TE OGH 2022/2/23 4Ob227/21t

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Veröffentlicht am 23.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.-Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka, Dr. Faber sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S* GmbH, *, 2. P* GmbH & Co KG, *, beide vertreten durch Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O* GmbH, *, vertreten durch Dr. Peter Burgstaller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 100.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 10. November 2021, GZ 4 R 177/21h-48, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Beklagte beantragte die Aufhebung der gegen sie am 19. 11. 2020 vom Erstgericht bzw am 21. 1. 2021 vom Rekursgericht erlassenen Einstweiligen Verfügung – der Oberste Gerichtshof hat im Verfahren über den dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Beklagten mit Beschluss vom 27. 5. 2021 zu 4 Ob 40/21t ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet –, weil seit der Erlassung der Sicherungsverfügung Umstände eingetreten seien, die dieser und deren Vollzug entgegenstünden. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs ergebe, sei die Rechtslage, die der Einstweiligen Verfügung zugrunde liege, ungewiss. Zudem sei im Hinblick auf die EuGH-Vorlage mit einer überlangen Dauer des Sicherungsverfahrens zu rechnen. Das Aufrechterhalten der (Vollstreckbarkeit der) Einstweiligen Verfügung für einen derart langen Zeitraum sei weder angemessen noch sachgerecht und mit Art 6 EMRK unvereinbar. Es bestehe weder ein besonderes Dringlichkeitsbedürfnis auf Seiten der Klägerinnen noch sei ein Aufrechterhalten der Einstweiligen Verfügung für weit mehr als jedenfalls zwei Jahre verhältnismäßig. Die Wirkung der vollstreckbaren Einstweiligen Verfügung sei vor allem deswegen unverhältnismäßig, weil das provisorische Verbot die betroffene geschäftliche Tätigkeit der Beklagten de facto unwiderbringlich beenden würde.

[2]            Die Vorinstanzen wiesen den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dem Vorbringen der Beklagten sei nicht zu entnehmen, warum und inwiefern sich die Gefahr der Vereitelung des durch die Einstweilige Verfügung gesicherten Anspruchs verringert habe oder überhaupt weggefallen sei. Für die Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen bleibe im Rahmen des § 399 EO kein Raum. Ein Befreiungsbetrag komme nicht in Frage, weil die Beklagte nur schwer beweisen könne, welcher Schaden ihr entstehe.

Rechtliche Beurteilung

[3]            In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs vermag die Beklagte keine (grobe) Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzuzeigen, die eine gegenteilige Sachentscheidung durch den Obersten Gerichtshof gebieten würde. Der Revisionsrekurs ist daher als nicht zulässig zurückzuweisen.

[4]            1. Das Rekursgericht hat das Vorliegen eines Verfahrensmangels der ersten Instanz wegen Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung verneint, sodass der behauptete Verfahrensmangel in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0042963).

[5]            2. Die Prüfung, ob ein Sachverhalt vorliegt, der einen Aufhebungs- oder Einschränkungsgrund im Sinne des § 399 Abs 1 EO bildet, hat ausschließlich an Hand der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung zu erfolgen; zu beurteilen ist also nur, in welchem Umfang sich die Gefahr der Vereitelung des durch die Provisorialmaßnahme gesicherten Anspruchs verringert hat bzw ob diese Gefahr allenfalls zur Gänze weggefallen ist. Für die Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen, wie dies die Beklagte wünscht, bleibt demnach im Rahmen des § 399 EO nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kein Raum (RS0110491).

[6]            3. Ein Befreiungsbetrag kann nur dann festgesetzt werden, wenn dies nach der Beschaffenheit des Falls zur Sicherung des Antragstellers genügt. Ein Unterlassungsanspruch kann regelmäßig nicht durch Gelderlag, sondern nur durch das einstweilige Verbot des beanstandeten Verhaltens gesichert werden (RS0005609). Diese Rechtsprechung ist auch auf urheberrechtliche Ansprüche anwendbar (vgl 17 Ob 5/11a zum Patentrecht).

[7]          4. Der von der Beklagten angezogene Aufhebungsgrund des § 399 Abs 1 Z 3 EO hat den Wegfall des Sicherungsbedürfnisses zur Voraussetzung (RS0111933). Ob nach dem Inhalt von Prozessbehauptungen Tatsachen als vorgebracht anzusehen sind, aus denen sich der Wegfall oder die Verminderung der Gefährdung ableiten lässt, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RS0042828). Da die Beklagte hier weder einen Wegfall, noch eine Verminderung des Sicherungsbedürfnisses der Klägerinnen schlüssig vorgetragen hat, ist die einen Aufhebungsgrund nach § 399 Abs 1 EO verneinende Rechtsansicht der Vorinstanzen jedenfalls vertretbar.

Textnummer

E134466

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00227.21T.0223.000

Im RIS seit

20.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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