TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/24 W224 2217664-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2021
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Entscheidungsdatum

24.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W224 2217664-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zl. 1050701504 – 180372913/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.08.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 24.05.2015 legal in Österreich ein. Seine Mutter stellte für ihn am 27.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 29.06.2015, Zl. 1050701504 – 150563938, wurde dem Antrag auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) stattgegeben und dem Beschwerdeführer im Familienverfahren gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3. Nach Einlangen der Verständigung über eine Anklageerhebung wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen wurde der Beschwerdeführer am 15.05.2018 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Auf Vorhalt der Anklage gab der Beschwerdeführer an, was passiert sei, tue ihm leid. Er hoffe, noch eine Chance zu bekommen, da er in seiner Heimat niemanden mehr habe. Der Grund für die Tat sei der schlechte Einfluss von schlechten Freunden gewesen. Jetzt habe der Beschwerdeführer aber Abstand von diesen Freunden genommen, er mache jetzt einen Deutschkurs und gehe trainieren.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.05.2018, Zl. 162 Hv 39/18w, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, einer näher bezeichneten Person von hinten einen heftigen Stoß versetzt zu haben, sodass diese zu Boden gefallen sei, und ihr anschließend die Handtasche entrissen zu haben, davongelaufen zu sein und aus der Handtasche das darin befindliche Bargeld in der Höhe von EUR 30,- und eine Bankomatkarte behalten zu habe, während er die Handtasche weggeschmissen habe. Weiters habe der Beschwerdeführer im Zeitraum von Jänner bis Februar 2018 versucht, eine andere näher bezeichnete Person dazu zu bestimmen, in einem Ermittlungsverfahren als Zeuge zur Sache vor der Kriminalpolizei falsch auszusagen. Der Beschwerdeführer wurde daher wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 2. Fall, 288 Abs. 1 und 4 StGB unter Bedachtnahme auf § 5 Z 4 JGG nach dem Strafsatz des § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, der Privatbeteiligten einen Betrag von EUR 100,- zu zahlen. Für die Dauer der Probezeit wurde eine Bewährungshilfe angeordnet. Im Rahmen der Strafbemessung wurden die Verletzung des Opfers sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen erschwerend, das reumütige Geständnis, der tadellose Lebenswandel und die teilweise Schadensgutmachung mildernd gewertet.

5. Mit Schreiben vom 05.10.2018 wurde das BFA davon in Kenntnis gesetzt, dass der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 142 Abs. 1 StGB in Untersuchungshaft genommen worden sei.

6. Am 05.11.2018 wurde die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers erneut vor dem BFA einvernommen. Sie gab an, dass der Beschwerdeführer in Österreich drei Jahre lang die Schule besucht habe und kurdische und arabische Freunde habe. In Syrien würden noch die Großmutter und der Onkel des Beschwerdeführers leben. Dem Beschwerdeführer sei 2015 der Status des Asylberechtigten im Familienverfahren zuerkannt worden, im damaligen Verfahren seien für ihn keine Verfolgungsgründe geltend gemacht worden. Nunmehr würde er – aufgrund seines fortgeschrittenen Alters – im Falle einer Rückkehr nach Syrien aber von der PKK aufgefordert werden zu kämpfen.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.01.2019, Zl. 143 Hv 87/18i, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, versucht zu haben, einer näher bezeichneten Person eine schwere Körperverletzung vorsätzlich zuzufügen, indem er dieser mit einem Messer einen Stich in den Oberschenkel versetzt habe, wodurch diese eine 3 cm breite und 2 cm tiefe Stichverletzung erlitten habe. Der Beschwerdeführer wurde daher rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe, nämlich elf Monate, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Bei den Strafbemessungsgründen wurde als mildern angesehen, dass es hinsichtlich der schweren Körperverletzung beim Versuch geblieben sei, während die einschlägige Vorstrafen, der rasche Rückfall innerhalb offener Probezeit sowie die Körperverletzung unter Einsatz einer Waffe erschwerend berücksichtigt wurden. Vom Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsicht zu der Verurteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien, AZ 162 Hv 39/18w, wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet. Dem Beschwerdeführer wurde ferner die Weisung erteilt, an einem Anti-Gewalt-Training (forensische Therapie) zu teilzunehmen.

8. Mit Bescheid des BFA vom 11.03.2019, Zl. 1050701504 – 180372913/BMI-BFA_BGLD_RD, wurde dem Beschwerdeführer im Spruchpunkt I. der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Im Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Gleichzeitig wurde gemäß § 8 Abs. 3a AsylG iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung nach Syrien für unzulässig erklärt. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf sechs Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer wegen eines besonders schweren Verbrechens verurteilt worden sei. Bei der ersten Einvernahme vor dem BFA habe der Beschwerdeführer reumütig vorgebracht, dass ihm der Vorfall leidtue und er so etwas das letzte Mal gemacht hätte. Indem der Beschwerdeführer jedoch ein halbes Jahr später erneut straffällig geworden sei, sei ein innerer Wertewandel ausgeschlossen und infolge der Einstellung des Beschwerdeführers zur österreichischen Rechtsordnung jedenfalls von einer künftigen Gefahr auszugehen. Das Verhalten des Beschwerdeführers lasse auf eine sozialschädliche Neigung zur Missachtung der österreichischen Rechtsvorschriften schließen. Der Beschwerdeführer stelle daher eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die öffentlichen Interessen, insbesondere an der Einhaltung der Grundrechte, seien jedenfalls höher zu bewerten als die Interessen des Beschwerdeführers. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass der Beschwerdeführer nicht dem realen Risiko unterworfen wäre, einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr oder einer dem 6. oder 13. Zusatzprotokoll zur EMRK wiederstreitenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Zur Rückkehrentscheidung führte das BFA aus, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie keine derart intensive Beziehung bestehe, dass diese auch nach Erreichen der Volljährigkeit noch aufrecht erhalten werden müsse. Der Beschwerdeführer habe in Österreich mehrere Straftaten begangen, sich jedoch in Österreich nicht maßgeblich (etwa beruflich und sozial) integriert und hier auch keine maßgeblichen Bindungen aufgebaut. Gesamt gesehen stelle der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Zum Einreiseverbot führte das BFA aus, dass § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei, da der Beschwerdeführer von einem österreichischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einmal zwölf Monaten und einmal sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei. Aus dem Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers sei der Schluss zu ziehen, dass von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe und ein Verbleib im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung nachhaltig und maßgeblich gefährde. Auch unter Berücksichtigung der familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich überwiege das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich. Zum Einreiseverbot führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer von einem österreichischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe einmal in der Dauer von zwölf Monaten und einmal in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden sei und damit § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei.

9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das BFA ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Sie letzte Einvernahme des Beschwerdeführers habe am 15.05.2018 stattgefunden, weshalb die Behörde nicht in der Lage gewesen sei, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie das Privat- und Familienleben aktuell zu beurteilen. Aus der am 05.11.2018 erfolgten Einvernahme könne nicht auf die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers geschlossen werden. Beim minderjährigen Beschwerdeführer habe die Haft, die zwischen Einvernahme und Erlassung des Bescheides erfolgt sei, einen besonderen Eindruck hinterlassen. Darüber hinaus habe der Bewährungshelfer positiv hervorgehoben, dass der Beschwerdeführer alle Terminen verlässlich und regelmäßig wahrnehme und bereit sei, sich mit Situationen, die zu einem straffälligen Verhalten führen würden, auseinanderzusetzen und diese zu vermeiden. Auch im Rahmen einer weiteren Therapie setze sich der Beschwerdeführer mit seiner Lebenssituation auseinander. Seit Ende Februar besuche er eine Produktionsschule. Darüber hinaus habe das BFA es unterlassen, sich mit dem individuellen Fluchtgrund des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Im Falle einer Rückkehr würde er von der PKK aufgefordert werden, für sie zu kämpfen. Darüber hinaus drohe dem Beschwerdeführer, sowohl als Minderjähriger als auch nach eingetretener Volljährigkeit, eine Zwangsrekrutierung von staatlicher Seite. Auch habe das BFA eine mangelhafte Beweiswürdigung durchgeführt. Bei gesetzmäßiger Beurteilung hätte das BFA dem Beschwerdeführer nicht den Status des Asylberechtigten aberkannt. Insbesondere hätte es gegen den Beschwerdeführer keine Rückkehrentscheidung erlassen, sondern die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt. Entgegen der Bescheidbegründung sei der Beschwerdeführer an dem damals stattgefundenen Raub nicht beteiligt gewesen. Bei beiden Verurteilungen sei die zulässige Höchststrafe bei weitem nicht ausgeschöpft worden, die verhängten Freiheitsstrafen seien zu einem überwiegenden Teil bedingt nachgesehen worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum vom Beschwerdeführer eine Gemeingefährlichkeit ausgehen solle, wenn über ihn lediglich eine unbedingte Strafe von einem Monat verhängt worden sei. Zur rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass das BFA zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen ausgegangen sei. Nach der Rechtsprechung des VwGH sei ein äußerst hoher Unrechtsgehalt erforderlich, damit ein Verbrechen als besonders schweres Verbrechen zu qualifizieren sei. Ferner habe die belangte Behörde auch keine ausreichende Prognoseentscheidung getroffen. Sie habe lediglich auf die Straftaten Bezug genommen, die für eine positive Prognose sprechenden Umstände seien jedoch nicht herangezogen worden. Darüber hinaus sei im Rahmen der Interessenabwägung erforderlich, zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung drohe. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sei daher zu Unrecht erfolgt. Da dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien jedenfalls eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe, wäre ihm jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Die verhängte Rückkehrentscheidung greife jedenfalls unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein. Der Beschwerdeführer gehöre faktisch Österreich zu, während ihn mit seinem Heimatland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbinde. Zu berücksichtigen sei auch, ob es dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr möglich sei, eine Existenzgrundlage zu schaffen. Im Hinblick auf das verhängte Einreiseverbot fehle es an einer nachvollziehbaren Begründung und die Behörde habe auch hier die Prognosebeurteilung nur unzureichend durchgeführt. Der Sachverhalt sei so mangelhaft ermittelt worden, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine. Gemeinsam mit der Beschwerde wurden ein Sozialbericht des Bewährungshelfers vom 28.04.2019, eine Bestätigung des Instituts für forensische Therapie vom 04.04.2019 sowie eine Teilnahmebestätigung „Produktionsschule“ vom 22.03.2019 vorgelegt.

10. Mit Schreiben vom 16.04.2019, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 18.04.2019, wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2019, W224 2217664-1/6E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

12. Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 23.03.2020, Ra 2019/14/0334, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

13. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.10.2019, 162 Hv 107/19x, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 27.6.2019 in Wiener Neustadt vor dem Landesgericht Wiener Neustadt in der Hauptverhandlung zu AZ 48 Hv 28/19h als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache durch die wahrheitswidrige Aussage, XXXX habe ihm am 19.12.2017 keinen Faustschlag versetzt, falsch ausgesagt zu haben. Weiters wurde er schuldig erkannt, dass er durch diese geschilderte Handlung XXXX , der das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, somit eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hatte, der Verfolgung absichtlich zumindest zum Teil zu entziehen versucht hat. Er hat dadurch das Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und das Vergehen der versuchten Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs. 1 StGB begangen. Er wurde daher rechtskräftig wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als Strafbemessungsgründe wurden mildernd das Geständnis und die Tatsache, dass es teilweise nur beim Versuch geblieben ist, berücksichtigt. Erschwerend wurde gewertet, dass eine einschlägige Vorstrafe vorlag, das Zusammentreffen der zwei Vergehen und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeiten. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.5.2019, zu AZ 162 Hv 39/18 w und vom 23.1.2019, zu AZ 143 Hv 87/18 i abgesehen, und gemäß Abs. 6 leg cit die Probezeit zu zuletzt genannter Verurteilung auf 5 Jahre verlängert.

14. Am 21.07.2021 erhob die Staatsanwaltschaft Wels zu AZ: 518 012 ST 152/21b Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 125, 126 StGB wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (nunmehr 38 Hv 59/21w beim Landesgericht Wels). Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, er habe am 23.03.2021 in Vöcklabruck durch Versprühen eines Feuerlöschers, sohin eine der Bekämpfung von Katastrophen dienende Einrichtung (somit an einem wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur) vorsätzlich unbrauchbar gemacht. Er habe hierdurch das Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB begangen und sei hierfür unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG nach § 126 Abs. 1 StGB zu bestrafen.

15. Am 19.08.2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Verfahrensgegenstand erörtert wurde und auch die Mutter des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams und ist ledig. In Syrien lebte er zuletzt mit seiner Familie in einem Haus in Qamischli.

Dem Vater des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid vom 05.12.2014 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 24.05.2015 in Österreich, mit Bescheid vom 29.06.2015, Zl. 1050701504-150563938, wurde ihm durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 im Familienverfahren der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Derzeit lebt der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und (zumindest) einem Bruder in einer Wohnung in Wien. Der Beschwerdeführer hat in Österreich drei Jahre lang die Schule besucht und nahm im Jahr 2019 für sechs Monate am Projekt „Produktionsschule“ teil. Das Programm „Produktionsschule“ ist ein Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene nach Beendigung ihrer Schulpflicht, die Unterstützung für ihre weitere schulische oder berufliche Ausbildung suchen. Auf Grund des Projekts „Produktionsschule“ hat der Beschwerdeführer keine Berufstätigkeit ergriffen. Der Beschwerdeführer besuchte danach ein paar Monate eine Lehre in Oberösterreich, welche er abgebrochen hat. Der Beschwerdeführer ist nunmehr in Kursen, um den Hauptschulabschluss nachzuholen. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch, Kurdisch und Deutsch in einem Ausmaß, dass er weiten Teilen der Verhandlung ohne Dolmetscher folgen konnte. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer lebt derzeit von der Grundversorgung.

Die Großmutter und der Onkel des Beschwerdeführers leben in Syrien, die Mutter des Beschwerdeführers steht mit der Großmutter in Kontakt. Auch der Beschwerdeführer selbst lebte bis 2015 gemeinsam mit seiner Familie in Syrien.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.05.2018, Zl. 162 Hv 39/18w, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, einer näher bezeichneten Person von hinten einen heftigen Stoß versetzt zu haben, sodass diese zu Boden fiel, und der Beschwerdeführer ihr anschließend die Handtasche entriss, davonlief und aus der Handtasche das darin befindliche Bargeld in der Höhe von EUR 30,- und eine Bankomatkarte behielt, während er die Handtasche wegschmiss. Weiters wurde er schuldig erkannt, im Zeitraum von Jänner bis Februar 2018 versucht zu haben, eine andere näher bezeichnete Person dazu zu bestimmen, in einem Ermittlungsverfahren als Zeuge zur Sache vor der Kriminalpolizei falsch auszusagen. Der Beschwerdeführer wurde daher wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 2. Fall, 288 Abs. 1 und 4 StGB unter Bedachtnahme auf § 5 Z 4 JGG nach dem Strafsatz des § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, der Privatbeteiligten einen Betrag von EUR 100,- zu zahlen. Für die Dauer der Probezeit wurde eine Bewährungshilfe angeordnet. Im Rahmen der Strafbemessung wurden die Verletzung des Opfers sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen erschwerend, das reumütige Geständnis, der tadellose Lebenswandel und die teilweise Schadensgutmachung mildernd gewertet.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 23.01.2019, Zl. 143 Hv 87/18i, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, versucht zu haben, einer näher bezeichneten Person eine schwere Körperverletzung vorsätzlich zuzufügen, indem er dieser mit einem Messer einen Stich in den Oberschenkel versetzte, wodurch diese eine 3 cm breite und 2 cm tiefe Stichverletzung erlitt. Der Beschwerdeführer wurde daher rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe, nämlich elf Monate, unter Bestimmung einer Probezeit nachgesehen. Bei den Strafbemessungsgründen wurde als mildernd angesehen, dass es hinsichtlich der schweren Körperverletzung beim Versuch geblieben sei, während die einschlägige Vorstrafen, der rasche Rückfall innerhalb offener Probezeit und die Körperverletzung unter Einsatz einer Waffe erschwerend berücksichtigt wurden. Vom Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsicht zu der Verurteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien, AZ 162 Hv 39/18w, wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet. Dem Beschwerdeführer wurde ferner die Weisung erteilt, an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen.

Zu den Tatumständen in Bezug auf die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB wird festgestellt: Der Beschwerdeführer hat am 08.09.2018 in Wien unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Messers, bewusst und gewollt einer näher bezeichneten Person eine 3 cm breite und 2 cm tiefe Stichverletzung im Oberschenkel zugefügt. Er hat damit versucht, seinem Opfer eine schwere Körperverletzung zuzufügen, und große Gewaltbereitschaft gezeigt. Der Beschwerdeführer hat daher die körperliche Integrität seines Opfers äußerst gering geschätzt. Es ist nicht hervorgekommen, dass das Opfer des Beschwerdeführers bewaffnet gewesen wäre. Es wird hinsichtlich des diesbezüglichen Verhaltens des Beschwerdeführers ein qualifizierter Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung des Beschwerdeführers) und Handlungsunwert festgestellt (subjektiver Aspekt des besonders schweren Verbrechens). Die Begehung einer Körperverletzung mit einer Waffe ist objektiv besonders verwerflich und insofern als besonders schwer zu qualifizieren, weil dadurch massive Gefahr für das Leben und die körperliche Integrität des Opfers besteht.

Der Beschwerdeführer war von 03.10.2018 bis 26.11.2018 in Haft.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15.10.2019, 162 Hv 107/19x, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 27.06.2019 in Wiener Neustadt vor dem Landesgericht Wiener Neustadt in der Hauptverhandlung zu AZ 48 Hv 28/19h als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache durch die wahrheitswidrige Aussage, XXXX habe ihm am 19.12.2017 keinen Faustschlag versetzt, falsch ausgesagt zu haben. Weiters wurde er schuldig erkannt, dass er durch diese geschilderte Handlung XXXX , der das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, somit eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hatte, der Verfolgung absichtlich zumindest zum Teil zu entziehen versucht hat. Er hat dadurch das Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und das Vergehen der versuchten Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs. 1 StGB begangen. Er wurde daher rechtskräftig wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als Strafbemessungsgründe wurden mildernd das Geständnis und die Tatsache, dass es teilweise nur beim Versuch geblieben ist, berücksichtigt. Erschwerend wurde gewertet, dass eine einschlägige Vorstrafe vorlag, das Zusammentreffen der zwei Vergehen und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeiten. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.5.2019, zu AZ 162 Hv 39/18 w und vom 23.1.2019, zu AZ 143 Hv 87/18 i abgesehen, und gemäß Abs. 6 leg cit die Probezeit zu zuletzt genannter Verurteilung auf 5 Jahre verlängert.

Am 21.07.2021 erhob die Staatsanwaltschaft Wels zu AZ: 518 012 ST 152/21b Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 125, 126 StGB wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (nunmehr 38 Hv 59/21w beim Landesgericht Wels). Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, er habe am 23.03.2021 in Vöcklabruck durch Versprühen eines Feuerlöschers, sohin eine der Bekämpfung von Katastrophen dienende Einrichtung (somit an einem wesentlichen Bestandteil der kritischen Infrastruktur) vorsätzlich unbrauchbar gemacht. Er habe hierdurch das Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB begangen und sei hierfür unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG nach § 126 Abs. 1 StGB zu bestrafen.

Der Beschwerdeführer wird seit 06.07.2018 von einem Bewährungshelfer betreut. Aufgrund der gerichtlichen Weisung vom 23.01.2019 nahm der Beschwerdeführer auch an forensisch-therapeutischen Sitzungen (Anti-Gewalt-Training) teil. Diese Sitzungen dauerten jedenfalls bis 2020 an.

Es kann seit der letzten Verurteilung kein relevantes strafrechtliches Wohlverhalten des Beschwerdeführers festgestellt werden, zumal er nunmehr im Juli 2021 wegen §§ 125, 126 StGB angeklagt wurde. Hinsichtlich des Beschwerdeführers wird keine positive Zukunftsprognose erstellt. Ein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich seiner strafgerichtlichen Verurteilung besteht nicht. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Zwar hat der Beschwerdeführer bereits Kontakte in Österreich geknüpft, eine intensive Bindung zu Freunden und eine umfassende Teilnahme am sozialen Leben in Österreich sind im Verfahren jedoch nicht hervorgekommen. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer tiefgreifenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere in beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht, festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist 2002 geboren und damit im wehrdienstfähigen Alter. Damit droht dem Beschwerdeführer in Syrien (bei einer nunmehrigen Rückkehr) die reale Gefahr, zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und er ist in Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Zur Lage in Syrien wird – soweit maßgeblich – festgestellt (entnommen aus: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 02.07.2021):

COVID-19

Letzte Änderung: 11.02.2021

Am 22.3.2020 wurde der erste Fall einer COVID-19 infizierten Person in Syrien bestätigt (ÖB 29.9.2020). Unbestätigte Berichte deuteten damals darauf hin, dass das Virus schon früher entdeckt worden war, dies aber vertuscht wurde (Reuters 23.3.2020). Dem ersten bestätigten Fall folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangssperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf ein Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden Binnenvertriebenen (IDPs) vor allem im Nordwesten zu (ÖB 29.9.2020).

Trotz der katastrophalen humanitären Lage in Syrien sind dort weit weniger Fälle und Todesfälle gemeldet worden als in den Nachbarländern (BBC 13.10.2020). Die offiziell bekannt gegebenen Zahlen für die von der Regierung kontrollierten Gebiete in Syrien sind sehr niedrig, ebenso die Zahl der Tests (ÖB 29.9.2020). Angesichts der begrenzten Anzahl von Tests in ganz Syrien ist es wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der Fälle die offiziellen Zahlen bei weitem übersteigen könnte (UNOCHA/WHO 1.2.2021). Eine britische Studie schätzt, dass nur 1,25% der Infektionen gemeldet werden. Mitte August 2020 wurde allein in der Hauptstadt Damaskus die Zahl der Infizierten auf 112.500 geschätzt (AA 4.12.2020).

Die seit Juli 2020 gemeldete stetige Zunahme des betroffenen Gesundheitspersonals unterstreicht - angesichts des fragilen Gesundheitssystems Syriens mit einer ohnehin schon unzureichenden Zahl an qualifiziertem Gesundheitspersonal - das Potenzial einer weiteren Beeinträchtigung der überforderten Gesundheitskapazitäten. Humanitäre Akteure erhalten weiterhin Berichte, dass das Gesundheitspersonal in einigen Gebieten nicht über ausreichende persönliche Schutzausrüstung verfügt (UNOCHA/WHO 1.2.2021). Staatliche Spitäler, besonders in der Gegend von Damaskus, sind mit Patienten überfüllt und haben keine Beatmungsgeräte mehr (CGP 13.10.2020). Unterdessen sagen die unterbesetzten medizinischen Fachkräfte, dass sie ihre Aufgaben unter der Aufsicht der mächtigen Sicherheitsdienste erfüllen müssen, welche die staatlichen Gesundheitseinrichtungen überwachen. Dies soll abschreckend auf Patienten wirken, die bereits zögern, sich in einem Land behandeln zu lassen, in dem die Angst vor dem Staatsapparat groß ist und jede kritische Diskussion über den Umgang mit der Pandemie als Bedrohung für eine Regierung angesehen werden könnte, die entschlossen ist, eine Botschaft der Kontrolle zu vermitteln (AJ 5.10.2020).

Unterdessen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage Syriens weiter. In Verbindung mit dem plötzlichen Zusammenbruch des syrischen Pfunds hat COVID-19 die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Syriens im Sommer 2020 noch verschärft. Die aktuelle Wirtschaftslage, zusammen mit den beschädigten Lieferketten durch die Explosion in Beirut am 4.8.2020 (UNSC 30.9.2020) und dem Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund der Auswirkungen von COVID-19, insbesondere bei Tagelöhnern oder der Saisonarbeit, in Verbindung mit dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise, lässt vermuten, dass nun wahrscheinlich mehr Familien in die Ernährungsunsicherheit gedrängt wurden (UNOCHA/WHO 29.9.2020).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 12.02.2021

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen. Seit März 2020 sind Kampfhandlungen reduziert, dauern jedoch in mehreren Frontgebieten nach wie vor an (AA 4.12.2020). Der Menschrenrechtsmonitor Syrian Network for Human Rights spricht sogar von einem Rückgang an Militäroperationen von 85%, wobei die verbleibenden Militäroperationen sich hauptsächlich auf Bodenoffensiven konzentrieren, bei denen es jedoch nicht mehr zu maßgeblichem Vorrücken kommt (SHNR 26.1.2021).

Die faktische Ausübung der Kontrolle durch das syrische Regime unterscheidet sich stark von Gebiet zu Gebiet. Die verbleibenden Gebiete unterliegen keiner oder nur teilweiser Kontrolle des syrischen Regimes: Im Nordwesten werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte bewaffnete Oppositionsgruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei werden durch die Türkei und ihr nahestehende bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Weitere Gebiete in Nord- und Nordost-Syrien werden durch die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) sowie punktuell durch das syrische Regime kontrolliert. Das Assad-Regime hat wiederholt öffentlich erklärt, dass die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes weiterhin sein erklärtes Ziel sei (AA 4.12.2020).

Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 4.12.2020). Dies gilt auch für vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus (AA 19.5.2020).

43% der besiedelten Gebiete Syriens gelten als mit Minen und Fundmunition kontaminiert. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zour sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen (AA 4.12.2020). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes (DIS/DRC 2.2019). An Orten wie den Provinzen Aleppo, Dara'a, dem Umland von Damaskus, Idlib, Raqqa und Deir ez-Zour führt die Explosionsgefahr zu Verletzungen und Todesfällen, sie schränkt den sicheren Zugang zu Dienstleistungen ein und behindert die Bereitstellung humanitärer Hilfe. Mit Stand Juni 2020 leben 11,5 Millionen Menschen in den 2.562 Gemeinden, die in den letzten zwei Jahren von einer Kontamination durch Minen und explosive Hinterlassenschaften des Konflikts berichtet haben (UNMAS 6.2020).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019), sowohl in syrischen Städten als auch in ländlichen Gebieten, besonders in den von der Regierung kontrollierten Gebieten (DIS 29.6.2020). Im Untergrund sollen mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. Es sind zuletzt Berichte über Anschläge in Damaskus, Idlib, Homs sowie dem Süden und Südwesten des Landes und der zentralsyrischen Wüste bekannt geworden. Der Schwerpunkt der Anschläge liegt im Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). Nach einer Zunahme der IS-Aktivitäten Anfang 2020 ist die Zahl der Angriffe durch den IS seit April 2020 zurückgegangen. Gegenwärtig gehören zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020).

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens ("Operation Friedensquelle") (CNN 11.10.2019; vgl. AA 19.5.2020). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und die damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wurde ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019; vgl. DS 17.10.2019). Die USA patrouillieren seit dem 31.10.2019 weiterhin in weiten Teilen des Nordostens (AA 4.12.2020).

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten und Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).

Laut Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) wurden im zweiten Quartal 2020 insgesamt 1.555 Todesopfer gezählt. Die meisten wurden durch Kämpfe (760) oder Explosionen/Fernangriffe (496) getötet, vor allem in den Provinzen Deir ez-Zour (255) und Hama (200), gefolgt von Idlib (196) und Raqqa (194). Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 28.10.2020).

Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 11.02.2021

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 11.3.2020). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020, AA 4.12.2020). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 11.3.2020; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 11.3.2020). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 4.12.2020).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 11.3.2020). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden (USDOS 11.3.2020; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 11.3.2020). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Seit 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Berichten zufolge sind die Todesfälle auf Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötungen zurückzuführen (AA 20.11.2019; vgl. SHRC 24.1.2019). Die meisten der auch im Jahr 2020 bekannt gegebenen Todesfälle betreffen Inhaftierte aus den vergangenen neun Jahren, wobei das Regime ihre Familien erst in den Folgejahren über ihren Tod informiert. Obwohl die Todesfälle in der Vergangenheit eingetreten sind, gibt das Regime diese nur nach und nach bekannt. 2020 lag die Rate bei etwa 17 Personen pro Monat. In den meisten Fällen werden die Familien der Opfer nicht direkt über ihren Tod informiert, da der Sicherheitsapparat nur den Status der Inhaftierten im Zivilregister ändert und die Familien aktiv im Melderegister suchen müssen, um den Verbleib ihrer Verwandten zu erfahren (SHRC 1.2021). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 14.1.2020).

Zehntausende Menschen sind weiterhin verschwunden, die Mehrheit seit 2011. Unter ihnen befinden sich humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten, friedliche Aktivisten, Regierungskritiker und -gegner sowie Personen, die anstelle von Verwandten, die von den Behörden gesucht wurden, inhaftiert wurden (AI 18.2.2020). In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agierte Berichten zufolge mit Brutalität und Missbräuchen gegen Personen in seiner Gefangenschaft in oder in der Nähe der schrumpfenden Gebiete, die er 2019 kontrollierte (USDOS 11.3.2020). Auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) nutzten in ihren Haftanstalten Folter, um Geständnisse zu erhalten, wobei die Folter oft aus Rache und basierend auf ethnischen Vorurteilen durchgeführt wurde. Der Menschenrechtsmonitor, Syrian Network for Human Rights, konnte im Jahr 2020 zumindest 14 Todesfälle aufgrund von Folter und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung in den Haftanstalten der SDF dokumentieren (SNHR 26.1.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 17.02.2021

In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).

Es gibt krasse Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten und einen geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten. Die Bürger werden ungleich behandelt. Ihnen werden aufgrund konfessioneller Zugehörigkeit, des Herkunftsortes, ethnischer Zugehörigkeit und des familiären Hintergrundes grundlegende staatsbürgerliche Rechte vorenthalten bzw. Privilegien gewährt oder verweigert. Grundlegende Aspekte der Staatsbürgerschaft werden großen Teilen der Bevölkerung verwehrt. Diese ungerechte Behandlung hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 29.4.2020).

Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Drangsalierung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden. Diese reichen von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, Verschwindenlassen und Folter (USDOS 11.3.2020).

Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).

In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2021). Diejenigen, die sich mit der Regierung "versöhnt" haben, werden weiterhin durch die Regierungstruppen misshandelt (HRW 14.1.2020; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Auch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen begehen schwere Übergriffe. Das Schicksal von Tausenden, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführt wurden, bleibt unbekannt. Auch die kurdischen Behörden, die von den USA geführte Koalition oder die syrische Regierung unternehmen keine Schritte, deren Verbleib zu ermitteln (HRW 13.1.2021).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 4.12.2020). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).

Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 11.3.2020).

Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zögerlich dabei, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, extremen körperlichen Missbrauch, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich (USDOS 11.3.2020). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des sogenannten IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019).

Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen an Korruption, rechtswidriger Einschränkung des Personenverkehrs und willkürlicher Verhaftung von Zivilisten sowie an Angriffen beteiligt gewesen sein, die zu zivilen Opfern führten. Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle

des syrischen Regimes oder islamistischer und jihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Letzte Änderung: 09.12.2020

Die Regierung, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 11.3.2020).

Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällenführen (USDOS 11.3.2020). Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019).

Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig (Reuters 27.9.2018). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen, teils verbunden mit Forderungen nach Geldzahlungen. Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt (AA 19.8.2020).

Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019) bzw. recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018).

Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten, der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).

Teilen der syrischen Bevölkerung, speziell Rückkehrern und Menschen in Gebieten, die vom Regime zurückerobert wurden, fehlt weiterhin der Zugang zu für den persönlichen Alltag, Dienstleistungen und ihre Bewegungsfreiheit notwendigen Personal-und Personenstandsdokumenten (AA 19.5.2020).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten Syriens erheblich ein. In den vom IS oder die islamistische Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebieten war es Frauen allgemein nicht erlaubt, ohne einen nahen männlichen Verwandten zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Ein- und Ausreise, Situation an den Grenzübergängen

Letzte Änderung: 09.12.2020

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen (USDOS 11.3.2020). Grenzen sind zum Teil für den

Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 19.8.2020). Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängte das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 11.3.2020).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 11.3.2020).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren. Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt (AA 19.5.2020). Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen für Reisen in das Ausland als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020). Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren (AA 19.8.2020). Die Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben (FES 7.2020).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 18.02.2021

Der seit 2011 andauernde Krieg in Syrien hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung, die Sicherheitslage und die humanitäre Lage im Land. Die Regierung Syriens sieht sich mit internationalen Sanktionen, einer breiten Zerstörung der Infrastruktur, geringen Devisenreserven, der weiterhin nicht vollständigen territorialen Kontrolle aller Landesteile, einer hohen Anzahl an Binnenflüchtlingen sowie der Präsenz kleinerer terroristischer Gruppen konfrontiert. Die im November 2018 und März 2019 erfolgte Verschärfung der US-Sanktionen und das Auslaufen der iranischen Kredite für Ölimporte 2018 führten zu einem massiven Versorgungsengpass an Öl (WKO 17.10.2019). Das Jahr 2020 erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang, vor allem in den vom Regime kontrolliert

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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