TE Vwgh Erkenntnis 2021/11/25 Ra 2019/16/0195

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Veröffentlicht am 25.11.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/08 Sonstiges Steuerrecht
33 Bewertungsrecht

Norm

AbgÄG 02te 1987
BAO §212
BAO §212 Abs1
BAO §212a
BAO §212a Abs5
BAO §230 Abs5
BAO §230 Abs6
BAO §238 Abs1
BAO §238 Abs2
BAO §238 Abs3
BAO §238 Abs3 litb
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und die Hofräte Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Gemeindevorstands der Marktgemeinde G, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Domgasse 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 9. September 2019, Zl. LVwG-AV-752/002-2019, betreffend Aufhebung eines Rückstandsausweises (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung, Landhausplatz 1, 3109 St. Pölten; mitbeteiligte Parteien: 1. P R und 2. T R, beide in K, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Kunert, Rechtsanwalt in 2000 Stockerau, Pampichler Straße 1a), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Marktgemeinde G hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 21. Juni 2010 schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde G den Mitbeteiligten anlässlich der Erklärung deren näher bezeichneten Grundstücks zum Bauplatz eine Aufschließungsabgabe gemäß § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 iHv 15.579,47 € vor. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2        Mit Bescheid vom 1. Juli 2010 wurde den Mitbeteiligten hinsichtlich eines Teilbetrags der Aufschließungsabgabe iHv 6.231,78 € eine Stundung bis zum 31. Dezember 2014 bewilligt.

3        In dem am 27. März 2018 vom Bürgermeister der Marktgemeinde G gegenüber den Mitbeteiligten ausgefertigten Rückstandsausweis war der bis 31. Dezember 2014 gestundete Teilbetrag der Aufschließungsabgabe iHv 6.231,78 € als vollstreckbare Abgabenschuld ausgewiesen.

4        Mit Schriftsatz vom 19. April 2018 brachten die Mitbeteiligten vor, der Rückstandsausweis sei rechtswidrig, weil hinsichtlich des ausgewiesenen Teilbetrags der Aufschließungsabgabe bereits Verjährung eingetreten sei.

5        Mit Bescheid vom 13. Februar 2019 wies der Bürgermeister der Marktgemeinde G den „Antrag [der Mitbeteiligten] den Anspruch der Marktgemeinde [G] gegen die Antragsteller auf Bezahlung von € 6.231,78 aus dem Rückstandsausweis vom 20.7.2018 [gemeint wohl: 27. März 2018] für erloschen zu erklären und die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Rückstandsausweises [...] aufzuheben“ ab.

6        Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Mitbeteiligten, in der neuerlich vorgebracht wurde, dass die fünfjährige Verjährungsfrist mangels einer rechtzeitig gesetzten Unterbrechungshandlung seitens der Marktgemeinde G bereits mit 31. Dezember 2015 abgelaufen sei, wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde G mit Bescheid vom 21. Mai 2019 ab. Die Stundung stelle eine Zahlungserleichterung dar, die nach § 238 Abs. 2 BAO zur Unterbrechung der Verjährungsfrist geführt habe, sodass die Einhebungsverjährung nicht eingetreten sei. Erst mit Beginn des Jahres 2015 habe die Frist „zur Zahlung“ neu zu laufen begonnen.

7        Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und änderte den Spruch des Bescheids des Gemeindevorstands dahingehend ab, dass „[a]ufgrund der Berufung vom 18. März 2019 [...] dem Antrag vom 08. November 2018 [gemeint wohl: 19. April 2018] Folge gegeben und [...] der Rückstandsausweis vom 20. Juli 2018 [gemeint wohl: 27. März 2018] aufgehoben“ werde. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich für nicht zulässig.

8        In der Begründung führte das Landesverwaltungsgericht aus, strittig sei, ob hinsichtlich des gestundeten Teilbetrags der Aufschließungsabgabe mit Ablauf des 31. Dezember 2015 die Einhebungsverjährung eingetreten sei. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Gemeinde gehe hervor, dass nach der Bewilligung der Zahlungserleichterung mit Bescheid des Gemeindevorstands vom 1. Juli 2010 die nächste Unterbrechungshandlung seitens der Gemeinde erst am 31. März 2016 gesetzt worden sei. Zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2015 sei keine nach außen erkennbare Amtshandlung zur Durchsetzung des Anspruchs gegenüber den Mitbeteiligten erfolgt. Damit sei aber nach § 238 BAO mit Ablauf des Jahres 2015 die Einhebungsverjährung hinsichtlich des gestundeten Teils der Aufschließungsabgabe eingetreten. Der zur Exekution gebrachte Betrag erweise sich daher infolge der eingetretenen Einhebungsverjährung nicht (mehr) als offen. Der Rückstandsausweis sei rechtswidrig und daher aufzuheben.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Gemeindevorstands der Marktgemeinde G, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens (§ 36 VwGG) und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Mitbeteiligten erwogen hat:

10       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       In der außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob eine bescheidmäßig bewilligte Stundung eine Hemmung der Verjährung der gestundeten Abgabenschuldigkeiten für den (gesamten) Zeitraum bewirke oder ob nur die Erlassung des die Stundung bewilligenden Bescheids eine (einzelne) Unterbrechungshandlung darstelle, die Stundung den Lauf der Einhebungsverjährung jedoch unberührt lasse. Weiters stelle sich die Frage, ob die Verjährungsfrist nach § 238 Abs. 1 BAO auch während jenes Zeitraums fortlaufe, für den eine Zahlungserleichterung (Stundung) rechtskräftig bewilligt worden sei, bewirke diese doch nach § 230 Abs. 5 BAO einen Zahlungsaufschub während der gesamten Dauer der Stundung, sodass Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden dürften.

13       Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

14       § 238 Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 idF BGBl. I Nr. 14/2013 lautet auszugsweise wie folgt:

„(1) Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209a gilt sinngemäß.

(2) Die Verjährung fälliger Abgaben wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung, wie durch Mahnung, durch Vollstreckungsmaßnahmen, durch Bewilligung einer Zahlungserleichterung oder durch Erlassung eines Haftungsbescheides unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

(3) Die Verjährung ist gehemmt, solange

a)   [...]

b)   die Einhebung einer Abgabe ausgesetzt ist, oder

c)   [...]

[...]“

15       § 238 Abs. 2 BAO enthält eine demonstrative Aufzählung jener Amtshandlungen, die die Einhebungsverjährung unterbrechen. § 238 Abs. 2 BAO nennt als solche Unterbrechungshandlung ausdrücklich die „Bewilligung einer Zahlungserleichterung“, somit die Bewilligung eines Stundungs- oder eines Ratenzahlungsansuchens gemäß § 212 BAO. Ebenso stellen der Widerruf einer Zahlungserleichterung oder die Abweisung eines Stundungsansuchens eine Unterbrechungshandlung iSd § 238 Abs. 2 BAO dar (vgl. VwGH 29.3.2007, 2005/16/0095).

16       Nach § 238 Abs. 2 BAO kommt der nach außen erkennbaren Amtshandlung, im revisionsgegenständlichen Fall somit dem Bescheid vom 1. Juli 2010, mit dem die Stundung des Teilbetrags der Aufschließungsabgabe bewilligt wurde, Unterbrechungswirkung zu. Diese besteht nach § 238 Abs. 2 zweiter Satz BAO darin, dass mit Ablauf des Jahres, in dem die Unterbrechung eingetreten ist, die Verjährungsfrist neu zu laufen beginnt.

17       Da § 238 Abs. 2 BAO ausdrücklich auf die „Amtshandlung“ der „Bewilligung“ der Zahlungserleichterung abstellt, gehört die Zeit der Rechtsfolge der Bewilligung, nämlich die Zahlungserleichterung selbst nicht mehr zur Unterbrechungshandlung, sodass sich die Unterbrechungswirkung des § 238 Abs. 2 zweiter Satz BAO nicht auf die Dauer der Zahlungserleichterung erstreckt (vgl. zu längerdauernden Unterbrechungshandlungen, wie der Prüfung eines Zahlungserleichterungsansuchens, Stoll, BAO-Kommentar, 2466, wonach die Verjährung in solchen Fällen mit Ablauf des Jahres, in dem die einheitliche Unterbrechungshandlung ihr Ende findet, somit das Zahlungserleichterungsansuchen bewilligt oder abgewiesen wird, neu zu laufen beginnt).

18       Im Übrigen erkennt der Verwaltungsgerichtshof dem Widerruf einer Zahlungserleichterung Unterbrechungswirkung nach § 238 Abs. 2 BAO zu (VwGH 29.3.2007, 2005/16/0095), woraus sich ebenfalls erklärt, dass nicht schon die Zeit der bis zum Widerruf dauernden Zahlungserleichterung die Unterbrechung bewirkt.

19       Im revisionsgegenständlichen Fall hat daher die fünfjährige Frist zur Einhebung und zwangsweisen Einbringung der Abgabe nach § 238 Abs. 1 BAO durch die Bewilligung der Stundung mit Bescheid vom 1. Juli 2010 mit Ablauf des Jahres 2010 (neu) zu laufen begonnen. Nach den unbestrittenen Feststellungen des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich wurde zwischen dem 1. Jänner 2011 und dem 31. Dezember 2015 keine weitere nach außen erkennbare Amtshandlung zur Durchsetzung des Anspruchs gegenüber den Mitbeteiligten gesetzt, sodass die Einhebungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2015 eingetreten ist, da sich, wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird, auch aus keiner anderen gesetzlichen Bestimmung eine Hemmung der Verjährungsfrist für die Dauer der bewilligten Zahlungserleichterung ergibt.

20       So bestimmt zwar § 238 Abs. 3 lit. b BAO, dass die Verjährung gehemmt ist, solange die Einhebung einer Abgabe ausgesetzt ist. § 238 Abs. 3 lit. b leg. cit. wurde gleichzeitig mit § 212a BAO mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 312/1987 eingefügt und trägt der Einrichtung der Aussetzung der Einhebung von Abgaben, deren Höhe von der Erledigung einer Berufung abhängt (§ 212a BAO) Rechnung (vgl. Stoll, aaO, 2467; Ritz, BAO6, § 238 Rz 20). Durch die Hemmung der Einhebungsverjährung für die Dauer der Aussetzung der Einhebung wird sichergestellt, dass im Fall einer negativen Entscheidung über die Berufung, die zur Bewilligung der Aussetzung Anlass gegeben hat, auch in einem nach dem sich aus § 238 Abs. 1 und 2 BAO ergebenden Zeitraum liegenden Zeitpunkt Einhebungsmaßnahmen durchgeführt werden können (vgl. EBRV 108 BlgNR 27. GP 45).

21       § 238 Abs. 3 BAO ordnet demnach die Hemmung der Einhebungsverjährung nur für den Fall der Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO, nicht jedoch für den Fall der Bewilligung einer Zahlungserleichterung nach § 212 BAO an. Auch wenn die Stundung einer Abgabe wie die Aussetzung der Einhebung einen Zahlungsaufschub bewirkt (vgl. § 212 Abs. 1 und § 212a Abs. 5 BAO), während dem Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden dürfen (vgl. § 230 Abs. 5 und Abs. 6 BAO), ist die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Hemmung der Einhebungsverjährung gerechtfertigt, ist die Aussetzung der Einhebung nach § 212a BAO doch von der Dauer des Rechtsmittelverfahrens abhängig, auf welche die Abgabenbehörde keinen Einfluss hat, während sie bei der Bewilligung einer Zahlungserleichterung selbst darauf achten kann, dass die Einhebungsverjährung nach § 238 Abs. 1 und 2 BAO nicht eintritt. Dass § 238 Abs. 3 lit. b BAO, wie in der Revision vorgebracht, eine planwidrige Lücke aufweisen würde, die mittels Analogie geschlossen werden müsste, vermag der Verwaltungsgerichtshof somit nicht zu erkennen.

22       Damit lässt sich aber auch, entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht, aus der Bestimmung des § 230 Abs. 5 BAO, wonach bei Bewilligung einer Zahlungserleichterung nach § 212 leg. cit. während der Dauer des Zahlungsaufschubs Einbringungsmaßnahmen weder eingeleitet noch fortgesetzt werden dürfen, keine Hemmung der Verjährungsfrist ableiten. § 238 Abs. 3 lit. b BAO fordert die Aussetzung der Einhebung während § 230 Abs. 5 BAO lediglich die Einbringung anspricht (vgl. dazu auch VwGH 30.1.2020, Ro 2019/16/0001).

23       Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

24       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. November 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019160195.L00

Im RIS seit

29.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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