TE OGH 2021/9/28 5Ob118/21w

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2021
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. E*, 2. D*, beide vertreten durch Mag. Katharina Regner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 10.966,17 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. März 2021, GZ 1 R 52/21z-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 30. November 2020, GZ 15 C 360/20f-12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen deren mit 946,39 EUR (darin 157,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Die Beklagte ist ein Kreditinstitut. Sie hat mit den Klägern im März 2009 einen Kreditvertrag über 306.000 EUR mit einer Laufzeit von 25 Jahren abgeschlossen, die Kläger haben den aushaftenden Kreditbetrag im März 2020 vorzeitig zurückbezahlt. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob ihnen deshalb ein Anspruch auf anteilige Rückerstattung der laufzeitunabhängigen Kreditkosten zusteht.

[2]            Das Erstgericht wies ihr Rückzahlungsbegehren ab. Auf das Kreditverhältnis sei § 33 BWG idF BGBl Nr 532/1993 anzuwenden, dessen Abs 8 sehe bei vorzeitiger Erfüllung eines Verbraucherkreditvertrags keine Rückvergütung von laufzeitunabhängigen Kosten vor. Die der Argumentation der Kläger zugrunde liegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. 9. 2019, C-383/18 (Lexitor) sei zu der hier nicht anwendbaren Richtlinie über Verbraucherkreditverträge 2008/48/EG ergangen und daher nicht einschlägig.

[3]            Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine richtlinienkonforme Interpretation von § 33 Abs 8 BWG aF dahin, dass auch laufzeitunabhängige Kosten zu vergüten seien, widerspreche dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und sei abzulehnen. Im Übrigen könne dem EuGH bei Auslegung des Begriffs der Ermäßigung der Gesamtkosten in der Entscheidung Lexitor nicht ernsthaft unterstellt werden, dass er das in der Richtlinie angesprochene Ziel eines hohen Schutzes des Verbrauchers durch vorzeitige Rückzahlung von Krediten mittels einer völlig unsachlichen aliquoten nachträglichen Übernahme von tatsächlich entstandenen Kosten und Gebühren für die Absicherung der Kreditrückzahlung unter dem Titel Ermäßigung der Gesamtkosten verwirklicht haben wolle, obwohl der Verbraucher diese Kosten unumkehrbar bereits durch den Abschluss des Kreditvertrags verursacht habe und die vorzeitige Rückzahlung seiner Sphäre zuzurechnen sei. Selbst eine richtlinienkonforme Interpretation im Licht der Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Lexitor führe daher nicht zu dem von den Klägern gewünschten Ergebnis.

[4]       Die Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, zur Frage der Zulässigkeit richtlinienkonformer Interpretation vertrete die Lehre unterschiedliche Ansichten, Rechtsprechung für die hier zu beurteilende Fallkonstellation fehle.

[5]       Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, in der sie die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagestattgebung anstreben, hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellen.

[6]       Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7]            Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig; sie zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[8]       1. Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der am 13. 3. 2009 geschlossene Kreditvertrag weder dem zeitlichen Anwendungsbereich des Verbraucherkreditgesetzes (VKrG) noch jenem des Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes (HIKrG) unterliegt, sondern § 33 Abs 7, 8 BWG aF anzuwenden ist. Diese Bestimmung beruhte auf Art 1 Abs 2 lit d und Art 8 der RL 87/102/EWG (VerbraucherkreditRL 1987 – vgl RV 1130 BlgNR 18. GP 140). Nach Art 8 VerbraucherkreditRL 1987 ist der Verbraucher berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus dem Kreditvertrag vorzeitig zu erfüllen. In diesem Fall kann der Verbraucher gemäß den von den Mitgliedstaaten festgelegten Regelungen eine angemessene Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits verlangen. In Umsetzung der Richtlinienbestimmung verpflichtete § 33 Abs 8 BWG aF das Kreditinstitut die Gesamtbelastung um jenen Betrag an Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten zu vermindern, der bei kontokorrentmäßiger Abrechnung des vorzeitig zurückgezahlten Betrags nicht anfällt.

[9]            2. Gemäß Art 2 Abs 1 VerbraucherkreditRL 1987 ist die Richtlinie allerdings nicht auf Kreditverträge anzuwenden, die hauptsächlich zum Erwerb oder zur Beibehaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder an einem vorhandenen oder noch zu errichtenden Gebäude bestimmt sind (lit a), sowie auf Kreditverträge über mehr als 20.000 ECU (lit f). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, zumal die Kläger den Kredit zum Zweck des Kaufs einer Eigentumswohnung aufgenommen haben. § 33 Abs 8 BWG aF kennt zwar keine derartige Einschränkung, setzte die VerbraucherkreditRL 1987 daher überschießend um. Ob eine richtlinienkonforme Auslegung bei überschießender Umsetzung von Unionsrecht in Fällen außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie überhaupt geboten ist und ein Vorabentscheidungsersuchen für diesen Bereich überhaupt zulässig wäre, ist in der Lehre umstritten (vgl hiezu Perner, Erweiternde Umsetzung von Richtlinien des europäischen Verbraucherrechts, ZfRV 2011/225; Zöchling-Jud in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 Vor §§ 922–933 Rz 9). Nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0129424) ist grundsätzlich nicht anzunehmen, dass es dem Willen des österreichischen Gesetzgebers entspräche, eine vom EuGH vorgenommene weitgehende Ausdehnung eines Rechtsbegriffs (dort: Nachlieferungspflicht iSd VerbrauchergüterkaufRL 1999/44/EG) im Wege richtlinienkonformer Auslegung über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus zu erstrecken (grundlegend dazu 9 Ob 64/13x = EvBl 2014/89 [Perner]). An dieser überzeugend begründeten Auffassung ist festzuhalten, zumal sie auch die Revision nicht substantiiert in Zweifel zieht. Daher besteht kein Anlass für das von den Klägern angeregte Vorabentscheidungsersuchen zur Frage der Übereinstimmung von § 33 Abs 8 BWG aF mit Art 8 der VerbraucherkreditRL 1987 und dem dort verwendeten Begriff der Angemessenheit. Auf die Frage der richtlinienkonformen Interpretation von § 33 Abs 8 BWG kommt es – entgegen der vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung vertretenen Auffassung – hier nicht an.

[10]           3. Die VerbraucherkreditRL 1987 wurde mit RL 2008/48/EG (VerbraucherkreditRL 2008) aufgehoben. Diese trat gemäß Art 31 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl 133 vom 22. 5. 2008) in Kraft, gilt allerdings nach ihrem Art 30 Abs 1 – mit hier nicht relevanten Ausnahmen – nicht für die am Tag des Inkrafttretens der innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen bereits laufenden Kreditverträge. Innerstaatlich umgesetzt wurde diese Verbraucherkreditlinie mit dem VKrG, dessen § 29 Abs 1 mit 11. Juni 2010 in Kraft trat. Daraus folgt, dass der hier zu beurteilende, bereits am 13. 3. 2009 geschlossene Kreditvertrag weder in den zeitlichen Anwendungsbereich der VerbraucherkreditRL 2008 noch des VKrG fällt. Zum intertemporalen Anwendungsbereich der VerbraucherkreditRL ist auch Art 30 Abs 2 zu berücksichtigen, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Art 11, 12, 13 und 17 sowie Art 18 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 auf am Tag des Inkrafttretens der innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen bereits laufende unbefristete Kreditverträge angewendet werden. Die Nachfolgebestimmung zu Art 8 VerbraucherkreditRL 1987, nämlich Art 16 der VerbraucherkreditRL 2008 ist dort nicht genannt, diese Bestimmung über die vorzeitige Rückzahlung daher nicht auf bei Inkrafttreten der innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen bereits bestehende Kreditverträge anzuwenden. Diese Auslegung ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts so klar, dass es der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs auch hiezu nicht bedarf.

[11]           4. Art 16 Abs 1 VerbraucherkreditRL 2008 sieht für den Fall der vorzeitigen Erfüllung der Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag durch den Verbraucher vor, dass er in diesem Fall das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits hat, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. Die von den Klägern als Grundlage ihrer Argumentation herangezogene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs C-383/18 (Lexitor) erging zu Art 16 Abs 1 der VerbraucherkreditRL 2008 und sprach aus, das Recht des Verbrauchers auf die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Kreditrückzahlung umfasse sämtliche ihm auferlegten Kosten und somit – abweichend zur Umsetzung dieser Norm durch den österreichischen Gesetzgeber in § 16 Abs 1 VKrG aF sowie durch den deutschen Gesetzgeber in § 501 BGB aF – auch laufzeitunabhängige Kosten. Die dadurch aufgeworfene Frage der Zulässigkeit einer richtlinienkonformen Interpretation von § 16 Abs 1 VKrG aF nach den Grundsätzen dieser Entscheidung (vgl hiezu zuletzt Pendl, Das Lexitor-Urteil des EuGH und der Wille des österreichischen Gesetzgebers, ÖBA 2021, 331 mit instruktiver Auflistung der zahlreichen hiezu bisher bereits ergangenen Stellungnahmen aus der Lehre) stellt sich hier entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts aber gar nicht, weil eine Bindung der österreichischen Gerichte an die Grundsätze dieser Entscheidung für den hier zu beurteilenden Fall zu verneinen ist.

[12]           5. Grundsätzlich haben sich die Gerichte bei der Auslegung der nationalen Vorschrift soweit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der Richtlinie und dem innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Begriffe auszulegen (RS0075866). Ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bindet das nationale Vorlagegericht, es entfaltet über den Ausgangsrechtsstreit hinaus rechtliche Bindungswirkung dahin, dass alle Gerichte der Mitgliedstaaten die vom EuGH vorgenommene Auslegung zu beachten haben (RS0110582 [T1]; RS0111726 [T1]). Vorabentscheidungen des EuGH haben auch grundsätzlich zeitliche Wirkung ex tunc, sofern der EuGH die zeitliche Rückwirkung nicht beschränkt (RS0114650). Der EuGH spricht daher bindend darüber ab, in welchem Sinn und in welcher Tragweite die Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (EuGH C-92/11 RWE Vertrieb AG RN 58; Schima in Jäger/Stöger EUV/AEUV Art 267 AEUV Rz 205 mwN). Bindungswirkung einer Vorlageentscheidung des EuGH entfaltet allerdings ausschließlich der Spruch des Erkenntnisses, der sich auf die Vorlagefrage zu einer bestimmten Richtliniennorm bezieht (vgl Schima in Jäger/Stöger EUV/AEUV Art 267 Rz 197 ff mwN). Dies ist bei der Entscheidung des EuGH Lexitor aber nur Art 16 der VerbraucherkreditRL 2008, der hier – wie dargestellt – nicht anzuwenden ist. Auch auf die Frage, ob der EuGH bei Auslegung des Begriffs der Ermäßigung der Gesamtkosten in der Entscheidung Lexitor – wie das Berufungsgericht meint – nur auf die dort zu beurteilenden „Provisionen“ aus Anlass der Kreditgewährung abstellen wollte oder auch Fremdkosten, wie die gesetzliche Kreditgebühr, gerichtliche Eintragungsgebühr, Prämie der Kreditrestschuldversicherung und Kosten für den Treuhandauftrag davon umfasst sein sollten, kommt es daher nicht an.

[13]           6. Damit hat die Interpretation des EuGH in der Entscheidung Lexitor keine Auswirkungen auf die Auslegung von Art 8 der VerbraucherkreditRL 1987 und von § 33 Abs 8 BWG aF. Mangels sachlichen Anwendungsbereichs auf den hier zu beurteilenden Kredit stellt sich die Frage nach einer richtlinienkonformen Auslegung dieser Bestimmung im Licht von Art 8 der VerbraucherkreditRL 1987 nicht, zumal dem österreichischen Gesetzgeber ein hypothetischer Wille zur einheitlichen Auslegung selbst im Licht überraschender Auslegungsergebnisse des EuGH nicht zu unterstellen ist. Dass der nationale Gesetzgeber des § 33 Abs 8 BWG aF ebenso wie des (mittlerweile außer Kraft getretenen) § 12a KSchG nur eine Herabsetzung laufzeitabhängiger Kreditkosten als angemessen im Sinn von Art 8 der VerbraucherkreditRL 1987 ansehen wollte, ergibt sich nicht nur aus dem Gesetzeswortlaut, sondern auch aus den Gesetzesmaterialien (vgl RV 809 BlgNR 18. GP 6; JAB 1992 BlgNR 18. GP 1 f). Angesichts dieses eindeutigen Willens des nationalen Gesetzgebers könnte selbst ein „ausbrechendes“ Auslegungsergebnis (vgl 9 Ob 64/13x Pkt 4.10) des EuGH zum Begriff der „Angemessenheit“ in Art 8 der VerbraucherkreditRL 1987 – für den hier zu beurteilenden Bereich überschießender Richtlinienumsetzung – keine Auswirkung haben.

[14]     7. Damit war die Revision zurückzuweisen.

[15]     8. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihr der Ersatz der tarifgemäß verzeichneten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zuzusprechen war.

Textnummer

E133202

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E133202

Im RIS seit

07.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten