TE OGH 2022/12/20 11Os110/22v

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Veröffentlicht am 20.12.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * T* und andere Angeklagte wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2 und 3, Abs 4 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten K* Y* und M* Y* gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 22. August 2022, GZ 48 Hv 37/22m-191, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in der Subsumtion der von den Schuldsprüchen der Angeklagten K* Y* (c 1 bis 8) und M* Y* (b 1 bis 8) umfassten Taten nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG, demzufolge in den diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), sowie im (alle drei Angeklagten betreffenden) Ausspruch des Verfalls aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen werden zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten K* Y* und M* Y* auf die Aufhebung verwiesen.

Ihnen fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – * T*, K* Y* und M* Y* jeweils „des“ Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.

[2]            Danach haben in *, *, *, * und andernorts „durch die Schleppung illegaler Migranten“ über die Türkei von Rumänien nach Österreich gegen einen „Schlepperlohn“ von mehreren tausend Euro pro Person, nämlich

(1) am 24. November 2021 (im Ersturteil teils namentlich genannter) 13 Fremder,

(2 bis 7) vom 30. November 2021 bis zum 22. Dezember 2021 in sechs (im Ersturteil näher konkretisierten) Angriffen jeweils einer unbekannten Anzahl Fremder und

(8) am 22. Jänner 2022 (im Ersturteil namentlich genannter) acht Fremder,

je als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden, die über keine aufrechte Einreise- oder Aufenthaltsbewilligung für den Schengenraum verfügten, in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

(a) * T*, indem er die Fremden im Auftrag und über Anweisung der Mitangeklagten an vereinbarten Treffpunkten in Rumänien abholte und sie mit einem Sattelschlepper an das jeweilige Fahrtziel in Österreich beförderte,

(b) M* Y*, indem er „teils als Geschäftsführer der eigens zur Durchführung von Schlepperfahrten gegründeten Firma M* SRL“ * T* mit der jeweiligen „Schlepperfahrt“ und K* Y* mit der Koordinierung deren Durchführung beauftragte sowie

(c) K* Y*, indem er im Auftrag des M* Y* gemeinsam mit weiteren Mittätern die „Schlepperfahrten“ koordinierte und * T* die zu deren Durchführung erforderlichen Anweisungen erteilte,

wobei sie „die Tat nach § 114 Abs 1 FPG“ (in Erfüllung der Kriterien des § 70 Abs 1 Z 1 und Z 2, teils auch Z 3 erster Fall StGB – US 10) gewerbsmäßig, „in Bezug auf mindestens drei Fremde“ und auf eine (im Ersturteil näher beschriebene – US 8, 10 f) Art und Weise begingen, durch die die Fremden, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden.

Rechtliche Beurteilung

[3]            Dagegen richten sich die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5, 10 und 11 StPO gestützten, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten K* Y* und M* Y*.

Zutreffend zeigen die Mängelrügen eine Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) auf:

[4]       Für die Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG kommt es in subjektiver Hinsicht nicht auf den – hier festgestellten – „Entschluss“ der Täter an, einen die Kriterien einer kriminellen Vereinigung (§ 278 Abs 2 StGB) erfüllenden (auf die Ausführung strafbarer Handlungen nach § 114 Abs 1 FPG durch eines oder mehrerer seiner Mitglieder gerichteten) Zusammenschluss „zu gründen“ (US 7 f). Entscheidend ist vielmehr, dass der betreffende Täter die Tat nach § 114 Abs 1 FPG „als Mitglied“ einer solchen Vereinigung „begangen“ hat. Die Erfüllung dieser Tatbestandsmerkmale in objektiver Hinsicht (vgl US 7 bis 11) genügt dafür nicht; sie muss auch vom Vorsatz des Täters umfasst sein (§ 7 Abs 1 StGB; Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 26).

[5]       Ob die Tatrichter festgestellt haben, dass die Intention der Beschwerdeführer auch auf die angesprochene Handlungsmodalität gerichtet war (vgl dagegen die den Mitangeklagten * T* betreffende Urteilsaussage, dieser habe „in Umsetzung des Ziels der kriminellen Vereinigung und in Entsprechung der zuvor vereinbarten Rollenverteilung“ gehandelt [US 9]), ist aber – nach der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht – nicht für alle Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar (RIS-Justiz RS0117995 [insbesondere T3]).

[6]       Der von den Beschwerdeführern aufgezeigte Begründungsmangel (Z 5) führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 289 StPO).

[7]       Das (weitere) gegen die damit beseitigten Urteilsaussprüche gerichtete Beschwerdevorbringen hat demnach auf sich zu beruhen.

Die übrigen Einwände verfehlen ihr Ziel:

[8]       Die tatrichterliche Beweiswürdigung (US 11 bis 13) in Bezug auf die den jeweiligen Schuldspruch tragenden Feststellungen (US 7 bis 11) erschöpft sich keineswegs in der – vielmehr ausdrücklich auf die vorangehenden Erwägungen (US 11 bis 13) gestützten – Urteilsaussage, es bestehe „kein vernünftiger Grund, daran zu zweifeln, dass alle Angeklagten die im Schuldspruch genannten Taten begangen haben“ (US 13).

[9]       Indem die Mängelrügen (Z 5 vierter Fall) – ohne Bezugnahme auf konkrete Feststellungen (RIS-Justiz RS0130729) und ohne Rücksicht auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370) – nur letztere Urteilspassage isoliert beanstanden, bringen sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung.

[10]     Ob M* Y* „als faktisch Verantwortlicher der Firma M* agierte“ (US 9) ist weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage bedeutsam, somit nicht entscheidend (RIS-Justiz RS0106268).

[11]     Soweit der genannte Beschwerdeführer die betreffende Urteilsfeststellung aus Z 5 vierter Fall bekämpft, verfehlt er daher den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung.

[12]      Die Subsumtionsrügen (Z 10) streben (jeweils) den Wegfall der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG mit dem Argument an, den unter Verwendung von verba legalia (des § 70 Abs 1 StGB: „längere Zeit hindurch“) getroffenen Feststellungen (US 10) zur „zeitlichen Komponente“ gewerbsmäßiger Delinquenz mangle es am erforderlichen Sachverhaltsbezug.

[13]     Weshalb die Bezugnahme (US 9 f) auf den jeweils mehrere Monate umfassenden Tatzeitraum (vgl RIS-Justiz RS0107402 [insbesondere T1]) dafür nicht ausreichen sollte, lassen sie dabei offen (RIS-Justiz RS0119090 [T2, T3]).

[14]     In diesem Umfang waren die Nichtigkeitsbeschwerden daher – erneut im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[15]     Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten K* und M* Y* auf die Aufhebung des jeweiligen Strafausspruchs zu verweisen.

Hinzugefügt sei:

[16]           1. Die Fehlerhaftigkeit (RIS-Justiz RS0130603 [T1], jüngst 11 Os 81/22d) der Schuldsprüche wegen jeweils bloß eines Verbrechens der Schlepperei nach (soweit bestandskräftig) § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2 und 3 FPG – anstelle jeweils zweier solcher Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, 2 und 3 FPG (Schuldsprüche 1 und 8) und mehrerer weiterer solcher Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 3 FPG (Schuldsprüche 2 bis 7) – hat sich in concreto nicht zum Nachteil des jeweiligen Angeklagten ausgewirkt und war daher von Amts wegen nicht aufzugreifen (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff).

[17]     2. Mit der (Teil-)Kassation der Schuldsprüche des K* Y* und des M* Y* sowie der diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche wurde auch (§ 289 StPO) ein Ausspruch des Verfalls aufgehoben.

[18]     Mit diesem – undifferenziert in Ansehung aller drei Angeklagten ergangenen (vgl US 15) – Ausspruch hatte das Erstgericht „gemäß § 20 Abs 1 StGB“ „das sichergestellte Bargeld“ für verfallen erklärt (US 5).

[19]     Im Falle neuerlichen Ausspruchs des Verfalls nach § 20 StGB im zweiten Rechtsgang wird (bei Beteiligung aller drei Angeklagten daran) zu beachten sein, dass ein solcher Ausspruch – bei sonstiger Nichtigkeit aus Z 11 erster Fall – Tatsachenfeststellungen erfordert, auf deren Grundlage die Voraussetzungen entweder des Abs 1 oder des Abs 2 (oder des Abs 3) des § 20 StGB erfüllt sind (siehe demgegenüber US 15).

[20]     Sichergestellte oder beschlagnahmte Gegenstände (hier ggf: „sichergestelltes Bargeld“) können nur gemäß Abs 1 oder 2, nicht gemäß Abs 3 leg cit für verfallen erklärt werden (zur Unterscheidung zwischen diesen drei Verfallstypen eingehend Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 1 ff; RIS-Justiz RS0130833). Dies setzt aber konkrete Feststellungen voraus, denen zufolge (gerade) der betreffende Gegenstand für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurde (Abs 1) oder es sich dabei um einen Ersatzwert (Abs 2) eines solchen Gegenstands handelt.

[21]     Dem Verfall unterliegende Vermögens- (§ 20 Abs 1 StGB) und Ersatzwerte (§ 20 Abs 2 StGB) sowie der Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) dürfen dabei nur dem jeweils tatsächlichen Empfänger mittels Verfall abgenommen werden (RIS-Justiz RS0129964). Daraus ergibt sich das Erfordernis, einen Verfallsausspruch jeweils in Ansehung eines konkreten Vermögenswerts (oder betraglich bestimmten Wertersatzes – vgl 14 Os 147/14w; 15 Os 55/15z) personenbezogen zuzuordnen (13 Os 55/18i; siehe demgegenüber US 5 und 15).

[22]     Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E136933

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00110.22V.1220.000

Im RIS seit

09.01.2023

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2023
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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