TE Lvwg Erkenntnis 2022/11/17 LVwG-2022/33/2347-7

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Veröffentlicht am 17.11.2022
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Entscheidungsdatum

17.11.2022

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §71 Abs1
  1. AVG § 71 heute
  2. AVG § 71 gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  3. AVG § 71 gültig von 01.01.1999 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 158/1998
  4. AVG § 71 gültig von 01.07.1995 bis 31.12.1998 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995
  5. AVG § 71 gültig von 01.02.1991 bis 30.06.1995

Text

A.

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Visinteiner über den Antrag des Herrn AA, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Z auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***,

zu Recht:

1.       Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

B.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol fasst durch seinen Richter Dr. Visinteiner über die Beschwerde des Herrn AA, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, **** Z gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, betreffend eine Angelegenheit nach dem TFLG nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, den

B E S C H L U S S

1.       Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang, Sachverhalt:

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde unter Spruchpunkt I. gemäß § 73 lit e Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (TFLG 1996), LGBl Nr 74/1996, in der Fassung LGBl Nr 161/2021, festgestellt, dass mit der Liegenschaft EZ **1 KG *** Y kein Anteilsrecht (auch kein Holz- und Streubezugsrecht – Teilwaldrecht) an der Gemeindegutsagrargemeinschaft Y in EZ **2 und EZ **3 KG *** Y verbunden ist. Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf Abänderung des Regulierungsplanes der Gemeindegutsagrargemeinschaft Y vom 21.09.1967, Zahl ***, als unzulässig zurückgewiesen.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung die Beschwerde vom 06.09.2022 ein, welche am Dienstag, den 06.09.2022 per E-Mail eingebracht wurde. Diese Beschwerde ist am Dienstag, den 06.09.2022 um 17:21 Uhr bei der Abteilung CC eingebracht worden. Zur Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels wird in dieser Beschwerde ausgeführt, dass der gegenständliche Bescheid dem Beschwerdeführer zur Abholung hinterlegt am 09.08.2022 zugestellt worden sei.

Aus dem im Akt der belangten Behörde einliegenden Rückschein ergibt sich, dass der gegenständliche bekämpfte Bescheid am 08.08.2022 übernommen wurde. In der Übernahmebestätigung ist die leserliche Unterschrift „***“ angeführt.

Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 14.09.2022, Zahl LVwG-2022/33/2347-1, wird der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mitgeteilt, dass der bekämpfte Bescheid am Montag, den 08.08.2022 zugestellt worden sei, dies ergebe sich aus dem im Akt der belangten Behörde befindlichen Rückschein. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe daher am Montag, den 05.09.2022 geendet. Die gegenständliche Beschwerde wurde allerdings erst am 06.09.2022 mittels E-Mail eingebracht und ist diese am 06.09.2022 um 17:21 Uhr bei der Tiroler Landesregierung als CC eingelangt, weshalb sich die Beschwerde als verspätet eingebracht erweise.

Zum Verspätungsvorhalt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 14.09.2022 brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung den Schriftsatz vom 29.09.2022 ein, in dem unter anderem zum Verspätungsvorhalt Stellung genommen und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde. Der Eingabe angeschlossen war ein RSb Kuvert aus dem ersichtlich war, Beginn der Abholfrist: 09.08.2, wobei die Jahreszahl fehlt.

In der Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt wird vorgebracht, dass der Beschwerdeführer Ende August 2022 in der Kanzlei des Rechtsvertreters diesem mitgeteilt habe, dass er, nachdem er den Abholschein („gelber Zettel“) am 09.08.2022 gesehen hätte, am 10.08.2022 bei der Post – Geschäftsstelle in X den Brief abgeholt habe. Auf dem genannten Kuvert sei im Bereich Hinterlegung vermerkt, dass der Brief in der Post Geschäftsstelle **** zur Abholung hinterlegt worden sei. Als Beginn der Abholfrist wurde „09.08.2“ handschriftlich eingetragen und weiteres vermerkt, dass die Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt worden sei. Dass der Bescheid bereits am 08.08. von einem Mitbewohner übernommen worden sei, schließe der Beschwerdeführer aus. Aus diesen Gründen gehe der Beschwerdeführer bzw dessen ausgewiesener Rechtsvertreter im Sinne des § 17 Abs 3 dritter Satz Zustellgesetz davon aus, dass der Lauf der Beschwerdefrist frühestens mit Beginn der vermerkten Abholfrist am 09.08.2022 begonnen habe und somit die Beschwerde am 06.09.2022 rechtzeitig eingebracht worden sei.

In diesem Schriftsatz wurde auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, sowie die versäumte Verfahrenshandlung, nämlich die Beschwerde nachgeholt.

Zur Frage, ob der gegenständliche Rückscheinbrief einem Mitbewohner ausgehändigt worden ist, wurde bei der österreichischen Post nachgefragt, wer der Zusteller zum angeführten Zeitpunkt mit der am Rückscheinbrief angeführten Zustellnummer gewesen ist. Der Zusteller wurde genannt und wurde Herr DD als Zeuge zur Verhandlung am 07.11.2022 geladen.

Am 07.11.2022 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung zu der Frage statt, wer und vor allem wann der Rückscheinbrief übernommen wurde. Dazu hat vorerst der Beschwerdeführer Herr AA über Vorhalt mitgeteilt, dass die Unterschrift am hybriden Rückschein mit Übernahmedatum 08.08.2022 seine Unterschrift sei. Über Vorhalt, dass er dann nicht am 09.08.2022 diesen Brief bei der Post abgeholt haben kann, zweifelt der Beschwerdeführer an der Unterschrift und wird er aufgefordert, eine Unterschriftsprobe zu leisten. Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer immer mit Nachname und Vorname unterschreibt. Somit scheidet aus, dass der Beschwerdeführer selbst diesen hybriden Rückschein unterschrieben hat. Der Beschwerdeführer beharrt jedoch darauf, dass er nach einem Frisörbesuch am Dienstag, den 09.08.2022 auf dem Rückweg den Rückscheinbrief bei der Post – Geschäftsstelle in X abgeholt habe.

Der Zusteller Herr DD hat als Zeuge im Rahmen seiner Einvernahme angegeben, dass er sich nicht mehr 100 %ig erinnern kann, er jedoch glaube, den Brief der Gattin des Beschwerdeführers übergeben zu haben. Der Zeuge wurde aufgefordert, den Zustellvorgang zu schildern. Dazu hat der Zeuge angegeben, dass er bei der betreffenden Person bzw Wohnung läutet und wenn vorerst nicht aufgemacht wird, er beginnt die Hinterlegungsanzeige zu schreiben. Danach versucht er immer wieder, drei bis vier Mal, wiederum zu läuten und wartet, ob nicht doch jemand die Tür öffnet. Im gegenständlichen Fall war dies so, weil auf dem Rückscheinbrief zwar begonnen wurde, diesen auszufüllen, jedoch beim Beginn der Abholfrist die Jahreszahl nicht vollständig ausgefüllt wurde. Außerdem gibt der Zeuge an, dass wenn tatsächlich das Schriftstück hinterlegt wird, dies auf der Rückseite dieses blauen Rückscheinkuverts handschriftlich vermerkt wird, dass „hinterlegt“ wurde mit dem Datum des Zustellversuches und der Namensparaphe des Zustellers.

Daraufhin wird der Beschwerdeführer aufgefordert, den Originalrückscheinbrief vorzulegen. Dieser holt ihn aus seinen Unterlagen und wird gemeinsam die Rückseite dieses Originalrückscheinbriefes begutachtet. Auf der Rückseite hat sich kein handschriftlicher Vermerk über eine eventuelle Hinterlegung dieses Rückscheinbriefes befunden.

Der Zeuge gibt weiters an, dass auch angeführt sein müsste, wem dieser Rückscheinbrief übergeben wurde. Auf dem im Akt der belangten Behörde befindlichen Übernahmebestätigung ist jedoch nur angeführt „Übernahmeverhältnis: Mitbewohner“. Dazu führt der Zeuge an, dass er auf seinem Gerät den Namen und das des Mitbewohners anführen muss. Er wird jedoch nachfragen, ob dies nur auf dem internen Papier verzeichnet ist.

Mit Schreiben vom 08.11.2022 wurde vom Amtsleiter EE mitgeteilt, dass in der Anlage die Sendungsnachforschung übermittelt wird. Daraus ergibt sich, dass der Rückscheinbrief an den Mitbewohner FF am 08.08.2022 um 09:46 und 18 Sekunden zugestellt worden ist.

Über Nachfrage, ob der Name nur auf dem internen Papier zu sehen ist und nicht auf der Übernahmebestätigung, wurde vom Amtsleiter mit Schriftsatz vom 09.11.2022 mitgeteilt, dass Zustellung an Ersatzempfänger mittels RSb-Briefen die Zusteller den jeweiligen Namen des Ersatzempfängers am MDE Gerät eintragen müssen, weil erst danach eine Unterschrift möglich ist. Der Ersatzempfänger ist generell nur in der postinternen Datenbank ersichtlich.

Diese Schreiben wurden dem Beschwerdeführer zu Handen des Rechtsvertreters mit Schriftsatz des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 10.11.2022 zur Kenntnis übermittelt.

II.      Beweiswürdigung:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich, wie vorstehend und im Folgenden im Detail dargetan – aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt, insbesondere dem Rückschein der nachweislichen Zustellung des bekämpften Bescheides, sowie der Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Verspätungsvorhalt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, sowie dem Ermittlungsergebnis im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 07.11.2022, sowie den Schriftsätzen des Amtseiters des zuständigen Zustellgebietes vom 08. bzw 09.11.2022.

Daraus ergibt sich, dass die Unterschrift auf der Übernahmebestätigung, welche sich im Akt der belangten Behörde befindet, nicht vom Beschwerdeführer selbst stammt. Als Übernahmedatum dieser Übernahmebestätigung ist der 08.08.2022 vermerkt, mit der Unterschrift leserlich „***“. Wie sich aus dem Beweisergebnis im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung, sowie aus den Schreiben der Post AG vom 08. bzw 09.11.2022 ergibt, hat der zuständige Zusteller DD am 08.08. um 09:46 Uhr diesen RSb Brief betreffend den Bescheid der CC am 08.08.2022 der Gattin des Beschwerdeführers Frau FF übergeben. Diese hat die Übernahme auch mit ihrer Unterschrift bestätigt.

Dass der gegenständliche Rückscheinbrief nicht hinterlegt worden ist, ergibt sich weiters aus dem Umstand, dass auf der Rückseite des Originalbriefes kein handschriftlicher Vermerk über die Hinterlegung samt Datum des Zustellversuches und die Namensparaphe des Zustellers angebracht war. Somit wurde der gegenständliche Bescheid der CC mittels RSb Brief am 08.08.2022 zugestellt und von der Gattin des Beschwerdeführers Frau FF auch übernommen und zwar am 08.08.2022 um 09:46 Uhr.

III.     Rechtslage:

Gegenständlich sind insbesondere folgende Rechtsvorschriften entscheidungsrelevant:

Zustellgesetz – ZustG, BGBl Nr 200/1982 in der Fassung BGBl I Nr 42/2020:

„Ersatzzustellung

§ 16. (1) Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

(2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die – außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt – zur Annahme bereit ist.

(3) Durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Ersatzempfänger nicht oder nur an bestimmte Ersatzempfänger zugestellt werden, wenn der Empfänger dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat.

(4) Die Behörde hat Personen wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Empfängers durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Ersatzzustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden.

(5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.“

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl I Nr 33/2013 in der Fassung BGBl I Nr 109/2021:

„Beschwerderecht und Beschwerdefrist

§ 7. (…)

(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG oder wegen Rechtswidrigkeit des Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG beträgt vier Wochen. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt

         1.       in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung,

         2.       in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zuständigen Bundesminister zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem der zuständige Bundesminister von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat,

         3.       in den Fällen des Art. 132 Abs. 2 B-VG mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung, und

         4.       in den Fällen des Art. 132 Abs. 4 B-VG dann, wenn der Bescheid dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, in dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.“

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl Nr 51/1991 in der Fassung BGBl I Nr 58/2018:

„5. Abschnitt: Fristen

§ 32. (1) Bei der Berechnung von Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, wird der Tag nicht mitgerechnet, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll.

(2) Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

         1.       die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

         2.       die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.

IV.      Erwägungen:

Aus dem im Akt der belangten Behörde einliegenden Rückschein ergibt sich, dass der gegenständlich bekämpfte Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, am 08.08.2022 durch die Post zugestellt wurde. In der Übernahmebestätigung ist die leserliche Unterschrift „***“ angeführt.

Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 Zustellgesetz regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

Die Zustellung im Wege des Ersatzempfängers wird – sofern der Ausnahmetatbestand des § 16 Abs 5 Zustellgesetz nicht gegeben ist – grundsätzlich im Zeitpunkt der Übergabe der Sendung an diesen wirksam. Dies unabhängig davon, ob oder wann der Ersatzempfänger den Empfänger über die Zustellung informiert, bzw ob oder wann die Sendung dem Empfänger tatsächlich zukommt (vgl VwGH 24.10.1989, 88/08/0264; VwGH 23.04.2009, 2007/09/0202; und andere).

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere durch die Einvernahme des zuständigen Zustellers DD im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung als Zeuge ist festzustellen, dass es sich bei der Person, die den bekämpften Bescheid übernommen hat, um die Gattin des Beschwerdeführers handelt. Bei der Gattin des Beschwerdeführers handelt es sich um einen Ersatzempfänger.

Dass der Beschwerdeführer, wie von ihm ausgeführt den Brief am 09.08.2022 selbst bei der Poststelle in X abgeholt hat, ist aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens widerlegt. Hätte der Beschwerdeführer den Brief persönlich am 09.08.2022 bei der Poststelle X abgeholt, wäre auf der Empfangsbestätigung seine Unterschrift zu erkennen, die wie die Unterschriftprobe ergeben hat, aus Nachnamen und Vornamen besteht. Auf der Empfangsbestätigung ist jedoch das Datum 08.08.2022 angeführt und die leserliche Unterschrift „***“. Außerdem wurde als Übernahmeverhältnis Mitbewohner angeführt. Aufgrund der durchgeführten Sendungsnachforschung hat sich ergeben, dass der Zeuge und Zusteller DD den bekämpften Bescheid am 08.08.2022 um 09:46 Uhr an die Gattin FF zugestellt hat.

Damit ergibt sich im gegenständlichen Fall sohin zusammengefasst, dass der gegenständlich bekämpfte Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, im Wege der Ersatzzustellung nach § 16 Zustellgesetz gegenüber dem Beschwerdeführer am 08.08.2022 wirksam zugestellt wurde.

Die Frist zur Einbringung einer Beschwerde beträgt im gegenständlichen Fall gemäß § 7 Abs 4 VwGVG – wie auch in der Rechtsmittelbelehrung der bekämpften Entscheidung zutreffend ausgeführt – 4 Wochen.

Gemäß § 32 Abs 2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Fehlt dieser Tag im letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.

Durch die gegenüber dem Beschwerdeführer wirksame Zustellung des gegenständlichen bekämpften Bescheides am 08.08.2022 hat damit die Frist zur Einbringung einer Beschwerde dagegen am 05.09.2022 geendet.

Mit Schriftsatz vom 29.09.2022 wurde fristgerecht ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, eingebracht.

Maßgeblich für die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, ob dieser vor der Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht gestellt wurde oder erst danach (vgl VwGH 26.09.2018, Ra 2017/17/0015; und andere).

Im gegenständlichen Fall wurde der Wiedereinsetzungsantrag nach Ergehen des Verspätungsvorhaltes durch das Landesverwaltungsgericht Tirol erst nach Vorlage der Beschwerde durch die belangte Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gestellt und kommt daher die Zuständigkeit zur Entscheidung über den gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag dem Landesverwaltungsgericht Tirol zu.

Gemäß § 71 Abs 1 Ziffer 1 AVG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Voraussetzung für die positive Erledigung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sohin, dass die Partei, bzw deren Vertreter glaubhaft machen kann, dass sie zum einen durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie zudem kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft und müssen diese Kriterien kumulativ vorliegen.

Als „Ereignis“ ist nicht nur tatsächliches, in der Außenwelt stattfindendes, sondern prinzipiell jedes, auch inneres, psychisches Geschehen, sowie ein psychologischer Vorgang anzusehen.

Hinsichtlich des näheren Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag, dass der Beschwerdeführer den Abholschein („gelber Zettel“) am 09.08.2022 gesehen hätte, er diesen Brief dann am 10.08. bei der Post – Geschäftsstelle in X abgeholt habe, ist auszuführen, dass diese Angaben schlichtweg nicht stimmen können, da sich auf der Übernahmebestätigung vom 08.08.2022 nicht die Unterschrift des Beschwerdeführers befindet, sondern die Unterschrift seiner Gattin FF. Dies wurde ausreichend im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung erörtert und vom zuständigen Zusteller DD im Rahmen seiner Aussage als Zeuge wiederholt bestätigt.

Weiters ist zum näheren Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag auszuführen, dass ein beruflich rechtskundiger Parteienvertreter seine Kanzlei so zu organisieren hat, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt und nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (vgl VwGH 17.04.1998, 98/04/0036; VwGH 13.11.1998, 98/19/0219; VwGH 04.09.2003, 2003/09/0108, VwGH 23.02.2006, 2006/07/0028; und viele andere).

Dabei ist zum einen durch den richtigen Einsatz entsprechend qualifizierter Mitarbeiter und zum anderen aber auch durch hinreichende, wirksame Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens soweit als möglich ausgeschaltet werden (VwGH 14.04.1994, 94/06/0047; VwGH 21.05.1996, 96/05/0047; VwGH 14.11.2002, 2001/09/0177; VwGH 24.09.2003, 97/13/0224; und andere).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Einhaltung der Rechtsmittelfristen grundsätzlich der berufliche rechtskundige Parteienvertreter verantwortlich und ist bei der Beurteilung, ob ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden vorliegt, an diesem ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl VwGH 19.09.1997, 96/19/0679, VwGH 20.05.2003, 2003/02/0028; VwGH 03.09.2008, 2008/04/0127; VwGH 28.05.2008, 2008/21/0320; und andere).

Der Vertreter ist – um sein Verschulden auszuschließen – daher verhalten, sich selbst unverzüglich von der vertretenen Partei alle erforderlichen Informationen zu beschaffen, um die Prozesshandlungen zeitgerecht zu setzen und damit die Fristen wahren zu können (vgl VwGH 13.12.1989, 89/03/0091, VwGH 31.01.1990, 89/03/0254).

Dabei obliegt es dem Vertreter einer Partei insbesondere, die ihm von einem Klienten mitgeteilten Umstände über den für den Beginn der Rechtsmittelfrist maßgebenden Zustelltag nicht ungeprüft seiner Fristvormerkung zugrunde zu legen (VwGH 22.11.1995, 95/15/0055; VwGH 27.04.2016, Ra 2016/05/0015).

Andererseits ist allerdings auch der Vollmachtgeber verpflichtet, seinem Vertreter die notwendigen Daten – im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels insbesondere das genaue Zustelldatum des Bescheides – bekannt zu geben (VwGH 31.01.1990, 89/03/0254; VwGH 07.04.2000, 97/19/1803; VwGH 25.02.2004, 2001/09/0019; und andere).

Ein allfälliger Mangel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihrem Vertreter, welche die Entscheidung, die notwendige Prozesshandlung zu setzen, beeinflussen konnten, stellen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs 1 Ziffer 1 AVG dar (VwGH 16.03.2012, 2009/05/0078; VwGH 23.05.2013, 2013/11/0040; VwGH 27.04.2016, Ra 2016/05/0015). Es wäre daher in diesem Fall kein Wiedereinsetzungsgrund nach § 71 Abs 1 Ziffer 1 AVG gegeben.

Aufgrund der Mitteilung des Beschwerdeführers an seinen Rechtsvertreter, er habe den Abholschein am 09.08.2022 gesehen und den Brief am 10.08.2022 bei der Post – Geschäftsstelle in X abgeholt, wurde von seiner Rechtsvertretung der 09.08.2022 der Berechnung der Rechtsmittelfrist zugrunde gelegt.

Tatsächlich wurde der gegenständlich bekämpfte Bescheid jedoch – wie sich aus dem Rückschein zweifelsfrei ergibt und auch als Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens festzustellen war – bereits am 08.08.2022 im Wege der Ersatzzustellung an die Gattin mit Wirkung gegenüber dem Beschwerdeführer zugestellt.

Im gegenständlichen Fall ergibt sich sohin in gebotener Gesamtbetrachtung zusammengefasst, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 Abs 1 Ziffer 1 AVG im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht gegeben waren.

Zusammengefasst ergibt sich sohin im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass der gegenständliche Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, abzuweisen war.

Da dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag keine Folge gegeben wurde, war in weiterer Folge dann die gegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung als CC vom 03.08.2022, Zahl ***, mit Beschluss als verspätet zurückzuweisen.

V.       Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Visinteiner

(Richter)

Schlagworte

Wiedereinsetzung
Abweisung
Zurückweisung wegen Verspätung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2022:LVwG.2022.33.2347.7

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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