TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/13 W139 2173743-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2021
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Entscheidungsdatum

13.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W139 2173743-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 08.09.2017, Zl. XXXX in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., IV. und V. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat:

Spruchpunkt I.: „Der Ihnen mit Bescheid vom 29.06.2007, Zl. 06. 05.457-BAW, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 2 Z 3 Asylgesetz 2005 von Amts wegen aberkannt.“.

II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird teilweise stattgegeben, sodass Spruchpunkt III. zu lauten hat:

Spruchpunkt III.: „Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG, erlassen. Gemäß § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan nicht zulässig ist.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der im Antragstellungszeitpunkt minderjährige XXXX , geb. XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.05.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der XXXX niederschriftlich erstbefragt. Er führte aus, im Jahr XXXX geboren zu sein, vier verstorbene Brüder und einen lebenden Bruder im Iran, in XXXX zu haben. Sein Vater XXXX und seine Mutter XXXX seien ebenfalls verstorben. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer zuletzt in Kabul gelebt. Sein Onkel mütterlicherseits habe die Schleppung organisiert. Befragt nach seinen Fluchtgründen, führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Eltern und vier seiner Brüder im Jahr 1996 bei einem Raketenangriff ums Leben gekommen seien. Seine Tante habe den Beschwerdeführer und seinen jüngeren Bruder aus Angst in den Iran mitgenommen. Im Iran habe der Beschwerdeführer nicht illegal bleiben können, da die Behörden alle illegalen Afghanen nach Afghanistan abschieben würden.

3. Die erste Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) fand am 29.05.2006 statt. Der Beschwerdeführer führte wiederholt aus, dass er im Alter von etwa sechs Jahren, Afghanistan verlassen habe. Er habe nie eine Schule besucht und verfüge über Arbeitserfahrung als Tischlergehilfe. Der Beschwerdeführer könne jedoch etwas Farsi lesen. In Afghanistan habe er keinerlei familiäre oder sonstige Anknüpfungspunkte. Sein verbliebener Bruder befinde sich im Iran. Befragt zu seinen Fluchtgründen verwies der Beschwerdeführer auf die schwierigen Verhältnisse im Iran. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er nichts, er habe dort jedoch keine Angehörigen.

4. Am 26.04.2007 fand die zweite Einvernahme vor dem BAA statt. Der Beschwerdeführer führte aus, sein Geburtsdatum nicht zu kennen. Sämtliche noch lebende Verwandte würden sich im Iran aufhalten. Sein Bruder XXXX befinde sich noch bei der Tante XXXX und seinem Onkel XXXX . XXXX , ein Onkel mütterlicherseits lebe in Griechenland, der Beschwerdeführer habe zu diesem Onkel Kontakt. Eine Tante väterlicherseits lebe in Holland, weitere Angehörige habe der Beschwerdeführer nicht. Hinsichtlich der Vorlage von Identitätsnachweisen werde der Beschwerdeführer seine Angehörigen kontaktieren. In Teheran, in XXXX , habe der Beschwerdeführer vier Jahre als Tischler gearbeitet. Der Beschwerdeführer könne nicht auf Farsi lesen, er sei erst in Österreich alphabetisiert worden. Er habe etwa acht Jahre im Iran gelebt und zwei Jahre in Griechenland verbracht. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer in Kabul, in XXXX , gelebt. Im Falle einer Rückkehr hätte der Beschwerdeführer nichts zu befürchten, er kenne jedoch niemanden und wäre auf sich alleine gestellt.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.06.2007, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 29.06.2008 erteilt (Spruchpunkt III.).

Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten stellte das BAA fest, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft habe darlegen können, dass er Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht verlassen habe.

Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stellte das BAA fest, dass aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan davon auszugehen sei, dass der damals minderjährige Beschwerdeführer mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte in Afghanistan bei einer Rückkehr Gefahr laufe, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

In weiterer Folge wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung am 01.07.2008 (bis zum 29.06.2009), am 30.06.2009 (bis zum 29.06.2010), am 07.07.2010 (bis zum 29.06.2011), am 01.07.2011 (bis zum 29.06.2012) sowie zuletzt am 28.06.2012 (bis zum 29.06.2013) verlängert.

6. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten, siehe 5.) richtete sich die, von der gesetzlichen Vertretung rechtzeitig am 12.07.2007 eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend auf die in den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben des Beschwerdeführers hingewiesen und unter Berufung auf zahlreiche Berichte u.a. ausgeführt wurde, dass dem Beschwerdeführer eine schwerwiegende Verfolgung in Afghanistan drohe. Außerdem sei er als Minderjähriger und Vollwaise diversen Gefahren schutzlos ausgesetzt. Die Lage in Afghanistan sei vollkommen unsicher.

7. Am 16.08.2007 langte beim Bundesasylamt eine Übersetzung eines afghanischen Personalausweises ein. Dieser lautet auf XXXX , welcher im Jahr XXXX ein Jahr alt gewesen sei und in der Provinz Wardak geboren worden sei. Der Name des Vaters laute XXXX . Die Angaben seien im Distrikt XXXX , in der Provinz Wardak registriert worden. Die Taskira wurde am XXXX ausgestellt. Auf der Übersetzung befindet sich die Anmerkung, dass diese persönlich vom Asylwerber abgegeben worden sei.

8. Am 17.01.2010 wurde der Beschwerdeführer in der Tschechischen Republik aufgegriffen und am 04.02.2010 zurück nach Österreich überstellt. Der Beschwerdeführer führte vor den tschechischen Behörden das Geburtsdatum XXXX an.

9. Mit Erkenntnis vom 25.02.2010 wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesasylamtes (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab.

Begründend führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat vielmehr aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Diese Gründe würden keine relevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen seien, würden keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen.

10. Am 07.06.2010 beantragte der Beschwerdeführer die Richtigstellung seiner Daten und verwies auf die vorgelegte Übersetzung des Personalausweises, aus welcher hervorgehe, dass er am XXXX geboren worden sei.

11. Am 01.06.2011 übermittelte der Beschwerdeführer eine Kopie seines Reisepasses, in welchem der XXXX als Geburtsdatum und XXXX als Geburtsort angeführt sind. Dieser Reisepass wurde von der afghanischen Botschaft in XXXX am 13.08.2010 ausgestellt.

12. Am 06.12.2012 wurde dem Beschwerdeführer vom XXXX , eine Rot-Weiß-Rot Karte von 17.10.2012 bis 17.10.2013 erteilt.

Mit Bescheid des XXXX , wurde dem Beschwerdeführer am 10.12.2014 eine Aufenthaltskarte „Daueraufenthalt EU“ bis zum 10.12.2019 erteilt.

13. Am 27.01.2016 stellte XXXX , der Bruder des Beschwerdeführers, einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

14. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.07.2016, rechtskräftig seit 19.07.2016, zu XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

15. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 02.11.2016 wurde der Beschwerdeführer von der Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005 in Kenntnis gesetzt und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme zur Wahrung des Parteiengehörs eingeräumt.

16. Der Beschwerdeführer gab am 22.11.2016 eine Stellungnahme ab, in welcher er auf seinen bisherigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine Integration in Österreich verwies. Sein jüngerer Bruder lebe zudem seit kurzem ebenfalls in Österreich. Der Beschwerdeführer behauptete abermals über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr in Afghanistan zu verfügen.

17. Am 09.05.2017 fand eine Einvernahme vor dem BFA statt. Der Beschwerdeführer führte aus, zwei Onkel väterlicherseits zu haben, XXXX lebe in XXXX und XXXX lebe in den Niederlanden, seine Tanten väterlicherseits kenne er nicht, sie würden in Kanada leben. Er habe weiters einen Onkel mütterlicherseits, XXXX . Zu seiner Familie bestehe kein Kontakt, da er kein gutes Verhältnis habe. Der Beschwerdeführer habe zwei Jahre lang eine Grundschule im Iran besucht. Von seiner Ehefrau sei er bereits geschieden, er habe eine neue Lebensgefährtin namens XXXX .

18. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 27.06.2017 wurde einer vorzeitigen bedingten Entlassung stattgegeben. Der Beschwerdeführer wurde am 25.08.2017 aus der Strafhaft entlassen.

19. Das BFA erkannte mit Bescheid vom 08.09.2017, den ihm zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die mit Bescheid des Bundesasylamts vom 19.06.2007 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.); weiters gewährte das BFA gemäß § 55 Abs. 1 Z 3 FPG eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.) und erließ schließlich gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.).

Begründend führte das BFA aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Das BFA hielt fest, dass sich die Lage in Afghanistan, vor allem in der Provinz Kabul insgesamt gebessert habe. Der Beschwerdeführer sei mit der Sprache und der ansässigen Kultur hinreichend vertraut. Der Beschwerdeführer könne als erwachsener, arbeitsfähiger Mann mit eigener Arbeitsleistung und der Unterstützung seiner Angehörigen den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten. Der Beschwerdeführer sei mittlerweile volljährig, habe in Österreich den Hauptschulabschluss absolviert und Berufserfahrung gesammelt. Er leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, die der Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würde, die medizinische Versorgung sei gegeben. Zudem sei der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan Art. 3 EMRK widersprechende Umstände entgegenstünden. Auch aus der allgemeinen Situation in seinem Heimatstaat lasse sich eine solche nicht ableiten. Da der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich verurteilt worden sei, sei ein Aberkennungsverfahren einzuleiten und der Status des subsidiären Schutzberechtigten noch einmal genauer zu überprüfen gewesen. Aus den Länderfeststellungen sei keine Gefährdung der Person des Beschwerdeführers ableitbar. Die Interessen des Staates an der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden daher seine Interessen bei Weitem überwiegen; aus dieser Abwägung ergebe sich, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei. Dies sei gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 mit dem Entzug seiner Aufenthaltsberechtigung zu verbinden. Die Rückkehrentscheidung stelle keinen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar und sei vor dem Hintergrund seiner verübten Straftaten im Bundesgebiet statthaft. Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung sei auch die Erlassung eines auf die Dauer von 10 Jahren befristeten Einreiseverbots geboten gewesen.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 15.09.2017 zugestellt.

20. Mit Verfahrensanordnung vom 11.09.2017 stellte das BFA dem Beschwerdeführer die XXXX amtswegig als Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite.

21. Gegen den angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 13.09.2017 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, und beantragte, eine Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und festzustellen, dass der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 nicht abzuerkennen sei und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin zukomme, in eventu festzustellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG unzulässig sei und das Einreiseverbot aufgehoben werde, in eventu, das erlassene Einreiseverbot unter Spruchpunkt V. auf eine angemessene Dauer herabzusetzen bzw. nur für Österreich und nicht für alle Mitgliedstaaten, für die die Rückführungsrichtlinie gelte, zu erlassen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen auf die bisherigen Angaben des Beschwerdeführers und auf zahlreiche (Medien-)Berichte sowie auf die UNHCR-Richtlinien verwiesen. Das BFA habe es unterlassen, in den wesentlichen Punkten ordentlich zu ermitteln und die Umstände des Vorbringens zu würdigen. Der Beschwerdeführer habe sein gesamtes Leben außerhalb Afghanistans verbracht. Daher verwirkliche er in seiner Person jedenfalls das Risikoprofil des verwestlichten Rückkehrers. Weiters scheide eine Rückkehr des Beschwerdeführers mangels Zumutbarkeit infolge Nichtbestehens familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan aus. Es sei auch zu keinen wesentlichen Änderungen im Herkunftsstaat gekommen. Sowohl die Sicherheitslage als auch die humanitäre Lage in Afghanistan seien weiterhin äußerst prekär. Die Behörde habe für die Frage der Zumutbarkeit der Ausreise nach der allfälligen Verfolgungsgefahr auch die mittlerweile gewonnenen persönlichen und sozialen Bindungen im Aufenthaltsstaat im Verhältnis zur nunmehrigen Beziehung zum Herkunftsstaat zu beachten gehabt. Da der Beschwerdeführer über eine Aufenthaltsberechtigung „Daueraufenthalt EU“ verfüge, sei sowohl die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als auch das Einreiseverbot zu Unrecht erfolgt. Außerdem sei die Dauer sowie die Erlassung des Einreiseverbotes in einer Dauer von 10 Jahren für den gesamten EU-Raum keinesfalls verhältnismäßig, daher hätte das BFA das Einreiseverbot zumindest nur für Österreich erlassen müssen.

Gleichzeitig mit der Beschwerde teilte der Beschwerdeführer mit, dass er die XXXX , als seine Vertretung bevollmächtige und legte ein Konvolut an Unterlagen vor: ein Jahres- und Abschlusszeugnis einer Hauptschule vom 27.06.2008, Zertifikat über eine gut bestandene Prüfung auf dem Niveau A2.2 vom 03.08.2012, ein Dienstzeugnis vom 31.10.2014, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs auf dem Niveau B1 vom 12.06.2014, eine Bestätigung über die einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses sowie eine Bestätigung der Wiederaufnahme vom 08.04.2016, ein Schreiben über die Überstellung in den Entlassungsvollzug vom 30.01.2017, den Beschluss über die bedingte Entlassung aus der Strafhaft vom 27.06.2017, den Beschluss über die Erteilung der Weisung, sich einer einjährigen Psychotherapie zu unterziehen vom 27.06.2017, eine Bestätigung über die Teilnahme an einer Anti-Gewalt-Gruppe vom 31.07.2017 sowie einen Lohnzettel vom 22.09.2017.

22. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 18.10.2017, mit Schreiben vom 16.10.2017, beim Bundesverwaltungsgericht ein.

23. Am 11.03.2020 übermittelte der Beschwerdeführer die Vollmachtsbekanntgabe an XXXX .

24. Am 10.12.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher der Beschwerdeführer, im Beisein seines Rechtsvertreters einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Der Beschwerdeführer hielt an seinen bisherigen Angaben fest und führte aus, dass die Angaben seines Bruders gelogen seien. Der Beschwerdeführer sei seit etwa einem Jahr erneut verlobt, mit einer afghanischen Staatsangehörigen, welche in Pakistan lebe, die er noch nie gesehen habe. Der Vorwurf, er habe seine Ex-Frau vergewaltigt, sei gelogen. Er gestand jedoch zu, seine Ex-Frau geschlagen zu haben, da sie nicht habe zu Hause bleiben wollen und in einem Restaurant iranische und afghanische Männer angesprochen habe, um die Adresse der iranischen Botschaft zu erfahren. Der Beschwerdeführer sei schuldlos für 16 Monate im Gefängnis gewesen. Er habe daher ein schlechtes Bild von Frauen gehabt, weil seine Ex-Frau ihm das angetan habe, die Therapie habe ihm jedoch geholfen. Nach Ansicht des Beschwerdeführers komme es zu Morden, da die Frauen ihre Männer, die sie heiraten, nicht lieben würden und die Frauen anschließend zu einem anderen Mann gehen würden.

Wegen der schlechten Sicherheitslage könne der Beschwerdeführer nicht nach Afghanistan zurückkehren. Grundsätzlich würde er gern in seinem Herkunftsland leben, damit es fortschrittlicher werde. Der Beschwerdeführer könnte sich vorstellen, in Afghanistan eine Firma zu gründen. Er könne mittlerweile auf Farsi und Deutsch lesen und schreiben.

25. Der Vorakt des BFA hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten langte am 11.03.2021, mit Schreiben vom 05.03.2021, beim Bundesverwaltungsgericht ein.

26. Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführer in das Verfahren ein: Es wurde neben dem mit den Ladungen ins Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 mit aktueller Kurzinformation vom 21.07.2020, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, die Berichte des EASO vom Juni 2019, das ACCORD-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 30.04.2020 sowie auf OCHA, WHO : Afghanistan Flash Update: Daily Brief: Covid-19, NO 85 (26.11.2020) als weitere Erkenntnisquellen sowie auf die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 30.04.2020 zur lokalen Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Mazar-e Sharif und vom 23.04.2020 der Stadt Herat verwiesen.

Dem Beschwerdeführer wurden das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 16.12.2020, vom 01.04.2021 und vom 11.06.2021 und die Kurzinformationen der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 19.07.2021 und 02.08.2021 zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt.

27. Mit Schreiben vom 12.08.2021 nahm der Beschwerdeführer Stellung und brachte vor, dass aufgrund der derzeitigen schlechten Sicherheitslage nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK drohe.

28. Es wurden weitere Erkenntnisquellen in das Verfahren eingebracht: die Sonderkurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage in Afghanistan und Hinweise für die Benützung der aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan vom 17.08.2021; die Kurzinformation der Staatendokumentation zu aktuellen Entwicklungen und Informationen in Afghanistan vom 20.08.2021; die UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021 sowie das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 16.09.2021.

29. Am 24.09.2021 wurde die Bevollmächtigung für XXXX bekannt gegeben.

30. Am 12.10.2021 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zum aktuellen Länderinformationsblatt vom 16.09.2021. Der Beschwerdeführer verwies insbesondere auf die prekäre Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, welche durch die Covid-19 Pandemie weiterhin verschärft werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Aufgrund des Asylantrags vom 21.05.2006, der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Einvernahme durch das Bundesasylamt am 29.05.2006 und am 26.04.2007, der Beschwerde vom 12.07.2007 gegen den Bescheid Bundesasylamtes vom 19.06.2007, der Stellungnahme vom 22.11.2016, der Einvernahme vor dem BFA am 09.05.2017, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des BFA, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in den Gerichtsakt des Bruders XXXX zu XXXX sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlungen am 10.12.2020, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person und zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers:

1.1.1.  Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, außerdem spricht er Deutsch. Der Beschwerdeführer ist verlobt und hat keine Kinder.

1.1.2.  Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan geboren. Es kann nicht festgestellt werden, ob er in der Provinz Maidan Wardak oder in Kabul geboren und aufgewachsen ist. Er lebte sowohl in Kabul, als auch im Iran, in Teheran. Es kann ebenfalls nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer Afghanistan im Alter von sechs Jahren oder zu einem späteren Zeitpunkt verließ. Die Eltern und vier Brüder des Beschwerdeführers kamen im Jahr 1996 bei einem Raketenangriff in Afghanistan ums Leben. Der Beschwerdeführer und sein Bruder wuchsen bei der Tante mütterlicherseits XXXX und dem Onkel XXXX auf.

1.1.3.  Der jüngere Bruder XXXX , geboren am XXXX reiste ebenfalls illegal nach Österreich, wo er am 25.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 27.01.2016 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 18.10.2016 die Einvernahme durch das BFA. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 14.06.2017, Zl. XXXX bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen XXXX eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrug die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gegen den ihm am 19.06.2017 zugestellten Bescheid erhob XXXX am 03.07.2017, sohin rechtzeitig, Beschwerde, verbunden mit einem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 11.02.2020 wurde das Bundesverwaltungsgericht davon in Kenntnis gesetzt, dass XXXX von der Grundversorgung aufgrund „freiwilliger Ausreise – Sonstiger Entlassungsründe“ per 22.11.2019 abgemeldet wurde. Persönlich befragt wurde er vom erkennenden Gericht nicht. Mit Beschluss vom 23.10.2020, XXXX , wurde das Beschwerdeverfahren eingestellt. Der Beschwerdeführer hatte mit seinem Bruder in Österreich von 03.01.2019 bis 07.01.2020 einen gemeinsamen Wohnsitz.

1.1.4.  Der Beschwerdeführer besuchte zwei Jahre lang eine Schule. Er kann jedenfalls in Farsi/Dari und Deutsch lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer verfügt über mehrjährige Arbeitserfahrung als Tischler.

1.1.5.  Der Beschwerdeführer verfügt über Tanten und Onkel. XXXX ist ein Onkel väterlicherseits. Der Beschwerdeführer und sein Bruder wuchsen bei ihrer Tante mütterlicherseits XXXX und beim Onkel XXXX auf. Der Wohnort dieser Angehörigen kann nicht festgestellt werden. XXXX , ein Onkel mütterlicherseits lebte viele Jahre in Griechenland und befindet sich aktuell vermutlich in Deutschland. Der Beschwerdeführer hat weiters eine Tante und einen Onkel, namens XXXX , in den Niederlanden, wobei nicht festgestellt werden kann, ob der Beschwerdeführer mit der Tante oder dem Onkel blutsverwandt ist. Der Beschwerdeführer hat einen weiteren Onkel mütterlicherseits namens XXXX . Die Tanten väterlicherseits leben in Kanada. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Familienangehörigen.

1.1.6.  Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert. Er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.1.7.  Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, gesund und arbeitsfähig. Er hat keine Vorerkrankungen und gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung an.

1.1.8.  Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich bescholten.

1.2.    Aberkennungstatbestand:

1.2.1.  Zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 (2. Fall) AsylG

Wie sich aus den aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan ergibt, hat sich die Sicherheitslage in dem Land in der jüngeren Vergangenheit massiv verschlechtert.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan kann daher nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.06.2007 bzw. seit der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wesentlich und nachhaltig verändert haben. Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts ist somit weder im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers noch in Bezug auf die allgemeine Lage in Afghanistan eingetreten. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 liegen weiterhin vor.

1.2.2.  Zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.07.2016, rechtskräftig seit 19.07.2016, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB und wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Zum Sachverhalt wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer seine Ehefrau mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt hat, wobei sie dadurch blaue Flecken an beiden Innenseiten ihrer Oberschenkel und vaginale Schmerzen erlitt. Der Beschwerdeführer stieß seine Ehefrau mit Gewalt auf den Boden, sodass sie am Rücken zu liegen kam und sie, nachdem sie sich kurzzeitig aus der Situation befreien konnte, neuerlich zu Boden schmiss, wobei sie auf den Bauch zu liegen kam, ihren Rock samt Unterhose bis zu den Knien herunterzog und sie digital vaginal penetrierte, sie anschließend in eine Rückenposition verbrachte und seine Hose und Unterhose auszog und versuchte, mit seinem erigierten Penis in ihre Scheide einzudringen, wobei aufgrund der massiven Gegenwehr der Geschlechtsverkehr nicht zustande kam. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer seine Ehefrau in zumindest zwei Angriffen Anfang Februar 2016 und am 03.03.2016 vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr wiederholt Faustschläge und Ohrfeigen zufügte, sie einmal mit einem Messer am Unterarm verletzte und ihr zuletzt am 03.03.2016 mit einer Pfanne einen Schlag gegen den Kopf versetzte, wodurch sie eine Schnittverletzung am rechten Unterarm, Prellungen und Blutunterlaufungen am Hals und im Gesicht links im Bereich des rechten Augenwinkels, eine Rötung der rechten Gesichtshälfte und einen Bluterguss am rechten Unterarm erlitt. Mildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gewertet. Erschwerend wurde das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen gewertet.

Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 27.06.2017 wurde der Beschwerdeführer nach Verbüßung eines Teils der Strafzeit von einem Jahr und vier Monaten, bedingt aus der Strafhaft entlassen. Der Rest der Freiheitsstrafe von acht Monaten wurde dem Beschwerdeführer unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren, der Anordnung der Bewährungshilfe sowie der Weisung, sich einer Psychotherapie zu unterziehen, bedingt nachgesehen. Er wurde am 25.08.2017 aus der Strafhaft entlassen.

1.3.    Zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine „westliche“ Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden wäre.

1.4.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.4.1.  Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein. Er hält sich zumindest seit dem 21.05.2006 in Österreich auf und ist seit seinem Antrag auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich zunächst aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG, sodann aufgrund der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach dem § 8 AsylG sowie des zuletzt erteilten unbefristeten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der Beschwerdeführer befindet sich sohin seit über 15 Jahren in Österreich.

1.4.2.  Der Beschwerdeführer absolvierte am 03.08.2012 einen Deutschtest der Stufe A2 sowie einen weiteren der Stufe B1 des ÖSD. Seine Deutschkenntnisse sind gering und entsprechen aktuell nicht dem Deutschniveau B1.

Der Beschwerdeführer besuchte ein Jahr eine Hauptschule in Österreich. Er ist weder Mitglied von Vereinen noch sonstigen Organisationen und ist auch nicht ehrenamtlich tätig.

1.4.3.  Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und ist selbsterhaltungsfähig. Er arbeitet in einer Tischlerei als Hilfsarbeiter auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung. Er konnte in Österreich insgesamt über 13 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Tischlereien sammeln.

1.4.4.  Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich. Er verfügt nicht über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich, wie etwa eine Ehefrau oder Kinder. Er hat keine Sorgepflichten. Der Freundeskreis des Beschwerdeführers in Österreich besteht überwiegend aus afghanischen Staatsangehörigen. Er hat keinen nennenswerten Kontakt zu österreichischen Staatsangehörigen. Auch zu seinen afghanischen Freunden hat er wenig Kontakt. Der Beschwerdeführer kann bisher nur mäßige Integrationserfolge aufweisen.

Die Bindung zu Afghanistan ist stärker, als die Bindung zu Österreich.

1.4.5.  Der Beschwerdeführer war mit der iranischen Staatsbürgerin XXXX verheiratet. Es handelte sich um eine arrangierte Ehe. Im Jahr 2016 erfolgte die Scheidung. Der Beschwerdeführer wurde rechtskräftig des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB und wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB an seiner Ehefrau verurteilt. Der Beschwerdeführer ist seit mehr als einem Jahr erneut verlobt. Seine Verlobte ist afghanische Staatsangehörige und lebt in Pakistan. Es handelt sich abermals um eine arrangierte Ehe. Der Beschwerdeführer kannte seine Verlobte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht persönlich.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

a.       Länderinformationsblatt zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 16.09.2021 (LIB)

b.       Kurzinformation der Staatendokumentation: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, Stand: 19.07.2021 (KI vom 19.07.2021)

c.       Kurzinformation der Staatendokumentation: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, Stand: 02.08.2021 (KI vom 02.08.2021)

d.       Sonderkurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage in Afghanistan und Hinweise für die Benützung der aktuellen Länderinformationen vom 17.08.2021 (KI vom 17.08.2021)

e.       Kurzinformation der Staatendokumentation: Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan vom 20.08.2021 (KI vom 20.08.2021)

f.       UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR)

g.       UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021 (UNHCR 2021)

h.       EASO Country Guidance Afghanistan - Guidance note and common analysis vom Dezember 2020 (EASO)

1.5.1.  Politische Lage:

Nachdem der bisherige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein. Ghani gab auf seiner Facebook-Seite eine Erklärung ab, in der er den Sieg der Taliban vor Ort anerkannte. Amrullah Saleh, der erste Vizepräsident Afghanistans unter Ghani, beanspruchte in der Folgezeit das Amt des Übergangspräsidenten für sich. Er ist Teil des Widerstands gegen die Taliban im Panjshir-Tal. Ein so genannter Koordinationsrat unter Beteiligung des früheren Präsidenten Hamid Karzai, Abdullah Abdullah (dem früheren Außenminister und Leiter der Delegation der vorigen Regierung bei den letztendlich erfolglosen Friedensverhandlungen) und Gulbuddin Hekmatyar führte mit den Taliban informelle Gespräche über eine Regierungsbeteiligung (FP 23.8.2021), die schließlich nicht zustande kam. Denn unabhängig davon, wer nach der afghanischen Verfassung das Präsidentenamt innehat, kontrollieren die Taliban den größten Teil des afghanischen Staatsgebiets. Sie haben das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen und am 7.9.2021 eine neue Regierung angekündigt, die sich größtenteils aus bekannten Taliban-Figuren zusammensetzt (LIB, Kapitel Politische Lage).

Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Sie halten einige Methoden zur Auswahl von Herrschern in der vormodernen muslimischen Welt für authentisch islamisch - zum Beispiel die Shura Ahl al-Hall wa’l-Aqd, den Rat derjenigen, die qualifiziert sind, einen Kalifen im Namen der muslimischen Gemeinschaft zu wählen oder abzusetzen. Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten, jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten (LIB, Kapitel Politische Lage).

Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Angeführt wird die neue Regierung von Mohammad Hassan Akhund. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Taliban-Führungszirkels, der sogenannten Rahbari-Shura, besser bekannt als Quetta-Shura. Einer seiner Stellvertreter ist Abdul Ghani Baradar, der bisher das politische Büro der Taliban in Doha geleitet hat und so etwas wie das öffentliche Gesicht der Taliban war, ein weiterer Stellvertreter ist Abdul Salam Hanafi, der ebenfalls im politischen Büro in Doha tätig war. Mohammad Yakub, Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar und einer der Stellvertreter des Taliban-Führers Haibatullah Akhundzada, ist neuer Verteidigungsminister. Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerks, wurde zum Innenminister ernannt. Das Haqqani-Netzwerk wird von den USA als Terrororganisation eingestuft. Der neue Innenminister steht auf der Fahndungsliste des FBI und auch der Vorsitzende der Minister, Akhund, befindet sich auf einer Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates. Ein Frauenministerium findet sich nicht unter den bislang angekündigten Ministerien, auch wurden keine Frauen zu Ministerinnen ernannt [Anm.: Stand 7.9.2021]. Dafür wurde ein Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“ eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium „für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters“ erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen. Die höchste Instanz der Taliban in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten, der „Amir al Muminin“ oder „Emir der Gläubigen“ Mullah Haibatullah Akhundzada wird sich als „Oberster Führer“ Afghanistans auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren. Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (LIB, Kapitel Politische Lage).

Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten. Es gibt Anzeichen dafür, dass einige Anführer der Gruppe die Grenzen ihrer Fähigkeit erkennen, den Regierungsapparat in technisch anspruchsvolleren Bereichen zu bedienen. Zwar haben die Taliban seit ihrem Erstarken in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einigen ländlichen Gebieten Afghanistans eine so genannte Schattenregierung ausgeübt, doch war diese rudimentär und von begrenztem Umfang, und in Bereichen wie Gesundheit und Bildung haben sie im Wesentlichen die Dienstleistungen des afghanischen Staates und von Nichtregierungsorganisationen übernommen (LIB, Kapitel Politische Lage).

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (KI vom 20.08.2021).

Bis zum Sturz der alten Regierung wurden ca. 75% bis 80% des afghanischen Staatsbudgets von Hilfsorganisationen bereitgestellt, Finanzierungsquellen, die zumindest für einen längeren Zeitraum ausgesetzt sein werden, während die Geber die Entwicklung beobachten. Die Taliban verfügen weiterhin über die Einnahmequellen, die ihren Aufstand finanzierten, sowie über den Zugang zu den Zolleinnahmen, auf die sich die frühere Regierung für den Teil ihres Haushalts, den sie im Inland aufbrachte, stark verließ. Ob neue Geber einspringen werden, um einen Teil des Defizits auszugleichen, ist noch nicht klar. Die USA zeigten sich angesichts der Regierungsbeteiligung von Personen, die mit Angriffen auf US-Streitkräfte in Verbindung gebracht werden, besorgt und die EU erklärte, die islamistische Gruppe habe ihr Versprechen gebrochen, die Regierung „integrativ und repräsentativ“ zu machen (LIB, Kapitel Politische Lage).

Nachdem die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind Tausende von Menschen über die Grenze von Chaman ins benachbarte Pakistan oder über den Grenzübergang Islam Kala in den Iran geflohen. Der Grenzübergang Torkham - neben Chaman der wichtigste Grenzübergang zwischen Afghanistan und Pakistan - war zeitweilig geschlossen, wurde Mitte September 2021 nach Angaben eines pakistanischen Behördenvertreters für Fußgänger jedoch wieder geöffnet. Ein ehemaliger US-Militärvertreter erklärte Anfang September 2021, Überlandverbindungen seien riskant, aber zurzeit die einzige Möglichkeit zur Flucht. Laut US-Militärkreisen haben die Taliban weitere Kontrollpunkte auf den Hauptstraßen nach Usbekistan und Tadschikistan errichtet. Die Islamisten verbieten zudem Frauen, ohne männliche Begleitung zu reisen (LIB, Kapitel Erreichbarkeit).

1.5.2.  Sicherheitslage

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan. Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“, innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif. Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein, während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei. Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Zwischen 1.1.2021 und 30.6.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Juni 2021 gab es nach Angaben von UNAMA fast soviele zivile Opfer wie in den vier Monate davor. Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) halten die Taliban hunderte Einwohner der Provinz Kandarhar fest, denen sie vorwerfen mit der Regierung in Verbindung zu stehen. Berichten zufolge haben die Taliban einige Gefangene getötet, darunter Angehörige von Beamten der Provinzregierung sowie Mitglieder der Polizei und der Armee. UNOCHA zufolge wurden zwischen 1.1.2021 und 18.7.2021 294.703 Menschen in Afghanistan durch den Konflikt vertrieben (KI vom 02.08.2021).

1.5.2.1. Verfolgung von Zivilisten und ehemaligen Mitgliedern der Streitkräfte

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (KI vom 20.08.2021).

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten. Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Nach der Machtübernahme der Taliban wurde berichtet, dass die Taliban auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer „schwarzen Liste“ der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände. Gemäß einem früheren Mitglied der afghanischen Verteidigungskräfte ist bei der Vorgehensweise der Taliban nun neu, dass sie mit einer Namensliste von Haus zu Haus gehen und Personen auf ihrer Liste suchen (LIB, Kapitel Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten).

Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet. In der Provinz Ghazni soll es zur gezielten Tötung von neun Hazara-Männern gekommen sein. Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin. Die Taliban haben in den Tagen nach ihrer Machtübernahme systematisch in den von ihnen neu eroberten Gebieten Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen (LIB, Kapitel Sicherheitslage).

Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Gegenwärtig nutzt die Gruppierung soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren. Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn derzeit intensiv, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben. Auch wurde berichtet, dass die Taliban bei Kontrollpunkten Telefone durchsuchen, um Personen mit Verbindungen zu westlichen Regierungen oder Organisationen bzw. zu den [ehemaligen] afghanischen Streitkräften (ANDSF) zu finden. Viele afghanische Bürgerinnen und Bürger, die für die internationalen Streitkräfte, internationale Organisationen und für Medien gearbeitet haben, oder sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber den Taliban äußerten, haben aus Angst vor einer Verfolgung durch die Taliban ihre Profile in den sozialen Medien daher gelöscht (LIB, Kapitel Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten).

Unter anderem werten die Taliban auch aktuell im Internet verfügbare Videos und Fotos aus. Sie verfügen über Spezialkräfte, die in Sachen Informationstechnik und Bildforensik gut ausgebildet und ausgerüstet sind. Ihre Bildforensiker arbeiten gemäß einem Bericht vom August 2021 auf dem neuesten Stand der Technik der Bilderkennung und nutzen beispielsweise Gesichtserkennungssoftware. Im Rahmen der Berichterstattung über auf der Flucht befindliche Ortskräfte wurden von Medien unverpixelte Fotos veröffentlicht, welche für Personen, welche sich nun vor den Taliban verstecken, gefährlich werden können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht genau bekannt, zu welchen Datenbanken die Taliban Zugriff haben. Laut Experten bieten die von den Taliban erlangten US-Gerätschaften nur begrenzten Zugang zu biometrischen Daten, die noch immer auf sicheren Servern gespeichert sind. Recherchen zeigten jedoch, dass eine größere Bedrohung von den Datenbanken der afghanischen Regierung selbst ausgeht, die sensible persönliche Informationen enthalten und zur Identifizierung von Millionen von Menschen im ganzen Land verwendet werden könnten. Betroffen sein könnte beispielsweise eine Datenbank, welche zum Zweck der Gehaltszahlung Angaben von Angehörigen der [ehemaligen] afghanischen Armee und Polizei enthält (das sog. Afghan Personnel and Pay System, APPS), aber auch andere Datenbanken mit biometrischen Angaben, welche die afghanische Regierung zur Erfassung ihrer Bürger anlegte, beispielsweise bei der Beantragung von Dokumenten, Bewerbungen für Regierungsposten oder Anmeldungen zur Aufnahmeprüfung für das Hochschulstudium. Ein Experte sagte, er halte die von den USA aufgebaute IT-Infrastruktur für einen bedeutenden Faktor für die Taliban. Dort gespeicherte Informationen seien „wahrscheinlich viel wertvoller für eine neue Regierung als alte Hubschrauber (LIB, Kapitel Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten).

Im Rahmen der Evakuierungsbemühungen von Ausländern und afghanischen Ortskräften nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul gaben US-Beamte den Taliban eine Liste mit den Namen US-amerikanischer Staatsbürger, Inhaber von Green Cards [Anm.: US-amer. Aufenthaltsberechtigungskarten] und afghanischer Verbündeter, um ihnen die Einreise in den von den Taliban kontrollierten Außenbereich des Flughafens von Kabul zu gewähren - eine Entscheidung, die kritisiert wurde. Gemäß einem Vertreter der US-amerikanischen Streitkräfte hätte die US-Regierung die betroffenen Afghanen somit auf eine „Todesliste“ gesetzt, wobei US-Präsident Biden in einer Pressekonferenz darauf angesprochen meinte, dass auf der Liste befindliche Afghanen von den Taliban bei den Kontrollen durchgelassen wurden.

1.5.3.  COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht, ohne Krankenhausaufenthalt, bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich, allerdings benötigen diese Personen Sauerstoffzufuhr. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf, einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19 abgerufen am 01.04.2021).

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Mit Stand 4.9.2021 wurden 153.534 COVID-19 Fälle offiziell bestätigt. Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (LIB, Kapitel COVID-19).

Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (LIB, Kapitel COVID-19).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen. Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen. Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an. Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (LIB, Kapitel COVID-19).

Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die Covid-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff. Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen. Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4% der Bevölkerung sind geimpft. (KI vom 19.07.2021).

Aufgrund von COVID-19 waren alle Schulen und Universitäten bis zum 23.7.2021 geschlossen. Nach Angaben der für das Gesundheits- und Bildungswesen zuständigen Beamten soll die Wiedereröffnung in den Provinzen schrittweise erfolgen, je nach Ausbreitung von COVID-19 (KI vom 02.08.2021).

1.5.4.  Taliban:

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als „Islamisches Emirat Afghanistan“, der Name, welchen sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (LIB, Kapitel Taliban).

Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betrieb. Die wichtigsten Entscheidungen werden von einem Führungsrat getroffen, der nach seinem langjährigen Versteck auch als Quetta-Schura bezeichnet wird. Dem Rat gehören neben dem Taliban-Chef und dessen Stellvertretern rund zwei Dutzend weitere Personen an. Die Mitglieder der Quetta-Schura sind vor allem Vertreter des Talibanregimes von 1996-2001. Die Quetta-Schura übt eine gewisse Kontrolle über die rund ein Dutzend verschiedenen Kommissionen aus, welche als „Ministerien“ fungierten. Die Taliban unterhielten [vor ihrer Machtübernahme in Kabul] beispielsweise eine Kommission für politische Angelegenheiten mit Sitz in Doha, welche im Februar 2020 die Friedensverhandlungen mit den USA abschloss. Nach Angaben des Talibansprechers Zabihullah Mujahid hat diese Kommission keine direkte Kontrolle über die Talibankämpfer in Afghanistan. Die militärischen Kommandostrukturen bis hinunter zur Provinz- und Distriktebene unterstehen nämlich der Kommission für militärische Ang

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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