TE Bvwg Beschluss 2021/9/30 W161 2246085-1

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Veröffentlicht am 30.09.2021
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Entscheidungsdatum

30.09.2021

Norm

AsylG 2005 §4a
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W161 2246085-1/3E

B E S C H L U S S

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN über die Beschwerde des XXXX geboren am XXXX alias XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.07.2021, Zahl: 1270657407-201087946:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 03.11.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Eine EURODAC-Abfrage ergab einen Treffer der Kategorie „2“ mit Griechenland vom 17.09.2019 und einen solchen der Kategorie „1“ vom 16.10.2019.

2. Im Zuge der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 04.11.2020 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen zu können. Seine Eltern und sein Bruder seien in Syrien, ein Bruder und eine Schwester seien in Griechenland, seine Ehefrau, ein Bruder und eine Schwester in Norwegen. Den Entschluss zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer vor ca. 2,5 Jahren gefasst. Er habe Norwegen erreichen wollen. Zum Reiseweg befragt gab der Beschwerdeführer an, Syrien vor ca. 2,5 Jahren verlassen zu haben und über die Türkei nach Griechenland gelangt zu sein, wo er sich etwa sechs Monate lang aufgehalten habe. Danach sei er über Albanien, den Kosovo, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt. In Griechenland werde man gezwungen, die Fingerabdrücke abzugeben, aber nicht gefragt, ob das für das Asylverfahren sei. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, die Türken hätten seinen Staat erobert, ihn festgenommen, mit Ketten festgebunden und gefoltert. Befragt, was er bei der Rückkehr in die Heimat befürchte, gab der Beschwerdeführer an, er werde von den Türken gesucht und könne auch nicht zur Zentralregierung, weil er seiner Militärpflicht nicht nachgekommen sei.

3.1. Mit Schreiben vom 10.11.2020 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) versucht, eine Einverständniserklärung der von dem Beschwerdeführer angegebenen Ehefrau in Norwegen zu erlangen, um eine Familienzusammenführung gemäß Art. 10 Dublin III-VO mit Norwegen einleiten zu können.

Am 28.12.2020 richtete das BFA eine Anfrage nach Art. 10 Dublin III-VO an Norwegen.

Am 13.01.2021 langte ein Ablehnungsschreiben von Norwegen ein. Darin wird mitgeteilt, dass die angegebene Ehefrau des Beschwerdeführers bei den norwegischen Einwanderungsbehörden nicht bekannt ist. Es gebe keinen ausreichenden Beweis dafür, dass der Antragsteller eine Ehefrau in Norwegen habe, Art. 10 Dublin III-VO sei daher in diesem Fall nicht anwendbar.

3.2. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Reiseweg sowie der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 12.11.2020 ein Informationsersuchen gem. Art. 34 Dublin III-VO an Griechenland.

Mit Schreiben vom 19.01.2021 ersuchte das Bundesamt Griechenland um Antwort auf das Informationsersuchen.

Mit Schreiben vom 17.02.2021 gab Griechenland bekannt, dass der Beschwerdeführer in Griechenland am 16.10.2019 um internationalen Schutz angesucht hätte, am 02.04.2020 sei ihm der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden; die Aufenthaltsberechtigung und Reisedokumente habe der Beschwerdeführer jedoch nicht zugestellt erhalten.

4. Am 27.07.2021 wurde der Beschwerdeführer einer Einvernahme vor dem BFA unterzogen. Hiebei gab dieser im Wesentlichen an, sich psychsisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen; er sei gesund, nicht in ärztlicher Behandlung und benötige keine Medikamente. Er habe manchmal Rückenschmerzen, weil er beim Militär geschlagen worden wäre. Befragt, ob er wegen seinen Rückenschmerzen Probleme im Falle einer Rückkehr nach Griechenland befürchte und wenn ja, welche, gab der Beschwerdeführer an: „Ich kann nicht zurück nach Griechenland, weil es gibt dort keine Menschenrechte. Es gibt dort keine Unterstützung und keine Wohnung. Ich schlafe auf der Straße und meine Verlobte wohnt in Norwegen.“ Er gab weiters an, er habe bisher im Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt und habe einen syrischen Personalausweis. Er habe in Österreich keine Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Bindung bestehe, er kenne niemanden in Österreich. Er sei mit einer anderen Gruppe von Griechenland nach Österreich gereist, seine Schwester und sein Bruder seien noch in Griechenland. Über Vorhalt, dass er nach Auskunft der griechischen Behörden in Griechenland anerkannter Flüchtling sei und seine Außerlandesbringung nach Griechenland beabsichtigt sei, gab der Beschwerdeführer an, man habe ihm in Griechenland die Fingerabdrücke abgenommen. Sie hätten ihm aber nicht gesagt, dass er hiermit einen Asylantrag stelle und später sei er nur fünf Monate in Griechenland geblieben und von Griechenland nach Österreich geflüchtet. Er möchte nicht zurück nach Griechenland, weil er dort nicht leben könne. Sein Bruder und seine Schwester seien seit zwei Jahren in Griechenland. Sie hätten dort kein Asylverfahren bekommen. Er hätte nach Norwegen ausreisen und dort seine Verlobte heiraten wollen. Er sei seit ca. neun Monaten in Österreich, warum wolle man ihn nach Griechenland zurückschicken? In Griechenland sei derzeit eine sehr schlechte Situation. Es gebe dort Probleme zwischen Afghanen und Syrern und Griechenland sei kein sicheres Land. Über Befragen, warum er bei der Ersteinvernahme eine falsche Identität angegeben habe, gab der Beschwerdeführer an, er habe sei Geburtsdatum vergessen. Er sei verlobt mit XXXX , geboren 1998. Den Tag und den Monat wisse er nicht. Befragt zum Ablauf seines Asylverfahrens in Griechenland gab der Beschwerdeführer an:

„[…]

F: Wie ist das Asylverfahren in Griechenland verlaufen?

A: Ich bin im Winter vor 2 Jahren (2019) in Griechenland angekommen. Nach meiner Ankunft wurde ich in Griechenland/ XXXX festgenommen. Ich habe am gleichen Tag eine 10-minütige Einvernahme in XXXX gehabt. Später haben wir ein Zelt bekommen und nach 2-3 Monaten haben wir die Asylausweise und eine Bankkarte bekommen. Nach 5 Monaten bin ich dann nach Griechenland ausgereist. Wir haben 90.- Euro monatlich von der griechischen Regierung bekommen. Wir haben Frühstück, Mittagessen und Abendessen bekommen.

F: Wo haben Sie in Griechenland gewohnt?

A: Das Asylheim war in XXXX auf einer Insel.

F: Haben Sie einen oder mehrere Asylanträge gestellt?

A: Nein, nur einmal in Griechenland und ich habe nicht gewusst, dass das ein Asylantrag ist.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr nach Griechenland konkret zu befürchten?

A: Ich kann nicht zurück gehen nach Griechenland. Dort gibt es nichts. Ich will nicht zurück nach Griechenland. Ich möchte nach Norwegen weiterreisen und meine Verlobte dort heiraten oder in Österreich bleiben.


[…]“

Der Beschwerdeführer gab weiters an, er sei vor ca. neun Monaten nach Österreich eingereist, er habe nur einen Asylausweis in Griechenland bekommen, er habe keine Aufenthaltsberechtigung in Griechenland. Er möchte Deutsch lernen und in einer Schneiderei arbeiten, Leute kennenlernen und normal leben. Er bekomme vom XXXX Sozialdienst EUR 200,- monatlich und lebe in einem Asylheim in XXXX . Er habe in Österreich vier Tage einen Deutschkurs besucht. Seine Verlobte in Norwegen habe einen positiven Asylbescheid seit ca. viereinhalb Jahren. Die Frage, ob er noch etwas vorbringen wolle, was nicht zur Sprache gekommen sei und ihm wichtig erscheine, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Er gab aber an, er möchte nicht nach Griechenland zurückgehen.

5. Mit Bescheid vom 29.07.2021 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben habe. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Mit Spruchpunkt III. wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

Die Behörde führt aus, der Beschwerdeführer führe den Namen XXXX , sei am XXXX geboren, syrischer Staatsbürger, leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten und sei nicht imungeschwächt. Er habe in Österreich am 04.11.2020 einen Asylantrag gestellt. Ein Konsultationsverfahren mit Griechenland habe am 17.02.2021 ergeben, dass er seit 02.04.2020 rechtskräftig anerkannter Flüchtling in Griechenland sei. Der Beschwerdefüher habe in Österreich keine Angehörigen oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Bindung bestehe. Auch habe er in Österreich keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Es bestehe kein Grund daran zu zweifeln, dass Griechenland seine sich aus der Genfer Konvention und der Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen erfülle. Aus den Länderfeststellungen gehe klar hervor, dass Schutzberechtigte dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger hätten, sowie einen gesetzlichen Anspruch auf unentgeltliche medizinische Behandlung. Zudem sei der Beschwerdeführer in die staatliche Krankenversicherung mit einbezogen. Es liege kein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vor. Es könne demnach nicht festgestellt werden, dass die Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde. Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG zurückgewiesen werde, habe das Bundesamt gem. § 58 Abs 1 Z 1 AsylG die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG hätten gegenständlich aber nicht vorgelegen. Die Abschiebung in den Zielstaat sei zulässig. +

Feststellungen zur derzeit herrschenden Pandemie Covid-19 fehlen dem Bescheid zur Gänze.

6. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zusammengefasst vorgebracht, der Beschwerdeführer habe in Griechenland seine Fingerabdrücke lediglich aus dem Grund abgegeben, damit ihm die Weiterreise ermöglicht werde. Er habe mit der Abgabe der Fingerabdrücke zu keinem Zeitpunkt einen Asylantrag stellen wollen. Als logische Konseqzenz sei er daher auch nach ca. fünf Monaten wieder aus Griechenland ausgereist. Während seiner Zeit in Griechenland sei er auf der Insel XXXX aufhältig gewesen, wo er unter nicht zumutbaren Umständen gelebt hätte. So sei er etwa lediglich in undichten Zelten auf einer Olivenplantage untergebracht gewesen, wobei diese regelmäßig durch den Regen durchnässt worden wären und er in der Folge an der Kälte gelitten habe. Der Beschwerdeführer leide weiters nach wie vor an Rückenschmerzen, weshalb er auch öfters Schlafprobleme habe. Auch sei es während seines Aufenhalts in Griechenland zu einem Angriff durch einen mit einem Messer bewaffneten afghanischen Asylwerber auf den Bruder des Beschwerdeführers gekommen. Im Fall der Abschiebung nach Griechenland wäre der Beschwerdeführer über mehrere Monate hinweg mittel- und obdachlos, zumal die Ausstellung einer Residence Permit Card in der Praxis Monate dauere und die Behördengänge für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung, wie im Fall des Beschwerdeführers, äußerst schwierig zu bewerkstelligen seien. Hinzukomme, dass er in Griechenland in keinem Flüchtlingsheim mehr gemeldet sei, weshalb mit seinem Asylstatus die Unterbringung in einem solchen bereits über ein Jahr nach Erlassung desselben äußerst schwierig bis unmöglich werde. Es sei daher festzustellen, dass Griechenland seine sich aus GFK und Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht erfülle und der Beschwerdeführer im Fall der Abschiebung in eine ausweglose Notlage geraten würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBGl. I 2013/144).

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

"§ 4a Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.

...

§ 4 (5) Kann ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.-

-

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

----------

-1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

[...]

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

...

§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

...

§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

..."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:

"(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

3.2. Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist im Zuständigkeitsverfahren nämlich aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Beschwerdeführers zu erfolgen hat.

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

So lässt sich aus dem angefochtenen Bescheid in Verbindung mit dem Akteninhalt und den Angaben des Beschwerdeführers nicht nachvollziehen, wie lange sich der Beschwerdeführer tatsächlich in Griechenland aufgehalten hat, wann er Griechenland wieder verlassen hat und ob bzw. seit wann er in Kenntnis war, dass er in Griechenland den Status eines Asylberechtigten zugesprochen bekam.

Aus dem EURODAC-Treffer mit der Kennziffer „2“ ergibt sich, dass der Beschwerdeführer tatsächlich bereits vor seiner Asylantragstellung am 16.10.2019, nämlich bereits am 17.09.2019, in Griechenland war und am 17.09.2019 einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen wurde. Am 02.04.2020 wurde ihm in Griechenland Asyl gewährt. Ob und wann er tatsächlich hiervon Kenntnis erlangte, wurde nicht abgeklärt. Aus dem Schreiben Griechenlands ergibt sich jedenfalls, dass dem Beschwerdeführer seine Aufenthaltsbewilligung und seine Reisedokumente nicht ausgefolgt wurden.

Die erstinstanzliche Behörde geht offenbar von einer lediglich sechsmonatigen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Griechenland aus (siehe S. 17 des Bescheides), die sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren nicht so ableiten lässt.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Einvernahme angegeben, er sei im Winter vor zwei Jahren (2019) in Griechenland angekommen, nach seiner Ankunft sei er auf der Insel XXXX festgenommen worden. Nach fünf Monaten sei er dann nach Griechenland ausgereist.

Es wurde nicht versucht, den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass XXXX ebenfalls bereits zum Staatsgebiet von Griechenland gehört und wurde auch nicht abgeklärt, wann er tatsächlich in Griechenland einreiste, wie er bis zu seiner Asylantragstellung dort lebte, unter welchen Lebensumständen er nach seiner Asylantragstellung lebte, und unter welchen Bedingungen nach der Asylgewährung.

Soweit der Beschwerdeführer fehlende Unterstützungsleistungen bzw. Versorgungsmängel angab, wäre klar zu unterscheiden, ob er sich dabei auf jene Zeitspanne bezogen hat, bevor er in Griechenland einen Schutzstatus erhalten hatte oder um jene Zeit, nachdem ihm das Ergebnis seines Asylverfahrens mitgeteilt wurde. Die im Flüchtlingslager erhaltene Unterstützung, sei es Geldleistungen oder Nahrungsmittel und Kleidung, spielen in der Beurteilung jener Situation, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll, keine wesentliche Rolle mehr. Nachdem er vom Erhalt eines Asylstatus informiert wurde, war der Beschwerdeführer verpflichtet seine Unterkunft im Camp zu verlassen und erhielt keine weiteren Unterstützungsleistungen mehr.

Obwohl der Beschwerdeführer immer wieder seine Verlobte in Norwegen erwähnte und angab, diese habe seit ca. viereinhalb Jahren in Norwegen einen positiven Asylbescheid, wurde mit ihm das Ergebnis der Anfrage an die norwegische Dublin-Behörden, wonach die angegebene Verlobte in Norwegen nicht bekannt sei, nicht erörtert und nicht versucht, nähere Angaben zu dieser bzw. zu der behaupteten Verlobung zu erhalten.

Wie oben dargestellt fehlen dem angefochtenen Bescheid auch gänzlich Feststellungen zu der aktuell herrschenden Pandemie COVID-19 und deren Auswirkungen auf Griechenland bzw. auf den Beschwerdeführer.

Den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides können folgende Passagen entnommen werden:

„Residence Permit Card

Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021).

Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen. Zur Beantragung der RPC reicht in Griechenland ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der Asylbehörde, mit dem einer Person internationaler Schutz zuerkannt wurde, nicht aus. Zusätzlich wird ein sogenannter „ADET-Bescheid“ benötigt. […]

Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card

Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

Wohnungsmöglichkeiten

Ab Juni 2020 sind alle Schutzberechtigten gesetzlich verpflichtet, die Flüchtlingslager beziehungsweise Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen ab Schutzzuerkennung zu verlassen. Verlängerungen des Aufenthalts in den Unterkünften sind nur in außergewöhnlichen Fällen möglich. In der Folge mussten in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Unterkünfte räumen, auch wenn eine Verlängerung des Aufenthalts in diversen Camps und Flüchtlingsunterkünften von der griechischen Regierung aufgrund fehlender Alternativen und der auch für Griechen schwierigen Situation toleriert wurde. Jedenfalls gab es zahlreiche Berichte über obdachlose Flüchtlinge. Medien und NGOs dokumentierten, dass viele von ihnen Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen auf dem Festland hatten und in Athen im Freien schliefen (AI 7.4.2021, vgl. ProAsyl 4.2021, VB 19.3.2021).

In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). […]

Lebenshaltung

Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“

Zusammenfassend zeichnen diese Länderfeststellungen zu Griechenland für Schutzberechtigte ein Bild großer Schwierigkeiten und Hindernisse beim Zugang zu den wenigen verfügbaren Unterkünften und zu Versorgung, das insbesondere geprägt ist von komplexen Kettenvoraussetzungen.

Die vom Bundesamt getroffenen Länderfeststellungen verweisen zudem wiederholt auf das HELIOS Programm und führen dazu unter anderem Folgendes aus:

„Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. Neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration beinhaltet es Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum (ProAsyl 4.2021).“

Das Bundesamt verweist in dem am 29.07.2021 erlassenen Bescheid darauf, dass das HELIOS Programm das einzige offiziell Integrationsprogramm in Griechenland und bereits im Juni 2021 ausgelaufen sei. HELIOS soll Schutzberechtigte nicht nur beim Finden einer Unterkunft unterstützen, sondern auch Integrationsmaßnahmen, wie Integrations- und Sprachkurse, zur Verfügung stellen.

In seiner jüngsten Entscheidung (VfGH 25.06.2021, E 599/2021-12) verwies der Verfassungsgerichtshof im Fall von Überstellungen Schutzberechtigter nach Griechenland darauf, dass es einerseits Feststellungen dazu bedarf, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehende Integrationsmaßnahmen angeboten werden. Andererseits müsse aus den Feststellungen hervorgehen, ob und wieweit für Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt ist.

In ebengenannter Entscheidung, in der es um eine nicht vulnerable Beschwerdeführerin ging, führte der Verfassungsgerichtshof folgendermaßen aus:

„Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“

Das Bundesamt ist nicht ausreichend auf die Situation des Beschwerdeführers bei dessen Rückkehr nach Griechenland eingegangen. Den Länderfeststellungen und den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren ist – wie eben dargelegt – zu entnehmen, dass er keinen Zugang mehr zu einer Unterkunft in Flüchtlingscamps hat, hinzu kommen die Schwierigkeiten für Schutzberechtigte eine Unterkunft zu mieten. Abseits der drohenden Obdachlosigkeit hat keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Zugang zu Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen stattgefunden. Darüber hinaus hat das Bundesamt keine Feststellungen zu Integrationsmaßnahmen getroffen, die Schutzberechtigten in Griechenland zur Verfügung stehen, nachdem das HELIOS Programm mit Juli 2021 ausgelaufen ist.

Es kann im gegenständlichen Verfahren unter Bezugnahme der jüngsten Rechtsprechung des VfGH somit nicht schlüssig nachvollzogen werden, wie das Bundesamt zu der Einschätzung gelangt, dass die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Griechenland diesen nicht in seinen durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte verletzt.

Im vorliegenden Fall kann die allfällige Verpflichtung der Republik Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes noch nicht abschließend beurteilt werden. Aufgrund der von der Behörde im Beschwerdefall zugrunde gelegten Feststellungen ist für den gegenständlichen Fall nicht erkennbar, ob im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland die reale Gefahr einer Verletzung seiner gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte besteht.

Die von der belangten Behörde angeführte und auf Annahmen gründende Argumentation stellen jedenfalls – wie bereits oben näher ausgeführt – keine maßgeblichen Schritte zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts dar.

3.4. Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher weiterer Erhebungen dazu, wann der Beschwerdeführer tatsächlich in Griechenland eingereist ist, wie er nach seiner Asylantragstellung bis zur Asylgenehmigung in Griechenland untergebracht und versorgt wurde, ob und wann er von der Asylgewährung Kenntnis erlangte, wann er Griechenland wieder verlassen hat und allenfalls unter welchen Umständen er von seiner Asylgewährung bis zur Ausreise aus Griechenland gelebt hat. Es bedarf weiters aktueller Feststellungen dazu, ob und wieweit der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Griechenland zumindest in erster Zeit Zugang zu Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sowie zu Integrationsmaßnahmen sichergestellt wird. Zudem hat sich das Bundesamt mit dem in Griechenland aktuell bestehenden Angebot an Programmen, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte anbieten, und deren Umfang im Hinblick auf Art. 34 Statusrichtlinie auseinanderzusetzen und entsprechende Feststellungen zu treffen.

3.5. Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde, nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob bei dem Beschwerdeführer aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsposition des Beschwerdeführers ausgeschlossen werden kann.

3.6. Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG vorzugehend war.

3.7. Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Versorgungslage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W161.2246085.1.01

Im RIS seit

03.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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