TE OGH 2022/2/23 4Ob23/22v

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Veröffentlicht am 23.02.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka, sowie die Hofrätinnen Dr. Faber sowie Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* D*, vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. W* K*, wegen 139.310,16 EUR und Feststellung (Streitwert 30.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2021, GZ 5 R 86/21k-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Klägerin macht gegen den beklagten Rechtsanwalt Schadenersatzansprüche aus seiner anwaltlichen Vertretung bei der Durchsetzung ihrer erbrechtlichen Ansprüche geltend. Sie begehrt zum einen die Zahlung von 139.310,16 EUR (frustrierte Prozesskosten) und zum anderen die Feststellung, dass ihr der Beklagte für den Schaden aus nicht gehöriger Geltendmachung ihres Pflichtteilanspruchs in erst festzustellender Höhe dem Grunde nach haftet. Die Klägerin stützt die behauptete Schlechtvertretung vor allem auf den Umstand, dass die Erhebung einer Klage nach Art XLII Abs 1 zweiter Fall EGZPO gegen die Erbin unterblieben sei. Aufgrund der unterlassenen Durchsetzung des Manifestationsanspruchs sei der dem Feststellungsbegehren zugrundeliegende und bereits entstandene Schaden nicht bezifferbar.

[2]            Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren mit Teilurteil ab. Es fehle jegliches Vorbringen zum Eintritt eines konkreten Schadens, der darauf zurückzuführen sei, dass der Beklagte die Geltendmachung eines Manifestationsanspruchs unterlassen habe.

[3]            Das Berufungsgericht gab der Berufung gegen dieses Teilurteil nicht Folge. Es hielt ua fest, dass eine Feststellungsklage dann unzulässig sei, wenn der Kläger seinen Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen könne. Ein rechtliches Interesse liege nicht vor, wenn der Geschädigte die Höhe eines bereits eingetretenen Schadens durch naheliegende zweckmäßige Maßnahmen vor einem Leistungsprozess ermitteln könne. Die Klägerin habe ihr Feststellungsbegehren nicht auf einen zukünftig eintretenden Schaden gestützt. Vielmehr werde die Feststellung der Ersatzpflicht für jenen Schaden angestrebt, der infolge Verjährung des Manifestationsanspruchs bereits eingetreten sein soll. Die Klägerin habe bereits im Pflichtteilsverfahren ihre Pflichtteilsansprüche konkret beziffert. Mit Blick auf die unzureichenden Beweisergebnisse aus diesem Verfahren gehe sie davon aus, sie werde den von ihr nun behaupteten Schaden auch im Verfahren gegen den Beklagten nicht unter Beweis stellen können. Allein die von ihr geltend gemachten Unsicherheiten der Beweisbarkeit des Schadenseintritts vermögen das Feststellungsinteresse aber nicht zu rechtfertigen. Die Klägerin hätte ihren Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen können.

[4]            In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision der Klägerin wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

[5]            1. Entgegen dem Rechtsmittel hat die Judikatur die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen im Sinne der Entscheidung des Berufungsgerichts bereits geklärt.

[6]            2.1 Eine Feststellungsklage ist in der Regel dann unzulässig, wenn der Kläger seinen Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen kann (RS0038817). Die Möglichkeit der Leistungsklage verdrängt bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage (RS0038849).

[7]            2.2 Unsicherheiten über die Bewertung des Anspruchs vermögen ein Feststellungsbegehren nicht zu rechtfertigen (6 Ob 154/06z). Kann der Geschädigte die Höhe eines bereits eingetretenen und ihm dem Grunde nach bekannten Schadens durch naheliegende zweckmäßige Maßnahmen, deren Kosten in einem Leistungsprozess als vorprozessuale Kosten ersatzfähig sind, ermitteln, und müssen solche Maßnahmen vor Einbringung einer Leistungsklage, gleichviel ob vorher ein Feststellungsurteil ergangen ist oder nicht, jedenfalls ergriffen werden, um einen bereits eingetretenen Schaden beziffern zu können, so ist dem Geschädigten ein rechtlich schutzwürdiges Interesse auf alsbaldige Feststellung lediglich der Haftung des in Anspruch genommenen Ersatzpflichtigen für den geltend gemachten Schaden abzusprechen. Er muss vielmehr Maßnahmen ergreifen, um auf diese Weise die Voraussetzung für die Schadensbezifferung in einer Leistungsklage zu schaffen (RS0118968).

[8]            3.1 Während im Normalfall davon auszugehen ist, dass ein bereits entstandener (eingetretener) Schaden auch beziffert werden kann, sodass eine Leistungsklage möglich ist, gibt es durchaus Sachverhalte, in denen ausnahmsweise trotz bereits eingetretenen Schadens die (alleinige) Feststellungsklage zulässig ist (3 Ob 72/20i). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein rechtliches Interesse auch bei einem bereits eingetretenen Schaden bejaht werden kann, wenn dieser noch nicht bezifferbar ist (RS0018668 [T4], RS0127761, RS0120784).

[9]            3.2 Das liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn ein Schaden der Höhe nach vor allem wegen zukünftiger Entwicklungen noch nicht abschätzbar ist (6 Ob 239/20w). Bei Eintritt eines Primärschadens geht die Rechtsprechung etwa dann von der fehlenden Bezifferbarkeit des Gesamtschadens aus, wenn zukünftig noch Folgeschäden eintreten können (RS0097976). Fehlende Bezifferbarkeit eines Geldanspruchs bejahte die Rechtsprechung auch im Fall einer fehlerhaften Anlegeberatung, wenn der (bereits) Geschädigte das Erworbene noch hat (RS0127761). Entsprechendes gilt für einen Schadenersatzanspruch im Zusammenhang mit Kapitalanlagen, wenn erst nach zukünftigen Ausschüttungen feststehen wird, inwieweit letztlich ein Schaden erlitten wurde (1 Ob 187/08v [Amtshaftung], 5 Ob 262/01t [Haftung des Bilanzprüfers]).

[10]           3.3 Die Beantwortung der Frage, ob ein eingetretener Schaden bereits bezifferbar ist, hängt naturgemäß von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Entscheidung des Berufungsgerichts orientiert sich dabei an der aufgezeigten Rechtsprechung. Die Bezifferbarkeit wurde jedenfalls vertretbar bejaht.

[11]           3.3.1 Auch das zentrale Argument des Berufungsgerichts, dass allein die fehlende Beweisbarkeit oder eine unzulängliche Beweislage die ziffernmäßige Bestimmung des Schadens nicht hindere, entspricht der bisherigen Rechtsprechung. In der Judikatur wurde etwa das rechtliche Interesse an der Feststellung der Schadenersatzpflicht verneint, wenn ein Schaden zwar eingetreten, aber nicht nachweisbar ist (4 Ob 36/13t mwN). Der zitierten Entscheidung lag das (erfolglose) Vorbringen der klagenden Partei zugrunde, dass sie ein Leistungsbegehren mangels Rechnungslegung sowie mangels Kenntnis oder Nachweismöglichkeit weiterer schadensbegründender Handlungen ziffernmäßig noch nicht geltend machen könne. Im Fall von Gewährleistungsansprüchen verneinte der Oberste Gerichtshof das rechtliche Interesse an der Feststellung eines konkreten Gewährleistungsanspruchs, wenn Art und Umfang der Mängel bekannt sind und nur die Kenntnis der Höhe der Verbesserungskosten oder des objektiven Werts der Leistung ohne Mangel und mit Mangel zur Berechnung des Preisminderungsanspruchs fehlen (3 Ob 227/05m mwN).

[12]           3.3.2 Zudem verwies das Berufungsgericht ausdrücklich darauf, dass die Klägerin jene Vermögenswerte, deren Berücksichtigung sie bei der Pflichtteilsbemessung vergeblich begehrte, bereits im Pflichtteilsverfahren konkret bezifferte. Dem tritt das Rechtsmittel nicht entgegen.

[13]           3.4 Schließlich setzt ein Feststellungsbegehren voraus, dass die klagende Partei ihr Feststellungsinteresse begründet und darlegt, weshalb ihr die an sich mögliche Leistungsklage im konkreten Fall nicht zumutbar ist (RS0127761 [T1]).

[14]           3.4.1 Die Klägerin führte dazu im erstinstanzlichen Verfahren aus, dass sie durch eine urteilsgemäße Feststellung der Haftung des Beklagten das privatrechtliche Interesse (iSd Art XLII Abs 2 EGZPO) als Grundlage für die Erhebung eines Manifestationsanspruchs gegenüber der Erbin erlange. Nach erfolgreicher Geltendmachung dieses Manifestationsanspruchs werde die Klägerin in der Lage sein, den Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beklagten zu beziffern.

[15]           3.4.2 Die Vorinstanzen haben dem entgegengehalten, dass das Feststellungsurteil nur zwischen den Parteien wirke und sich die Bindungswirkung damit nicht auf ein Verfahren der Klägerin gegen die Erbin erstrecke. Das entspricht gesicherter Rechtsprechung (RS0041572 [T2]). Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass das privatrechtliche Interesse im Manifestationsprozess daher unabhängig vom Bestand eines Feststellungsurteils gegen den Beklagten zu prüfen sei, bedarf das daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[16]           3.4.3 Die Ausführungen im Rechtsmittel, dass der Klägerin eine Manifestationsklage gegen die Erbin nicht zumutbar sei, widersprechen dem Neuerungsverbot (und dem bisherigen Vorbringen, vgl Punkt 3.4.1).

[17]           4. Der behauptete Widerspruch des Berufungsurteils zu den im Rechtsmittel angeführten Entscheidungen kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.

[18]           4.1 Bei der Entscheidung 7 Ob 89/20v ging es ua darum, dass bei einem Schadenersatzanspruch wegen schuldhaft unterlassener Prozesshandlung eines Rechtsanwalts der Prozess hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen sei, wie er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte, wenn die Prozesshandlung vorgenommen worden wäre. Fragen zum Feststellungsinteresse waren hingegen nicht zu klären, sodass die Entscheidung für die gegenständliche Rechtssache nicht einschlägig ist.

[19]           4.2 Die Entscheidung 6 Ob 206/02s betraf ebenfalls nicht § 228 ZPO, sondern die Voraussetzungen für einen Anspruch nach Art XLII EGZPO. Dieser steht demnach grundsätzlich jedem zu, der gegen einen ihm materiellrechtlich zur Auskunftserteilung Verpflichteten ein bestimmtes Leistungsbegehren nur mit erheblichen Schwierigkeiten, die durch eine solche Bekanntgabe beseitigt werden können, erheben kann, wenn dem Verpflichteten diese Auskunft nach redlicher Verkehrsübung zumutbar ist. Daran anknüpfend hielt der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 147/06b fest, dass der in Art XLII EGZPO gewährte Anspruch gerade die Schwierigkeiten bei der Erhebung eines Leistungsbegehrens beheben soll, wenn eine Bezifferung des Anspruchs nicht möglich ist. Der Umstand, dass das Berufungsgericht im Anlassfall die Bezifferbarkeit eines Schadens bejaht, steht nicht im Widerspruch zu den allgemeinen Aussagen der beiden Entscheidungen.

[20]           5. Der Vorwurf der Aktenwidrigkeit wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[21]     6. Da die Klägerin in ihrem Rechtsmittel somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, war die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Textnummer

E134457

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00023.22V.0223.000

Im RIS seit

20.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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