TE Vwgh Erkenntnis 1996/4/18 95/20/0267

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Veröffentlicht am 18.04.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in T, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995, Zl. 4.324.071/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 3. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 7. Oktober 1991 den Asylantrag gestellt hat, gab anläßlich der seinerzeit vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. Oktober 1991 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme zu seinen Fluchtgründen befragt im wesentlichen an, er gehöre keiner Partei oder politischen Organisation an, er sei Kurde alevitischen Glaubens und sei in Kabayel Köyü in Tunceli aufgewachsen, wo er wie viele andere kurdische Jugendliche auch unterdrückt worden sei. Öfters hätten Gendarmen ihn angehalten und befragt, ob er Verstecke der kurdischen Freiheitskämpfer kenne, und er sei beschimpft worden, wenn er keine Auskunft habe geben können. Die Gendarmen seien zu allen Kurden sehr brutal gewesen. In Tunceli habe es auch sehr viele Anschläge gegeben, weshalb seine Eltern mit ihm im Jahr 1987 nach Erzincan übersiedelt seien, dort habe man ihn aber weiterhin unterdrückt. Da aus seinem Personalausweis hervorgehe, daß er aus Pülümür stamme, könne er seine kurdische Abstammung nicht verbergen. Die Sunniten in Erzincan hätten auch bald erkannt, daß er Alevite sei und hätten versucht, ihn zum Besuch der Moschee zu überreden. Er habe dort nicht mehr in Freiheit leben können. Zur Fastenzeit habe man auf der Straße nicht einmal Wasser trinken dürfen. Im März 1991 sei er, als er wieder einmal in Istanbul auf einer Baustelle gearbeitet habe, von der Polizei festgenommen und auf die Gendarmeriestation Halkali gebracht worden, wo man ihn 48 Stunden lang festgehalten habe, obwohl er sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Man habe ihn beschuldigt, mit kurdischen Untergrundorganisationen kooperiert zu haben. Dabei sei er auch geschlagen, jedoch anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Er wolle nicht mehr in der Türkei leben, weil dort für Kurden kein Platz sei.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Oktober 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In seiner fristgerecht dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im wesentlichen bekräftigend aus, er gehöre als Kurde einer Minderheit in der Türkei an, die seit Generationen verfolgt und aus den angestammten Gebieten vertrieben, deren Existenz sogar bis vor kurzem in der Türkei geleugnet worden sei. Die medienwirksame Ankündigung seitens des türkischen Präsidenten hätte keine Erleichterungen gebracht. Jede politische Betätigung in kurdischen politischen Gruppierungen bzw. der Verdacht einer solchen, ja sogar Kontakte zu Personen, die sich politisch betätigten, würden als Terrorismus verleumdet und entsprechend verfolgt. Er habe sich in seiner Heimat in keiner Weise politisch betätigt. Dennoch habe er sich wie alle Männer aus seinem Dorf einmal pro Woche bei der Polizei melden müssen, sei immer wieder Verhören unterzogen und im Falle des Verschweigens etwaiger Aktivitäten von kurdischen Untergrundorganisationen, denen er weder angehört habe noch angehöre und über welche er demnach auch nicht informiert gewesen sei, bedroht worden. Da kein Ende dieser Übergriffe, Verdächtigungen und ständigen Drohungen abzusehen gewesen sei, und er keine Möglichkeit gesehen habe, sich dagegen zur Wehr zu setzen, sei ihm nur die Möglichkeit zur Flucht geblieben, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16. März 1993 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Infolge der daraufhin erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0136, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,93/94) auf, wodurch das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig gemacht wurde.

Über Aufforderung der belangten Behörde erstattete der Beschwerdeführer in der Folge mit Schriftsatz vom 7. März 1995 eine Berufungsergänzung, in der er im wesentlichen Verfahrensfehler, insbesondere Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs und der Manuduktionspflicht rügt. Wäre er entsprechend belehrt worden, hätte er auch bereits in erster Instanz ein Vorbringen erstatten können, welches keinesfalls in Verbindung mit der von ihm später erhobenen Berufung als "ein sich steigerndes" Vorbringen hätte gewertet werden können. Grundsätzlich gestand der Beschwerdeführer zu, daß nicht die gesamte Glaubensgemeinschaft der Aleviten Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden hätte, dies jedoch keineswegs ausschließe, daß er im speziellen aus seiner Religionszugehörigkeit äußerst erhebliche Nachteile zu erleiden gehabt hätte. Auch die vorläufige Festnahme habe für ihn durchaus beängstigende Wirkung gehabt. Gerade diese "Polizeiübergriffe" seien ein wesentliches Instrument der türkischen Behörden zur Unterdrückung der kurdischen Minderheit. Tatsächlich handle es sich dabei um "Routinevorkommnisse", die allerdings so intensiv seien, daß sie jedes Mal in Bedrohung der körperlichen Integrität ausarteten und er (der Beschwerdeführer) weit härteres Vorgehen zu befürchten gehabt habe. Im übrigen wendete sich der Beschwerdeführer gegen den Vorhalt der belangten Behörde, er sei infolge seiner Durchreise durch Rumänien und Ungarn bereits in diesen Staaten gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 vor Verfolgung sicher gewesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wiederholte die belangte Behörde die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Begründend ging sie nach Wiedergabe der erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisse und Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen rechtlich im wesentlichen davon aus, die vom Beschwerdeführer relevierten Anhaltungen seitens der türkischen Behörden zwecks Befragung sowie die daran anschließenden Beschimpfungen stellten keine ausreichend gravierenden Eingriffe in die Grundrechte des Beschwerdeführers dar, um asylrelevant zu sein. Auch die eher pauschale, unsubstantiierte Behauptung, als Kurde und Alevite unterdrückt worden zu sein, reiche für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, weil nur konkrete, ausschließlich gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes von Relevanz sein könnten. Auch die Versuche von Sunniten, ihn zum Besuch der Moschee zu überreden, seien nicht erkennbar vom Staat initiiert, könnten daher auch nicht dem im AsylG 1991 angesprochenen Tatbestand zugrundegelegt werden. Im übrigen handle es sich dabei um Umstände eher marginaler Bedeutung. Seine lediglich 48 Stunden andauernde Inhaftierung im März 1991 und die Übergriffe in seine körperliche Integrität anläßlich dieser Anhaltung stünden in keinem ausreichenden zeitlichen Konnex mehr zu seiner Ausreise (im Oktober 1991). Es habe sich dabei überdies um ein singuläres Ereignis gehandelt, sodaß nicht davon auszugehen sei, daß er im Falle einer Rückkehr Unbill zu gewärtigen gehabt hätte. Im übrigen erachtete die belangte Behörde die Voraussetzung für die Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in den Ländern seiner Durchreise, nämlich Rumänien und Ungarn, letzteres betreffend unter Hinweis auf das "Gutachten vom 4. Juli 1994 des UNHCR", als gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Lediglich um Mißverständnisse zu vermeiden, sei vorweg darauf hingewiesen, daß die belangte Behörde im Sinn des § 25 Abs. 2 AsylG 1991 im Hinblick darauf, daß das Verfahren vor dem 1. Juni 1992, nämlich bereits im November 1991, bei ihr anhängig war, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf den vorliegenden Beschwerdefall zutreffend in Anwendung gebracht hat.

Offenbar unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, zu prüfen, ob einer der im § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994 genannten Fälle vorgelegen sei, auf Grund derer eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre. Dem ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde in ihrem Bescheid zwar lediglich die Feststellung trifft, daß keiner der in der genannten Gesetzesbestimmung angeführten Fälle vorliege, doch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß die belangte Behörde diese Feststellungen ohne vorherige Prüfung der Voraussetzungen getroffen hätte. Aus dem Akteninhalt ist nichts zu entnehmen, das darauf hinweisen würde, daß - ohne von der belangten Behörde beachtet worden zu sein - einer der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 vorliegt. Die in der Berufungsergänzung gerügten angeblichen Verfahrensfehler, auch in der Beschwerde neuerlich geltend gemacht, liegen entgegen der diesbezüglichen Meinung des Beschwerdeführers nicht vor. Insoweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Manuduktionspflicht rügt, ist ihm entgegenzuhalten, daß aus § 13a AVG eine Verpflichtung der Behörden nicht abgeleitet werden kann, einen Asylwerber, der - wie der Beschwerdeführer - lediglich Angaben macht, denen kein Hinweis auf eine asylrechtlich relevante gravierende Verfolgung zu entnehmen ist, anzuleiten, wie er seine Angaben konkret zu gestalten hat, um von Erfolg gekrönt zu werden (vgl. als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 30. November 1991, Zlen. 93/01/0800 bis 0803).

Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der vom Beschwerdeführer herangezogene § 16 AsylG 1991, der eine Konkretisierung der im § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG umschriebenen Ermittlungspflicht darstellt, die Behörde lediglich verpflichtet, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen; jedoch beinhalten diese gesetzlichen Aufträge nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, die Verpflichtung der Behörde, in geeigneter Weise nähere Ermittlungen anzustellen und/oder auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Es besteht hingegen keine Verpflichtung der Behörde, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln. Im übrigen gesteht der Beschwerdeführer selbst zu, daß Repressalien und Unterdrückung "zum Glück nicht geschlossen auf sämtliche Gruppenzugehörige" bezogen werden können. Der Beschwerdeführer selbst hat aber - insofern kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden - gegen ihn selbst gesetzte Maßnahmen von so erheblicher Intensität nicht geltend gemacht, daß dem Beschwerdeführer ein Weiterverbleib in seinem Heimatstaat unerträglich geworden wäre, wobei es zur Beurteilung der "Unerträglichkeit" nicht auf rein subjektives Empfinden des Einzelnen, sondern auf die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Situation ankommt. Weder Verhöre noch Drohungen noch kurzfristige Festnahmen rechtfertigen in der Regel, das heißt ohne Hinzutreten weiterer Umstände, die Annahme wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz und der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0257).

Da sohin der belangten Behörde darin beigepflichtet werden kann, daß dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 nicht zukommt, erübrigt es sich, darauf einzugehen, ob er vor Einreise in das Bundesgebiet in einem der Durchreisestaaten (im vorliegenden Fall Rumänien und Ungarn) bereits im Sinn des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 vor Verfolgung sicher gewesen ist.

Aus den oben dargelegten Gründen war die Beschwerde als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200267.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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