TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/19 W171 2190240-1

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Veröffentlicht am 19.10.2021
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Entscheidungsdatum

19.10.2021

Norm

BFA-VG §22a
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs1
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W171 2190240-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Bosnien-Herzegowina alias Serbien alias Slowenien, vertreten durch RA Dr. Hans Jalovetz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 22a Abs. BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Der Antrag auf Kostenersatz der Behörde wird gemäß § 35 Absatz 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) wurde am 09.02.2018 im Bundesgebiet festgenommen, da gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot für den Schengenraum bestand.

In seiner Einvernahme am selben Tag gab der BF an, dass in Österreich seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder leben würden. Er sei am Vortag anlässlich des Geburtstages seines Sohnes eingereist. Es spreche nichts gegen eine Abschiebung und er willige in diese ein.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018 (offenbar irrtümlich mit 30.10.2017 datiert) wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 46 FPG zulässig sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gegen den BF wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 09.02.2018 durch persönliche Übergabe zugestellt.

1.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Die Behörde begründete die Verhängung der Schubhaft damit, dass sich der BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot von Slowenien vorliege. Der BF halte sich seit längerer Zeit illegal in Österreich auf. Er gehe seit mehreren Monaten keiner Erwerbstätigkeit nach und halte sich ohne Meldeadresse im Bundesgebiet auf. Der BF sei in Österreich zwei Mal straffällig geworden. Er sei in Österreich weder beruflich noch sozial verankert. Er habe in Österreich seine „Anbindungen“ besucht, jedoch wüssten alle Beteiligten von seinem Einreiseverbot und illegalen Aufenthalt. Die Voraussetzungen für die Inschubhaftnahme des BF seien daher gegeben und zur Sicherung der Abschiebung wegen bestehender Fluchtgefahr auch verhältnismäßig. Ein gelinderes Mittel komme im gegenständlichen Fall nicht zum Zuge und sei die Inschubhaftnahme als „ultima ratio“ zu Sicherung der Abschiebung des BF dringend erforderlich.

1.4. Der BF wurde am 22.02.2018 aus der Schubhaft entlassen und reiste am selben Tag freiwillig nach Bosnien-Herzegowina aus.

1.5. Gegen den Schubhaftbescheid erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter mit Schreiben vom 22.03.2018 (eingelangt am 26.03.2018) Beschwerde und begründete die Rechtswidrigkeit der Schubhaft im Wesentlichen damit, dass der Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorzuwerfen sei. Der BF sei als Meteorologe selbstständig erwerbstätig und daher keineswegs mittellos. Auch seine Ehefrau erwirtschafte ein ausreichendes Einkommen. Die Straftaten des BF datierten aus den Jahren 2001 und 2008 und stehe deren Tilgung unmittelbar bevor. Der BF habe bereits im Jahr 2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt, über den bisher nicht entschieden worden sei. Der BF habe sich anlässlich des Geburtstages seines Kindes in Österreich aufgehalten und die Absicht gehabt, umgehend wieder auszureisen. Die Behörde bleibe schuldig auszuführen, weshalb sie zu dem Schluss komme, der BF verhalte sich unkooperativ. Auch die Feststellung der Behörde, dass der BF mehrere Aliasidentitäten verwende, sei unrichtig. Der BF und seine Ehegattin seien jederzeit in der Lage gewesen, eine Sicherheitsleistung zu hinterlegen. Auch die Gefahr des Untertauchens sei nicht gegeben, da der BF angegeben hatte, mit seiner Ausreise aus Österreich einverstanden zu sein.

1.6. Das BFA legte am 30.03.2018 die Verwaltungsakten vor und beantragte nach Anführung des Verfahrensgangs die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Bosnien-Herzegowina.

1.2. Gegen den BF bestand zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 09.02.2018 ein aufrechtes Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Schengenraum. Er hielt sich daher illegal im Bundesgebiet auf.

1.3. Der BF reiste am 08.02.2018 nach Österreich ein.

1.4. Der BF wurde in Österreich zwei Mal, am 22.11.2001 und am 27.10.2008, strafrechtlich verurteilt.

Zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Gegen den BF wurde mit Bescheid vom 09.02.2018 eine Rückkehrentscheidung erlassen. Der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2.2. Der BF war im Besitz eines gültigen bosnischen Reisepasses.

2.3. Der BF war gesund, haft- u. flugtauglich.

Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF reiste illegal und trotz aufrechten Einreiseverbots nach Österreich ein.

3.2. Er hielt sich unangemeldet in Österreich auf.

Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. Der BF ist laut eigenen Angaben mit einer rumänischen Staatsangehörigen verheiratet, der Ehe entstammen zwei minderjährige Kinder.

4.2. Der BF nahm während seines Aufenthalts bei seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern Unterkunft.

4.3. Er ist laut eigenen Angaben Meteorologe und selbstständig erwerbstätig.

4.5. Der BF ging im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person:

Die Identität des BF ergibt sich aus der Kopie seines Reisepasses, die im Akt aufliegt (1.1.). Das von Slowenien erlassen Einreiseverbot ergibt sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt und wurde vom BF nicht bestritten (1.2.). Das Datum der Einreise des BF ergibt sich aus seiner Einvernahme vom 08.02.2018 (1.3.). Die strafrechtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus dem im Akt aufliegenden Strafregisterauszug (1.4.).

2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.3.):

Die Feststellungen 2.1. und 2.2. basieren auf dem unbestrittenen Akteninhalt. Hinsichtlich der Gesundheit des Beschwerdeführers und der Haft- wie auch Flugtauglichkeit basieren die Feststellungen auf den Angaben im Akt und der Aussage des BF am 09.02.2018.

2.3. Zum Sicherungsbedarf:

Hinsichtlich der Feststellung 3.1. wird auf 1.2. verwiesen.

Die Feststellung zu 3.2. ergibt sich aus dem Einblick in das ZMR. Daraus ist zu entnehmen, dass der BF seit dem 14.09.2016 bis zu seiner Inhaftierung über keinen Hauptwohnsitz im Inland verfügte.

2.4. Familiäre/soziale Komponente:

Die Feststellungen zu 4.1. bis 4.5. gründen sich auf die diesbezüglichen Angaben im Beschwerdeschriftsatz vom 22.03.2018. Die Staatsangehörigkeit der Ehefrau des BF ergibt sich aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen.


3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Das Ermittlungsverfahren vor Verhängung der Schubhaft wurde durch das BFA mangelhaft geführt. Dem BF wurden in der Einvernahme am 09.02.2018 lediglich fünf Fragen gestellt, ein darüberhinausgehendes Ermittlungsverfahren ist aus dem Akt oder dem angefochtenen Bescheid nicht erkennbar. Nicht einmal die wenigen Angaben des BF in der Einvernahme fanden Eingang in den Bescheid. So wurde festgestellt, dass sich der BF „seit längerer Zeit ….“ (sic) illegal in Österreich aufhalte. Der BF hatte jedoch angegeben, sich erst seit dem Vortag, dem 08.02.2018, im Bundesgebiet aufzuhalten. Worauf das BFA seine gegenteilige Feststellung stützt, ist nicht ersichtlich, da der Bescheid keine Beweiswürdigung enthält, sondern lediglich auf den Akteninhalt und die Einvernahme am 09.02.2018 verwiesen wird. Zum Privat- und Familienleben des BF wurde lediglich festgestellt, dass der BF „weder beruflich noch sozial verankert“ sei. Er habe „seine Anbindungen“ in Österreich besucht. Um welche konkreten Familienmitglieder es sich bei den „Anbindungen“ handelt, wurde nicht festgestellt. Somit fehlt die notwendige Feststellung, dass der BF (laut eigenen Angaben) eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder in Österreich hat. Auch die Feststellung, dass „alle Beteiligten“ vom illegalen Aufenthalt des BF gewusst hätten, erweist sich durch diese fehlenden Feststellungen als fragwürdig, da im Fall von minderjährigen Kindern das Wissen um den illegalen Aufenthalt eines Elternteils praktisch keine Bedeutung hat.

Das BFA stellte weiters nur fest, dass der BF vorbestraft sei, ohne seine Verurteilungen konkret anzuführen. Damit wurde, wie in der Beschwerde korrekt ausgeführt, verkannt, dass die Verurteilungen des BF aus den Jahren 2001 und 2008 stammen und die jüngste Verurteilung sohin bereits zehn Jahre zurückliegt. Dies wurde in der Abwägung zur Verhältnismäßigkeit auch nicht berücksichtigt.

Das mangelhafte Ermittlungsverfahren schlug auch auf die Abwägung der Notwendigkeit der Schubhaft gegenüber der Verhängung des gelinderen Mittels durch. Die belangte Behörde führte aus, dass eine finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund der finanziellen Situation des BF nicht in Betracht komme. Dem BF wurden in der Einvernahme allerdings keine Fragen zu seiner finanziellen Situation oder zu einer bestehenden Erwerbstätigkeit gestellt. Es wurde festgestellt, dass der BF seit mehreren Monaten keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Worauf sich diese Feststellung stützt, ist nicht ersichtlich, da der BF, wie gesagt, hierzu nicht befragt worden ist. Auch die Beurteilung, dass sich der BF jedenfalls durch Untertauchen der Abschiebung entziehen werde und daher mit einer periodischen Meldeverpflichtung nicht das Auslangen gefunden werden könne, ist nicht ausreichend begründet, da die belangte Behörde nicht berücksichtigte, dass der BF in der Einvernahme am 09.02.2018 keine Einwände gegen seine Abschiebung vorbrachte. Gegen die Beurteilung der Behörde spricht auch, dass der BF letztlich nicht abgeschoben, sondern von der Behörde am 22.02.2018 zwecks freiwilliger Ausreise aus der Schubhaft entlassen wurde.

Unter Berücksichtigung der höchst mangelhaften Verfahrensführung durch die Behörde hat sich gezeigt, dass die Verhängung von Schubhaft rechtswidrig war.

Zu Spruchpunkt III. – Kostenbegehren

Die belangte Behörde begehrte den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, war der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz abzuweisen.

Der BF beantragte keinen Aufwandersatz. Da gemäß § 35 Abs. 7 VWGVG Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten ist, gebührt dem BF daher kein Aufwandersatz.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage zu Spruchpunkt III. war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Kostenersatz - Antrag Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2190240.1.00

Im RIS seit

14.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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