Erstgericht nicht angewendet werden. Wenn das Erstgericht diese Norm nicht anwenden kann, gibt es keine Norm, die der Stattgebung des Antrages entgegensteht. Das Erstgericht muss dem [im] Anlassfall zugrunde liegenden Antrag daher stattgeben.

3.4.2. Nach Stattgebung des 2. Eventualantrages

Wenn die Bezeichnung '(§157)' im ersten Absatz des §141 AußStrG in der Fassung vom 01.07.2018, kundgemacht im BGBl I Nr 59/2017 aufgehoben ist, hat das Erstgericht den Antragsteller im Rahmen der Gesetzesinterpretation unter den im §141 AußStrG genannten Begriff 'erbantrittserklärte Personen' zu subsumieren. Die Grundlage für die vom Pflegschaftsgericht gewählte Interpretation, die oben fett unterlegt ist, ist dann nicht mehr gegeben. Laut OGH ersetzt das Einbringen einer Erbschaftsklage die Erbantrittserklärung und hat der Antragsteller dadurch eine Erbantrittserklärung abgegeben und zählt daher zum Kreis der erbantrittserklärten Personen des §141 AußStrG. Das Erstgericht muss dem [im] Anlassfall zugrunde liegenden Antrag daher stattgeben."

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den im Antrag erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken wie folgt entgegentritt:

"3. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

3.1. Zur Entwicklung der Rechtslage:

3.1.1. Die angefochtene Bestimmung wurde durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 111/2003 eingeführt und durch das 2. ErwSchG, BGBl I Nr 59/2017, geändert.

3.1.2. §141 AußStrG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 111/2003 lautete samt Überschrift wie folgt:

[…]

Die Gesetzesmaterialien führen dazu Folgendes aus (RV 224 BlgNR XXII. GP 90 f):

'Zum §141:

Im Interesse der Geheimhaltung der Vermögensverhältnisse der beteiligten Pflegebefohlenen war eine Beschränkung der gerichtlichen Auskünfte auf die durch das Familienrechts- und Sachwalterschaftsverfahren geschützten Personen einzuführen. Soweit in Akten nach diesem Hauptstück Angaben über Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Pflegebefohlenen – oder der ihm gegenüber Unterhaltspflichtigen – enthalten sind, dürfen die Gerichte Auskünfte darüber nur dem betroffenen Pflegebefohlenen und seinen gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen oder Stellen erteilen. Unberührt davon bleibt das einer Verfahrenspartei in diesem Zusammenhang [zustehende] Recht auf Akteneinsicht, wobei auch dieses auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt eingeschränkt ist. So dürfen etwa für eine Unterhaltsentscheidung relevante Einkommens- und Vermögensdaten zwar den Parteien des Unterhaltsverfahrens, nicht aber auch den Parteien eines Besuchsrechtsverfahrens mitgeteilt werden. Diese Regelung schränkt den gesetzmäßigen Aufgabenbereich der Gerichte ein. Dies hat zur Folge, dass auch Auskünfte durch Aktenübersendung im Rahmen der Amtshilfe nicht mehr zulässig sind.'

3.1.3. Zu §141 AußStrG in der Fassung des 2. ErwSchG führen die Gesetzesmaterialien – auszugsweise – Folgendes aus (RV 1461 BlgNR XXV. GP 76 ff.):

'Zu §141 AußStrG:

Die Bestimmung des geltenden §141 AußStrG hat in der Praxis zu Unsicherheiten geführt. Sie soll nun klarer gefasst werden. Tatsächlich hat die derzeitige Bestimmung zwei Regelungsbereiche, nämlich die Akteneinsicht und die Amtshilfe. Diese sollen nun zur besseren Verständlichkeit getrennt voneinander geregelt werden. Schon bisher waren Lehre und Rechtsprechung überwiegend der Ansicht, dass unter §141 nicht nur die ausdrücklich erwähnten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der vertretenen Person fallen, sondern – mittels eines Größenschlusses – auch Informationen zum Gesundheitszustand (vgl etwa 4 Ob 38/13m; 2 Ob 194/14i; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §141 Rz 26). Dieser Meinungsstand soll nun in §141 festgeschrieben werden.

Nach Abs1 hat das Gericht über diese Daten nur unter folgenden Voraussetzungen Auskunft zu geben:

Der vertretenen Person und ihrem gesetzlicher Vertreter ist stets Auskunft zu gewähren (so auch der derzeit geltende §141 AußStrG). Unter dem Begriff 'gesetzlicher Vertreter' sind alle in §1034 ABGB des Entwurfs genannten Vertreter zu verstehen.

Das Akteneinsichtsrecht im Verlassenschaftsverfahren beschäftigte in jüngster Vergangenheit viele Gerichte, wobei die Entscheidungen teils divergieren. Herrschende Meinung ist, dass der Erbe der betroffenen Person ein Recht auf Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt hat, soweit dies die Einkommens- und Vermögensangelegenheiten betrifft (RIS-Justiz RS0125886; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §141 Rz 29; Zankl/Mondel in Rechberger, Kommentar zum AußStrG², §141 Rz 2). Dabei genügt es, dass die Person bereits eine Erbantrittserklärung abgegeben hat (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §141 Rz 30; LG Feldkirch 2 R 6/15w). Was die vermögensrechtlichen Verhältnisse betrifft, so sind der Erbe und die Person, die eine Erbantrittserklärung abgegeben hat, nicht Dritter im Sinne des §219 ZPO, sondern (potentieller) Gesamtrechtsnachfolger sämtlicher Vermögensrechte des Betroffenen. Ein rechtliches Interesse benötigen sie daher für die Auskunftserteilung nicht (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §141 Rz 28). An dieser Rechtslage soll der Entwurf nichts ändern.

Strittig ist, ob Auskünfte auch über sonstige Umstände der vertretenen Person erteilt werden dürfen: §141 AußStrG wirkt über den Tod der betroffenen Person hinaus. Überwiegend wird daher die Ansicht vertreten, dass den Parteien im Verlassenschaftsverfahren keine Akteneinsicht in sensible personenbezogene Daten der betroffenen Person zukommt (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §141 Rz 33; Zankl/Mondel in Rechberger, Kommentar zum AußStrG², §141 Rz 2; LG Feldkirch 2 R 21/14z, LGZ Wien 42 R 29/14x = EFSlg 144.632). Zu 2 Ob 194/14i führte der OGH hingegen aus, dass es Ziel des Sachwalterschaftsverfahrens sei, den Wünschen und Vorstellungen der betroffenen Person gerecht zu werden. Dies umfasse auch die Durchsetzung des letzten Willens. Bei trotz Einigungsversuchs widersprechenden Erbantrittserklärungen erscheine es daher sinnvoll, Akteneinsicht in bestimmt und einzeln oder zumindest nach Gattungsmerkmalen zu bezeichnende (zB den Gesundheitszustand des Erblassers betreffende) relevante Teile des Sachwalterschaftsakts zu gewähren. Es müsse aber jeweils konkret dargelegt werden, warum die jeweiligen Aktenteile geeignet seien, die Erforschung des wahren letzten Willens des Erblassers substantiell zu verbessern. Dieses überzeugende Argument aufnehmend soll nun nach §141 Abs1 zweiter Satz das Recht auf Akteneinsicht Erben und erbantrittserklärten Personen (dazu zählt auch der Bund im Fall des §750 ABGB in der Fassung des ErbRÄG 2015) nach der verstorbenen ehemals vertretenen Person auch Informationen zum Gesundheitszustand zukommen, wenn dadurch ihrem wahren Willen zum Durchbruch verholfen werden kann. Dies muss vom Auskunftswerber entsprechend dargelegt werden.

In Abs2 wird nun gesondert die Amtshilfe geregelt. […]'.

3.2. Zum Regelungsinhalt:

3.2.1. Mit dem 2. ErwSchG wurden die beiden Anwendungsbereiche des angefochtenen §141 AußStrG – die Akteneinsicht (Abs1) und die Amtshilfe (Abs2) – getrennt voneinander geregelt.

3.2.2. Zu Lebzeiten der vertretenen Person darf das Gericht gemäß §141 Abs1 erster Satz AußStrG Dritten keine Auskünfte über deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen, wozu die gesamten finanziellen Verhältnisse der vertretenen Person zählen. Ebenso wenig dürfen Informationen über den Gesundheitszustand der vertretenen Person – wie das Krankheitsbild und dadurch verursachte Verhaltensweise und Defizite – erteilt werden (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 §141 Rz 25). Das Gericht darf Auskünfte daher nur der vertretenen Person und ihrem gesetzlichen Vertreter erteilen, nicht jedoch sonstigen Personen und Stellen. Als (potentielle) Gesamtrechtsnachfolger treten Erben und erbantrittserklärte Personen in sämtliche Vermögensrechte der betroffenen Person ein, sodass ihnen gegenüber kein Bedürfnis nach Geheimhaltung besteht (vgl §547 ABGB). Gemäß §141 Abs1 erster Satz AußStrG steht diesen Personen – unabhängig von einem rechtlichen Interesse – somit ein Recht auf Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt zu, soweit Einkommens- und Vermögensverhältnisse betroffen sind.

3.2.3. §141 Abs1 AußStrG ist auch nach dem Tod der vertretenen Person anzuwenden, weil das Interesse der vertretenen Person auf Geheimhaltung personenbezogener Daten über ihren Tod hinausgeht ('postmortales Persönlichkeitsrecht'; vgl Schoditsch in Schneider/Verweijen, AußStrG §141 Rz 11). Nach dem Tod der vertretenen Person dürfen gemäß §141 Abs1 zweiter Satz AußStrG Erben und erbantrittserklärten Personen (§157) Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der verstorbenen Person erteilt werden, ohne dass sie ein rechtliches Interesse bescheinigen müssen (vgl RV 1461 BlgNR XXV. GP 76). Hingegen darf das Gericht Informationen über den Gesundheitszustand der vertretenen Person auch Erben und erbantrittserklärten Personen nur dann erteilen, wenn dies der Durchsetzung ihres letzten Willens dient. Zu solchen Informationen gehören etwa der Name des Sachverständigen, Informationen über die Befundung, ein allfälliges Gutachten oder sonstige Hinweise für die Geschäftsunfähigkeit, die Rückschlüsse auf die Testier(un)fähigkeit der verstorbenen Person bieten können (vgl Schoditsch, aaO, Rz 13).

3.2.4. Gemäß §157 Abs1 AußStrG hat der Gerichtskommissär die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen nachweislich aufzufordern, zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft antreten oder ob sie diese ausschlagen wollen.

Eine Erbantrittserklärung kann gemäß §164 AußStrG nur bis zur Abgabe des Einantwortungsbeschlusses an die Geschäftsabteilung zur Ausfertigung abgegeben werden. Hat ein Erbansprecher bis zu diesem Zeitpunkt keine Erbantrittserklärung abgegeben, kann er auch nicht Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss erheben und darin die Erbantrittserklärung nachholen. Ab dem Zeitpunkt der Abgabe des Einantwortungsbeschlusses sind erbrechtliche Ansprüche aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des §164 zweiter Satz AußStrG nur noch mit Klage geltend zu machen (vgl Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG §157 Rz 7).

3.2.5. Auch übergangene Erben, die dem Verfahren überhaupt nicht beigezogen oder gemäß §157 AußStrG nicht zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufgefordert wurden, können nach Abgabe des Einantwortungsbeschlusses ihre Erbantrittserklärung nicht mehr – auch nicht im Rechtsmittelweg – nachholen, sondern können sich gegenüber dem eingeantworteten Erben nur mit der Erbschaftsklage gemäß §823 ABGB durchsetzen (vgl Spruzina in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 §823 Rz 1 und 3; Welser, Erbrechts-Kommentar §824 ABGB Rz 5; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG §157 Rz 13; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 §157 Rz 5; RIS-Justiz RS0126598, RIS-Justiz RS0123316). Auch die Gesetzgebung hat – ausweislich der Gesetzesmaterialien – bewusst akzeptiert, dass spätere Erbansprecher auf den Zivilprozess, nämlich die Erbschaftsklage im Sinne des §823 ABGB, verwiesen sind (vgl RV 224 BlgNR XXII. GP 106). Dabei kommt es nur auf die Erlassung des Einantwortungsbeschlusses an, nicht auf dessen Rechtskraft oder dessen (allenfalls im Rechtsmittelweg überprüfte) Richtigkeit (vgl Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG §164 Rz 10).

3.2.6. Zur Erhebung einer Erbschaftsklage gemäß §823 ABGB ist jede Person berechtigt, die ein besseres oder gleichwertiges Erbrecht behauptet; der Erbschaftskläger ist beweispflichtig für seine Erbenposition (vgl Welser, aaO, Rz 5; OGH 8 Ob 316/66). Dadurch kann auch nach Einantwortung der Erwerber der Verlassenschaft von jeder Person auf Herausgabe der Erbschaft oder des seiner Berechtigung entsprechenden Teils der Erbschaft belangt werden.

3.2.7. Die erhobene Erbschaftsklage ersetzt nach einhelliger Meinung in Lehre und Rechtsprechung die Erbantrittserklärung (siehe mwN Spruzina, aaO, Rz 14; RIS-Justiz RS0013123, RS0013137). Dies hängt damit zusammen, dass – wie bereits ausgeführt – die Erhebung der Erbschaftsklage nach Erlassung des Einantwortungsbeschlusses die einzige Möglichkeit ist, ein potenzielles Erbrecht gegen den (eingeantworteten) Erben geltend zu machen. Der Erbschaftskläger setzt – ähnlich wie der Eigentumskläger sein Eigentum gegenüber dem Besitzer (Gschnitzer, Erbrecht2, 111) – sein bestehendes Erbrecht durch. Das seinem Rechtsstandpunkt stattgebende Urteil vernichtet die durch die Einantwortung geschaffene vorläufige Vermutung, dass der in den Erbschaftsbesitz Eingewiesene der wahre (oder unbeschränkte) Erbe sei (vgl Spruzina, aaO Rz 2; Welser, aaO, Rz 2; OGH 1 Ob 630/94, 3 Ob 205/15s).

3.2.8. Durch die Erhebung der Erbschaftsklage tritt der übergangene Erbe in die Position einer erbantrittserklärten Person ein und ist somit dem im Gesetz ausdrücklich angeführten Personenkreis, dem Akteneinsicht gemäß §141 Abs1 AußStrG zu gewähren ist, gleichzuhalten; unabhängig davon, ob der übergangene Erbe wegen eines irrtümlichen Fehlers übergangen wurde oder ob sich erst im Nachhinein herausstellt, dass ein weiterer potenzieller Erbe existiert, der nicht aktenkundig war.

II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Zum Anlassverfahren:

[…]

2. Zur Zulässigkeit:

2.1. Gemäß §62 Abs1 VfGG hat ein Antrag gemäß Art140 B-VG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Norm in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 14.802/1997, 17.752/2006). Es ist somit nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfSlg 17.099/2003, 17.102/2003, 19.825/2013, 19.832/2013, 19.870/2014, 19.938/2014). Die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit müssen daher in überprüfbarer Art und präzise ausgebreitet werden (zB VfSlg 11.150/1986, 13.851/1994, 14.802/1997, 19.933/2014).

2.1.1. Ausgehend von dieser Rechtsprechung erweisen sich sowohl der Hauptantrag als auch die Eventualanträge als unzulässig:

Der Antragsteller bringt im Wesentlichen vor, dass die angefochtene Bestimmung insbesondere deshalb verfassungswidrig sei, weil ihm vom Bezirksgericht Bludenz unter Hinweis auf den klaren Gesetzeswortlaut des §141 Abs1 AußStrG und entgegen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (OGH) keine Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt der Verstorbenen gewährt wurde, um Beweise zur Testier(un-)fähigkeit in der von ihm erhobenen Erbschaftsklage vorbringen zu können.

Wie bereits unter Punkt I.3.2.7. dargelegt, ersetzt die erhobene Erbschaftsklage gemäß §823 ABGB nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des OGH die Erbantrittserklärung (vgl RIS-Justiz RS0013123, RS0013137). Das Bezirksgericht Bludenz verkennt daher die Rechtslage, wenn es ausspricht, dass der Antragsteller als Erbschaftskläger nicht einer erbantrittserklärten Person gleichzusetzen ist. Beim Vorbringen des Antragstellers handelt es sich somit um Bedenken gegen die Auslegung des §141 AußStrG durch ein ordentliches Gericht und er macht mit seinem Vorbringen nur Vollzugsmängel geltend. Dabei übersieht der Antragsteller, dass Gegenstand des Verfahrens gemäß Art140 Abs1 litd B-VG die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ist, dass dieses Verfahren aber nicht der geeignete Ort ist, um allfällige Vollzugsmängel geltend zu machen (vgl zuletzt etwa VfGH 13.6.2022, G124/2022 mwN).

2.2. Gemäß §62 Abs1 erster Satz VfGG sind die bekämpften Bestimmungen genau und eindeutig zu bezeichnen (zB VfSlg 11.888/1988, 12.062/1989, 12.263/1990, 14.040/1995, 14.634/1996). Es darf nicht offenbleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich aufgehoben werden soll (vgl VfSlg 12.062/1989, 12.487/1990, 14.040/1995, 16.340/2001). Eine ungenaue Bezeichnung der Gesetzesvorschriften, deren Aufhebung beantragt wird, ist nach ständiger Rechtsprechung kein verbesserungsfähiger Mangel (vgl VfSlg 14.634/1996, 17.570/2005). Ein Prüfungsantrag, dem ein spezifisches Aufhebungsbegehren fehlt, leidet nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes an einem inhaltlichen Mangel, der – mangels Verbesserungsfähigkeit – zur Zurückweisung führt. Es ist dem Verfassungsgerichtshof nämlich verwehrt, Gesetzesbestimmungen auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen und aufzuheben (vgl VfSlg 15.775/2000, 16.340/2001, 17.570/2005).

2.2.1. Auch diese Prozessvoraussetzungen sind nach Auffassung der Bundesregierung im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Der Antragsteller beantragt im Hauptantrag 'das bekämpfte Gesetz (§141 AußStrG) in der Fassung vom 01.07.2018, kundgemacht im BGBl I Nr 59/2017 als auch in der Fassung vom 01.01.2005, kundgemacht in BGBl I Nr 111/2003 […] zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben'.

Die unklare Formulierung 'als auch' legt nahe, dass der Antragsteller die Aufhebung der angefochtenen Norm sowohl in der bereits außer Kraft getretenen Fassung als auch in der aktuellen Fassung beantragt. Es mangelt dem Antrag somit an der genauen Bezeichnung der angefochtenen Bestimmung. Soweit ein Antrag auf Normenkontrolle auf eine bereits außer Kraft getretene Gesetzesbestimmung gerichtet ist, hat sich dieser zudem auf die Feststellung und nicht auf die Aufhebung der angefochtenen Norm zu beschränken (Art140 Abs4 B-VG).

2.2.2. Darüber hinaus erweist sich der Hauptantrag, 'das bekämpfte Gesetz (§141 AußStrG)' als verfassungswidrig aufzuheben, auch aus folgenden Gründen als unzulässig:

Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; VfGH 19.11.2015, G498/2015; 13.10.2016, G33/2016; VfSlg 20.108/2016).

Bei dem Verfahren vor dem Bezirksgericht Bludenz handelte es sich offenkundig um ein Verfahren gemäß §141 Abs1 AußStrG und nicht um ein Amtshilfeverfahren gemäß §141 Abs2 AußStrG. Das Gericht hat die vom Antragsteller ebenfalls angefochtene Bestimmung des §141 Abs2 AußStrG daher nicht angewendet und hatte diese auch nicht anzuwenden gehabt. Hinsichtlich des zweiten Absatzes liegt somit – entgegen der Auffassung des Antragstellers – keine Präjudizialität vor; der Hauptantrag ist daher in Bezug auf §141 Abs2 AußStrG unzulässig. Auch ein allfälliger untrennbarer Zusammenhang wird vom Antragsteller weder behauptet noch näher dargelegt. Ein solcher liegt auch aus der Sicht der Bundesregierung nicht vor.

2.3. Im Hinblick auf den ersten Eventualantrag verkennt die Bundesregierung nicht, dass nach der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein zu weiter Anfechtungsumfang einen Antrag nicht per se unzulässig macht. Vielmehr führt eine zu weite Fassung des Antrags, ist dieser in der Sache begründet, allenfalls zu seiner teilweisen Abweisung (vgl VfSlg 19.746/2013, 19.942/2014). Dennoch weist die Bundesregierung darauf hin, dass vor dem Hintergrund der behaupteten Verfassungswidrigkeit mit der Aufhebung des zweiten Satzes in §141 Abs1 AußStrG das Auslangen gefunden werden kann.

2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Antrag auch dann unzulässig, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014).

2.4.1. Die mit dem zweiten Eventualantrag begehrte Aufhebung der Bezeichnung '(§157)' in §141 Abs1 AußStrG wäre vor diesem Hintergrund nicht geeignet, die behauptete Verfassungswidrigkeit der Bestimmung zu beseitigen: Durch den Verweis auf §157 AußStrG wird lediglich die im Rahmen des §157 AußStrG erfolgende Erbantrittserklärung hervorgehoben, die den Regelfall im Verlassenschaftsverfahren darstellt. Die Aufhebung des Klammerausdrucks würde keine Veränderung der Rechtslage bewirken; vielmehr bliebe die Rechtslage im Hinblick auf die 'Erben und erbantrittserklärten Personen' unverändert.

2.5. Aus diesen Gründen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass sowohl der Hauptantrag als auch die Eventualanträge unzulässig sind.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung.

III. In der Sache:

Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

1. Der Antragsteller bringt vor, dass die in Prüfung gezogene Norm insbesondere deshalb verfassungswidrig sei, weil sie gegen den Gleichheitssatz sowie gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verstoße, da der Antragsteller als potenzieller Erbe nicht zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufgefordert worden sei, er somit nicht den Status einer erbantrittserklärten Person iSd. §141 AußStrG erhalten habe und ihm in weiterer Folge keine Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt der Verstorbenen gewährt wurde, die es ihm ermöglicht hätte, Beweise zur Testier(un-)fähigkeit in der von ihm erhobenen Erbschaftsklage vorbringen zu können. Es liege zudem allein in der Willkür des Gerichtskommissärs, wer als potenzieller Erbe zur Abgabe einer Erbantrittserklärung gemäß §157 AußStrG aufgefordert bzw geladen werde.

2. Wie bereits dargelegt, ersetzt die Erhebung der Erbschaftsklage die Erbantrittserklärung, sodass der Erbschaftskläger erbantrittserklärten Personen iSv §141 AußStrG gleichzuhalten ist. Da der Antragsteller im konkreten Fall durch die Erbschaftsklage als erbantrittserklärte Person gilt, wäre ihm unter den Voraussetzungen des §141 Abs1 AußStrG Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt, insbesondere in die Gesundheitsdaten der Verstorbenen, zu gewähren (gewesen).

3. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die behauptete Verfassungswidrigkeit offenbar auch im Zusammenhang mit §157 AußStrG gesehen wird. Nachdem diese Bestimmung nicht mitangefochten ist, erübrigt sich nach Ansicht der Bundesregierung ein näheres Eingehen auf die diesbezüglichen Ausführungen.

4. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist."

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass des Rekurses gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz vom 21. Juli 2022, 26 P 10/17g, gestellt. Mit diesem Beschluss wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B-VG).

1.3. Als Antragsteller im pflegschaftsgerichtlichen Verfahren ist der Antragsteller des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit er zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG berechtigt ist.

1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel gegen den genannten Beschluss des Bezirksgerichtes Bludenz am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).

Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.

1.5

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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