TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 W174 2198865-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2198931-1/26E

W174 2198936-1/26E

W174 2198938-1/21E

W174 2198934-1/21E

W174 2198865-1/22E

W174 2198928-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , auch XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , 2.) des XXXX , auch XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , 3.) der XXXX , auch XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , 4.) der XXXX , auch XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , 5.) des XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX und 6.) des XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1091455800-151579166/BMI-BFA_STM_AST, 2.) Zl. 1091456209-151579034/BMI-BFA_STM-AST, 3.) Zl. 1091456808-151579247/BMI-BFA_STM_AST, 4.) Zl. 1091457609-151579365/BMI-BFA_STM_AST, 5.) Zl. 1091457903-151579492/BMI-BFA_STM_AST und 6.) Zl. 1130248003-161279755/BMI-BFA_STM_AST, nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:


A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin sowie der Fünftbeschwerdeführer reisten nach Österreich ein und stellten am 18.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.10.2015 gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Wesentlichen an, aus der Provinz Ghazni zu stammen, afghanische Staatsangehörige und traditionell verheiratet zu sein. Beide gehörten dem schiitischen Glauben sowie der Volksgruppe der Sadat an.

Die Erstbeschwerdeführerin sei Analphabetin, der Zweitbeschwerdeführer habe in der Heimat und im Iran als Schneider gearbeitet. Vor ca. einem Jahr sei die Familie in den Iran ausgereist.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Zweitbeschwerdeführer vor, sein Leben wäre in der Heimat in Gefahr gewesen, weswegen er in den Iran geflohen sei. Von dort hätten ihn die iranischen Behörden zurückgeschickt, dann sei er erneut in den Iran gereist und wegen des dortigen illegalen Aufenthalts nach Österreich gekommen. Im Falle einer Rückkehr würden die Taliban seine Familie umbringen.

Die Erstbeschwerdeführerin erklärte, weil ihr Leben in Afghanistan in Gefahr gewesen sei, hätten sie in den Iran flüchten müssen. Dort hätten sie nicht bleiben und die Kinder nicht die Schule besuchen dürfen, der Grund für ihre Flucht aus dem Iran sei ihr illegaler Aufenthalt gewesen. Bei einer Rückkehr in die Heimat fürchte sie die Taliban und den IS, weil sie Frauen wie Tiere behandelten.

3. Nach der Geburt des Sechstbeschwerdeführers im Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung am 16.9.2016 für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei keine eigenen Fluchtgründe für das Kind angegeben wurden.

4. Am 9.10.2017 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen und legten dabei die afghanischen Reisepässe der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer vor. Beide erklärten, vor der letzten Ausreise aus Afghanistan bereits einmal fünf Jahre im Iran gelebt zu haben, wo auch die Viertbeschwerdeführerin auf die Welt gekommen sei.

Die Erstbeschwerdeführerin gab an, sie habe als Hausfrau gearbeitet und keine eigenen Probleme in der Heimat gehabt, sondern nur ihr Ehemann. Bei einer Explosion habe dieser sie verteidigt, weil die Taliban in ihre Richtung gekommen seien und sie sonst getötet hätten. Sie sei dabei am Bein verletzt worden, wozu auch ärztliche Unterlagen (Bruch des linken Oberschenkels samt Schussverletzung) vorgelegt worden seien. Anschließend sei die Familie geflüchtet und habe in weiterer Folge Drohbriefe erhalten. Die Frau des Bruders der Erstbeschwerdeführerin könne diese aber nicht schicken, weil sie sie sofort vernichtet hätte. Bei einer Rückkehr befürchte sie, durch die Taliban festgenommen zu werden, damit diese an ihren Gatten, den Zweitbeschwerdeführer herankämen.

Weiters habe die Erstbeschwerdeführerin nachts nicht allein das Haus verlassen können, tagsüber habe die Armee die Kontrolle gehabt, nachts jedoch die Taliban.

Bezüglich ihrer Kinder gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass diese keine eigenen Asylgründe hätten.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte zunächst vor, er sei das erste Mal fünf Jahre lang wegen der Arbeit im Iran gewesen und dann wegen der Krankheit seines Vaters nach Afghanistan zurückgekehrt. Der Vater sei gestorben, und die Drittbeschwerdeführerin habe die Schule nicht besuchen können, weil sie keine Dokumente gehabt hätten.

Zu seinem Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, in seiner Heimat ein Grundstück gekauft zu haben, um dort ein Haus zu bauen. Bis zu dessen Fertigstellung hätte die Familie beim Schwager gewohnt, welcher Kommandant der kriminalpolizeilichen Abteilung in Ghazni gewesen sei. In einer Nacht wäre berichtet worden, dass dieser sich zu Hause befinde, weshalb die Taliban das Haus angegriffen und die Wand weggesprengt hätten. Dabei sei die Erstbeschwerdeführerin am Bein und am Knie verletzt worden. Der Zweitbeschwerdeführer habe die Familie mit dem gegenüberwohnenden Schwager des Schwagers verteidigen müssen, wobei beide geschossen und einen Taliban verletzt hätten. Der Schwager des Zweitbeschwerdeführers habe sich selbst nicht zu Hause befunden und man hätte behauptet, dass der Zweitbeschwerdeführer jenen Taliban, welcher nachher im Krankenhaus verstorben sei, getroffen habe. Deshalb sei die Familie zur Flucht gezwungen gewesen. Nach der Flucht wären Drohbriefe gegen den Zweitbeschwerdeführer ins Haus des Schwagers geworfen worden, die der Zweitbeschwerdeführer jedoch nicht gesehen habe. Zudem hätte er wegen dieses Vorfalls Probleme mit der Regierung Karzai bekommen, wenn er nicht geflüchtet wäre.

Vorgelegt wurden Fotos, die den Schwager des Zweitbeschwerdeführers in seiner Polizeiuniform zeigen sollen sowie den mit einer Kalaschnikow bewaffneten Zweitbeschwerdeführer selbst mit eben diesem.

Weiters vorgelegt wurden Empfehlungsschreiben, Deutschkursbestätigungen sowie diverse Fotos aus Österreich, um die Integration der Beschwerdeführer zu belegen.

5. Mit den gegenständlichen im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt VI.) festgesetzt.

6. Dagegen wurde rechtzeitig mit gemeinsamem Schriftsatz Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin einen für afghanische Verhältnisse westlichen Lebensstil pflege, welcher eher dem einer westlich geprägten Frau entspreche, denn einer traditionellen afghanischen. In Afghanistan müsse jede Frau, also auch die Erstbeschwerdeführerin, ein sehr eingeschränktes Leben führen. Diese habe nie in Afghanistan die Möglichkeit zum Schulbesuch gehabt, weshalb sie auch Analphabetin sei und in Österreich die Sprache lernen und zur Schule gehen wolle. Bezüglich der minderjährigen Kinder wurde angemerkt, dass vor allem die Töchter besonders schutzbedürftig seien.

Angefügt wurde ein Konvolut von Integrationsunterlagen der Familie.

7. Am 11.7.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Traueranzeige, vorgeblich bezüglich des erschossenen Bruders der Erstbeschwerdeführerin (des Polizeikommandanten), vorgelegt.

Am 5.10.2018, 16.11.2018, 19.11.2019 und am 24.9.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Integrationsunterlagen betreffend die einzelnen Mitglieder der Familie (Empfehlungsschreiben, Zeugnisse, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten, Deutschkursteilnahmebestätigungen) ein.

8. Am 25.5.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Die Erstbeschwerdeführerin erklärte hierbei im Wesentlichen, in Ghazni in Afghanistan geboren, verheiratet, afghanische Staatsangehörige und schiitische Muslima zu sein. Ihre Mutter und ihr Vater hätten ihr gesagt, dass sie Sadat wären, ihre Muttersprache sei Dari.

Afghanistan habe sie (erstmals) verlassen, als sie mit ihrer zweiten Tochter schwanger gewesen sei. Nach deren Geburt seien sie nach Afghanistan zurückgekehrt. Grund für diese Ausreise in den Iran sei gewesen, dass ihr Mann dort als Schneider gearbeitet habe. Wie lange sich die Erstbeschwerdeführerin das erste Mal im Iran aufgehalten habe, wisse sie nicht mehr, es sei länger als einen Monat gewesen. Nach Afghanistan wären sie deswegen zurückgekehrt, weil die ältere Tochter zur Schule habe gehen müssen und sie im Iran keine Dokumente gehabt hätten. Bevor sie nach Europa gekommen seien, habe sich die Erstbeschwerdeführerin nochmals ca. eineinhalb Jahre im Iran aufgehalten und dort auch Behandlungen gemacht.

Dass die Erstbeschwerdeführerin Analphabetin sei liege daran, dass ihr Vater im Iran gearbeitet habe und sie beim Onkel väterlicherseits untergebracht gewesen wäre. Letzterer sei der Meinung gewesen, dass Mädchen nicht zur Schule dürften und Frauen keine Ausbildung bräuchten. Nach der Rückkehr ihres Vaters seien die Taliban an der Macht gewesen und Frauen hätten sowieso nicht mehr zur Schule gehen können.

Ein Bruder von ihr sei Kommandant bei der Polizei gewesen, bei einem Attentat verletzt worden, monatelang krank gewesen und habe – soweit sie wisse – Afghanistan verlassen. Genauere Informationen hätte sie leider nicht. Die Todesanzeige, die nach ursprünglichen Angaben ihren Bruder zeigen soll, vorgehalten, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, es handle sich um ihren Onkel mütterlicherseits, der bei einem Attentat getötet worden wäre. Nach dessen Tod habe ihre Mutter einen Herzinfarkt bekommen und sei ebenfalls gestorben. Vorgehalten, dass diese Traueranzeige seinerzeit im Juli 2018 vorgelegt worden sei und zwar mit der Information, dass es sich um den Bruder der Erstbeschwerdeführerin handle, welcher als Kommandant der Polizei in Ghazni erschossen worden wäre, betonte die Beschwerdeführerin nochmals, es sei ihr jüngster Onkel mütterlicherseits. Diese Traueranzeige sei im Iran ausgestellt worden, weil dort eine Trauerzeremonie stattgefunden habe. Von ihren beiden Brüdern befänden sich einer im Iran bei ihrem Vater und der andere nach einem Attentat der Taliban auf der Flucht.

Die Erstbeschwerdeführerin gab an, sie sei nach den islamischen Gesetzen erzogen worden, aber persönlich nicht gläubig.

Zuletzt seien sie aus Afghanistan ausgereist, weil das Leben ihres Ehemanns und ihrer Kinder in Gefahr gewesen wäre. Die Familie sei damals mit dem Hausbau beschäftigt gewesen und habe in dem Haus ihres Bruders gelebt. Um 9:00 oder 10:00 Uhr abends habe sich die Erstbeschwerdeführerin draußen im Garten befunden, als es eine Explosion gegeben habe und alles auf einmal dunkel geworden sei. Sie selbst sei dabei verletzt worden. Verursacht hätten die Explosion die Taliban, die ihren Bruder hätten töten wollen. Dieser sei immer wieder für einen Monat oder länger nicht zu Hause gewesen und habe sie (wörtlich: „uns“) damals gebeten, in seinem Haus zu wohnen, damit ein Mann auf die Familie aufpasse. Die Taliban seien gegen ihren Bruder gewesen und hätten diesen mit der Sprengung umbringen wollen. In der Auseinandersetzung wäre ein Angehöriger der Taliban getötet worden, von wem, sei nicht klar, aber man hätte ihrem Ehemann vorgeworfen, dass er der Täter gewesen sei. Somit habe er Probleme mit den Taliban bzw. der Regierung bekommen und die Familie deswegen Afghanistan verlassen.

Außer diesem Angriff gebe es keine weiteren Fluchtgründe.

Anwesend gewesen wären bei diesem Vorfall außer den Beschwerdeführern noch die Frau des Bruders der Erstbeschwerdeführerin und deren Kinder. Nachgefragt, wieso der Zweitbeschwerdeführer davon gesprochen habe, dass der Gatte ihrer Schwester sie verteidigt hätte, betonte die Erstbeschwerdeführerin nochmals, sie habe zwei Schwestern, die nicht verheiratet seien, weshalb es auch keinen Ehemann gebe. In diesen Protokollen sei etwas falsch übersetzt worden.

Ihr Gatte, der Zweitbeschwerdeführer, sei ein sehr gutmütiger, netter und tüchtiger Mann, der sie und die Kinder liebe. Er helfe im Haushalt und sei nicht vergleichbar mit anderen afghanischen Männern. Beschimpft oder geschlagen habe er sie nie. Wenn so etwas passiere, würde die Beschwerdeführerin sofort und direkt die Polizei holen.

Zu Hause trage sie normalerweise Spaghettiträger und kurze Hosen. Wenn sie das Haus verlasse, fast immer Hosen, weil ihre Haut im Beinbereich durch die Verletzung Probleme habe. Somit ziehe sie ein Hemd oder ein T-Shirt mit einer Jacke an, im Sommer eine ärmellose Bluse oder ein Hemd. Seitens der erkennenden Richterin wurde festgehalten, dass die Erstbeschwerdeführerin bei der Verhandlung eine schwarze Hose, eine schwarze Jacke sowie eine weiße Bluse und zwei goldene Kreolen trage und kurzes Haar habe.

Da sie durch Stress und Krankheit ihre Haare verloren habe, habe die Erstbeschwerdeführerin bis vor einem Jahr noch ein Kopftuch getragen, eine Art Schal. Nachdem ihre Haare wieder gewachsen seien, habe sie diese Kopfbedeckung abgelegt. Über ihre Kleidung entscheide sie nun alleine, ihr Körper gehöre ihr. In Afghanistan hätten mehrere Personen über ihre Kleidung entschieden. Sie habe lange Kleider anhaben bzw. eine Burka tragen müssen, wenn sie das Haus verlassen habe und sei total unglücklich mit der Situation gewesen. Ihr Mann habe sich nunmehr für das Leben in Österreich entschieden, sich zu integrieren und zu tun, was hier üblich sei. Er akzeptiere jetzt, dass eine Frau über ihre eigene Kleidung bestimme.

An ihrem Leben in Afghanistan geführten Leben lehne die Erstbeschwerdeführerin ab, dass die Männer dort über alles bestimmen könnten. Sie könnten entscheiden, was man zu Essen bekomme, welche Kleidung man trage. Auch könnten sie über das Leben von Frauen bestimmen, welche zu Hause bleiben, Kinder bekommen und sich im Haushalt beschäftigen müssten. Frauen dürften grundsätzlich keine Ausbildung haben oder keine Beschäftigung. Sogar 1 kg Kartoffeln oder Zwiebeln könne man ohne die Zusage von Männern nicht kaufen.

In Österreich verlasse sie alleine das Haus, wenn sie einkaufe, zum Beispiel Make-up, Hygieneartikel oder auch Kleidung. Sie gehe alleine weg, wenn sie ihre Freunde treffen oder den Arzt aufsuchen wolle. Für ihre beiden Söhne besorge sie die Kleidung, Schuhe oder was sie sonst bräuchten, die beiden Töchter gingen selbst einkaufen. Für das Einkaufen bzw. einen Routinearztbesuch reichten die Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin, wenn es um medizinische Details gehe, nehme sie ihre Tochter als Dolmetscherin mit.

Durch ihre Verletzung könne die Erstbeschwerdeführerin weder laufen noch andere Sportarten betreiben, sie könne auch nicht länger stehen bleiben, weshalb sie zurzeit keinen Sport mache. Wenn sie hohe Absätze trage, bekomme sie Schmerzen.

Ihre Töchter gingen schwimmen und die Erstbeschwerdeführerin habe sie auch ein paarmal begleitet und es einmal versucht. Dies sei noch vor der Pandemie gewesen. Bei ihrem Schwimmversuch habe sie einen Badeanzug angehabt.

Die Erstbeschwerdeführerin sei sehr froh, dass ihre Kinder in Österreich leben dürften und alle sehr erfolgreich in der Schule seien. Ihre Töchter hätten vor, Medizin zu studieren und Ärztinnen zu werden. Die Lehrerinnen und Lehrer seien sehr zufrieden mit ihnen und die Erstbeschwerdeführerin sei überglücklich, dass sie als Jugendliche bzw. junge Frauen das Leben genießen könnten und ihr Leben anders ausschaue als das ihre. Beide Töchter betrieben Sport, eine habe sogar zwei Medaillen im Laufen gewonnen. Die Töchter gingen auch laufen und schwimmen, auch tanzen würden sie sehr gerne. Seit der Pandemie hätten sie ein Computer-Fernsehspiel zum Tanzen. Am Samstag seien die Töchter mit Freunden unterwegs, sie gingen zum Einkaufen und Essen. Sonntag sei der Familientag, wo sie Zeit gemeinsam verbrächten.

Die Töchter würden überhaupt nicht religiös erzogen, sie könnten auch über ihr Leben und ihre Zukunft entscheiden und seien selbstständig.

Es bestehe ein unglaublich großer Unterschied zwischen dem Leben in Österreich und jenem in Afghanistan. Hier könnten die Töchter über ihre Zukunft, Ausbildung und ihren Beruf entscheiden, diese Möglichkeiten hätten sie in Afghanistan sicherlich nicht.

Die Drittbeschwerdeführerin sei in Afghanistan ca. zwei Jahre zur Schule gegangen, im Iran habe sie eine sogenannte afghanische Schule besucht. Die Freiheit, die Ausbildung und die Unabhängigkeit seien die Punkte, die sehr wichtig seien und genau darin gebe es auch die Unterschiede zwischen dem Leben in Österreich und in Afghanistan bzw. dem Iran. Hier gingen die Töchter gerne zur Schule, früher immer mit Tränen in den Augen.

Die Erstbeschwerdeführerin habe österreichische Freunde und zwar mehr als andere Nationalitäten. Eine Freundin, die sie heute begleite, sei die Besitzerin ihrer ehemaligen Wohnung und weiterhin sehr gut mit der Familie befreundet. Viele österreichische Freunde hätten sie bei dieser zu Hause kennengelernt. Dann habe sie auch Personen in der Kirche, in der sie freiwillige Tätigkeiten verrichtet habe, getroffen und sei nunmehr mit ihnen befreundet. Vor der Pandemie hätten sie immer sonntags Kontakt gehabt, sich in der Kirche getroffen und seien nachher zum Kaffeetrinken gegangen oder hätten Spaziergänge gemacht. Mindestens einmal wöchentlich hätte sie die Freunde getroffen. Wenn sie selbst nicht zu Hause sei, kümmere sich der Zweitbeschwerdeführer um die Kinder. Ein weiterer Freund, der sie heute begleite, sei aus Griechenland und lebe seit vielen Jahren in Österreich. Mit ihm und seiner Gattin seien sie auch befreundet.

Ausgeführt habe die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nur ehrenamtliche Tätigkeiten, ebenso wie ihr Ehegatte. Wenn dieser in Österreich keine Arbeit finde, werde sicherlich die Erstbeschwerdeführerin arbeiten. Ihr Mann habe jedoch bereits eine Arbeitsstelle als Schneider gefunden, für den Fall, dass er einen positiven Bescheid bekomme. Sie selbst würde auch auf jeden Fall arbeiten. Für ihren Ehemann sei das überhaupt kein Problem, er wäre einverstanden damit.

Das Geld der Familie verwalte die Erstbeschwerdeführerin, die auch ein eigenes Bankkonto habe. Ihr Plan für ein allfälliges weiteres Leben in Österreich wäre, zuerst besser Deutsch zu lernen, Lesen und Schreiben wäre sehr wichtig. Sie würde sehr gerne in der Küche oder Gastronomie einen Job finden und hoffe, dass sie in Zukunft ihr eigenes Geld verdienen und auch unabhängig leben könne. Wenn sie Schreiben und Lesen gelernt habe, könne sie sich auf eine Ausbildung oder weitere Jobmöglichkeiten konzentrieren.

Der wichtigste Unterschied zu ihrem Leben in Afghanistan sei ihre Freiheit und ihre Sicherheit als Frau und auch als Mutter. Sie könne über ihr Leben und ihre Zukunft entscheiden, in der Familie mitreden und Entscheidungen treffen. Dies gelte auch für ihre Kinder. Sie selbst sei als Frau in Afghanistan immer abhängig vom Vater, Bruder und Ehemann gewesen, das würde hier für ihre Töchter nicht gelten.

2017 habe die Erstbeschwerdeführerin für drei Monate einen Deutschkurs besucht, anschließend habe es aber keine Möglichkeit für gratis Deutschkurse mehr gegeben. Das Geld für weitere Kurse hätten sie nicht gehabt.

Der Zweitbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen zunächst, in Ghazni geboren, schiitischer Moslem und Angehöriger der Sadat zu sein. Seine Muttersprache sei Dari. Mit Sadat meine man Personen, die aus der Familie des Propheten Mohammed stammten. Religiös sei der Beschwerdeführer trotzdem überhaupt nicht. Insgesamt habe er in der Heimat drei Jahre lang eine religiöse Schule besucht, Ausbildung habe er sonst keine erhalten, sei aber von Beruf Schneider.

Seit seinem 15. oder 16. Lebensjahr sei er immer wieder im Iran gewesen, um dort zu arbeiten. Manchmal sei er jedes Jahr hingefahren, manchmal zwei Jahre dortgeblieben und dann für sechs Monate nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Erstbeschwerdeführerin und die Kinder seien das erste Mal gemeinsam mit ihm fünf Jahre im Iran geblieben, bevor sie alle wegen der schweren Krankheit des Vaters des Zweitbeschwerdeführers freiwillig zurückgekehrt seien. Das zweite Mal hätten sie sich vor der Ausreise nach Europa insgesamt 15 Monate im Iran aufgehalten. Nach dem Tod seines Vaters sei die Familie etwas mehr als eineinhalb Jahre in der Heimat geblieben und sie hätten dessen Haus, in dem sie auch gelebt hätten, verkauft und einen Teil des Erlöses als Erbe erhalten.

Der Bruder seiner Frau, welcher Polizeikommandant gewesen sei, wäre geflüchtet, wie seine Gattin von ihrem Vater erfahren habe. Wo er sich befinde sei nicht klar, anscheinend nicht in Afghanistan.

Bei dem fluchtauslösenden Vorfall hätte die Familie im Haus des genannten Schwagers gelebt, als der Zweitbeschwerdeführer um 9:00 Uhr oder 10:00 Uhr abends eine Explosion gehört habe, die ein Loch in die rechte Hausmauer gerissen hätte. Dadurch seien die Taliban hereingekommen. Seine Gattin sei genau zu diesem Zeitpunkt im Hof gewesen und durch diese Explosion verletzt worden. Er selbst habe ein Gewehr genommen, um die Familie (wörtlich: „uns“) zu verteidigen. An diesem Abend seien die Erstbeschwerdeführerin, die gemeinsamen Kinder, die Frau des Schwagers sowie dessen Kinder im Haus gewesen. Es habe überall viel Staub gegeben und sei dunkel gewesen, sodass er nur gesehen habe, dass bewaffnete Personen hineingekommen wären. Er habe schießen müssen, damit sie zurückgingen. Bei der Verteidigung geholfen hätten ein Cousin seiner Frau, welcher im Haus gegenüber gewohnt habe, sowie ein Arbeitskollege des Schwagers, der in der Nähe lebte. Warum die Erstbeschwerdeführerin auf Nachfrage diese Männer nicht erwähnt habe, wisse der Zweitbeschwerdeführer nicht. Der Angriff habe dem Bruder seiner Gattin gegolten, der Zweitbeschwerdeführer selbst habe keine Tätigkeit und keine Stelle bei der Polizei oder irgendeine Militärposition gehabt. Der Anschlag sei geplant gewesen, um seinen Schwager zu töten. Jedoch mache es für die Taliban keinen Unterschied, wessen Töchter die Frauen seien, die sich im Haus befänden, sondern sie töteten die anwesenden Personen. An diesem Abend sei ein Taleb getötet und ihm selbst vorgeworfen worden, dass er dies gewesen sei. Die Taliban hätten einfach Rache ausüben wollen und argumentiert, dass der Zweitbeschwerdeführer einen der Taliban umgebracht habe, somit würden sie ihn bzw. seine Familie töten. Unter der Regierung von Karzai wäre man zudem verurteilt worden, wenn man einen Taliban getötet hätte. Nach der Ausreise aus Afghanistan hätten die Taliban ein paar Drohbriefe geschickt, die der Schwager erhalten und zerrissen habe.

Seine Frau, die Erstbeschwerdeführerin, trage in Österreich zu Hause etwas Offenes, Ärmelloses oder Spaghettiträger mit kurzer Hose, draußen normalerweise Hosen, entweder mit T-Shirt oder mit Hemd. Kopftuch trage sie jetzt keines mehr, früher habe sie einen Schal gehabt, weil sie viele Haare verloren habe. Jetzt schauten ihre Haare wieder gut aus, weshalb sie auch kein Kopftuch trage. Über ihre Kleidung entscheide seine Gattin selbst, was für ihn auch in Ordnung sei. In Afghanistan bzw. im Iran sei es anders gewesen, weil die Gesetze und die Gesellschaft dort anders seien. In Afghanistan habe seine Gattin meistens eine Burka getragen, im Iran entweder einen Mantel und ein Kopftuch oder einen Tschador. Dort hätte sie ernsthafte Probleme bekommen, wenn sie diese Kleidervorschriften nicht respektiert hätte. Er sei sich ziemlich sicher, dass keine Frau damit einverstanden sei.

Für seine Frau sei ihre Freiheit sehr wichtig, die Tradition und die Vorschriften in der Heimat hätten sie total gestört. Hier gehe sie einkaufen, besonders, wenn sie persönliche Sachen haben wolle, gehe sie allein hinaus. Sie besuche alleine den Arzt, treffe alleine Freunde, oder gehe mit den Kindern einkaufen und mache Spaziergänge. Wenn etwas Schweres zu tragen sei, kauften sie beide gemeinsam ein. Manchmal sei es notwendig, dass sie gemeinsam den Arzt besuchten, zum Beispiel für ihren jüngeren Sohn, der Herzprobleme habe, aber ansonsten gehe die Erstbeschwerdeführerin alleine mit den Kindern zum Arzt.

Dass seine Ehefrau wenig Sport betreibe erklärte der Beschwerdeführer damit, dass sie keine Lust dazu habe. Sie könne auch nicht richtig schwimmen und zudem sei durch ihre Verletzung ein Bein größer als das andere und er glaube, dass sie sich dafür geniere und es ihr unangenehm sei, dass man diese Verletzung sehe.

Vor der Pandemie seien beide Töchter in der Früh aufgestanden, hätten gefrühstückt und sich aufwendig geschminkt, bevor sie zur Schule gegangen seien. Nach der Schule würden sie sich manchmal mit ihren Freunden treffen oder dann direkt nach Hause kommen und Hausaufgaben machen. Sonntag sei Familientag. Samstags aber würden die Töchter ihre Freunde treffen und am Abend vor dem Schlafengehen das Make-up wieder entfernen. Sie besuchten alleine die Schule und betrieben Sport, weil ihnen ihre Figur sehr wichtig sei. Religiös erzogen seien sie nicht, mit dieser Kleidung und diesem Make-up seien sie sicherlich nicht religiös.

Es gebe einen großen Unterschied zwischen den Möglichkeiten in Österreich und in Afghanistan. Dort hätten die Töchter sicher Schwierigkeiten gehabt, zur Schule zu gehen und eine Berufsausbildung oder ein Studium wären fast unmöglich. Hier seien sie frei, könnten eine Ausbildung machen, über ihre Zukunft entscheiden und ihre Traumjobs haben.

Die Familie habe österreichische Freunde, zu denen sie im regelmäßigen Kontakt stehe. Viele Leute hätten sie in der Kirche kennengelernt oder bei der Besitzerin ihrer ehemaligen Wohnung. Vor der Pandemie hätten sie sich immer wieder getroffen, sich gegenseitig besucht oder etwas unternommen.

Seine Gattin treffe auch alleine Freunde, er kümmere sich dann um die Kinder.

Der Zweitbeschwerdeführer habe eine Stelle gefunden, wo er wahrscheinlich in der Zukunft arbeiten könne und ansonsten arbeite er immer wieder ehrenamtlich. Seine Gattin sei ehrenamtlich tätig gewesen und bereit, jederzeit arbeiten zu gehen. Er würde dann auf die Kinder schauen.

Das Geld der Familie verwalte seine Gattin, sie sei für das Finanzielle zuständig und habe ein eigenes Konto. Auch träume sie davon, einmal in der Gastronomiebranche zu arbeiten und wolle ein ganz kleines Restaurant haben. Zuerst müsse sie jedoch besser Deutsch lernen, was sie vorhabe. In den Ortschaften, in denen sie gelebt hätten, hätte sie nicht so viele Möglichkeiten gehabt, Deutschkurse zu besuchen, zumal sie Analphabetin sei.

Er selbst habe im Jahr 2020 einen Deutschkurs besucht, diesen wegen Corona jedoch unterbrechen müssen. Die ersten Jahre hätte die Familie in den Bergen gelebt, wo es keinen einzigen Kurs gegeben habe.

Vorgelegt wurden folgende Integrationsunterlagen der Familie: acht Empfehlungsschreiben betreffend die ganze Familie im Original, sowie ein Empfehlungsschreiben eines evangelischen Pfarramtes, eine Bestätigung eines Pfarrverbandes, ein Empfehlungsschreiben einer christlichen Gemeinde, ein Zertifikat des BFI betreffend den Zweitbeschwerdeführer über den Basisbildungskurs „Sicher im Alltag, fit für Ausbildung und Beruf“ – Basisbildungsangebot…“, eine Seite aus dem evangelischen Kirchenboten, Dezember/Jänner/Februar 2020/21, eine Bestätigung vom 19.5.2021 betreffend die Absicht, den Zweitbeschwerdeführer anzustellen, eine Schulnachricht 2020/21 einer MS betreffend die Drittbeschwerdeführerin, sowie zwei Empfehlungsschreiben betreffend die Drittbeschwerdeführerin, eine Schulnachricht Schuljahr 2020/21, betreffend die Viertbeschwerdeführerin der MS samt Stellungnahme des Klassenvorstandes, eine Bestätigung einer Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche vom Mai 2021 betreffend die Beratung/Behandlung der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin seit 2/2021 in der Psychologischen/Psychosozialen Beratung samt Bestätigung des Klassenvorstandes der Drittbeschwerdeführerin über deren Traumatisierung, eine Schulbesuchsbestätigung des Fünftbeschwerdeführers, Schuljahr 2020/21 einer Volksschule sowie eine Lernfortschrittbestätigung und Stellungnahme betreffend die Familie von einer Lehrerin der Viertbeschwerdeführerin.

In weiterer Folge wurden die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (zum Teil in deutscher Sprache) einvernommen.

Die Drittbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, ihre Mutter stehe immer um 7:00 Uhr auf und mache Frühstück, manchmal erledige dies die Drittbeschwerdeführerin für ihre Schwester und sich selbst, manchmal aber auch der Vater. Dann würde der Bruder in die Schule gebracht. Wenn sie selbst um ca. 1:30 Uhr nach Hause komme, werde gegessen und ihre Mutter gehe spazieren, jedoch nur kurz, weil sie Schmerzen im Fuß habe. Manchmal gehe ihre Mutter alleine, manchmal mit dem Vater und manchmal mit ihr und ihrer Schwester. Sie trage dabei ein T-Shirt oder Top, eventuell einen Pyjama, zudem Jeans oder so. Wenn viel einzukaufen sei, gingen beide Elternteile, ansonsten die Mutter alleine. Die Drittbeschwerdeführerin erhalte oft Geld von ihrer Mutter. Sie selbst gehe in die Hauptschule und treffe sich in ihrer Freizeit immer mit Freunden. Manchmal gingen sie Schminke o. ä. kaufen, zum Beispiel Döner essen oder spazieren. Ihre Freunde kenne sie aus der Schule. Manchmal treibe sie zu Hause Sport, manchmal gehe sie mit ihrer Schwester draußen laufen oder spazieren.

In der Schule nehme sie immer am Turnunterricht teil, dazu trage sie ein T-Shirt und eine kurze oder lange Hose, abhängig davon, was sie vorhabe.

In Zukunft wolle sie Ärztin werden. An ihrem Leben in Österreich sei ihr wichtig, dass sie studieren könne. In Afghanistan könne man als Mädchen nicht leben und sich draußen nicht mit Freunden treffen. Dort wäre sie immer zu Hause und würde gar nichts machen. Auch müsste sie dort ein Kopftuch tragen sowie längere Kleidung und das wolle sie nicht.

Seitens der erkennenden Richterin wurde angemerkt, dass die Drittbeschwerdeführerin ihr langes schwarzes Haar offen trage, geschminkt sei und die Fingernägel in Abstimmung zu ihrer Kleidung (schwarze Hose, weißes T-Shirt) lackiert seien.

Die Viertbeschwerdeführerin gab an, dass ihre Mutter zu Hause ein T-Shirt und eine Jogginghose trage und zum Einkaufen und Spazierengehen das Haus verlasse, auch alleine. Einkaufen gingen manchmal die Mutter, manchmal der Vater. Geld bekomme die Viertbeschwerdeführerin von beiden.

Sie selbst gehe in die Schule, mit ihren Freunden hinaus, auch mit ihrer Schwester und ihrer Familie. Die Freizeit verbringe sie manchmal mit ihren Freunden und mit ihrer Schwester, manchmal gehe sie mit ihrer Familie in den Park. Sie gehe schwimmen und trage dabei einen Bikini, betreibe Volleyball, manchmal Fußball und laufe. Auch nehme sie am Turnunterricht teil, trage dabei ein T-Shirt und eine lange oder kurze Hose, mit der man laufen könne. Auch wolle sie studieren und Ärztin werden.

Die Viertbeschwerdeführerin hätte in Afghanistan keine Freiheit, dort müssten Frauen zu Hause bleiben. Hier könne sie hinausgehen, mit ihren Freunden shoppen und schöne Sachen kaufen.

Seitens der erkennenden Richterin wurde angemerkt, dass die Viertbeschwerdeführerin schwarze Jeans, ein T-Shirt, eine schwarze Jeansjacke trage, geschminkt sei und die Fingernägel passend zur Kleidung lackiert habe. Das lange Haar trage sie offen.

In der Folge wurde auf das vorliegende Informationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat verwiesen. Die Beschwerdeführervertreterin nahm dazu dahingehend Stellung, dass die Erstbeschwerdeführerin sowie die Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführerin selbstständige Frauen seien, die in ihrer Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert seien. Die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin besuchten derzeit die Schule und hätten bereits konkrete Pläne für die Zukunft. Ebenso habe die Erstbeschwerdeführerin ihren Arbeitswillen unter Beweis gestellt und sich mehrfach ehrenamtlich engagiert. Sie alle führten ein eigenständiges Leben und wollten nicht nach der konservativ afghanischen Tradition leben. Es liege daher ein Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer.

Die Familie stammt aus Ghazni, die Viertbeschwerdeführerin wurde im Iran geboren, der Sechstbeschwerdeführer kam im Bundesgebiet zur Welt.

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Sadat und dem schiitischen Glauben an.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in der Heimat keine Schule und ist Analphabetin. Der Zweitbeschwerdeführer ging in der Heimat drei Jahre in die Koranschule und reiste mehrfach in den Iran aus. Sowohl in der Heimat als auch im Iran war er als Schneider tätig. Die Familie war mehrere Jahre im Iran aufhältig, kehrte in die Heimat zurück und lebte vor der Weiterreise nach Europa nochmals über ein Jahr im Iran.

Die Erstbeschwerdeführerin, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin gehören zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen bzw. Mädchen. Sie führen mittlerweile einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken. Sämtliche Kinder werden im Bundesgebiet westlich sozialisiert, die gesamte Familie ist westlich orientiert.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Version 3, Stand 1.4.2021, die Kurzinfo der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan vom 21.7.2020, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde, den vorliegenden Gerichtsakten und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.

2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft der Beschwerdeführer resultieren aus ihren dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten, den vorgelegten Dokumenten und ihren diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen.

Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frauen bzw. Mädchen ergeben sich aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der dort gewonnen werden konnte. Diese Angaben werden zudem durch die Angaben des Zweitbeschwerdeführers und die – unter Punkt I. detailliert angeführten – Dokumente untermauert.

Die Beschwerdeführerinnen vermochten zu überzeugen, dass sie sich aus innerer Überzeugung einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt haben, danach leben und daran festzuhalten gewillt sind, wobei ihr westlich orientierter Lebensstil auch von ihrem in Österreich lebenden Ehegatten bzw. Vater mitgetragen wird.

Die erkennende Richterin gewann im Rahmen der Verhandlung den Eindruck, dass es sich bei den Beschwerdeführerinnen um Frauen bzw. Mädchen handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnen, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht haben und – aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition – auch danach leben.

Die Beschwerdeführerinnen haben in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen anpassen und dass sie sich vor – in Afghanistan für Frauen üblichen – traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben fürchten.

Die Erstbeschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, vom Willen getragen zu sein, den Alltag selbstständig und ohne Hilfe ihres Ehemannes zu bestreiten. Sie will sich weiterbilden, verwaltet das Geld der Familie, geht alleine einkaufen, zu (österreichischen) Freunden und Ärzten. Ihre (westliche) Kleidung sucht sie sich selbst aus. Dass sie wenig Sport betreibt, kann ihr im konkreten Fall wegen ihrer – durch medizinische Unterlagen belegten – Beinverletzung nicht vorgehalten werden. Das Kopftuch hat sie abgelegt und lehnt aus innerer Überzeugung Kleidungsstücke wie Burka oder Tschador wegen der damit verbundenen Freiheitsbeschränkung ab. Zudem konnte sie glaubhaft machen, nach der Absolvierung von notwendigen Deutschkursen eine Berufstätigkeit (vorzugsweise in der Gastronomie) anzustreben und in Hinkunft auch selbst berufstätig sein zu wollen.

An dem Leben, das sie in Afghanistan geführt hat, lehnt sie ab, dass eine Frau dort keine Rechte und keine Freiheit hat. Sie hatte sich nicht ausbilden lassen, nicht alleine das Haus verlassen oder einen Beruf ausüben dürfen.

Für sich und ihre Kinder – vor allem die Töchter - wünscht sie sich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und es ist ihr sehr wichtig, dass auch die Töchter eine Ausbildung machen, arbeiten, selbstständig über ihr Leben entscheiden und in Freiheit – ohne die traditionellen Beschränkungen in Afghanistan - leben können.

All dies wird vom Zweitbeschwerdeführer unterstützt, der auch auf die Kinder aufpasst.

Insgesamt führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Dies gilt aber auch für ihre beiden Töchter, die einen modernen westlichen Kleidungsstil pflegen, sich mit Freunden treffen, ausgehen, Sport betreiben und auch schwimmen, wozu sie Sport- bzw. Badekleidung anziehen. Beide wünschen es sich, zu studieren und Ärztinnen werden zu können.

2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland der Beschwerdeführer. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach, eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin gehören zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen bzw. Mädchen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gezeigt, führen die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Den getroffenen Länderfeststellungen sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (siehe Abschnitt III.A.7f.) ist zu entnehmen, dass die Fortführung dieser Lebensweise in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen führen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. Religion (überwiegende Orientierung an dem als "westlich zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen außerhalb Afghanistans befinden und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in dieses Land zurückzukehren.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Beschwerdeführerinnen nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist und (Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017) 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten; b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat; c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung, jeweils schon vor der Einreise bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Nach den Materialien (RV 952, 22. GP, 54) dient § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (§ 2 Abs. 1 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (VwGH 6.8.2020, Ra 2020/14/0343).

Da der Erstbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin bereits aus dem Titel der "westlichen Orientierung" und in der Folge den übrigen Beschwerdeführern gemäß § 34 Abs. 1 und 2 AsylG Asyl zu gewähren war, war auf das übrige asylrelevante Fluchtvorbringen nicht weiter einzugehen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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