TE OGH 2022/3/16 2Ob175/21f

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Veröffentlicht am 16.03.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Axel Bauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Dr. Manfred Sommerbauer ua, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen 44.903,84 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Juni 2021, GZ 11 R 79/21z-66, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. März 2021, GZ 5 Cg 105/19a-50 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 16. März 2021, GZ 5 Cg 105/19a-51, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

         Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.221,02 EUR (darin 370,17 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]          Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichtes ist die Revision der klagenden Partei nicht zulässig. Die Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

Rechtliche Beurteilung

[2]            1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass die Klägerin bei Erklärung ihres Pflichtteilsverzichts im Jahr 1987 nicht geschäftsfähig war. § 865 ABGB ist in der Fassung vor dem 2. ErwSchG anzuwenden.

[3]            2. Ein von einem Geschäftsunfähigen abgeschlossenes Geschäft ist ohne Rücksicht auf seinen Inhalt absolut nichtig; die Willenserklärung erlangt auch nicht nachträglich dadurch Gültigkeit, dass sie der gesetzliche Vertreter oder der Geschäftsunfähige selbst nach gänzlicher oder teilweiser Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit genehmigen (RS0014652; RS0014653). Aufgrund ihrer absoluten Wirkung bedarf die Nichtigkeit keiner rechtsgestaltenden gerichtlichen Entscheidung (8 Ob 62/11t RS0014652 [T2]). Sie hängt daher nicht von einer Anfechtung ab (RS0014652 [T2]; 1 Ob 7/07x; vgl RS0014653) und kann folgerichtig auch keiner Verjährung unterliegen (vgl Bollenberger/Bydlinski in KBB6 § 865 Rz 3; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 865 Rz 24; Fischer-Czermak in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 865 Rz 11; Rummel in Rummel/Lukas ABGB4 § 865 Rz 3).

[4]            3. Von dieser Nichtigkeit als Rechtslage (vgl Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 865 Rz 25) sind Ansprüche auf Rückforderung bestimmter aus dem nichtigen Geschäft resultierender Vermögensverschiebungen zu unterscheiden. Dafür gelten die verjährungsrechtlichen Grenzen (vgl RS0127654, RS0033659).

[5]            4. In diesem Sinn ist auch die Entscheidung 3 Ob 201/10w zu verstehen, auch wenn dort – missverständlich – auf „die Anfechtung eines wegen Handlungsunfähigkeit eines der Vertragspartner nichtigen Vertrages“ Bezug genommen wurde (vgl Geroldinger JBl 2011, 182). Die Leistungsklage eines Schuldners war infolge Nichtigkeit eines Vertrags wegen seiner Geschäftsunfähigkeit auf die Löschung bücherlich einverleibter Pfandrechte gerichtet. Der in 3 Ob 201/10w zitierte Rechtssatz RS0034380 beruht auf der Entscheidung 8 Ob 255/68, die ihn allerdings in dieser Form nicht trägt, weil in ihr nur ausgesprochen wurde, dass der Anspruch (eines bei Vertragsabschluss Geschäftsunfähigen) auf Herausgabe der Bereicherung nicht in drei Jahren verjährt.

[6]            5. Die vom Berufungsgericht vertretene Meinung, dass hier eine Anfechtung des wegen Geschäftsunfähigkeit der Klägerin nichtigen Pflichtteilsverzichts aus dem Jahr 1987 nicht erforderlich war, entspricht daher der Rechtslage.

[7]            6. Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin entstand dagegen erst mit dem Tod des Vaters der Streitteile im Jahr 2018 (§ 765 Abs 1 ABGB; vgl RS0012843). Dass der Anspruch insofern nicht verjährt ist, bestreitet der Beklagte nicht.

[8]       7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Textnummer

E134600

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00175.21F.0316.000

Im RIS seit

04.05.2022

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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