TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/7 W154 2248833-1

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Entscheidungsdatum

07.12.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
BuLVwG-EGebV §2 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs2

Spruch


W 154 2248833-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. China, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2021, Zl. 1288643700/211678633, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 08.11.2021 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft seit 08.11.2021 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

IV. Gemäß § 35 VwGVG iVm § 2 Abs. 1 BuLVwG-EingabengebührenV hat der Bund der Beschwerdeführerin zu Handen ihres ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 30,00 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

V. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am 07.11.2021 im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle in einem näher bezeichneten Nachtlokal festgenommen. Sie war im Besitz eines chinesischen Reisepasses und eines gefälschten portugiesischen Aufenthaltstitels.

Am 08.11.2021 wurde gegen die BF ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.

Mit dem oben im Spruch angeführten Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde über die Beschwerdeführerin (in Folge: BF) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde der BF persönlich am 08.11.2021 zugestellt. Die belangte Behörde stützte die Fluchtgefahr dabei auf § 76 Abs. 3 Z 1 und 9 FPG. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit habe ergeben, dass die privaten Interessen der Schonung der persönlichen Freiheit der BF dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen haben. Ein gelinderes Mittel sei nach Ansicht der Behörde nicht als ausreichende Sicherung anzusehen, um von einer gesicherten Rückführung der BF in ihren Herkunftsstaat ausgehen zu können. Die gegenständliche Schubhaft sei daher notwendig und rechtmäßig. Eine Einvernahme fand zuvor nicht statt.

Am 09.11.2021 wurde die BF einvernommen, dabei gab sie an, ungefähr Anfang November 2021 nach Österreich gekommen zu sein. Sie habe in Österreich als Fußmasseuse arbeiten wollen, ihr sei gesagt worden, dass sie sich mit dem Aufenthaltstitel überall in Europa aufhalten dürfe. Zu Österreich habe sie keine familiären, sozialen oder beruflichen Bindungen. Ihre Eltern würden in China wohnen. In dem Lokal hätte sie ein Zimmer bewohnt, finanziell verfüge sie über 618.- Euro. In ihren Herkunftsstaat China wolle sie nicht freiwillig zurückkehren, sie wolle hierbleiben. Die Frage, ob sie gesund sei und/oder Medikamente nehme, beantwortete die BF dahingehend, dass sie Juckreiz am Körper habe, wofür sie jedoch noch keine Hilfe bekommen habe.

Mit Bescheid des BFA vom 09.11.2021 wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.); gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die BF erlassen (Spruchpunkt II.); gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt III.); gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 6 FPG gegen die BF ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.); sowie einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

Am 30.11.2021 langte die Schubhaftbeschwerde der BF beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde beantragt auszusprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in rechtswidriger Weise erfolgt seien, und auszusprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft nicht vorlägen. Des Weiteren wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen sowie der belangten Behörde den Ersatz der Eingabengebühr aufzuerlegen.

Begründet wurde die Beschwerde im Wesentlichen mit der Verletzung von Verfahrensvorschriften, dem Nichtvorliegen von Fluchtgefahr, mit der nicht nachvollziehbaren Prüfung gelinderer Mittel sowie der Unverhältnismäßigkeit der voraussichtlichen Schubhaftdauer.

Am 30.11.2021 stellte die BF in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Schubhaft wurde daraufhin mit Aktenvermerk vom 01.12.2021 gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten.

Auf Ersuchen der zuständigen Gerichtsabteilung wurden dem Bundesverwaltungsgericht in Folge vom BFA die Verwaltungsakten übermittelt und eine Stellungnahme erstattet. Darin führte die belangte Behörde im Wesentlichen wie folgt aus:

„Mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.11.2021 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung nach China für zulässig erklärt, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FP G ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Dieser Bescheid wurde der BF am 11.11.2021 zugestellt und befindet sich derzeit (noch) unangefochten in Rechtsmittelfrist.

Die BF verfügt über einen gültigen chinesischen Reisepass, der sich derzeit bei den Effekten im PAZ befindet. Aufgrund der noch offenen Rechtsmittelfrist in der Rückkehrentscheidung konnte kein Flugtermin fixiert werden, jedoch ist eine Rückführung in den Herkunftsstaat innerhalb der zulässigen Anhaltedauer aufgrund des vorhandenen gültigen chinesischen Reisepasses nach wie vor als wahrscheinlich anzusehen.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass eine freiwillige Ausreise entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin eine freiwillige Ausreise sehr wohl auch dzt. möglich wäre.

Die BF verfügt über keinen geeigneten Wohnsitz im Bundesgebiet und auch nicht über die nötigen finanziellen Mittel. Des Weiteren steht für die Behörde fest, dass aufgrund der illegalen Einreise sowie der Tatsache, dass sich die BF mit einem gekauften und gefälschten Aufenthaltstitel ausgewiesen hat und dies in der Beschuldigtenvernehmung durch die Exekutive am 09.11.2021 auch gestand, dass die BF jegliche Glaubwürdigkeit im Hinblick auf ein gelinderes Mittel abgesprochen werden kann.

Auch der Asylantrag im Stande der Schubhaft ist aus Sicht der Behörde mit Verzögerungsabsicht im Hinblick auf weitere aufenthaltsbeendete Maßnahmen gestellt worden. Dazu wird auf den Aktenvermerk gem. § 76 Abs. 6 FPG hingewiesen.

Zum Vorhalt in der Beschwerde bezüglich Opfer von Menschenhandel wird angemerkt, dass mehrfach von konkreten Anhaltspunkten in der Beschwerde sowie der Stellungnahme des LEFÖ die Rede war, jedoch wurde keinerlei dieser Anhaltspunkte genauer bzw. näher ausgeführt. Auch erwähnte die BF in der Beschuldigenteneinvernahme vor der Exekutive einen solchen Vorfall mit keinem Wort. Es gab auch keinerlei Hinweise, die auf ein Opfer von Menschenhandel hingewiesen hätte. Auch fanden laut Aufenthaltsinformation des PAZ bereits am 16.11.2021 sowie 19.11.2021 Rechtsberatungs- und Rückkehrberatungstermine mit der BBU statt. Weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme des LEFÖ finden sich Hinweise, dass zu diesem Zeitpunkt der Verdacht auf Opfer von Menschenhandel bestand.

In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass selbst für den Fall, dass sich im weiteren Verfahren ein Sachverhalt ergeben sollte, der sich hinsichtlich § 57 AsylG als rechtserheblich darstellen könnte, diese Entwicklung seitens der ho. Behörde natürlich auch bei der laufenden Verhältnismäßigkeitsprüfung miteinzubeziehen wäre.“

In der Stellungnahme beantragte die belangte Behörde abschließend die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zum Verfahrensgang:

Der unter Punkt I. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1. Zur Person der Beschwerdeführerin:


1.1. Die BF reiste nach eigenen Angaben Anfang November 2021 ins österreichische Bundesgebiet ein.

1.2. Ihre Identität steht fest. Sie ist chinesische Staatsangehörige, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sie nicht. Sie ist daher Fremde iSd Diktion des FPG. Der BF wurde im Zuge ihrer Festnahme am 07.11.2021 ihr chinesischer Reisepass abgenommen und sichergestellt.

1.3. Die BF ist im Wesentlichen gesund. Sie geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach.

1.4. Sie ist im österreichischen Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Die BF befindet sich seit 08.11.2021 in Schubhaft.

2. Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die gegenständliche Schubhaft wurde am 08.11.2021 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Mit Bescheid vom 09.11.2021 wurde über die BF sodann eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung für zulässig erklärt und die Entscheidung mit einem auf die Dauer von vier Jahren befristeten Einreiseverbot verbunden. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde aberkannt. Eine Beschwerde dagegen wurde inzwischen erhoben.

2.2. Die BF ist hafttauglich.

2.3. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides vom 08.11.2021 war von der Möglichkeit einer Abschiebung der BF innerhalb einer zumutbaren und gesetzmäßigen Zeitspanne auszugehen. Einen konkreten Termin für die Abschiebung gibt es noch nicht.

3. Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Gegen die BF wurde im Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet und in weiterer Folge eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen.

3.2. Die BF befand sich während des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits in Schubhaft und wirkte an diesem sodann mit. Sie hat bisher ihre Rückkehr und Abschiebung nicht umgangen oder behindert.

3.3. Seit dem 11.11.2021 besteht eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

3.4. Die BF ist im Hinblick auf ihren Herkunftsstaat nicht ausreisewillig.

4. Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. Die BF ist in Österreich weder sozial, noch familiär verankert. Sie ging keiner legalen Beschäftigung nach.

4.2. Die BF konnte bei Schubhaftanordnung keine gesicherte Unterkunft nachweisen und war bisher in Österreich nicht melderechtlich erfasst.

4.3. Bei Schubhaftanordnung verfügte sie über einen Geldbetrag von € 618,--.

4.4. Die BF könnte nach einer Haftentlassung in einer Betreuungsstelle des LEFÖ wohnen und würde dort betreut werden.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich im Wesentlichen aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde sowie den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

1. Zur Person der Beschwerdeführerin (1.1.-1.5.):

Die Einreise der BF nach Österreich ergibt sich aus der Aussage der BF im Rahmen der Einvernahme am 09.11.2021. Die BF legte zum Beweis ihrer Identität einen auf ihren Namen lautenden chinesischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind. Wesentliche Beeinträchtigungen ihres gesundheitlichen Zustandes sind nicht hervorgekommen. So gab die BF selbst an, lediglich unter Juckreiz zu leiden. Auch das gerichtlicherseits eingeholte amtsärztliche Gutachten vom 02.12.2021 erklärt die BF im Wesentlichen für gesund und haftfähig. Psychische Beschwerden seien bis dato nicht bekannt geworden. Aus dem Festnahmeprotokoll ist zu entnehmen, dass die BF in einem Nachtlokal betreten wurde. In der Einvernahme am 9.11.2021 gab sie an, nach Österreich gekommen zu sein, um als Fußmasseuse zu arbeiten (1.3.). Dass die BF im österreichischen Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten ist (1.4.), ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Die Dauer ihrer Anhaltung wiederum ergibt sich aus dem vorliegenden Auszug der Anhaltedatei (1.5.).

2. Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.3.):

Die Verhängung der gegenständlichen Schubhaft im Wege eines Mandatsbescheides und die Einleitung des Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung (Rückkkehrentscheidung) ergeben sich aus dem unbestrittenen Verfahrensgang. Der Bescheid des BFA vom 09.11.2021, mit welchem ua. eine Rückkehrentscheidung gegen die BF erlassen und die aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen wurde, liegt dem Gericht vor und wurde dieser nach der Aktenlage am 11.11.2021 zugestellt. Die Schubhaft erfolgte zur Sicherung des Verfahrens sowie zur Sicherung der Abschiebung und war diese sohin zu diesem Zeitpunkt formal zulässig (3.1.).

Die Hafttauglichkeit der BF ergibt sich aus dem seitens des Gerichtes eingeholten amtsärztlichen Gutachtens vom 02.12.2021.

Die Feststellung zu 2.3. beruht auf dem behördlichen Akteninhalt, dem zu entnehmen war, dass eine Abschiebung zwar noch nicht mit einem konkreten Termin vorgesehen war, jedoch dadurch, dass die BF über einen gültigen Reisepass verfügt, einer baldigen Abschiebung nichts entgegenstehen würde. Aus dem Akt ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung der BF daher wesentlich verzögert werden könnte. Die Behörde durfte daher von einer Abschiebemöglichkeit für die BF in nächster Zeit ausgehen. Das Vorbringen in der Beschwerdeschrift konnte durch die Ausführungen in der Stellungnahme des BFA von 01.12.2021 klar widerlegt werden.

3. Zum Sicherungsbedarf (3.1.-3.4.):

Das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergibt sich wiederum aus dem im Rückkehrentscheidungsverfahren ergangenen Bescheid des BFA vom 09.11.2021. Dieser Bescheid wurde der BF nach der Aktenlage am 11.11.2021 zugestellt. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde ausgeschlossen. Der mittlerweile eingebrachten Beschwerde wurde bisher keine aufschiebende Wirkung zugesprochen (3.1.).

Aus der Chronologie ergibt sich, dass eine Einvernahme der BF erst nach Verhängung der Schubhaft am 09.11.2021 stattfand. Sohin ist davon auszugehen, dass die Schubhaft in Voraussicht des danach abgeführten Rückkehrverfahrens am 08.11.2021 verhängt wurde. Die BF befand sich daher während des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits in Schubhaft und sind keine Angaben im Akt darüber, dass sich die BF während der Anhaltung in Schubhaft, oder auch davor unkooperativ verhalten hätte. Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass die BF während des laufenden Verfahrens zwischen der Schubhaftverhängung und der vorläufigen Beendigung des Rückkehrentscheidungsverfahrens mit Bescheid von 09.11.2021 bzw. mit dessen Erlassung am 11.11.2021 im Verfahren mitwirkte und weder ihre Rückkehr, noch ihre Abschiebung umgangen hatte. Den gesamten im Akt dokumentierten Handlungen (Einvernahmen) ist kein Hinweis zu entnehmen, dass die BF in den laufenden Verfahren nicht mitgewirkt hätte. Die BF wurde auch sogleich bei ihrer Betretung festgenommen und kann sich daher auch keinem Verfahren entzogen haben (3.2.). Sodann wurde mit Bescheid vom 09.11.2021 eine Rückkehrentscheidung erlassen, die mit 11.11.2021 durchsetzbar wurde (3.3.). Die BF gab im Rahmen ihrer Einvernahmen am 09.11.2021 an, nicht nach Hause zurückkehren zu wollen (3.4.).

4. Zur familiären/sozialen Komponente (4.1.- 4.5.):

Die fehlende Verankerung der BF in Österreich (4.1.) ist unstrittig und wurden auch von der BF selbst in der bisherigen Einvernahme am 09.11.2021 bestätigt. Das erkennende Gericht sieht keinen Grund an den diesbezüglichen Angaben zu zweifeln.

Der fehlende gesicherte Wohnsitz ergibt sich daraus, dass die BF im Rahmen der behördlichen Einvernahme zwar angab, in einem Zimmer, welches zu dem Nachtlokal, in dem sie betreten wurde, gehören würde, gewohnt zu haben, jedoch wurde diesbezüglich keine Meldung beim Meldeamt vorgenommen. Die Behörde durfte daher zu Recht nicht von einem gesicherten Wohnsitz ausgehen (4.2.).

Die Feststellung eines Guthabens von € 618,-- in bar gründet auf eine Abfragen bei der Anhaltedatei des BMI (4.3.).

In der Beschwerdeschrift wurde unter Vorlage einer unbedenklichen Urkunde eine Wohnmöglichkeit für die BF in der Opferbetreuungsstelle bei LEFÖ geltend gemacht. Aus dem Schreiben der LEFÖ geht erkennbar hervor, dass die BF bei einer allfälligen Entlassung aus der Schubhaft von dieser Einrichtung Unterkunft erhalten und eine Betreuung erfahren würde. Das Gericht geht daher hinsichtlich des zu treffenden Fortsetzungsentscheidung nunmehr von einem gesicherten Wohnsitz aus.

5. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen:
Von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

In seiner Judikatur zu § 77 FPG 2005 ging der Verwaltungsgerichtshof bisher davon aus, dass der UVS als Beschwerdeinstanz im Schubhaftbeschwerdeverfahren nach der Bejahung eines Sicherungsbedarfs bei seiner Entscheidung zwar die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG 2005 an Stelle der Schubhaft im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen hat, diesem allerdings keine Zuständigkeit zur Entscheidung darüber, welches der im § 77 Abs. 3 FPG 2005 demonstrativ aufgezählten gelinderen Mittel anzuwenden wäre, zukommt. Deren Auswahl blieb vielmehr der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (vgl. VwGH 20.10.2011, Zl. 2010/21/0140; VwGH 28.05.2008, Zl. 2007/21/0246). Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die einer Übertragung dieser Judikatur hinsichtlich des mit Ausnahme der neuen Absätze 8 und 9 weitgehend unveränderten § 77 FPG auf das seit 01.01.2014 anstelle des UVS zuständige Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entgegenstehen würden.

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“ (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zukommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Im vorliegenden Fall stützte die belangte Behörde die Fluchtgefahr der BF auf die Ziffern 1 und 9 des in § 76 Abs. 3 FPG enthaltenden Kriterienkatalogs.

Die belangte Behörde begründete die Fluchtgefahr zum einen mit § 76 Abs. 3 Z 1 FPG („ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert“). Wie bereits in der Beweiswürdigung näher ausgeführt, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die BF in irgendeiner Weise vor der Schubhaftbescheiderlassung, aber auch danach an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt hätte, oder ihre Abschiebung behindert hätte. Dass die BF möglicherweise nicht freiwillig aus Österreich habe ausreisen wollen, stellt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedoch noch keine Umgehung oder Behinderung der Abschiebung dar. Eine Verwirklichung von Z. 1 leg. cit. lag und liegt sohin nicht vor.

Gemäß 76 Abs. 3 Z 9 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr „der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes“ zu berücksichtigen. Es darf also, um Fluchtgefahr bejahen zu können, keine maßgebliche - der Annahme einer Entziehungsabsicht entgegen stehende - soziale Verankerung des Fremden in Österreich vorliegen, was an Hand der genannten Parameter zu beurteilen ist (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, Rn. 31).

Zwar verfügt die BF über keine familiären Beziehungen, sie ist auch nicht legal erwerbstätig und verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz, doch ist aufgrund des mitgeführten relativ hohen Geldbetrages davon auszugehen, dass die BF über ausreichend hohe Existenzmittel verfügt, um so ihren Aufenthalt bis zu einer möglichen zeitnahen Abschiebung – die BF ist im Besitz eines chinesischen Reisepasses - auch zu finanzieren. Sohin ist im konkreten Fall § 76 Abs. 3 Z 9 FPG als nicht vollständig verwirklicht anzusehen.

Sonstige Gründe, um von Fluchtgefahr auszugehen, hat weder das behördliche, noch das gerichtliche Verfahren ergeben. Da demgemäß schon das Vorliegen von ausreichend begründetem Sicherungsbedarf zu verneinen war, konnte die Prüfung der weiteren Voraussetzungen der Schubhaftverhängung unterbleiben.

Aufgrund der fehlenden Notwendigkeit des Freiheitsentzuges war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3.1.4. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114).

Ebenso war daher die Anhaltung der BF in Schubhaft seit 08.11.2021 für rechtswidrig zu erklären.

3.1.5. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme der BF konnte daher unterbleiben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. – Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

3.2.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Die BF stellte am 30.11.2021 im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, weshalb nunmehr der Tatbestand der Ziffer 5 erfüllt ist.

Aufgrund obiger Erwägungen kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass § 76 Abs. 3 Z 1 FPG nach wie vor als nicht erfüllt anzusehen ist.

In Hinblick auf § 76 Abs. 3 Z 9 FPG kommt zu den obigen Ausführungen hinzu, dass die BF nunmehr eine Zusage der Opferschutzeinrichtung LEFÖ auf Unterbringung in einer sicheren Schutzwohnung und auf Unterstützung hat, wodurch der Tatbestand der Ziffer 9 lediglich nur mehr zu einem geringen Teil (soziale und familiäre Komponente) gegeben ist.

Mittlerweile ist – wie oben dargelegt - im gegenständlichen Fall § 76 Abs. 3 Z 3 (erster Fall) FPG (Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme) als erfüllt anzusehen. Was den Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG betrifft, so ist er zwar erfüllt, liegt doch unbestritten eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor. Das bringt aber per se noch nicht in tauglicher Weise „Fluchtgefahr“ zum Ausdruck; der Existenz einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Sinn des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG kommt nur im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. nochmals VwGH 11.5.2017, Ro 2016/21/0021, nun Rn. 30).

Aufgrund obiger Erwägungen - des Nichtvorliegens ihrer Notwendigkeit - war die Schubhaft auch nicht fortzusetzen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

3.2.2. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme der BF konnte daher unterbleiben.

3.3. Zu Spruchpunkt III. und IV. - Kostenbegehren

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren war die Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig und auch eine Fortsetzung der Haft nicht tunlich. Die BF war daher als obsiegende Partei anzusehen und hat den Ersatz der Eingabegebühr in der Höhe von € 30,-- beantragt.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Eingabegebühr ersatzfähig (vgl. VwGH 28.05.2020, Ra 2019/21/0336).

Die Behörde konnte im Verfahren nicht obsiegen und hat daher gemäß der zitierten gesetzlichen Bestimmung auch keinen Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten.

Mit der Einbringung der Beschwerde entsteht gemäß § 1 Abs. 2 BuLVwG-Eingabengebührenverordnung die Gebührenschuld. Mit dem Entstehen der Gebührenschuld wird gemäß § 1 Abs. 2 letzter Satz leg.cit. die Gebühr auch fällig.

3.5. Zu Spruchpunkt V. - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Asylantragstellung Eingabengebühr Fortsetzung der Schubhaft Kostenersatz Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Schwarzarbeit Sicherungsbedarf Unbescholtenheit Untertauchen Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W154.2248833.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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