TE OGH 2021/11/25 9Ob52/21v

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. * S*, 2. * P*, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Max Leitner, Dr. Mara-Sophie Häusler ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei * H*, vertreten durch Mag. Yvonne Klein, Rechtsanwältin in Pettendorf, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. R* AG, *, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. C* GmbH in Liqu., *, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert, Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 1. 85.389,04 EUR sA, 2. 173.452,38 EUR sA, und Feststellung (Streitwert: 1. 17.950 EUR, 2. 25.450 EUR), über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. April 2021, GZ 13 R 107/20f-30, mit dem den Berufungen der beklagten Partei und der Erstnebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei gegen das Zwischen- und Teilurteil des Landesgerichts Krems/Donau vom 25. März 2020, GZ 6 Cg 102/18m-23, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, dass das Begehren der klagenden Parteien,

I. die beklagte Partei sei schuldig,

1. der erstklagenden Partei binnen 14 Tagen 85.389,04 EUR samt 4 % Zinsen gemäß der Zinsstaffel I. Band ON 17 AS 396–398 Zug um Zug gegen das Angebot auf Abgabe sämtlicher Erklärungen, die dafür nötig sind, ihre Rechte aus den Treuhandschaften über die Beteiligungen an der E* GmbH & Co KG, N* GmbH & Co KG, B* mbh & Co KG, N* GmbH & Co KG, L* GmbH & Co KG, V* GmbH & Co KG, H* GmbH & Co KG, H* GmbH & Co KG an die Beklagte zu übertragen,

2. der zweitklagenden Partei binnen 14 Tagen 173.452,38 EUR samt 4 % Zinsen gemäß der Zinsstaffel I. Band ON 17 AS 399–401 Zug um Zug gegen das Angebot auf Abgabe sämtlicher Erklärungen, die dafür nötig sind, ihre Rechte aus den Treuhandschaften über die Beteiligungen an der E* GmbH & Co KG, N* GmbH & Co KG, B* mbh & Co KG, N* GmbH & Co KG, L* GmbH & Co KG, V* GmbH & Co KG, H* GmbH & Co KG, H* GmbH & Co KG, L* GmbH & Co KG, D* GmbH & Co KG an die Beklagte zu übertragen,

II. zwischen den Streitteilen werde festgestellt, dass die beklagte Partei

1. der erstklagenden Partei für alle Schäden ersatzpflichtig ist, die aus der am 11. 3. 2004 eingegangenen Beteiligung an der E* GmbH & Co KG, der am 29. 12. 2005 eingegangenen Beteiligung an der N* GmbH & Co KG, der am 21. 4. 2006 eingegangenen Beteiligung an der B* mbh & Co KG, der am 18. 1. 2007 eingegangenen Beteiligung an der N* GmbH & Co KG, der am 22. 11. 2007 eingegangenen Beteiligung an der L* GmbH & Co KG, der am 22. 7. 2009 eingegangenen Beteiligung an der V* GmbH & Co KG, der am 30. 4. 2010 eingegangenen Beteiligung an der H* GmbH & Co KG und der am 14. 6. 2013 eingegangenen Beteiligung an der H* GmbH & Co KG entstehen,

2. der zweitklagenden Partei für alle Schäden ersatzpflichtig ist, die aus der am 11. 3. 2004 eingegangenen Beteiligung an der E* GmbH & Co KG, der am 29. 12. 2005 eingegangenen Beteiligung an der N* GmbH & Co KG, der am 21. 4. 2006 eingegangenen Beteiligung an der B* mbh & Co KG, der am 18. 1. 2007 eingegangenen Beteiligung an der N* GmbH & Co KG, der am 22. 11. 2007 eingegangenen Beteiligung an der L* GmbH & Co KG, der am 22. 7. 2009 eingegangenen Beteiligung an der V* GmbH & Co KG, der am 30. 4. 2010 eingegangenen Beteiligung an der H* GmbH & Co KG, der am 30. 4. 2010 eingegangenen Beteiligung an der D* GmbH & Co KG der am 3. 1. 2012 eingegangenen Beteiligung an der L* GmbH & Co KG und der am 14. 6. 2013 eingegangenen Beteiligung an der H* GmbH & Co KG entstehen,

abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung wird dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Die (Erst-)Klägerin und der (Zweit-)Kläger zeichneten in den Jahren 2004 bis 2013 über Beratung des Beklagten 8 (Klägerin) bzw 10 (Kläger) Beteiligungen an geschlossenen Fonds („H*“ ua), die in der Rechtsform einer GmbH & Co KG emittiert wurden. Das Ziel der Kläger war es, Erträge zu erzielen, die höher waren als bei sicheren Anlagen wie Sparbüchern. Sie wollten auch die Substanz langfristig wahren, waren aber bereit, für ihre Ertragserwartungen auch Eigenschaften der Produkte in Kauf zu nehmen, die vorsichtigere Anleger von einem Erwerb abhalten würden.

[2]            Der Beklagte war seit 2002 selbständiger Vermögensberater und übernahm die Kläger als Kunden der G* GmbH zur Betreuung. Den übernommenen Unterlagen konnte er entnehmen, dass die Kläger Anlagen mit einem hohen Risiko gezeichnet hatten. Er trat 2003 erstmals an die Kläger heran.

[3]            Mit ihrer am 28. 9. 2018 eingebrachten Klage begehren die Kläger zuletzt vom Beklagten 85.389,04 EUR sA (Klägerin) bzw 173.452,38 EUR sA (Kläger) Zug um Zug gegen das Angebot, alle notwendigen Erklärungen abzugeben, um die Rechte aus den Treuhandschaften, über die die Beteiligungen gehalten werden, an den Beklagten zu übertragen, sowie die sinngemäße, mit 17.950 EUR (Klägerin) bzw 25.450 EUR (Kläger) bewertete Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Ansprüche, die gegen ihn im Zusammenhang mit den Beteiligungen zukünftig noch gegen sie geltend gemacht werden.

[4]            Zusammengefasst stützen die Kläger ihre Ansprüche auf den Vorwurf der Fehlberatung betreffend die Verharmlosung des Totalverlustrisikos, die Rückforderbarkeit der Ausschüttungen („Ausschüttungsschwindel“), die Gefahr der Kommanditistenhaftung, hohe Weichkosten, Blind-Pool-Beteiligungen, die Bindung von ¾ ihres Vermögens in geschlossenen Fonds (Klumpenrisiko), ein Mehrverlustrisiko infolge von Steuern und Steuerberatungshonoraren, die Laufzeit sowie verschwiegene (zusätzlich zum offengelegten Agio lukrierte) Kick-Back-Provisionen.

[5]            Der Beklagte und die Nebenintervenientinnen bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ua Verjährung ein.

[6]            Das Erstgericht sprach in einem Zwischen- und Teilurteil aus, dass die Zahlungsbegehren wegen unzureichender Beratung über das Totalverlustrisiko, den „Ausschüttungsschwindel“, die Gefahr der Kommanditistenhaftung, die Umstände der Ausschüttung des Auseinandersetzungsguthabens, insbesonders die Ratenzahlung und die Stundungsmöglichkeit, dem Grunde nach zu Recht bestehen und stellte fest, dass der Beklagte den Klägern für alle Schäden aus den verfahrensgegenständlichen Beteiligungen haftet. Ob die übrigen Beratungsfehler vorlägen, könne dahingestellt bleiben. Ein Mitverschulden der Kläger liege nicht vor. Die Ansprüche seien nicht verjährt.

[7]            Das Berufungsgericht gab den dagegen erhobenen Berufungen der Beklagten und der Erstnebenintervenientin Folge, hob das angefochtene Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Rechtlich gelangte es zu dem Ergebnis, dass die drei – entsprechend der Trennungsthese hinsichtlich der Verjährung gesondert geprüften – Beratungsfehler Verharmlosung des Totalverlustrisikos, Ausschüttungsschwindel und Kommanditistenhaftung verjährt seien. Die Rechtssache sei aber noch nicht entscheidungsreif, weil vom Erstgericht keine Feststellungen getroffen worden seien, die eine Beurteilung der weiteren behaupteten Sorgfaltsverstöße und deren Verjährung zuließen. Sie beträfen die fehlende Aufklärung über die Höhe der Weichkosten (Vertriebs- und Marketingkosten), die teilweise Ausgestaltung der Anlagen als Blind-Pool-Beteiligungen, die Unvertretbarkeit der Veranlagung von 72 % des Vermögens der Kläger in geschlossenen Fonds und das Entstehen von Steuern und Steuerberatungshonoraren. Dagegen hätten die Kläger die Anspruchsgrundlage dafür, dass der Beklagte Kick-Back-Zahlungen verschwiegen habe, nicht bewiesen. Die Negativfeststellung zum Erhalt solcher Zahlungen durch den Beklagten sei von den Klägern nicht bekämpft worden. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil noch keine gesicherte Rechtsprechung bestehe, ob die Sorgfaltsverstöße eines Anlageberaters, auf die die Kläger ihr Klagebegehren zusätzlich stützen, verjährungsrechtlich einheitlich oder der „Trennungsthese“ folgend eigenständig verjähren. Insbesondere fehle Judikatur des Obersten Gerichtshofs dazu, ob die Sorgfaltsverstöße der fehlenden Belehrung über die „Blind-Pool-Beteiligung“, die Bindung von rund ¾ des Vermögens der Anleger in einem geschlossenen Fonds (Klumpenrisiko) und die weiteren Kosten wegen Steuern und Steuerberatungshonoraren einer eigenen Verjährung unterliegen.

[8]            In ihrem dagegen gerichteten Rekurs beantragen die Kläger die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zwischen- und Teilurteils; in eventu, dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung unter Berücksichtigung der Beurteilung, dass die geltend gemachten Beratungsfehler jeweils eigenständige Aufklärungsfehler darstellten, aufzutragen.

[9]            Der Beklagte beantragt, den Beschluss im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern; in eventu, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

[10]           Die Erstnebenintervenientin beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben, die Zweitnebenintervenientin beantragt, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11]           Der Rekurs der Kläger ist zulässig und im Sinn einer Abänderung des Aufhebungsbeschlusses berechtigt.

[12]           I.1. Entgegen der von der Beklagten und den Nebenintervenientinnen in deren Rekursbeantwortungen vertretenen Ansicht ist der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss nicht absolut unzulässig, da die Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts verfahrensgegenständlich ist (vgl RS0125396).

[13]           I.2. Da § 519 Abs 2 ZPO bei Spruchreife die Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts über die Berufung an den Obersten Gerichtshof devolviert, liegt kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vor, wenn dem Rekurs der Kläger gegen den Aufhebungsbeschluss infolge Spruchreife stattgegeben, aber über die Berufung des Beklagten das Urteil erster Instanz abgeändert und das Klagebegehren abgewiesen wird (RS0043853).

[14]           II.1. Inhaltlich machen die Kläger zunächst geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht nicht auf ihre Kenntnis des gesamten anspruchsbegründenden Sachverhalts abgestellt und habe ihre Erkundigungsobliegenheiten überspannt.

[15]           Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit Kenntnis von Schaden und Schädiger. Bloßes Kennen-Müssen reicht daher grundsätzlich nicht aus (RS0034366 [T3, T6]). Die Kenntnis des Schädigers muss so weit gehen, dass eine Klage gegen ihn mit Aussicht auf Erfolg eingebracht werden kann (RS0034686, RS0034524).

[16]     Von der Rechtsprechung wird aber in gewissem Maß eine Erkundigungsobliegenheit angenommen, wenn der Geschädigte die für die erfolgsversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann (RS0034524; RS0034366 [T20, T26]). Die Erkundigungsobliegenheiten dürfen zwar nicht überspannt werden. Eine Erkundigungsobliegenheit wird aber angenommen, wenn konkrete Verdachtsmomente, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden, vorliegen (RS0034327 [T21, T42]).

[17]     Ein geschädigter Anleger kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er ihm übersandte Mitteilungen, aus denen sich weitere Erkundigungsobliegenheiten ergeben, nicht gelesen habe. Entscheidend ist der Zugang solcher Mitteilungen, nicht die Kenntnisnahme vom Inhalt derselben. Anderes gilt für Geschäftsberichte, wenn der Anleger keinen Grund zum Misstrauen gegenüber dem Berater und zu Nachforschungen hatte. Komplexe Rechenschaftsberichte genügen grundsätzlich nicht, um Erkundigungsobliegenheiten auszulösen. Anleger, die an sie übermittelte Unterlagen ignorieren und damit in eigenen Angelegenheiten nicht sorgfältig sind, sollen nicht besser gestellt sein als solche, die die Unterlagen lesen. Dies gilt jedenfalls, wenn es sich nicht um umfangreiche Geschäftsberichte handelt (7 Ob 95/17x mwN der Rspr).

[18]           Hier ging das Berufungsgericht davon aus, dass schon mit dem Schreiben vom 12. 12. 2012 (Beil ./NI 143) Erkundigungsobliegenheiten der Kläger ausgelöst wurden. In dem Schreiben wird für den Fall des Scheiterns einer ins Auge gefassten Kapitalerhöhung das Drohen der Insolvenz der Gesellschaft, verbunden mit einem Zwangsverkauf der Schiffe, mitgeteilt. In diesem Fall würde der Insolvenzverwalter an die Gesellschafter herantreten und die bisher geleisteten, nicht gewinndeckenden Auszahlungen von ihnen zurückfordern. Die Schreiben vom 16. 10. 2014 (Beil ./NI 178, 179) enthielten einen Kurzreport und den „Ausblick“: „Sollte die finanzierende Bank das Darlehen nicht verlängern, könnte dies die Zahlungsunfähigkeit der Fondsgesellschaft nach sich ziehen. Sie müssen dann damit rechnen, dass die Gläubiger der Fondsgesellschaft, insbesondere die finanzierende Bank, die Rückzahlung der an Sie geleisteten Auszahlungen von bis zu 56,75 % verlangen können!“ (s zB auch das Schreiben vom 13. 2. 2015, Beil ./NI 89).

[19]           Die Beurteilung, dass diese Schreiben geeignet waren, Zweifel an der Richtigkeit der Beratung des Beklagten und weitere Erkundigungsobliegenheiten auszulösen, ist nicht zu beanstanden. Wie vom Berufungsgericht ausgeführt, werden dadurch jedenfalls Zweifel daran geweckt, dass die bisherigen Ausschüttungen eine bloße Verzinsung der von den Klägern geleisteten Kommanditeinlagen sein konnten, weil Auszahlungen sonst nicht zurückgefordert werden könnten und sie daher keine Teilhabe am geschäftlichen Erfolg sein konnten. Berücksichtigt man weiter, dass der Beklagte nach den Feststellungen bereits infolge des Schreibens ./NI ./143 den Eindruck gewonnen hatte, dass eine Beteiligungsgesellschaft wesentliche wertrelevante Umstände verschwiegen hatte, es vielleicht auch Managementfehler gegeben habe, er seinen Kunden empfahl, sich an den VKI zu wenden und ihnen auch mitteilte, aufgrund seiner Recherchen das Vertrauen in die klagsgegenständlichen Produkte verloren zu haben, so ist nicht ersichtlich, warum die Kläger ohne Gefahr eines beginnenden Anspruchsverlusts gegenüber dem Beklagten nicht aktiv werden mussten, wenn sie ihm in Hinblick auf die Risiken aus der Art der Veranlagung eine Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten vorwerfen. Erkundigungsobliegenheiten der Kläger wurden hier nicht überspannt.

[20]           II.2. Aus den Verjährungsverzichten des Beklagten vom 12. 6. 2018 und 25. 6. 2018, die bis 30. 6. 2018 bzw 30. 8. 2018 gelten sollten, ist für die Kläger nichts zu gewinnen, weil sie sich nur auf Ansprüche bezogen, die zur Zeit der Erklärung noch nicht verjährt waren.

[21]           II.3. Beschwichtigungen des Beklagten, die die Kläger davon abgehalten hätten, ihren Schaden früher geltend zu machen, gehen aus den Feststellungen nicht hervor. Die genannte Mitteilung des Beklagten an die Kläger lässt sich nicht als Beschwichtigungsversuch des Beklagten (vgl RS0087615 [T12], RS0014838 [T17, T18]) dahin verstehen, sie von der Geltendmachung von gegen ihn gerichteten Ansprüchen aus vermeintlichen Aufklärungsfehlern abzuhalten.

[22]            II.4. Zu den Ausführungen der Kläger im Rekurs zur Trennungsthese (Pkt 2.4.) ist zunächst auf die Grundsätze der Rechtsprechung zu verweisen:

[23]           Die Verjährung bezieht sich auf den – ähnlich dem Streitgegenstand – jeweils geltend gemachten Anspruch. Ein Anspruch wird durch die zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen konkretisiert. Stützen die Kläger daher ihr Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten, liegen in Wahrheit mehrere Ansprüche vor, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu behandeln sind (RS0039255 [T11], 7 Ob 95/17x). Verwirklichen sich in Anlegerhaftungsfällen mehrere Risiken, über die getrennt aufzuklären gewesen wäre, ist auch die Verjährung getrennt zu beurteilen („Trennungsthese“). Eine gesonderte verjährungsrechtliche Prüfung setzt voraus, dass der behauptete Beratungsfehler eine eigenständige, den geltend gemachten Anspruch begründende Pflichtverletzung bildet. Die Beurteilung, ob die mangelhafte oder fehlende Aufklärung über einen Umstand eine eigenständige, von anderen abgrenzbare Pflichtverletzung oder bloß ein Aspekt und unselbständiger Bestandteil einer einzigen Pflichtverletzung ist, hat in erster Linie nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Weist die unterbliebene Aufklärung über einen Umstand einen engen inhaltlichen Bezug zu einer ebenfalls unterbliebenen oder fehlerhaften Aufklärung über einen anderen Umstand auf, rechtfertigt es dieser Zusammenhang, beide Aufklärungsfehler zu einem einheitlichen Beratungsfehler zusammenzufassen. Es liegen dann nicht mehrere getrennte, sondern nur ein einheitlicher Beratungsfehler mit einzelnen verschiedenen Aspekten vor. Die Eigenständigkeit einer Pflichtverletzung kann sich (aber auch) aus den äußeren Umständen ergeben, wenn die fehlerhafte Beratung auf mehreren selbständigen Handlungen beruht und daher nicht mehr als ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen ist (RS0050355 [T10, T12]; RS0039255 [T9, T11]). Daran wurde auch zuletzt festgehalten (zB 4 Ob 94/17b; 6 Ob 255/20y).

[24]           II.5. Die Kläger sehen einen eigenständigen Aufklärungsfehler im Verschweigen der hohen Weichkosten, wozu es noch ergänzender Feststellungen des Erstgerichts bedürfe. Es entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung, dass das Unterbleiben einer erforderlichen Aufklärung über „Weichkosten“ im Verhältnis zum Risiko des Totalverlusts grundsätzlich nicht als eigener abgrenzbarer Aufklärungsfehler zu qualifizieren ist, weil erhebliche „Weichkosten“ die Werthaltigkeit des Investments beeinflussen (6 Ob 118/16w; 4 Ob 94/17b; 7 Ob 95/17x; 4 Ob 8/18g; 6 Ob 255/20y). Auch dieser Aspekt der Werthaltigkeit ist jedenfalls dann verjährt, wenn die Natur der Veranlagung oder die Wertlosigkeit der Investition insgesamt nicht mehr releviert werden können (4 Ob 94/17b). Da insoweit von keinem gesonderten Beginn der Verjährungsfrist auszugehen ist, bedarf es dazu auch keiner ergänzenden Feststellungen.

[25]            II.6. Als weiteren Beratungsfehler machen die Kläger geltend, dass sie nicht konkret darüber aufgeklärt worden seien, dass nach den Vertragsbedingungen die Zahlung aus dem Auseinandersetzungsguthaben in drei jährlich fälligen Raten ausgezahlt werden könnte, die unter Umständen gestundet werden müssten.

[26]     Ob darüber gesondert aufgeklärt hätte werden müssen, kann aber dahingestellt bleiben, weil auch ein auf einem solchen Aufklärungsfehler beruhender Ersatzanspruch jedenfalls verjährt ist:

[27]     Hier war den Klägern bewusst, dass sie eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung mit der Möglichkeit des Totalverlusts erwerben, die Fondsgesellschaften auf unbestimmte Zeit errichtet waren, mit der Veranlagung keine fixe Laufzeit verbunden war, aber eine konkrete Beendigungsmöglichkeit durch Kündigung bestand. Schon in der Entscheidung 7 Ob 95/17x wurde ausgesprochen, dass die nachfolgende Art der Auseinandersetzung die Werthaltigkeit der Beteiligung beeinflusst. Eine unrichtige Aufklärung über die damit verbundene konkrete Beendigungsmöglichkeit wurde dort neben Aufklärungsfehlern über die Natur der Veranlagung nicht als eigenständiger Aufklärungsfehler angesehen. Die Modalitäten über die Auszahlung eines allfälligen Auseinandersetzungsguthabens stehen aber nicht weniger bei bekannter Möglichkeit der Beendigung der Beteiligung durch Kündigung in so einem engen inhaltlichen Zusammenhang, dass auch insoweit nicht von einem getrennten Beratungsfehler ausgegangen werden könnte.

[28]            II.7. Die Kläger sehen weiter einen eigenständigen Beratungsfehler in der unterbliebenen Aufklärung darüber, dass es sich bei mehreren Veranlagungsprodukten um sogenannte „Blind-Pool-Beteiligungen“ gehandelt habe. Bei diesen stehe zum Investitionszeitpunkt noch nicht fest, in welche Objekte überhaupt investiert werden solle. Der Anleger könne sich kein abschließendes Bild über die endgültige Zusammensetzung des Beteiligungsportfolios machen.

[29]     Feststellungen dazu liegen nicht vor. Sie sind aber auch nicht erforderlich: Sollte den Klägern kein bestimmter Investitionsgegenstand genannt worden sein, ist zunächst nicht ersichtlich, worauf sie insofern vertrauten. Ungeachtet dessen würde das Blind Pooling die Ausgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit der Fondsgesellschaft als solche betreffen, wodurch, wie die Kläger vorbringen (ON 11 S 10), die Risikogeneigtheit der Veranlagung als solche beträchtlich erhöht würde. Da dieser Umstand aber gerade deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Qualität der Beteiligung zu sehen wäre, könnte auch diesbezüglich von keinem eigenständigen Beratungsfehler ausgegangen werden.

[30]            II.8. Die Kläger berufen sich auch auf einen Beratungsfehler über ein Klumpenrisiko. Das Berufungsgericht habe Rechtsprechung zur Frage vermisst, ob der Umstand, dass ein erheblicher Anteil des Gesamtvermögens der Kläger, in concreto 72 %, in geschlossene Fonds angelegt würde, einen eigenständigen Beratungsfehler darstelle. Dabei handle es sich um eine von den konkreten Eigenschaften der Produkte abgekoppelte Frage, es gehe um das Gesamtanlagekonzept und die Übereinstimmung der gewählten Produkte mit diesem.

[31]     Diesbezüglich brachten die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren lediglich vor, der Beklagte habe ihnen in so hohem Ausmaß zum Abschluss von Beteiligungen geraten, dass sie am Ende der Beratungstätigkeit rund 72 % ihres Vermögens in geschlossenen Fonds veranlagt gehabt hätten. Eine derartige Beratung sei unvertretbar, insbesondere bei Anlegern, die zur Altersvorsorge anlegen wollten (Protokoll ON 20 S 1 = AS 501). Es steht nicht fest, dass die Kläger dem Beklagten kommuniziert hatten, eine Veranlagung zur Altersvorsorge zu wünschen. Es steht aber fest, dass ihnen erklärt wurde, dass es sich bei den Veranlagungen um ein hohes Risiko handle. Welchen Anteil an ihrem Vermögen die Investitionen hatten, konnten die Kläger selbst erkennen. Sollten sie mit Klumpenrisiko auf den Umstand Bezug nehmen, dass die geschilderten Probleme möglicherweise alle ihre Produkte betreffen, würde es sich um keine von den Eigenschaften der Produkte abgekoppelten Fragen handeln. Ein eigenständiger Beratungsfehler zu einem „Klumpenrisiko“ ist hier nicht ersichtlich.

[32]            II.9. Die Kläger bringen schließlich zur Frage, ob die fehlende Belehrung über weitere Kosten wegen Steuern und Steuerberatungshonoraren einen eigenständigen Beratungsfehler begründet, vor, dass bei den gegenständlichen Produkten, soweit in Immobilien und Schiffe investiert werde, die niederländische Box-3-Steuer für Vermietungserlöse und die deutsche Tonnagesteuer auf Schiffe pauschal berechnet würden und auch dann anfielen, wenn kein Gewinn erzielt werde. Sie hätten daher das Risiko, auch ohne Gewinn und selbst bei einem Totalverlust des eingesetzten Kapitals und der Rückforderungen sämtlicher Ausschüttungen Steuerbeträge und Steuerberatungshonorare zahlen zu müssen, wodurch es möglich sei, dass ein Anleger mehr als das eingesetzte Kapital verlieren könne. Die Gefahr bestehe auch, wenn keine (rückforderbaren) Ausschüttungen erfolgten.

[33]     Die Frage, ob der Beklagte über das Anfallen solcher Steuern und Steuerberatungskosten aufzuklären gehabt hätte, kann hier aber dahingestellt bleiben. Diesbezüglich wurde in der Entscheidung 8 Ob 100/19t der Beurteilung jenes Berufungsgerichts zugestimmt, das das „Mehrverlustrisiko“ aufgrund seines Zusammenhangs mit der Rückforderbarkeit der erhaltenen Ausschüttungen nicht als einen eigenständigen, einer gesonderten Verjährung zugänglichen – allfälligen – Beratungsfehler qualifizierte, sondern als einen bloßen Teilaspekt aus einer allfälligen Ausschüttungsrückforderung, sodass es auch diesen – allfälligen – Beratungsfehler als mit dem „Ausschüttungsschwindel“ mitverjährt beurteilte. Davon abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Grund.

[34]            II.10. Daraus folgt aber, dass es zum Vorbringen der Kläger zu jenen Aufklärungsfehlern des Beklagten, zu denen vom Erstgericht aufgrund seiner Rechtsansicht keine Feststellungen getroffen wurden, entgegen der Mehrheitsauffassung des Berufungsgerichts keiner Verfahrensergänzung durch das Erstgericht bedarf, weil die Klagsansprüche in Gesamtbetrachtung in jedem Fall als verjährt anzusehen sind.

[35]            III. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts war daher zufolge Spruchreife im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern (§ 519 Abs 2 ZPO).

[36]     Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

Textnummer

E133636

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00052.21V.1125.000

Im RIS seit

26.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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