TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/4 2003/09/0108

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Veröffentlicht am 04.09.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Marc Aurel-Straße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 30. Mai 2003, Zl. UVS- 07/A/40/10305/2002/3, betreffend 1.) Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG, und

2.) Zurückweisung einer Berufung als verspätet, beides in Angelegenheit Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Mit Straferkenntnis vom 30. September 2002 wurde die Beschwerdeführerin zweier Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für schuldig erkannt. Es wurden zwei Geldstrafen in Höhe von je EUR 1.750,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je einer Woche, 5 Tagen und 12 Stunden) verhängt. Dieses Straferkenntnis wurde (nach den in der Beschwerde bestätigten Feststellungen der belangten Behörde) am 8. Oktober 2002 durch Hinterlegung beim Postamt 1020 Wien zugestellt.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 stellte die nunmehr durch die obgenannten Rechtsanwälte vertretene Beschwerdeführerin den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte gleichzeitig die Berufung nach. Zusammengefasst wird in diesem Schriftsatz samt beigelegten "eidesstättigen Erklärungen" im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführerin das Straferkenntnis vom 30. September 2002 mittels RSB-Briefes am 7. Oktober 2002 zugestellt worden sei. Sie sei am 18. Oktober 2002 in die Rechtsanwaltskanzlei zu Dr. Mathes gekommen und habe ihm das genannte Straferkenntnis zum Zweck der Erhebung eines Rechtsmittels übergeben. Dr. Mathes habe "einen handschriftlichen Aktenvermerk" angefertigt und auf diesem "nach Kontrolle des auf dem Kuvert befindlichen Zustelldatums 7. Oktober 2002" vermerkt, "dass eine 14-tägige Rotfrist zur Berufung" im Journal der Kanzlei einzutragen sei. In der Folge habe er den Aktenvermerk der Kanzleiangestellten MK übergeben. Diese habe den neuen Akt "im Computersystem der Kanzlei zu erfassen, einen blauen Aktendeckel händisch zu beschriften, in diesen die von der Mandantschaft beigebrachten Aktenstücke sowie den Aktenvermerk einzulegen und allenfalls zu beachtende Fristen in das Journal einzutragen" gehabt. Im Journal würden sämtliche Fristen eingetragen. Der Ablauf einer Frist werde rot vermerkt ("Rotfrist"). Zur Sicherstellung der rechtzeitigen Bearbeitung habe die Kanzleikraft drei Tage vor Ablauf der Frist "eine blaue Frist" zu vermerken, zu welchem Termin der Akt dem Sachbearbeiter zur Verfassung des Rechtsmittels spätestens vorzulegen sei. Diese Vorgangsweise habe in der Kanzlei bisher funktioniert. Im konkreten Fall habe die Kanzleiangestellte den Aktenvermerk auf einen Stapel zu bearbeitender Schriftstücke gelegt und die Anlage des Aktes erst am 22. Oktober 2002 vornehmen wollen, wobei der Fristablauf aufgefallen sei.

Dieser Antrag wurde mit Spruch I.) des im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheides abgewiesen. Mit Spruch II.) wurde die Berufung als verspätet zurückgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

ad I.) Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden einer Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht diesem Bediensteten gegenüber unterlassen hat.

In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten ist, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird, wobei durch ein entsprechendes Kontrollsystem dafür vorzusorgen ist, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen z.B. den hg. Beschluss vom 11. Mai 1998, Zlen. 97/10/0236, 98/10/0067).

Von einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden kann dann keine Rede sein, wenn die zur Einhaltung von Fristen erforderliche Sorgfalt gröblich verletzt wird (vgl. zum Erfordernis größtmöglicher Sorgfalt bei der Einhaltung von Rechtsmittelfristen etwa das hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/09/0141).

Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. November 1999, Zl. 96/17/0415, und vom 31. Jänner 2003, Zl. 2003/02/0006) ist es Aufgabe des Rechtsanwaltes, persönlich für die richtige Berechnung der Rechtsmittelfrist Sorge zu tragen. Tut er dies nicht, so liegt in aller Regel kein minderer Grad des Versehens vor. Dazu gehört aber unabdingbar auch die Frage, an welchem Tag die Rechtsmittelfrist endet.

Im gegenständlichen Fall hat der Rechtsanwalt aber nur den (seiner Meinung nach zutreffenden) Zustelltag und "14 Tage Rotfrist" vermerkt, jedoch keine datumsmäßige Fristberechnung durchgeführt. Hinzu kommt noch, dass der 18. Oktober 2002, wie die belangte Behörde richtig ausführt, ein Freitag war. Angesichts des (nach Meinung des Rechtsanwaltes bereits am folgenden Montag, dem 21. Oktober 2002) nach dem Wochenende nahenden Endes der Rechtsmittelfrist (22. Oktober 2002) lagen Umstände vor, auf Grund derer der (die) Rechtsanwalt (-anwälte) besondere Vorsicht und über das routinemäßige Kanzleigeschehen hinausgehende Kontrollen hätten walten lassen müssen (etwa Anordnung der sofortigen Wiedervorlage (schon angesichts des in der Kanzlei üblichen Vorganges der "Blaufrist"-setzung); oder persönliche Überwachung der Fristeintragung).

Somit durften die die Beschwerdeführerin vertretenden Rechtsanwälte die Berechnung der Beschwerdefrist keinesfalls der Kanzleiangestellten in deren eigene Verantwortung übertragen und sich jeglicher Kontrollen enthalten. Sie haben daher im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung die zur Einhaltung von Fristen erforderliche Sorgfalt gröblich verletzt.

Bei diesem Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, ob auch die nach Ausführungen der Beschwerdevertreter "aus anwaltlicher Vorsicht" unrichtigerweise zu früh angenommene Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz ein - weiteres - den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden darstellt, wie die belangte Behörde ausführt.

ad II.) Da die Berufung unbestrittenermaßen erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht wurde, erweist sich auch Spruch II.) des angefochtenen Bescheides nicht als rechtswidrig.

Bereits der Inhalt der Beschwerde lässt erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, weshalb die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG

ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am 4. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003090108.X00

Im RIS seit

23.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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